Ich soll schreiben, wie ich den Krieg erlebte, damals, hat die Lehrerin gesagt. Damals ist noch nicht lange her, solange aber jedenfalls, dass man schon einen Aufsatz darüber schreiben kann:
Krieg. Der Krieg. Wie ich ihn erlebte? Eigentlich gar nicht, alles war wie ein Traum. Ein einziger Alptraum. Einer von der Sorte, aus der es kein entrinnen gibt. Als alles begann wusste ich noch gar nicht, dass dies der Anfang vom Ende sein würde. Der Anfang vom Ende für unsere Familie, der Anfang vom Ende für Deutschland.
Ich glaube, keiner von uns vier jüngeren Geschwistern hat verstanden, als Papa erzählte, er und meine beiden großen Brüder müssten für längere Zeit „ verreisen“.
Wir aßen gerade zu Abend, als er begann zu reden.
„ Wohin?“, habe ich ihn gefragt.
„ Bitte nehmt mich mit“, hatte meine kleine Schwester noch gefleht.
Doch Papa hat nur so komisch zur Mama geguckt und gesagt: „ Ihr müsst jetzt stark sein, brav sein und eure Mutter unterstützen. Versprecht es mir!“
„ Ja“, haben wir alle nur geantwortet.
Dies war das letzte, was wir für lange Zeit zu unserem Vater gesagt haben sollten. Am nächsten Morgen waren er und meine beiden größeren Brüder verschwunden.
Den ganzen Tag hat Mama geweint und wir konnten sie nicht trösten.
Am nächsten Tag ist sie wieder arbeiten gegangen. Dann kam die lange Zeit des Hungerns. Alle Lebensmittel wurden rationiert. Im Winter 1917 hatten wir auch kein Geld um das Heizmaterial zu bezahlen. Meinen beiden jüngeren Geschwistern nahmen der Winter und der Hunger das Leben. Und so makaber das klingen mag, fast waren wir froh darüber.
Mama sagte: „ Im Himmel sind sie besser aufgehoben, als auf dieser schrecklichen Erde. Es ist gut, dass sie dort oben sind, hier unten hätte man ihnen nur das Herz gebrochen.“
Ein Jahr darauf kam mein Vater mit meinem ältesten Bruder zurück. Sie überbrachten uns die Todesnachricht von Emil, meinem zweitältesten Bruder, er war gefallen. Mein älterer Bruder Albert hatte nur noch ein Bein und sein linker Arm war lediglich ein Stumpf. Ein, vielleicht auch anderthalb Wochen später, hat er sich erschossen. Im Wald, nicht weit weg vom Haus. Eine Nachbarin fand ihn. Neben ihm lag ein Zettel: „ Ich halte es nicht aus, will mein Leben nicht als lebendiger Krüppel fristen. Verzeiht mir, in Liebe, Albert.“
Eine Woche später erhängte sich mein Vater auf unserem Dachboden. Ich weiß es so genau, weil es einen Tag nach meinem Geburtstag war. Auch er hatte einen Zettel geschrieben:“ Ich habe keine Kraft mehr zum Kämpfen, es tut mir leid.“
Mittlerweile bin ich 11 ein halb Jahre alt und der Mann im Haus, denn jetzt gibt es nur noch die Mama, mich und Melanie.
„ Wir müssen kämpfen,“ hat Mama gesagt, „ kämpfen um zu überleben.“ Und das tun wir auch. Tag für Tag.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2006.
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