Nicolai Rosemann

Der Fall der Engel

1. Das dunkle Land
Die Bäume sind nicht mehr als abgemagerte Gerippe aus grauem Fels. Die Jahrhunderte haben sie gezeichnet während die giftige Saat bis tief in die Wurzeln vorgedrungen ist und jeden Hauch von Leben im Keim erstickt hat. Düstere Stimmen in einer Sphäre des Lebens, die die Menschen nicht wahrnehmen können, dringen bis zur äußersten Spitze jeden Astes. Darum fallen die Blätter zu jeder Jahreszeit, an jedem Tag. Deshalb ist mein Herz mit Schmerz erfüllt…  
 
2. Die Königin des Winters
Es ist ein verdorbenes Land und schlägt sich auf die Psyche eines Jeden. Helden werden zu Feiglingen, treue Diener zu Verrätern. Selbst die Stärksten erliegen der Verlockung und enden dann als verderbte Gestalten, die zu Schatten werden und am Ende in Vergessenheit geraten. In diesem Land schlugen sie ihr Heim auf und sie wurden zu den ersten einer neuen Art. Ihr natürlicher Trieb ist es alles Schöne zu zerstören oder sich zu Diensten zu machen. Sie stehen an der Spitze und fast alles ist ihre Beute. Die Bäume flüstern Namen und die Königin des Winters nimmt wieder ihren Thron ein. Einstimmig rufen sie ihren Namen – Lillith.
Und Kain wandelt wieder über die Lande und säht eine neue Saat. Er wirft seine Lanze und sie fährt ins Gebein…
 
3. Die Heide
Im Schatten der grünen Bäume der Heide singt die Seele im Chor mit den sanften Stimmen im Wind und im Wasser. Zum schnellen Trommelwirbel des fallenden Regens bewegen sich die Glieder. Der enge Tanz zwischen Regen und Sonne gebiert einen Regenbogen, dessen Farben das Herz entzücken. Gedanken und Gefühle gehen im Einklang dahin bis der Tag endet und die silberne Scheibe des vollen Mondes sein sanftes Licht auf die Heide wirft. Die Sterne als Diener einer höheren Sache sind die Wegweiser auf einem noch unbekannten Pfad. Während der Körper den Pfad erst beschreitet hat der Geist bereits das Ende erreicht und springt von diesem Wegweiser in ein Becken auf warmen, süßen Wasser und wird verschlungen von Güte. Das Blut pulsiert immer schneller in den Adern, die Venen werden langsam warm und ein neuer Tag beginnt…
 
4. Schatten
Ein langer Weg liegt hinter ihm. Das Gefühl der Nähe erweckt in ihm einen alten Trieb und erfüllt ihn mit einer solchen Vorfreude dass er es am liebsten in die Welt hinausschreien würde. Aber er hat Angst jemanden zu erschrecken, weswegen er sich lieber in seinen Mantel hüllt, dem kalten Wind trotzt und betet sein Ziel schnell zu erreichen. Als die Sonne ihre warmen Fühler ausstreckt verbirgt er sich in Mutter Erde und hofft auf ein baldiges Ende des Weges. Um den Mittag ist sein Verlagen bereits so groß dass es die Blumen schmelzen lässt. Schwarze Blätter fallen auf die warme Erde und vergehen. Sein Herz ist kalt. Das Blut in den Adern gefriert. Ein kleiner Zweifel entsteht, ein kleiner Funke Schwäche regt sich.
Ein Blitz beendet den Tag und bringt Wärme zurück in sein Leben…
 
5. Hoffnung
Schnellen Schrittes geht der Pfad durch das kniehohe Gras. Die Füße graben sich bei jedem Schritt tief in die warme Erde. Erst als  die Grenze der Heide erreicht ist endet der Marsch. Eine davor nie gekannte Leere erfüllt die Seele als das Auge das andere Land erblickt. Eine einzelne Träne, süß und salzig zugleich, fällt auf den Boden. Daraus sprießt sofort eine neue Blume, von der Wurzel bis zum letzten Blatt so perfekt rot wie sonst nichts auf der Welt.
Die Schritte führen zurück nach Hause. Die Blume öffnet sich für den kommenden Regen und entfaltet ihre ganze Schönheit…
 
6. Bestimmung
Berge gefrieren bis zum letzten Stein wenn der Blick von ihm sie trifft. Die Erde gibt ihn bereitwillig wieder frei. Er reckt seinen Arm zum Himmel und gräbt sich tief in das Fleisch des letzten Baumes bei seinem Lager. Er zieht sich zurück in eine kalte Welt und überschreitet die Grenze.
Unter seinen Füßen endet die Existenz der perfekten Blume und zurück bleibt nur ein Haufen Asche…
 
7. Villa Straylight
In perfekter Übereinstimmung mit dem Baumhain erhebt sich das alabasterfarbene Schloss der Herrin über das Land. In den Wolken, deren Vollkommenheit unbeschreiblich für einen Menschen ist, verschwinden die roten Schindeldächer der Türme. Die Tür aus schwarzem Ebenholz ist der Dorn in der Schönheit der Anlage. Die Wipfel der Bäume wiegen sich sanft im Wind, spröde Blätter fallen und werden durch frische Sprösslinge ersetzt. Das Sonnenlicht durchbricht die Wolken, wärmt den kalten Fels der Mauern und das Herz der Herrin. In der Hoffnung auf Erlösung fällt sie auf die Knie und richtet ihre Worte in den Himmel.
Ihr Heim ist die Villa Straylight. Ein Ort voller Weisheit, Güte und Vergebung. Der Ort der letzten Schandtat eines Todgeweihten…
 
8. Nächtlicher Besucher
Eine Spur der Verwüstung folgt an den Fersen des Wanderers durch das Land. Blumen verdampfen, Bäume sterben ab und werden zu Fels, das Gras wird schwarz. Aus dem warmen Regen wird ätzende Säure, die alles was blieb verschlingt und das Land ebenso tötet wie zuvor das Land der Herrin der Schatten – Lillith. Der sanfte Wind wird zum peitschenden Orkan, der die letzten Bäume knickt und den Schnee über die Grenze bringt. Kälte steigt auf, Tristesse ersetzt Freude. Der Wanderer hat sein Ziel erreicht, die Tür zerbricht unter seiner Faust. Der Speer fliegt und trifft den ersten Wächter…  
 
9. Wächter
Mit blankem Schwert, umschlungen von der reinigen Flamme des Wagens von Raphael, wacht der Erzengel Michael über die Ebenholztür. Seine silbernen Schwingen sind immer entfaltet um Eindringlingen den Weg zu versperren und um sie mit dem Licht Raphaels zu blenden. Aber der Wanderer wirft sich tapfer gegen ihn. Stahl trifft aus Stahl, Fleisch gräbt sich in Fleisch. Michael wirft den Wanderer schnell wieder und stößt zum letzten Mal zu. Bevor sich die Klinge aber zum letzten Mal ins Fleisch frisst fährt ihm die Lanze ins Gebein.
Erschrocken flüchtet sich Michael ins Licht und gibt so den Weg frei. Inzwischen war der erste Diener eingetroffen um nachzusehen was geschehe. Der Diener befleckte mit seinem Blut als erster den Boden und schloss die Wunden des Wanderers...
 
  
10. Uriel und der Wanderer
Durch das vergossene Blut des Dieners gerufen tritt nun Uriel, der Totenengel, auf den Plan. Er will die unsterbliche Seele befreien und zu besseren Wegen leiten. Allerdings stellt sich der Wanderer in den Weg von Uriel und schwingt seine Lanze. Der Engel wagt es nicht seine Lanze gegen den Wanderer zu erheben um nicht den Zorn der Königin des Winters auf sich zu ziehen. Immerhin ist sie die einzige, die seiner Lanze gewachsen ist und seine Existenz bedrohen könnte.
Enttäuscht zieht sich Uriel zurück, belädt den Wanderer aber mit einem Fluch der seine Tarnung fallen lässt...
 
11. Gabriels Angebot
Die Mauern der Villa Straylight werden brüchig, da der Wanderer sie des Lebens beraubt, die den Mauern Stärke spenden. Inzwischen sind die Lande rund um die Villa um Schnee der Königin versunken, einzig dieses Bildnis spendet noch Wärme und Licht. Aber auch diese Bastion wird bald fallen wenn nicht der Letzte kommt und den Wanderer aufhält. Der Wanderer zieht inzwischen von Raum zu Raum und mehrt seine Stärke durch das Blut der Unschuldigen. Er sieht die Tür bereits vor sich, die letzte Tür, die ihn vor seinem Ziel trennt. Der Geruch ist inzwischen so stark das sein Herz sogar zu schmelzen droht. Nur die eiserne Disziplin und der Hass, die ihm die Königin eingepflanzt hat, hindern ihn daran. Als er die Hand an die Tür legt steigt der Mächtigste doch herunter und stellt sich ihm in den Weg. Ohne Waffe und ohne Schild appelliert er an den Wanderer: Es ist falsch.
Was soll falsch daran sein seiner Herrin zu dienen. Dienst du nicht auch einem Herrn, der dir befohlen hat mich um jeden Preis aufzuhalten?
Du folgst den Worten einer falschen Verführerin, die dieses Anwesen schon seit langem beneidet hat. Ihr Hass darauf wurde so dass ihre Seele sich selber zernagte und dich erschuf. Du warst durch sie verdorben, wurdest ihr Werkzeug. Also frage ich dich noch einmal: Willst du das auf dich laden?
Ich tu was man mir sagt. Ich diene meiner Herrin. Wenn sie es verlangt, tue ich es.
Du willst diesen letzten Zufluchtsort zerstören? Du willst die Schande auf dich laden allen die Hoffnung genommen zu haben? Warst du jemals so, Kain, bist du jetzt so?
Ich bin wer ich bin antwortete Kain, der zweite Sohn von Adam und Eva, öffnete die Tür und trat ein. Gabriel seufzte, ergab sich aber dem Schicksal. Er entfaltete seine Schwingen und zog von dannen. Hinter ihm zerfiel die Villa Straylight...   

12. Der Fall der Engel
Die Herrin des Hauses wehrte sich nicht gegen Kain, zuckte nicht einmal als er das Blut aus ihren warmen Adern saugte. Kein Tropfen wurde verschwendet als Kain seine Stärke zum letzten Mal mehrte um die Erleuchtung zu erlange. Die Erleuchtung brachte ihm den Tod, denn als er erkannte was er für Lillith getan hatte, zog er sich unter die Erde zurück und verschloss seine Höhle hinter sich. Er hoffte nie wieder gefunden zu werden. Lillith, nun Herrin beider Länder, schickte aber ihre Diener aus ihn zu suchen. Dreizehn waren es an der Zahl. Bis heute hat keiner der Diener ihn gefunden, obwohl es einige Hinweise gibt. Weder Michael, noch Raphael, Gabriel oder Uriel kamen zurück in das Reich der Herrin, das sie Erde nannte. Sie sandten nur mehr ihre Untergebenen um den Besonderen den Weg zu weisen in ein Land, das für alle gewesen wäre, hätte Kain den Durchgang nicht zerstört. Das Paradies versank im Schnee. Ebenso wie die Hoffnung...

Die Geschichte entstand als Nebenprodukt bei der Arbeit für mein Großprojekt Vampire.Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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