Marcel Ohler

Der letzte Tanz des Narren

Laut tobte das Getöse der Schlacht, des Kampfes Mann gegen Mann, spritzte das Blut derer die getroffen wurden. Stunde um Stunde sollte noch folgen, in der die Zahl der Fallenden stieg, ehe plötzlich und unerwartet, auf das Geschrei, das Klirren der Waffen, dem Donnerhall der Kanonen, die mit ihrer Wucht die einfachen Leiber zerfetzten, sie regelos in Stücke rissen, ein Moment der Stille, seltsam ruhig, die Wolken erklomm. Ein scheinbarer Friede, in dem man glauben mochte, dass keinerlei Streitigkeit jemals stattgefunden hat.

Mein Schatten eilte mir voraus, als ich mich langsam durch den sich auflösenden Rauch begab. Wo man schaute, erspähte man die Körper der Toten wie Verwundeten, wie sie ihre Hände mit letzter Kraft gegen den Himmel streckten, um Hilfe flehend. Wieder andere waren als Menschen die sie einst geboren, nicht mehr zu erkennen, hatten die Waffen ihr Werk vollbracht. Dazwischen säumten unzählige Pferde das Feld, teils noch lebend, bemüht aufzustehen. Bei einigen der Tiere traten die Eingeweide hervor, ein bestialischer Gestank. Doch kümmerte sich niemand darum.

Die wenigen Männer, die stehen konnten, suchten zwischen den Weiten, der am Boden Liegenden nach Freunden, Angehörigen oder Bekannten. Der Sohn nach seinem Vater, ein Bruder seinen Bruder, ein Soldat den Kameraden.

Ausgesandt war ich diejenigen einzusammeln, die Opfer wurden. Ein heilloses Durcheinander beherrschte das Treiben, rechnete man gar schon mit meiner Ankunft. Seit Menschengedenken erwies ich mich als treuer Begleiter der Unvernunft, der Dummheit des leiblichen Verstandes. Was aber, wenn mir jemand ein Spiel anbot, damit seine Dauerhaftigkeit auf Erden verlängert würde?

Es gab davon viele, die es wagten und hofften zu bekommen, wovon sie träumten. Dabei steht es mir nicht zu darüber zu richten oder gar eine Entscheidung herbeizuführen. Erst, wenn ich einer einzelnen List erlag, musste ich mein Einverständnis geben, ein Verrat an mir selbst und meiner Aufgabe.

In Zeiten wie diesen, wenn die Torheit erneut ihr Unwesen treibt, erschwert sich meine Arbeit um viele Gewichte, drückt die Last der Verantwortung, welche der Posten eines Wegbegleiters mit sich führt. Sind es ansonsten nur die Alten, Kranken und Schwachen, die mir folgen, kommen jetzt auch die Restlichen des Krieges mit mir. Ein düsteres Jahrhundert, in dem ich wandelte, voll dem Schmutz der Armut und des Hungers. In ihrem Trübsal beriefen sie sich auf ihren Glauben, schienen sie den Sinn des Lebens wiederzuentdecken, doch konnte man sich am Ende nicht darüber einigen, welches nun die wahre Botschaft ist. Oh, trauriges Schicksal, das unberührt von mir abprallt. Soll es mich denn kümmern, was diese jämmerlichen Kreaturen miteinander zu reden beabsichtigen? Ihr Wissen hat nie Platz gehabt in meinem Spektrum. Bin ich es doch, der nach ihnen greift in jenem Augenblick, da es geschieht.

Ich zog durch die Lande und betrachtete die Bilder der Krankheit, wie sie den Körper verändert, sich ihres Glanzes bemächtigt, sodass er vertrocknet wie eine Blume im gleißenden Sonnenlicht. Sie entzieht ihm die Farbe des Lebens. Lässt sie zu Schatten ihrerselbst werden, trostlos und grau. Niemand konnte es erahnen, es begreifbar machen für die Augen der Wahrnehmung, trotz vergeblicher Müh. Bleibt dies wohl eines der wenigen Rätsel für die Eifrigen und Wissbegierigen unter den Menschen. Folglich lud ich zu einem neuen Tanze, baute auf meine Bühne vor der Mauer der Kirche. Ich wollte zu diesem feierlichen Anlass meine Gäste nicht länger auf die Folter spannen, obgleich es einigen von ihnen kaum schmecken dürfte, in ihrer Gier. Und so klopfte ich an der Häuser Türen, um das Fest zu eröffnen, die Meinen zu holen und auf die Bühne zu treiben, damit sie tanzen würden nach meiner süßlichen Musik.

Unzählige Male habe ich dieses Ritual bereits vollzogen, habe Päpste und Kardinäle, Bischöfe und Adelige, die ganze Gesellschaft zur Spöttelei meiner springen lassen. Anfänglich noch zurückhaltend, beinah schüchtern, versetzte sie meine Musik in einen ekstatischen Rausch, sodass sie geradezu schwebten in ihrer gänzlichen Vollzückung. Mit Beendigung jeder einzelnen Aufführung wies ich die Herrschaften in ihre vorgesehenen Plätze, wohin ich sie oft genug förmlich hineinstieß. Nachdem die Musik verstummte, die Wogen sich geglättet hatten, verfielen diese bemitleidenswerten Seelen in ihre alten Gemütszustände, waren steif in der Bewegung und der Angst. Der Zeitpunkt, da ich sie in ihre neuen Behausungen zerren musste, ward angebrochen. Allein jene beschwerten sich, deren Leben glanzvoll und groß war, welchen Sinn dies auch gehabt haben mag.

Heute schien es ein Narr zu sein, der mir Widerstand leisten wollte. Ich packte ihn an seinem Kostüm, zog ihn auf die Plattform, lachte und sprach er solle sich denn bereit halten, für den Klang meines Spiels. Er aber meinte schlicht, dass er wisse, was ihm blühe und er gern verzichten würde auf diese Erniedrigung.

„Verzichten?“, entgegnete ich überrascht. Ich erklärte ihm, dass es eine Belustigung für mich sei, wenn er tanzt, dass er keinesfalls der Erste sein wird, der mir dieses Recht verweigert.

„Wenn es denn beschlossen ist, dass ich dahinscheide, so will ich ein letztes Mal meine Familie sehen, die Höhepunkte eines bedeutungslosen Narrens, der ich war. Steht mir eine allerletzte Bitte ohnehin zu!“, gab er mir zu verstehen.

Ich antwortete, dass Verhandlungen in dieser Form zwecklos sind. Er solle sein Schicksal akzeptieren und sich fügen. Da fiel er vor mir auf die Knie und fing an wie ein Hund zu winseln.

„Gewähre mir diesen einen Wunsch und ich verspreche dir, dass du zu meinem Tanze lachen wirst, wie du es noch nie getan hast. Freiwillig will ich dir dann folgen, wohin du mich auch bringst. In das abscheulichste Gewürm werd ich mich legen, auf das mich Schlangen und Kröten für ewig bedecken!“

Tränen flossen an ihm herab und bildeten einen kleinen See, so sehr schien er an dieser Bitte zu hängen. Eine Geste von mir zeigte ihm, dass ich willens war seiner Sehnsucht zu entsprechen.

Ein kleines, unschuldiges Kind im Grase wälzend, inbrünstig in seiner Freude. Wunderschön war der Tag, der es umgab. Ist es doch der Narr, in seiner Jugend, frei von dem Felsen, der ihn drücken wird, damit er gebeugten Hauptes sein Dasein fristet. Arm entbunden, wusste er früh um die Sorge der Nahrung. Von der Kargheit des Feldes, unfruchtbar wie es gewesen. Die Eltern, einfache Leute mit knapper Not, sie mein nahes Eintreffen verzögerten.

Fortgezogen ist er dann, seine eigene Familie zu ernähren, als ein Künstler der Straße. Zog von Ort zu Ort, stets um die Belustigung auf sich zu ziehen, des Geldes wegen. Gelegentlich dann entsandte er einen Beutel mit Münzen, die er zusammengespart hatte, damit es zum Nötigen gereiche. Kehrte er zurück von der Reise, konnte er sich der Liebe seiner Angehörigen gewiss sein.

Obwohl dieses Geschöpf ärmlichen Verhältnissen entsprang, schien ihm das Glück zugetan. Hatte er eine Bleibe in der Stadt, eine Familie und Freunde die hinter ihm standen.

Doch ein heraufziehender Wind trug das Unheil in sich. Rasend schnell breitete sich die Pest über das Land, die Stadt aus, verschlang alles und jeden. Ein Wunder, wer Gnade erfuhr. Auch die Familie des Bittstellers traf es hart. Zuerst geleitete ich die Mutter der Kinder zu mir hinauf, als nächstes den ältesten Sohn von insgesamt Dreien. Schließlich war der Vater selbst an der Reihe.

Die Vision verschwamm. Übrig blieb ein gebrochener Mann, dessen Verlangen keine Befriedigung fand. Ich erinnerte den Narren an sein Versprechen, dass er mir zuvor gegeben. Unentwegt erklang meine Melodie aufs Neue, die es ihm erlaubte das Tanzbein zu schwingen. Als es geschehen, sorgte ich für seine angemessene Ruhestätte, inmitten des Gewürms wie er es zu kennen glaubte.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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