Gerhard Wetz

Wie ich gestorben bin

Der blutüberströmte Körper im Gebüsch neben dem alten Handelsweg zuckte noch ein wenig, und lag dann regungslos in einer riesigen Blutlache. Der hagere Mann mit den schulterlangen Haaren, und den seltsamen, gebauschten Pluderhosen, betrachtete noch eine ganze Weile den zerschundenen Leichnam, und warf schließlich den dicken Stock, den er in der Hand gehalten hatte, in das Gestrüpp vor ihm. Ein grausames Lächeln stahl sich auf seine schmalen Lippen.

"Wohl wohl, hat dich die gerechte Strafe also jetzt schon erreicht...." -raunte er, und stimmte dann ein hysterisches Lachen an.

Schließlich drehte er sich um und eilte fort von der Stätte des Grauens.

Inzwischen floß das Blut bereits in dünnen Rinnsalen auf den Weg und versickerte langsam im trockenen Boden.

 

*

 

Ich schrak auf, wie aus tiefstem Schlaf, unfähig meine Gedanken zu ordnen. Schreckliche Bilder von Blut und Gewalt drangen in mein wiedererwachtes Bewußtsein. Wer war diese Leiche gewesen? Jäh überfiel mich die Gewißheit ein kaltblütiger Mörder zu sein. Ich setzte mich auf und wankte ins Badezimmer um mir das Gesicht zu waschen. Meine Hände zitterten aber so sehr, daß ich mir mit den Fingernägeln unbemerkt die Lippen aufriss. Der Anblick meines blutverschmierten Gesichtes im Spiegel über dem edlen Marmorwaschbecken ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Schließlich löste sich all das soeben  erfahrene Grauen in mir, ein gequälter Aufschrei drang ungehemmt aus meinem Mund, gnädige Ohnmacht umfing mich, und ich stürzte haltlos zu Boden.

 

Ein sonderbares Gefühl, wie auf weichem, morastigen Boden zu liegen, drang sanft in mein Bewußtsein, nur ganz langsam nahm ich meine Umgebung wieder wahr.

 

"Herr Graf, um Gottes Willen, was ist denn mit Ihnen?" -Johannes, mein treuer Buttler und Vertrauter, hatte meinen Schrei gehört und war sofort herbei geeilt. "Sie sehen ja furchtbar aus!"

 

"Hab ich geschlafen...?" -ich fühlte mich gleichsam außerhalb meines Körpers stehend. "Johannes...Sie.. ach herjeh, wo kommt denn all das Blut her?"

Er antwortete mir erst nicht, sah mich nur aus seinen großen Augen forschend an. Dann meinte er anklagend ".. Sie haben es wieder alleine versucht, richtig?"

Ich rappelte mich hoch, und nachdem ich schwankend mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, entgegnete ich trotzig: "ja, aber diesmal mit Erfolg. Ich habe mich selbst gesehen Johannes, und bei allen Heiligen, mir scheint ich bin ein gemeiner Mörder!"

 

"Bleiben Sie trotzdem bei meiner Methode" - meinte er eindringlich, "dann kann Ihnen nichts passieren."

 

 

*

 

 

Tage später entschloss ich mich nochmals zurückzukehren, ich wollte, nein, ich mußte einfach wissen was mit mir los war, warum ich immer wieder diese schrecklichen Albträume von Mord und Verfolgung hatte. Diesmal wollte ich allerdings alles auf eine Karte setzen, und, entgegen dem Ratschlag von Johannes, die Taktik ändern. Wenn ich wirklich gemordet hatte, dann wollte ich dafür auch einstehen. Ich weihte Johannes in meine Pläne ein, und bat ihn, mir dabei zu helfen.

Schließlich fühlte ich mich bereit, die Reise konnte beginnen.

 

Mein Körper lag still und unbeweglich in tiefster Entspannung auf dem breiten Bett im Schlafzimmer, keinerlei Reize von außen drangen noch zu mir durch. Das Tor zu meinem Unterbewußtsein öffnete sich wie gewohnt auf das geheime Signal, ganz so, wie ich es so oft mit Johannes geübt hatte, und ich versuchte mich auf das Ziel zu konzentrieren. Abgrundtiefe Dunkelheit umhüllte mich, mit dem gleichzeitigen Gefühl durch Raum und Zeit zu fallen. Dann schließlich, Ewigkeiten, oder war es Sekunden später? - ich hatte keine Empfindungen mehr für Zeit, schwache Lichterscheinungen, kurz aufblitzend, und schon wieder verschwunden, sobald ich versuchte meine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Aber ich wußte daß ich nur geduldig zu warten brauchte, bald würde ich ankommen.

 Im Gegensatz zu meinen bisherigen Versuchen schlüpfte ich dann unversehens in dieses andere Bewußtsein. Nicht mehr nur Beobachter war ich, ich vergaß wer ich gewesen war, wurde ganz eins mit den Gedanken und Empfindungen dieser meiner eigenen vorherigen Existenz.


Riesige Bäume begannen sich aus dem schwarzen Nichts ringsum zu formen, schließlich dichter Wald, jedoch konnte ich im fahlen Licht eines Neumondes nicht allzuviel erkennen. Ich tastete mich einen schmalen Weg entlang, vorsichtig darauf bedacht nicht gehört zu werden.

 

An den Stamm einer mächtigen Eiche gelehnt  versuchte ich meine rasenden Gedanken zu beruhigen.

 

"So sei es denn, ich werde also nach Bautzen gehen und mich dem Landvogt ergeben." -meine eigenen Gedanken erschreckten mich, hatte ich nicht soeben noch auf Flucht gesonnen? Man würde mich nicht anhören, sondern sofort in das Verließ der mächtigen Ortenburg stecken. Bevor ich noch Gelegenheit hatte mich zu verteidigen, um die Wahrheit zu verkünden, würden meine Gebeine bereits vermodern in dem dunklen, stinkigen Loche unter dem Matthiasturm. Allzu einflußreich schien mein Gegner, ging er doch ein und aus im Hause des Landvogtes Andreas Graf Schlick.

Wohin allerdings sollte ich flüchten? Die dichten Wälder in der Lausitzen beherbergten so manch gefährliches Getier. Man hatte mir von einem mörderischen Wolfsrudel berichtet, welches kürzlich bis in die Nähe von Auritz vorgedrungen war. Aber selbst wenn ich nicht Opfer dieser schrecklichen Bestien wurde, wie sollte ich überleben? Niemand würde es wagen mich zu beherbergen, zu groß war die Angst der einfachen Bürger vor der Willkür der rücksichtslosen herrschenden Grundherren.

Resignation machte sich in mir breit, eine nahegelegene Schenke fiel mir ein. Der Wirt, Vinzent, war ein redlicher Mann und mir bislang immer freundlich begegnet. Er hatte kürzlich auch das Amt des Ortsrichters übertragen bekommen, ihm würde ich mich stellen und darauf vertrauen Gerechtigkeit zu erlangen.

 

*

 

Das alte Schenkhaus, welches etwas verdeckt am Rande des Pfades lag, war gerade zu erahnen im Dunkel der Nacht, als mich auch schon der Wachhund durch lautes Gebell ankündigte. Ich öffnete das Tor und wurde sofort von dem riesigen Tier schweifwedelnd begrüßt.

"Gib Ruh, du Untier..." -mißmutig  versuchte ich mich der stürmischen Begrüßung zu entziehen.

Mißtraurische Augenpaare beobachteten mich aus den dunklen Winkeln der Gaststube. Schließlich kam der Gastwirt zögernd auf mich zu.

"Seid willkommen!" -rief er laut, und fügte leise hinzu, so daß nur ich ihn hören konnte: "seid ihr verrückt hierher zu kommen Georg? Ihr wißt ja sicherlich daß man euch bereits überall sucht!"

"Guten Abend Vinzent. Ja, natürlich weiß ich das..." -Georg, so hieß ich jetzt, wie mir mit einem Male bewußt wurde. Die vergangenen Tage der verzweifelten Flucht drangen mir wieder ins Gedächnis, mein Gutsherr Valentin von Hennigh, der mich unter Androhung von schweren Prügeln vom Pachtgrund jagen hatte lassen, und am Tag danach, der Anblick der schrecklich zugerichteten Leiche eben jenes Valentin von Hennigh. Zufällig hatte ich mitangesehen wie es passiert war, mein Herr war vom Friedrich von Petschen, dem Rittergutsbesitzer, im Streite erschlagen worden. Ich hatte mich unendeckt geglaubt und dem Erschlagenen genähert, nachdem der Mörder überstürzt das Weite gesucht hatte. Friedrich von Petschen mußte mich aber doch bei seinem Opfer beobachtet haben, und hatte flugs die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und mich fälschlich als den schändlichen Mörder bezeichnet.

Der Wirt zog mich rasch in die verrauchte Küche und sah mich fragend an. "Sagt Georg, ihr habt doch nicht etwa wirklich euern Herrn erschlagen?"

"Helf mir der Himmel, nein im Leben nicht!" -ich hatte mich erschöpft auf einen Schemel niedergelassen und sprang wieder erregt hoch. "Das werdet ihr ja wohl nicht denken Vinzent! Aber nachdem ihr hier auch der Ortsrichter seid, will ich  hiermit mein Schicksal in eure Hand legen."

Daraufhin etwas ruhiger geworden, erzählte ich Vinzent was mir in den letzten Tagen widerfahren war.

 

"Friedrich von Petschen sagst du? Dieser elende Lumpenhund! Den hab ihn schon lang im Verdacht von unredlichen Machenschaften!" -er sprang vom Stuhl auf und ballte seine Fäuste. "Nun sollte er also gar zum Mörder geworden sein?"

Er sah mich aus blitzenden Augen an, "hört mir gut zu, Georg! Seid ihr bereit gegen diesen schändlichen Kerl vor dem Landvogt auszusagen?"

Wiewohl mir die schiere Vorstellung gegen so einen einflußreichen Mann anzukämpfen die Kehle zuschnürte, so gab ich Vinzent schließlich doch zu verstehen daß ich es wagen würde. Was hatte ich schon zu verlieren? Schlimmer als meine Situation ohnehin bereits war konnte es ja doch nicht mehr werden.

"Wir müssen vorsichtig sein, niemand darf euch finden bevor ich diesen Schuft offen anklage... ihr werdet euch also vorerst auf das sorgfältigste im Heu der Scheune hinter dieser Schenke verstecken." - er drückte mir noch einen Krug mit Wein in die Hand und schob mich entschlossen zur Hintertüre hinaus.


*

 

Schweißüberströmt war ich in der dunklen Nacht aus dem unruhigen Schlaf geschreckt. Wie angewiesen hatte ich im Heu der Scheune, hinter der Schenke, ein Versteck, und einen Platz zum Ausruhn gefunden. Meine Blase war prall gefüllt, hatte ich doch in meinem Kummer den ganzen Krug Wein ausgetrunken. Halb ausgekleidet kroch ich aus meinem Versteck, und näherte mich in Gedanken versunken dem Tor um mich draussen zu erleichtern. Wut und Angst kreisten in meinem Kopf in einem wilden Tanz.

 

"Andreas Graf Schlick war bekannt für seine gerechten Urteile, würde er allerdings mir, Georg dem einfachen Landpächter, mehr Glauben schenken als seinem Freunde, dem Friedrich von Petschen? Wohl kaum... daß ich von meinem Herrn vom Hofe gejagt worden war, war ihm sicherlich Beweis genug meinen Herrn im Zorn erschlagen zu haben. Niemand würde es für nötig befinden nachzuforschen, warum ich in solchen Streit geraden war mit Valentin von Hennigh. Dieser Unhold hatte sich in unzüchtiger Weise meiner erst zwölfjährigen Tochter genähert, worauf ich ihn scharf zur Rede gestellt hatte."

 

Ich nahm soeben den Verschlußbalken aus der Verankerung, da wurde das Tor zur Scheune mit lautem Getöse von außen aufgestoßen. Schwarze Schatten erfassten mich, ehe noch ich begriff wie mir geschah.

Das Letzte was ich in diesem Leben sah, war ein im schwachen Mondlicht aufblitzendes Messer welches mit einer schnellen Bewegung in meinen Hals fuhr. Ich konnte nicht mehr schreien, blutiger Schaum drang mir aus Mund und Wunde, gnädige schwarze Schatten legten sich über meine Sinne. Erst versagten meine Augen ihren Dienst, dann verging auch das tosende Rauschen von Blut in meinen Ohren.

Obschon ich wußte daß ich starb, wollte ich es nicht wahrhaben, wollte noch wissen wer mich verraten hatte, aber schon wurde ich unaufhaltsam in den Strudel von Sterben und Wiedergeburt gezogen.

 


*

 

"Ich werde jetzt bis drei zählen, und sie werden wieder ganz im Hier und Jetzt sein! Eins... zwei... drei!" - die sanfte Stimme von Johannes hatte mich aus der tiefen Trance zurückgeholt.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich erkannte daß ich wieder Graf Sigmund von Reichenstein war. Welch albtraumhafte Erfahrung lag hinter mir. Ich stöhnte unwillkürlich laut auf, war kaum fähig mich zu bewegen.

 

"Das war es also gewesen, das gewaltsame Ende in diesem meinem vorherigen Leben als Georg der Landpächter hatte mir all diese schrecklichen Visionen und Albträume beschehrt."

Noch waren mir alle Details der vergangenen Erfahrung klar und gegenwärtig, ich rappelte mich mühsam auf um mir schnell Notizen zu machen. Während ich eifrig Namen und Geschehnisse niederschrieb sprang mir ein Name förmlich ins Auge.

"Schauen sie sich das mal an!" - ich zeigte Johannes meine Notizen.

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. "Sollte es möglich sein daß... natürlich, jetzt entsinne ich mich daß er mir gestanden hat einer jetzt verarmten Familie ehemals begüterter Großgrundbesitzer zu entstammen. Auch wenn jetzt das 'von' im Namen fehlt..."

 

"Nun denn, dann ist es wohl an der Zeit abzurechnen." - unsere Blicke begegneten sich in stillem Einvernehmen.

Ich beeilte mich zu duschen um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Dann zog ich mich um, wählte den neuen maßgeschneiterten Anzug, dazu die passende Seidenkrawatte und exklusive Wildlederschuhe. Ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigte mir daß ich gut aussah, gerade richtig für das was ich jetzt zu tun gedachte. Beschwingt eilte ich die breite Treppe zum großen Eingangsbereich hinunter, wo das reizende Dienstmädchen soeben eifrig Staub wischte.

 

"Martha? Rufen sie mir umgehend den Gärtner!" - ich fühlte mich wie neugeboren, mein vergnügtes Lächeln ließ mich sicherlich um Jahre jünger aussehen.

 

"Herr Graf wünschen?" -der alte Gärtner war leise ins Haus gekommen, und stand in devoter Haltung vor mir.


"Packen sie ihre Sachen und verschwinden sie von hier. Sie sind fristlos entlassen!" -sagte ich mit unbewegter Miene.

 

Nachdem er gegangen war, begab ich mich gelassen zur Bibliothek, um meine späte Rache mit einem kühlen Drink zu genießen.

 

Adam Petschen aber, so nämlich hieß der Gärtner, verließ kopfschüttelnd mit seinen wenigen Habseligkeiten das gräfliche Anwesen, nicht ahnend, daß die schreckliche Tat des Friedrich von Petschen, eines seiner Vorfahren, ihn um seinen Broterwerb gebracht hatte.....

 

 

Gibt es die Wiedergeburt, oder ist alles vorbei wenn wir einmal gestorben sind? Das wird wohl immer eine Streitfrage bleiben, und jeder soll für sich selbst entscheiden ob diese Geschichte reine Fiktion ist, oder aber durchaus denkbar.Gerhard Wetz, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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