Marcel Ohler

Im gelben Kreis des Schnabeltiers

Nach langer Reise kehrte sie heim. Viel wusste sie zu berichten. Von Städten und ihren Bewohnern, unbekannten Kulturen und Gebräuchen. Hektisch erklomm sie die letzten Höhenmeter hinauf zum Plateau. Dort wo ihr Haus, ihre Heimat weilte. Wen würde sie antreffen? Wer brächte es zu, solange auf sie zu warten, wer? Schließlich blieb sie ja mehrere Jahre ihrer Örtlichkeit fern. Und vor allem, was gäbe es zu erzählen? Hatte sie überhaupt etwas zu sagen? Oder wäre es besser Lügen aufzutischen. Denn eins stand fest, lügen konnte sie. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Zumal ihr draußen nichts anderes übrig blieb, wollte sie überleben. Manch primitive Grundeigenschaft des Menschen vermag auch gutes in sich zu tragen. Eben noch kam ihr dieses Schnabeltier wieder zu nahe. Widerlich in seiner Anmache, schweißgebadet nach Kadaver riechend. Sein Gestank war schon legendär. Mit Schnabeltier verband sie schreckliches. Unsagbare Stunden voller Qualen und Entsagungen. Dabei dachte sie anfänglich noch an eine Zukunft. Viel zu schnell entpuppte sich das so liebliche Schnabeltier als entfesselte Reinkarnation des Bösen. Zuerst musste sie ihren Pass abgeben, um dann zeits darauf seiner Wohnung zu erfahren wie es ist von einer Bestie angefallen zu werden. Zwangsläufig verkaufte sie fortan ihre Liebe, ob sie wollte oder nicht. Verweigerungen ahnte es stets mit Schlägen. Oh, das Schnabeltier konnte schon zulangen. Besonders wenn es getrunken hatte. Durchgehend schlimmer wurden die Tage. Oft genug konnte sie sich kaum auf den Beinen halten. So sehr schwächelte sie. Das Schnabeltier warnte vorab, sollte sie jemals fliehen, oder es nur wagen daran zu denken, würde ihrer Familie das selbe Leid widerfahren. Den meisten ihrer Abonnenten war es reichlich egal, es interessierte sie nicht die Bohne, in welcher Verfassung sie dahin vegetierte. Niemand proklamierte ihre Traurigkeit oder nahm Rücksicht auf ihr Gemüt. Allein die schulischen Reaktionen eines totalen Körpereinsatzes zählten. Und zwar verpflichtend, da es sonst zu Beschwerden mit nachreichenden Übergriffen des Schnabeltiers kam, aufgrund geringerer Einnahmen. Letztlich erwies sich Freund Zufall als unverhoffte Wende. Zumindest versuchte sie es.

Während das Schnabeltier wiedereinmal bereitwillig im Nebenraum schlief, schlich sie sich heimlich in die Küche. Gerade mal zwei Stunden waren seit der letzten Tracht Prügel vergangen. Aus der Wunde floss immer noch Blut. Ein Kunde, dem jegliche Phantasie abhanden gekommen war, hatte sich über ihre unzureichende Hingabe negativ geäußert. Akzeptabler Anlass für das Schnabeltier in Rage zu geraten und blindlings auf sie einzuhämmern. Sie nahm ein Messer, das größte das sie fand. Wie wundersam, dass das Schnabeltier überhaupt derlei gefährliche Gegenstände in der Wohnung aufbewahrte. Noch dazu im Wissen um ihre dauerhafte Anwesenheit. Billiger Abschaum, ja das war sie für ihn, nichts weiter als billiger Abschaum. Er besaß das seltene Geschick, sich des Leides Anderer anzunehmen, um es für seine Niedrigkeiten gefügig zu machen. Jetzt oder nie. Sie wollte raus, raus, nur noch raus. Entweder Freiheit oder Tod. Ich oder er. Ungeachtet drohender Konsequenzen. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Schlafzimmer. Gerade erst hatte sich das Schnabeltier genüsslich der Wand zugeneigt. Sie tappte auf ihn zu, das Messer fest umschlungen, dicht gepresst an ihre noch halb entwickelte Brust. Sie war noch so jung. Dieses Schwein! Ja, heute soll es geschehen. Soll er büßen für alles, was er ihr jemals antat. Sie sah seinen Rücken, der ungeschützt und offen ihrem teuflischen Plane zustimmte. Der Schlaf des Schnabeltiers wirkte geruhsam entspannend.
Jetzt! Jetzt! Schweigsam tickte eine Uhr. Sie tickte und tickte. Mehr und mehr zur Deutlichkeit gebannt. Schluss damit!
Sie sammelte ihre gänzliche Kraft, holte aus und rammte es ihm hinein. Laut schrie das Schnabeltier auf, wollte sich erheben, sich wehren in seinem schmerzverzerrten Gesichte. Blitzschnell zog sie es wieder heraus, um es neuerlich, in einem Anfall von Hass, seinem Rücken zuzuführen. Gegen diese Attacke war das Schnabeltier machtlos. Blutüberströmt sackte es zusammen. Was für eine Genugtuung. 
            „Hast du jemals damit gerechnet? Du bist das Letzte, das Allerletzte!“, lächelte sie hämisch.
Wie ein ungenutzter Schwamm, sogen die Leinen des Bettzeugs sämtliche Körperflüssigkeiten in sich auf. Was nun? Wohin sollte sie gehen? Wie lange würde es dauern bis man ihre Schandtat entdeckte?
Sie gedachte an einen gelben Kreis aus Kindertagen, gelblich, rund und einzigartig. Seinem erstrahlenden Lichte, seiner Wärme würde sie von nun an erliegen. Besessen überwand sie Rippe für Rippe. Entglitt dem Bauche abwärts zum Plateau des Beckens, deren Unförmigkeit sie haltlos werden ließ. In flinken Schnitten trennte sie Nerven und Sehnen, entzweite die Außenhaut. Alsbald würde sich ihre Suche in Zufriedenheit auflösen. Mit geschmählerter Hand griff sie hinein, dem Zentrum ihres Universums dicht auf der Spur. Endlich, Endlich hatte sie gefunden, wonach sie verlangte. Ein verkürzender Akt küsste ihr ach so daniederliegendes Herz. Sodann streckte sie es hoch, mit zusammengepresster Hand, blutverschmiert wie eine Trophäe.

Edel funkelte es in der Freundlichkeit des Tages. Denkbar schön im letzten der verbliebenen Fotos. 
            „Mutter, was hat er dir nur angetan? Wie konntest du ihn nur heiraten? Lag es den in deinem Sinne, war es den Absicht, dass dieses Schnabeltier einmal mein Vater sein würde?“ Dem Rufe ihrer Sehnsucht folgend, stürzte sie sich aus dem Fenster.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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