"Hey hascht des Velo gsehn? Duu, das wor jo voul superr, he!"
Ich sah meine Schweizer Bekannte überrascht an.
"Was hast Du gesagt? Bitte rede Deutsch mit mir, haha." Wie
immer, wenn sie ihr Schweizer Deutsch nicht zügeln konnte, dann konnte ich mir
ein Lachen nicht verkneifen.
"Na du, hascht des superr Velo net gsehn?"
"Was bitteschön ist ein Velo?"
"Was a Velo isch? Na a Fahrrad eben, net, odrrr?" -seit Doris bei
mir in Graz war, kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier schien ja ein
jeder mit dem Fahrrad herumzufahren, und noch dazu mit den besten und teuersten
Exemplaren. Sie hatte mir erzählt daß in Basel, in ihrer Heimatstadt, niemand
auf die Idee kommen würde mit einem teuren Fahrrad herumzukurven. Einmal
abgestellt, und nur für wenige Minuten unbeaufsichtigt, würde es sofort
gestohlen.
"Na ja, ihr seid sowieso total ahnungslos, was das Radfahren
betrifft!" -ich konnte mir den Seitenhieb auf ihre, meiner Meinung nach
manchmal doch etwas überheblichen Landsleute, nicht verkneifen.
"Was heisst des, mir ham keine Ahnung nicht vom Velofahr´n?" -sie
funkelte mich empört an, wie immer, wenn ich die naturgegebene Überlegenheit
ihres Volkes etwas anzweifelte.
"Du hast schon richtig gehört" -grinste ich schadenfroh, "in
der ganzen Geschichte des Fahrrades habt ihr nämlich überhaupt nie eine Rolle
gespielt!"
"Ach geh, red doch nicht so einen Blödsinn, des gibt´s doch goar
nicht," -versuchte sie sich in einem verkrampften Hochdeutsch rauszureden.
Wenn ich sie herausforderte, konnte sie durchaus ein vernünftiges Deutsch
sprechen.
"Nun gut, dann werd ich dir mal erzählen, wer und wann das erfunden
hat was ihr ein "Velo" nennt, ein Fahrrad halt." -ich zog sie an
mich. "Sei friedlich und hör einfach mal zu, auch wenn´s dir wie immer
schwerfällt!"
"Also, hast Du schon einmal vom Karl Drais gehört? Der hat bereits im
Jahr 1817 die sogenannte Draisine erfunden."
Sie sah mich verständnislos an, "sag mal, was soll denn das jetzt
wieder? Die Draisine ist doch so ein Wägelchen für die Eisenbahn!"
"Also das ist ein Irrtum" -wie immer, wenn es um Fahrräder ging,
konnte ich mich in Rage reden und fuchtelte mit dem Zeigefinger meiner rechten
Hand vor ihrer Nase herum.
"Karl Drais von Sauerbron hat 1817 eine ganz aus Holz gefertigte
Laufmaschine erfunden. Die hat man dann ihm zu Ehren Draisine genannt. Was du
da meinst, ist dagegen eine wiener Erfindung aus dem Jahr 1837. Die haben ein
Vehikel gebaut das auf Schienen fahren konnte."
"...und wie ist dieser ‚Sauerbromser’ darauf gekommen so etwas zu
bauen?" -Doris sah mich herausfordernd an.
"Etwas mehr Respekt bitte, Drais war ein begnadeter Erfinder. Er hat
beispielsweise schon damals eine Art Klavierrekorder gebaut. Der konnte auf
Papierstreifen Tastendrücke aufzeichnen und wieder abspielen. Was dabei aber
echt interessant ist, es kann durchaus sein daß ein Vulkanausbruch im Jahr 1815
auf der Insel Sumbawa in Indonesien den wirklichen Anstoß für die Erfindung des
Fahrrades gegeben hat!"
"Jetzt spinnst aber..." -ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich was
sie von meinen Erklärungen hielt.
"Nein, im Ernst! Das war damals ein gewaltiger Ausbruch, dabei wurde
soviel Dreck in die Atmosphäre geschleudert, daß es in der Folge weltweit
aufgrund der Verdunkelung große Ernteausfälle gegeben hat! Außerdem sind dabei
direkt oder indirekt hunderttausende von Menschen umgekommen."
"Schrecklich! Aber... was hat denn das jetzt mit dem Velo zu
tun?"
"Das hängt jetzt wieder mit den Pferden zusammen..." -ich suchte
nach Worten, jetzt wurde es doch etwas kompliziert.
"Das hängt jetzt mit den Pferden zusammen…" -echote sie, und
schien nun vollends überzeugt daß ich meinen Verstand verloren hatte.
"Ja, mit den Pferden! Überleg mal, zu dieser Zeit waren die Leute nur
mobil wenn sie Pferde hatten. Nun aber haben diese Ernteausfälle im Sommer 1816
zu einem großen Pferdesterben geführt, es war einfach kein Futter mehr da.
Abgesehen vom Leiden und Sterben der Tiere waren die Menschen also plötzlich
nicht mehr mobil. Das könnte also der Denkanstoß gewesen sein für den Karl
Drais. Jedem Bürger sein mechanisches Pferd sozusagen..."
"Na gut, dann hat also ein Deutscher das Velo erfunden." -meinte
sie.
"Aber das war ja doch noch ein sehr primitives Ding. Wer hat dann all
diese Verbesserungen entwickelt? Kette, Bremse, Schaltung?"
"Das ist relativ schnell gegangen, schon 1839 hat ein Schmied aus
Schottland einen Pedalantrieb konstruiert, ein paar Jahre später wieder ein
Deutscher, Philipp Moritz Fischer, der hatte die geniale Idee eines Kugellagers
mit Freilauf."
"Was ist nun wieder ein Freilauf?" -wollte sie wissen.
"Na ja, damit konnte man über eine Tretkurbel das Rad in eine Richtung
andrehen, in die andere Richtung hatte es aber keine Verbindung. Das heißt, man
konnte seine Beine auf der Tretkurbel lassen und sich während der Fahrt
ausruhen, ohne daß man die Beine immer mitbewegen mußte. So einen Freilauf hat
noch heute jedes Fahrrad eingebaut."
"Das ist ja voll superrr!" -staunte Doris, offensichtlich bereits
von meiner Begeisterung für dieses Thema angesteckt.
"Ja, dann ist es schnell gegangen mit der Weiterentwicklung. Zuerst
hat man das Hochrad erfunden, damit waren deutlich höhere Geschwindigkeiten
möglich. Dazu musste jemand allerdings erst das Stahlspeichenrad konstruieren.
Wie du siehst, haben da so einige kluge Zeitgenossen zusammengearbeitet an der
Weiterentwicklung des Fahrrades."
"...und warum ist man dann eigentlich wieder von den Hochrädern
abgekommen?"
"Die waren wohl einfach zu gefährlich in der Handhabung! Obwohl sie beinahe
zeitgleich in Deutschland, England und Frankreich gebaut wurden, und dazumal
sehr beliebt waren. Man hat aber das Hochradfahren sehr bald in den Städten
verboten, es gab einfach zu viele und zu schwere Unfälle damit. Außerdem waren
die Hochradfahrer eher ein Haufen von Snobs, die sich damit vom gemeinen Volk
abheben wollten. Also eher eine Entwicklung die sich nicht wirklich für die
Massenvermarktung eignete."
"Aber, das Velo ist ja schließlich doch noch ein Massenverkehrsmittel
geworden?" -sie schaute mich erwartungsvoll an.
"Ja, das hatte wohl schlicht wirtschaftliche Gründe. Es gab schon
etliche Firmen welche Hochräder produzierten, und die haben sich gegenseitig
ziemlich Konkurrenz gemacht. Es war dann ein Engländer, John Kemp Starley, der
hatte auch zuerst Hochräder erzeugt, aber er bekam aufgrund der starken
Konkurrenz bald ernste Schwierigkeiten. So hat er sich dann überlegt daß er
etwas ganz Neues und Revolutionäres anbieten mußte, um Erfolg zu haben.
Der gute Starley tüftelte so lange an einem neuen Rahmen herum, bis er
schließlich 1884 in London ein wirklich neues Konzept vorgestellt hat. Er wurde
damit zunächst ausgelacht, wie das eben oft der Fall ist bei neuen
Erfindungen."
"Trotzdem hatte er damit am Ende Erfolg?"
"Ja, er hatte die geniale Idee ein Rennen mit wertvollen Preisen
auszuschreiben, und dieses Rennen hat er mit seinem neuen Entwurf haushoch
gewonnen!"
"...und wie hat dieses Wundervelo ausgesehen?"
"Das war schon ein sogenanntes Niederfahrrad!" -ich steigerte
mich immer mehr in die Rolle eines besserwisserischen Klugscheißers hinein.
"Es sah schon so ähnlich aus wie heutige Fahrräder, mit Kettenantrieb,
Kugellager und ganz aktuellem Stahlrohr Rahmen."
"Wo kamen jetzt plötzlich diese Stahlrohr Dinger her?"
"Das war nun wieder eine deutsche Erfindung. Zwei Brüder aus
Remscheid, Reinhard und Max Mannesmann haben 1885 ein Verfahren zur Herstellung
von nahtlosen Stahlrohren erfunden. Das war die Voraussetzung um leichte Fahrrad
Rahmen bauen zu können, wie wir sie heute kennen."
"Was ist mit den Luftreifen, wer hat die erfunden?" -es machte
ihr offensichtlich viel Spaß auszutesten ob ich irgendetwas nicht wußte.
"…ein Tierarzt aus Schottland, John Boyd Dunlop. Er hatte sich über
den Krach der Metallräder geärgert, welche das Dreirad seines kleinen Sohnes
erzeugte, und so hat er einfach Gummiplatten um die Räder gewickelt. Später kam
er dann auf die Idee aufblasbare Schläuche zu verwenden."
"Wow, diese Erfindung muß den Kerl ja total reich gemacht
haben!?"
"Eigentlich nicht, er hat zwar seine Erfindung patentieren lassen,
aber dieses Patent schon kurze Zeit später verkauft."
"Was für ein Dödel!" -meinte sie entsetzt.
"Ja, dumm gelaufen... aber wirklichen wirtschaftlichen Erfolg mit
Luftreifen haben die Brüder Michelin aus Frankreich gehabt. Die haben sogleich
erkannt wie wertvoll diese Erfindung sein wird. Heute ist das eines der größten
Reifenhersteller weltweit, mit über 125.000 Angestellten."
"Ich seh schon, du willst mir nur beweisen daß wir Schweizer wirklich
niemals etwas mit der Weiterentwicklung des Velos zu tun hatten!"
-grummelte sie beleidigt.
"Tröste dich" -versuchte ich etwas einzulenken, -"Österreicher
waren ja auch keine dabei. Schweizer sind wenigstens heute mit einigen guten
Entwicklungen im Geschäft. Ein sehr gutes Fahrrad wird beispielsweise in
Maschwanden gefertigt, in einer ehemaligen Käserei, haha!"
"Jaaa!" -sie blühte wieder regelrecht auf. "Beim Käse kann
uns eben wirklich keiner was vormachen!"
Sie setzte sich schwungvoll auf ihr altes Fahrrad, und brauste so schnell
davon daß ich ihr kaum folgen konnte.
Na ja, bei dem Käse-Doping!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2006.
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