Eigentlich
Eigentlich war es ein ganz normaler Arbeitstag. Der Wecker klingelte pünktlich. Ein wenig steckte mir noch die Müdigkeit in den Knochen. Doch ich stand ohne Probleme auf, machte mich fertig, packte mein Frühstück ein und ging zur Straßenbahn, der übliche Singlemorgen.
Mit grauem Nachtgesicht steckte ich meinen Fahrschein in den Automaten, packte eine Halteschleife und stand in der Menge der Mitfahrer.
Es war eigentlich wie immer, doch was geschah mit mir plötzlich heute ?
Eigentlich war es nur ein kurzer Blick, völlig neutral gedacht und dennoch es war etwas Unerwartetes. Es weckte meine Neugier. Ich pendelte aus der Gewohnheit in eine andere Situation.
Tagtäglich laufen Tausende von Menschen an uns vorbei. In einem Strom von Leuten treibst es sie zu ihrer Arbeitsstätte. Man wird selten, fast nie von jemanden wahrgenommen, erreicht unbelästigt seine Arbeitsstätte und geht in Richtung Arbeitsplatz.
Vor der Arbeit steht allerdings immer wieder dieser gewohnte Dialog:
"Guten Morgen, na wie geht es heute ?"
Es interessiert zwar keinen wirklich, wie es jemanden geht, doch wie ein Ritual kommt die Antwort:
"Guten Morgen, mir geht es gut und wie sieht es bei dir aus ?"
Auch den Anderen interessiert die Antwort nicht, doch ich kenne sie fast auswendig:
"Bei mir ist auch alles in Ordnung. Na, dann wollen wir mal."
Doch heute war es eigentlich nur dieser Blick auf einen Frauenkopf, welcher sich dann drehte, der mir eine Abwechslung brachte.
Meine Augen waren gar nicht aufdringlich auf die mir Unbekannte gerichtet gewesen, mehr per Zufall hatte ich sie angeschaut. Sie schien dies dennoch zu spüren und wandte mir ihr Gesicht zu.
Nicht hastig drehte sie den Kopf, eher vorsichtig suchend, in den unbekannten Raum hinter sich hinein tastend.
Offene Augen suchten nach einer Lösung für ein unerwartetes Gefühl, welches sie im Rücken gespürt haben musste. Irgendetwas hatte sie leicht innerlich berührt.
Es war eigentlich dieser erste Blick aus zwei dunkelbraunen Augen, welcher mein Herz traf.
Ungeschützt schätzten mich zwei mehr wissbegierige als neugierige Augen ab. Ihre Augensprache umfloss mich, ließ mich dabei kurz erschauern. Sie musterte mich von oben bis unten. Die Sprache der Pupillen blieb dabei neutral.
Eine Sklavenmarkt-Mentalität ergriff mich. Ich fühlte mich fast körperlich berührt und abgeschätzt. Unwillkürlich zog ich den Kragen meiner Jacke hoch.
In meinem Kopf begann die Suche nach einer möglichen Schuld. Warum hatte ich so konsterniert reagiert, fragte ich mich. Ich hatte doch gar nichts verbrochen. Warum dann, verdammt, stieg mir das Blut zu Kopfe. Ein Blick hin zu einer schönen Frau war doch nicht strafbar. Ich schlug meine Augen nieder, plötzlich, doch völlig ungewollt.
Es war eigentlich dieser erste Blick in warme Augen, welcher mich total durcheinander brachte.
Damit begann ein Forschen in mir selbst über die Ursache meiner Überraschung, ein Suchen nach den Gründen männlicher Unsicherheit.
Ich schaute in mich hinein und schüttelte meinen Kopf.
Wie konnte sich ein an sich wirklich selbstbewusster Mann so schnell verunsichern lassen ?
Wie konnte ein spontaner Gefühlseindruck solche Wirkungen haben ?
Mein Kopf begann langsam wieder zu arbeiten.
Das Gesicht hob sich, meine Augen gewannen an Leuchtkraft. Die Muskeln um den Mund zwangen diesen zu einem leichten Lächeln.
Es war eigentlich dieser erste Blick in dunkelbraune Augen, welcher mir die Kraft gab, nach dem Lächeln noch einige Worte zu sagen.
Seltsam spröde klang von meinen Lippen: " Ich habe mich in Ihre Augen verliebt. Darf ich Sie kennen lernen und zu einem Essen einladen ?"
Ein lächelndes Aufflammen war kurz in den Augen der Frau zu sehen. Sie neigte ein wenig den Kopf zur Seite beim Sprechen. Ihre Stimme klang äußerst fein, dennoch sehr diszipliniert.
Die Antwort war kurz und unmissverständlich: "Ich danke Ihnen für Ihr liebes Kompliment. Es tut mir sehr gut und ich freue mich. Doch zur Zeit genieße ich aus vollem Herzen meine innigste Liebe. Deshalb muss ich Ihr Angebot ablehnen. Ich wünsche Ihnen dennoch einen schönen Tag."
Der Kopf drehte sich nach vorne. Der Augenkontakt verschwand. Die Situation hatte sich verändert. Sie schwebte davon.
An der nächsten Haltestelle stieg sie aus und verschwand aus meinem Leben.
Es war eigentlich nur dieser erste Blick, welcher tief in meinem Herzen verankert blieb.
©pk 08 / 06