Christoph Pohl

Trauriges Frühlingswetter


Sie war bereit. Sie hatte genug Erfahrungen gesammelt. Sie
war endlich bereit.Als sie aus der Wohnung ihres Freundes, nein ihres
Ex-Freundes kam, war sie überglücklich. Nicht, dass es das schönste Ende einer
Beziehung gewesen wäre, aber eine sehr lange, teils sehr schmerzhafte, Zeit
ging nun zu Ende und leitete damit eine neue, eine ewige Ära ein. Morgen war der Tag, auf den sie schon seit 7 Jahren wartete.
Doch nicht nur sie erwartete diesen Tag sehnsüchtig:
Sie ist nun 24 Jahre alt. Von dem kleinen, naiven und
verunsicherten Mädchen von vor 7 Jahren war nichts mehr übrig.  Längst hatte sie sich ein eigenes Bild von
der Welt gemacht, längst hatte sie genügend erfolglose Beziehungen geführt, um
zu wissen, dass sie nun endlich bereit war. Ihre letzten 3 Beziehungen waren
stets Schwankungen unterworfen: Daniel war ihr zu egozentrisch gewesen und hatte kein
Einfühlungsvermögen. Sie hatte nach 7 Monaten Schluss gemacht. Danach hatte sie
Jan in einer Bar kennen gelernt. Er war Künstler, abgedreht und einfach viel zu
alt und eingebildet für sie gewesen. Die 1 ½ Monate, die sie mit ihm zusammen
war, hätte sie sich auch sparen können. Nach einer Zeit kurzlebiger Beziehungen
mit allen möglichen Männern war sie letztendlich mit Thomas zusammen gekommen.
Thomas war aber aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzungen und
Diskussionen zu eifersüchtig gewesen und wurde am Ende ihrer zweimonatigen
Beziehung regelrecht obzessiv, wenn sie sich mit anderen Männern traf. In all
den Jahren, die sie nun zur Frau gemacht hatten, hatte sie - so dachte sie -
schier alle Arten von Männern getroffen. Sie hatte bereits zu viele schlechte
Beispiele der Männerwelt gesehen. Zumindest wusste sie nach all den Jahren
voller geheuchelter Gefühle, dass es jetzt nur noch eins zu tun gab. Sie wollte
endlich zu ihrem Verlobten zurück. 

Als sie aus dem Haus trat, kam die Sonne endlich hinter den
Wolken hervor und erfüllte ihr Herz mit unbändiger Kraft. Sie öffnete ihre
Haare und spürte den frischen Frühlingswind im Nacken. Langsam hob sie ihren
Kopf gen Sonnenschein und genoss das Gefühl ewiger Bestätigung, das sie schon
mehrmals beschlichen hatte. Das Gefühl, mit einem Menschen Schluss zu machen
und zu wissen, dass man trotzdem immer geliebt wird. Sie dachte an ihn, an ihre
Urlaube und ihre sonstigen gemeinsamen Erinnerungen.
Wer ist er eigentlich? 

Sie hatten sich vor 7 Jahren gesagt, dass sie erst einmal
beide ihre eigenen Wege gehen sollten, um Erfahrungen im Beziehungsleben zu
sammeln. Sie könnten diese Erfahrungen in ihrer späteren Ehe gebrauchen. Sie
wollten eben nicht schon ihr ganzes Jugendleben aufeinander hocken, wenn sie es
denn schon ab ihrer Hochzeit taten. Seit diesem Tage war es eine offene Beziehung gewesen, wo
man sich nie traf oder sah - oder zumindest nur selten und dann meistens auch
nur Zeit für Sex hatte. Sie hatten beide ihre anderweitigen Beziehungen. Doch
über diesen platonischen Beziehungen stand stets die Beziehung der beiden. Sie
wussten beide, dass sie füreinander bestimmt waren. Mit 21 hatte sie ihren
Verlobungsring von ihm gekriegt. Sie waren verlobt.
Viel Zeit war seitdem vergangen und die Kontakte zueinander
liefen teilweise jahrelang nur über Mailkontakt. Dann traf man sich in der
darauffolgenden Woche (als beide gerade wieder Single waren) und genoss endlich
wieder die gemeinsamen Stunden zusammen, um ab der nächsten Woche dann wieder
monatelang nichts vom anderen zu sehen. Stets blieben sie bloß über E-Mail in
Kontakt.
Eine Wolke zog plötzlich vor die Sonne und ihr wurde auf der
Stelle kalt. Sie zog ihre Jacke enger an sich und verkroch sich hinter ihrem
Kragen. Langsam und in Gedanken versunken setzte sie sich in Bewegung. Sie
wollte ihr Glücksgefühl noch etwas auskosten. Sie ging in Richtung Park und
wollte sich dort auf eine Bank setzen, in ihrer Selbstbestätigung badend. Der einsame Vogel, der auf dem Baum vor ihr nach einem neuen
Weibchen zwitscherte, deprimierte sie. Sie musste feststellen, dass auch der
Kontakt mit ihrem Verlobten in den letzten 4 Monaten immer mehr
zusammengebrochen war. Vor langer Zeit schon hatte sie sich eingestehen müssen,
dass sie ein unzuverlässiger Mensch war, wenn es darum ging, sich regelmäßig
bei ihm zu melden. Doch sie machte sich damals keine Sorgen deswegen.
Schließlich liebte er sie und tolerierte ihre distanzierte Haltung schon
lange.
Denn was sollte sie jetzt noch aufhalten?
Sie wusste nun endgültig, was sie an ihrem Verlobten hatte
und wertschätzte, weil es keinen anderen Menschen gibt, der wie der Mann war,
den sie liebte. Den sie seit über 8 Jahren liebt.Und jetzt war sie auf dem Weg zu ihm. Für immer.
Sie war endlich bereit. 

Gestern hatte sie das letzte Mal von ihm gelesen und er
hatte in dieser Mail nichts von irgendeiner Frau an seiner Seite erwähnt. Da
sie sich nach wie vor alles sagten und beide auch gute Zuhörer aneinander
gefunden hatten, wusste sie, dass er auch bereit für sie sein würde. Sie würden
ab morgen ihre Hochzeitsvorbereitungen treffen. Sie hatte es geschafft. Sie
wusste, dass sie ihren Mann niemals aufhören würde zu lieben, denn nach all den
negativen Erfahrungen in den vergangenen 7 Jahren wusste sie, dass er der beste
Mann auf der Welt war.
Sie hatte das nun Folgende sehr genau geplant. Schon seit
Jahren verwarf sie ihre immer wieder neuen Ideen und verbesserte ihre Ansätze
teilweise so sehr, dass sie ihre Ideen zum Schluss wieder verwarf, weil sie ihr
zu kitschig erschienen. Sie wollte ihm den Heiratsantrag morgen machen und sie
wollte ihn überraschen. Er hatte ihr gestern in der Mail geschrieben, dass er
morgen seinen freien Tag hatte: er musste nicht arbeiten und hatte keine
Vorlesungen. Sie würde bei seinen Eltern anrufen, nach seiner Adresse
fragen und schnurstracks nach Potsdam fahren, wo er Sport und Lehramt
studierte. Ihre Vorlesungen in den folgenden Tagen waren dabei nebensächlich:
sie wollte endlich zu ihrem Mann.

 „Möchtest Du vielleicht trotzdem seine Nummer haben? Er
würde sich doch so sehr freuen, wenn er mal wieder ´was von Dir hört,“ meinte
seine Mutter am Telefon zu ihr. Sie starrte total apathisch in die Baumkronen
vor ihr und ihr schossen sofort Tränen in die Augen. Sie konnte einfach nicht
glauben, was seine Mutter ihr gerade über ihn berichtet hatte.
„Nein danke, dafür ist es nun zu spät.“ Sie legte auf. Sie machte sich keine Gedanken mehr darüber, ob das Ende des
Telefonats nun unhöflich erschien.
Warum hab’ ich nichts davon erfahren, dass er seit circa
einem halben Jahr in Barcelona Sport studiert? Jetzt weiß ich auch, warum er in
den letzten beiden Monaten so selten geschrieben hat. Und warum er mir so
distanziert erschien. Warum hat er es mir nicht erzählt? Sie rannte weinend in den kommenden Regen hinein.

 Was weiß ich
überhaupt noch von ihm? Eigentlich weiß ich fast gar nichts über sein Leben und
seine Gedanken und Gefühle? Es hat mich ja bis heute auch gar nicht
interessiert. Ich dachte, er toleriert es, wenn ich ihn nicht jeden Tag über
sein Leben ausquetsche. Verdammt, und er meinte ja schon vor Jahren, dass ich
mich um sein Leben kümmern soll, weil sie sonst auseinanderdriften. Das war
auch an einem Frühlingstag, so launisch wie heute, gewesen. Und ich hab’ ihn
nie ernst genommen... 

Für meine große Liebe und Verlobte Jette...Christoph Pohl, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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