Marion, meine Frau und ich waren schon fast zwei Wochen auf Korfu und es war alles so, wie es auch sein sollte. Ein schöner Badeurlaub im Sommer. Eine Inselrundfahrt hatten wir gerade hinter uns und während Marion im Schatten saß und las, schlenderte ich über den Strand und entdeckte Tretboote, die man mieten konnte. Ich verspürte die Lust, mir ein Tretboot zu mieten und tat das auch. Es war angenehm, angelehnt im Boot zu sitzen und von den kleinen Wellen sich schaukeln zu lassen, die leise gegen das Boot schlugen. Ein entspannendes Gefühl.
Gegenüber von mir sah ich verschiedene kleine Buchten, hinter denen sich steile, hoch aufragende Felswände befanden. Eine dieser Buchten steuerte ich an. Je näher ich kam, desto größer wurden sie und umso kleiner der Strand hinter mir. Ich hatte die Entfernung etwas unterschätzt, denn ich war schon eine Stunde unterwegs. Schließlich kam ich an, nachdem ich viele kleine Felsen und spitze Riffe ausweichen musste. Ich zog das Tretboot auf den Strand und schaute mich um. Der Strand war ungefähr 60 Meter lang und 10 Meter breit, eingerahmt von den hohen, steil aufsteigenden Felswänden. Nach einer Ruhepause begann ich mit der Rückfahrt.
Wieder am Strand angekommen, ging ich zu Marion und plauderte über meine kleine Entdeckung, den einsamen Strand. Ich schlug vor, dass wir gemeinsam am nächsten Tag uns ein Tretboot mieten, damit ich ihr den neu entdeckten Strand zeigen kann.
Als ich am Abend aus dem Fenster blickte, waren wegen der Wolken keine Sterne zu sehen. Es kam ein frischer Wind auf, der stärker und heftiger wurde, so dass ich das Fenster schließen musste, das heulen des Windes konnte ich aber trotzdem noch hören.
„Ein unfreundliches Wetter, aber besser als gar kein Wetter“, sagte ich zu mir. „Bei diesem Wetter möchte ich nicht nachts auf dem Meer sein.“
Am nächsten Morgen, von dem nächtlichen Sturm war nichts mehr zu merken, gleich nach dem Frühstück, gingen wir zum Strand und mieteten uns ein Tretboot. Weiter draußen, auf dem Meer merkte ich. Dass die Wellen viel größer waren als gestern, vermutlich vom nächtlichen Sturm. Vom Strand aus konnten diese Wellen nicht gesehen werden. Schließlich waren wir fast an unserem einsamen Strand, nur noch 80 Meter trennten uns von ihm. Mir fiel auf, dass die Felsen und Riffe, die ich gestern noch umfahren hatte, jetzt alle unter der Wasseroberfläche waren.
„Aufpassen“ sagte ich zu mir. Und dann sahen wir die starke Brandung. Die Wellen klatschen dröhnend auf den kleinen Strand.
„Lass uns schnell umkehren“, sagte Marion und wir versuchten das Boot von der Brandung wegzulenken. Das Tretboot reagierte nicht sofort, es war viel zu schwerfällig und bereits im Sog der Brandung. Ohnmächtig schauten wir zu, wie das Boot immer näher an diese Brandung kam, dann mit uns hochgehoben und hart auf den Strand geworfen wurde. Ängstlich und erschöpft hatten wir beide nur einen Gedanken: wie kommen wir von hier schnell wieder weg? Die steilen, hohen Felswände, die den kleinen Strand wie eine Mauer begrenzten, konnten wir nicht erklettern. Und drei, oder vier Tage, bis das Meer sich wieder beruhigt hat, wollten wir hier auch nicht ausharren.
Wir saßen am Strand, ich blickte zu den Wellen und merkte, dass nur jede siebte Welle eine besonders große Welle war.
„Marion“ sagte ich, „Wir schieben das Boot sofort nach der nächsten siebten Welle in das Wasser, das ist unsere einzige Chance, über die Brandung zu kommen. Und dann haben wir noch drei bis vier Minuten Zeit, das Boot weiter vom Strand weg zu bewegen“.
Marion war damit einverstanden. Wir zählten die Wellen und gleich nach der siebten Welle schoben wir hastig das Boot vom Strand weg in das Wasser. Als das Wasser uns bis zum Hals stand, kletterte ich auf das Boot, um zu lenken, während Marion, schwimmend das Boot in Richtung offenes Meer drückte. Plötzlich sah ich die siebte Welle.
„Marion, schnell in das Boot“ rief ihr zu und Marion kletterte zu mir hoch. Wir beide saßen nun im Boot und versuchten, so schnell wie möglich zu treten. Wir starrten auf die siebte Welle. Sie kam bedrohlich schnell näher, erreichte das Boot, hob uns hoch, zog uns in Strandrichtung, ließ uns dann aber los, um auf den Strand zu klatschen. Während der ganzen Zeit traten wir aus Leibeskräften, fast bis zur völligen Erschöpfung. Und wie ein Wunder bewegte das Boot sich immer weiter vom Strand weg. Wieder kam eine siebte Welle, aber jetzt hob sie das Boot nur hoch und verließ uns dann, um wie die vielen anderen Wellen, auf ihren Strand platschen zu können.
Bald schaukelten wir schon draußen auf den hohen Wellen, im offenen Meer und konnten auch unser Ziel, den anderen Strand sehen. Erschöpft, aber glücklich zogen wir das Boot auf den Strand, um uns im Schatten eines Baumes auszuruhen.
„Marion, wollen wir Morgen wieder einen kleinen Ausflug mit einem Tretboot starten?“, fragt ich Marion lächelnd. Sie schaute mich merkwürdig an und sagte:
„ Wenn ich an Tretboote denke, dann muss ich auch daran denken, dass wir dort fast übernachtet hätten, ohne Essen und Wasser. Und ein schattiges Plätzchen gab es dort auch nicht. Vielleicht hätten wir einige Tage dort verbringen müssen, wenn Du das Geheimnis mit der siebten Welle nicht entdeckt hättest.“
Und das war der Grund, warum uns nach diesem Erlebnis niemand mehr auf dieser Insel in einem Tretboot gesehen hat.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.09.2006.
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