Hartmut Pollack

Vornehm wohnen

 
 
Vornehm wohnen
 
Es gibt sie in jeder Stadt, diese sogenannten vornehmen Wohnsiedlungen, das Villenviertel, die besondere Wohnlage.
Vornehm zu wohnen, zeichnet einen Menschen aus, es erhöht seine Bedeutung in der Stadt, er gehört zu den Besonderen.
Vornehm zu wohnen, bedeutet dichter am Waldesrand, inmitten mehr Grün zu siedeln. Kleinere Häuser, kein Wohnsilos, höher gestellte Leute als Nachbarn, höflicheres Grüßen eventuell, keine Aussiedler und keine Ausländer. Man ist etwas und gehört dazu. Das hat schon was.
Oft genug wohnt man über der Stadt, schaut sozusagen von oben herab auf die Stadt. Es nehmen keine Hochbauten die Sicht weg, Häuserfronten sind verpönt.
Das natürliche Umfeld verbreitet Ruhe, strahlt eine gewachsenen Tradition aus. Wald, Felder und Wiesen sind nicht weit entfernt. Jeder genießt eine gewisse Ruhe, nur Vögel singen.
Natur ist in, nur Ameisen stören und werden mit Gift vernichtet.
Hier ist eine Oase für unstete Menschen, der Ruhepol nach der Hektik des Alltags. Vornehme Autos karren vornehme Menschen in den Ruhepol der Stadt, wenige Spaziergänger beleben das Bild.
Hunde allerdings werden schon wieder mit Argusaugen betrachtet. Hundehaufen stören doch erheblich. Aber man ist vornehm, also in dieser Hinsicht so lange tolerant, wie der Haufen beim Nachbarn gemacht wird.
Auch unten in der Stadt heben sich achtungsvoll die Augenbrauen, wenn die Wohnadresse aus dem vornehmen Viertel ist.
Schön, dass Sie dort eine Wohnung bekommen haben hört man. Da haben Sie aber Glück gehabt. Können Sie das eigentlich bezahlen ?
Mit offenen Augen betrachtet man nach einiger Eingewöhnungszeit dieses vornehme Umfeld. Was soll daran so Besonderes sein, drängt sich als Frage auf.
Schablonenhaft wirken die Häuser, obwohl sich einige bemühen individuelle Nuancen zu setzen.
Ein- bis zweigeschossige Häuser, zweigeschossig wegen der Einliegewohnung aus Ersparnisgründen steuerlicher Art, mit ganz wenig Land drum herum, häufig noch auf Erbpacht, prägen das Bild dieser Siedlungen. Das Ende der Erbpacht wird wohl keiner selbst erleben.
Die Bewohner sind fast alle im gleichen gereiften Alter.
Kinder fehlen fast immer in den vornehmen Vierteln. Sie stören, sie machen Krach.
Wenn sichtbar, wirken sie seltsam jung und doch schon alt, oft zu wohlerzogen. Sie leben in perfekt eingerichteten Kinderzimmern voller Spielzeug, meist aus Plastik, Holz wirkt nach mehrfacher Benutzung etwas abgegriffen schmutzig. Dazu kommt eine perfekte Einrichtung mit allen modernen Medien. Die Kinder veröden in ihrer Flut von technischen Geräten.
Aber die Eltern haben ein reines Gewissen. Ihren Kindern fehlt doch nichts. Eltern haben sich frei gekauft von liebevoller Betreuung, vom regelmäßigen Gespräch, von liebender Umarmung. Dies können doch die Medien übernehmen, dazu sind sie doch da.
Die Hausbesitzer in den vornehmen Vierteln sind vorwiegend am Ende oder kurz nach Ablauf ihrer Arbeitszeit. Ihr vornehm sein bedeutet, als Pensionär oder wohlbestallter Rentner sein Restleben in diesem Wohnviertel zu genießen.
Vor den Häusern haben sie fast alle den gepflegten englischen Kurzrasen. Die Rasenhöhe wird wahrscheinlich mit den Nachbarn abgesprochen.
Rasenmähen beginnt, wenn irgendwann, irgendwo wieder ein Rasenmäher zu hören ist.
Wildkräuter in diesen gepflegten Grünzonen sind absolut verboten, ausgesprochen unangenehm. Unkraut heißen sie. Hier hilft nur die Chemiespritze.
Größere Blumenbeete in den Rasengebieten sind äußerst hinderlich beim Mähen. Blumen verschwinden an den Rand der Rasenflächen. Hier gesellen sie sich zu wenigen Stauden, winterfest natürlich, zu den Zierbüschen.
Kaltes rationales Denken hat den Vorrang vor natürlichem Empfinden, Schönheit unterliegt dem Prinzip der Nützlichkeit.
Viele Häuser, besonders die mit Villencharakter, verstecken sich regelrecht vor den Blicken anderer Menschen hinter einem Wall von hohen Bäumen und dichtem Gebüsch.
Auch hohe Hecken schützen diese vornehmen Leute vor den normalen Menschen. Man will sich bewusst abkapseln, zieht sich in eine Schutzburg zurück. Bloß nicht zu viel Menschlichkeit am Ende eines Arbeitstages. Das könnte störend sein.
Doch im Prinzip passen sie sich alle irgendwie an. Individualität ist die Ausnahme, stille Konformität die Regel. Ihrer Umgebung passen sich auch die Bewohner der vornehmen Gegenden an.
Fröhliches Gelächter führt zu Stirnrunzeln. Dieses Wohnviertel ist doch nicht zum Lachen gebaut worden, mehr zum Vorzeigen.
Singen ist fast nie zu hören. Dafür hat man das Radio. Gespräche werden nicht über die Straße geführt oder über die Hecken. Dafür hat man ein Telefon.
Nachbarschaftsbindungen zeigen sich, wenn überhaupt, erst nach sehr vielen gemeinsam erlittenen Jahren, in denen man erprobt hat, ob man ohne Streit leben kann. Auch konnte man in dieser Zeit die Reputation der Nachbarn überprüfen. Er musste immerhin standesgemäß sein.
Jeder Neue wird kritisch gemustert, nicht etwa mit einem Blumenstrauß begrüßt. Zu viel Herzlichkeit könnte ja als Anbiederung fehl interpretiert werden. Auch haben die Neuen eine Bringeschuld, sie müssen ihre Reputation beweisen. Auf sie allein zuzugehen, scheint unschicklich zu sein.
Immerhin auf einen leichten Gruß kann man sich einlassen. Eine grüßende Hand wird mit einem Kopfnicken beantwortet. Man ist eben höflich, mehr aber bitte nicht.
Nachbarschaftsfeiern, Straßenfeste, was ist das denn ?
Irgendwie wirken diese Wohnviertel wie ihre Rasenflächen. Sie sind steriler Durchschnitt, menschlich kurz geschnitten, gleichförmig, wenig natürlich.
Es ist kalt in diesen Gegenden. Echte Menschlichkeit fehlt. Das Gemeinschafts-denken liegt wohlkonserviert in der Tiefkühltruhe vergreister Menschen.
Doch ab und an heben sie auch in den vornehmen Wohnvierteln die Köpfe und lauschen nach draußen. Mit einer gewissen Sehnsucht blicken sie in den Rest der lebendigen Stadt, zieht es sie hinein in den Strudel normalen Lebens.
Immer wenn in der Stadt das Leben pulsiert, wenn Junge und Alte in der Stadt feiern, wenn der Schwung des Lebens seine Wellen bis in die grünen Wohnviertel treiben lässt, dann verlassen die Vornehmen ihre Schutzburgen. Verformte Mittel-klasse Noblesse taucht in das Abenteuer Stadtleben pur ein. Blasse Gesichter lernen wieder das Lachen, wenn auch häufig nur für Stunden.
Diese Stunden sind allerdings weder häufig noch lang andauernd. Kurz nach Mitternacht schlägt normalerweise das Ordnungsamt der Stadt zu und verlangt Nachtruhe.
Bald ruht dann nicht nur das Nobelviertel sondern die ganze Stadt.
Nur in den großen Wohnsilos hören sich die Menschen noch, fühlen sich in einer Gemeinschaft geborgen.
Leben bedeutet eben Unruhe.
©pk 09 / 06

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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