Die grüne Landschaft Irlands mit ihren sanften Hügeln und steilen Klippen erweckte den Wunsch in mir, im Spätmittelalter gelebt haben zu wollen. Man fühlte sich um Jahrhunderte zurück versetzt. Szenen aus `Braveheart` tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Man konnte sich vorstellen wie zwei Völker hier gegeneinander gekämpft haben. Doch ich wäre gern unter anderen, besseren Umständen hier gewesen. Zurzeit hatte ich kein Auge für die Schönheit Irlands. Denn es war Krieg. Eiskalter Krieg in dem sich die aufregendste und berührendste Lovestory des Jahres ereignete. Nämlich meine.
Eines Tages im Januar, trat ich aus dem beheizten Zelt. Dafür, dass es in Irland Winter war, war es relativ warm. Natürlich nicht so warm wie im Sommer, aber für diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich. Heute war ich den ganzen Tag zuständig dem Captain die Nachrichten aus dem Lager zu bringen. Eigentlich war die Aufgabe recht einfach, aber der Haken dabei war, dass der Captain am anderen Ende des Lagers (wo man nur hinkam wenn man den Wald, der sich über eine Länge von fast 3 ½ km erstreckte, durchquerte) sein Zelt hatte. Meine Aufgabe als Sanitäter bestand darin, Verwundete zu versorgen. Da ich zurzeit nicht gebraucht wurde, lief ich los um dem Captain die Botschaft zu bringen. Ich lief als gälte es mein Leben. Mein Atem ging stoßweise, meine Lunge brannte als hätte ich Feuer verschluckt und mein Brustkorb hob und senkte sich rasend schnell. Nach 10 Minuten war ich beim Captain angekommen. Ich reichte Captain Jeremiah Luke Dean die Botschaft, welche er schweigend durchlas. Ein anderer Offizier, den ich nicht kannte, meinte Dean habe eine sehr tüchtige Soldatin. Dean lächelte kurz und stieß mich zur Tür hinaus. Draußen meinte er, ich solle nicht mehr kommen und die Burschen hier her laufen lassen. Ich erwiderte dass ich in der Krankenstation nicht gebraucht wurde, aber er meinte nur ich solle so schnell wie möglich zurück sein, denn er habe einen Funkspruch erhalten, dass schwer verletzte Soldaten auf dem Weg ins Lager seien. Ich salutierte und rannte zurück. Der Captain sah mir kopfschüttelnd nach.
Ich war zu dieser Zeit gerade zarte 18 Jahre alt und er war kaum älter als ich. Zumindest schätzte ich ihn auf nicht älter als zwanzig. Einundzwanzig höchstens. Ich ging zu ihm hin, fragte nach seinem Namen und sah mir seine Wunden an. Er hatte eine sehr schwere Kopfverletzung trotz Helm erlitten, in seinem Arm steckten Splitter einer Eierhandgranate die sich entzündet hatten, weil er seit Wochen keine medizinische Versorgung erhalten hatte und sein Name war: Andrew (kurz: Andy). Währen ich seinen Kopf verband und die Splitter mit einer Pinzette aus der Hand zog, erzählte er mir Geschichten von der Front. So wurden wir gute Freunde.
Meine Kameraden wurden eifersüchtig auf ihn. Weil ich ihm mehr Aufmerksamkeit schenkte, mehr als je einer von ihnen bekam. Sie waren eifersüchtig da ich fast den ganzen Tag an Andys Bett verbrachte, ihn fütterte, seine Wunden verband und ihm das gab, was er brauchte. Natürlich hatte ich für jeden der 750 Soldaten ein offenes Ohr. Doch sie sagten nichts. Sie trauten sich nicht.
Eines Tages saß ich an Andys Feldbett und wechselte den Verband, als ein Kurier mit einer Botschaft für mich kam. In der Botschaft stand:
Leutnant Kate D. Winters,
Sie werden auf Befehl des Generals in die nächste Krankenstation, 4 ½ km nordwestlich von hier versetzt. Sie haben drei Tage Zeit ihre Sachen zu packen.
Captain J. L. Dean
Andy merkte dass in der Botschaft eine schlechte Nachricht stand, denn ich arbeitete nicht weiter sondern starrte in die Ferne.
„Kate was ist los?“ fragte er. Seine Augen forschten in meinem Herzen, als wollten sie einen Anhaltspunkt für meine Sorgen finden. „Ich werde versetzt. In eine Krankenstation 4 ½ km nordwestlich von hier und hab drei Tage Zeit meine Sachen zu packen.“ antwortete ich niedergeschlagen.
„Nein! Du darfst nicht gehen.“ sagte er und nahm meine Hand.
„Noch nie hat sich jemand so um mich gekümmert wie du. Jetzt lass mich nicht auch noch du alleine. Bitte bleib bei mir!“ Er holte einmal tief Luft. „Du bist das Beste, das mir je passiert ist!“ sagte er leise. „ Was soll ich denn machen? Soll ich mich über den Befehl des Generals hinwegsetzen?“ fragte ich. Er schüttelte den Kopf. Sanft strich er mir mit seine Hand über die Wange und meinte: „ Vergiss mich nicht. Ich habe dich sehr gerne und werde dir nie vergessen was du für mich getan hast.“ Ich umarmte ihn wortlos und ging.
10 Tage später bekam ich eine neue Botschaft, worin man mir mitteilte, dass ich so schnell wie möglich ins `alte´ Lager zurückkommen soll, da sich Andys Zustand dramatisch verschlechtert hatte. Knappe 3 Stunden später saß ich an Andys Bett, verband seine Wunden neu und redete beruhigend auf ihn ein.
2 Tage später, wurde Tommy, ein sehr gute Kamerad von mir, schwer krank. Umso mehr traf es mich, dass ich tatenlos Mitansehen musste, wie Tommy den Kampf gegen den Tod führte und ihn verlor. Unterernährung, großer Blutverlust und Vitaminmangel waren die Folgen seines Todes. Ich war sehr traurig, denn ich habe viele Nächte an seinem Sterbebett verbracht, ihm Mut zugesprochen, `gefüttert´, Wunden verbunden oder bin einfach nur dagesessen wenn er schlief.
Captain Dean war mit dem fremden Offizier hinausgegangen um mit ihm etwas zu besprechen. Als er wieder herein trat, sagte er scharf: „ Leutnant Winters, Sie werden mit diesen Leuten mitgehen.“ „Aber warum? Bin ich so schlecht dass ich nicht bleiben darf?“ fragte ich. „Nein im Gegenteil. Sie sind unser Bester Sanitäter und deshalb werden sie diesen Soldaten helfen. Ihnen geht es viel schlechter als uns.“ antwortete er auf meine Frage. „In Ordnung ich gehe. Aber nur wenn Leutnant Andrew Ryan mitkommen darf.“ forderte ich. Doch der Captain blieb hart. „Nein das geht nicht. Wie würde es denn ausschauen, wenn Sie mit einem verletzten Soldaten daher kommen! Nein, tut mir leid. Er muss hier bleiben. Packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie!“ Ich lief in mein Zelt und stopfte alles was mir gehörte in den Rucksack und lief zum wartenden Jeep.
Doch es sollte anders kommen: Ich wurde an der Westfront von meinem neuen Captain, Captain Williams, und seiner Kompanie erwartet. Der als nächster geplante Angriff sah so aus: In einer Talsenke, knapp 3 km von hier, lag ein feindlicher Luftwaffenstützpunkt. Dort wo Kampfflugzeuge waren, gab es natürlich auch Benzin und Treibstoff. Ein paar Bomben dort hinunter und der Stützpunkt würde in Flammen aufgehen. Wir schlichen uns, einer nach dem anderen, durch den Wald. Die Bomben von oben, mit der Hilfe von einem F-117 Tarnkappenbomber, fielen wie Steine auf die Erde nieder. Eine Bombe traf den Benzintanker, der Benzintanker explodierte und der Stützpunkt war nur noch ein Flammenmeer. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, standen feindliche Soldaten um uns herum. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel dass sie uns nicht umbringen würden. „Waffen weg und aufstehen!“ herrschten sie uns an. „Hey Björn, sieh dir das an! Ein Mädchen!“ Der Mann namens Björn kam zu seinem Kameraden herüber und sah mich an. „Seit wann gibt’s denn das? Ein Mädchen bei der Army?“ Er lachte, so dass ich eine Gänsehaut bekam. „Na meine Kleine? Sie hat ein sehr hübsches Gesicht. Los geh! Geh weiter! Vorwärts!!“
Nun war ich in Kriegsgefangenschaft geraten. Im Gefängnis gab es kaum Ablenkung. 3 Wochen dort kamen mir vor wie 3 Jahre. „Kann ich ein Blatt Papier und einen Stift haben?“ fragte ich die Wache vor der Gefängniszelle. „Warum?“ kam es mürrisch zurück. „Ich möchte etwas Zeichnen. Hier ist alles so grau. Bitte!“ „Na gut, - hier.“ „Danke.“ sage ich höflich. Vermutlich war das hier der falsche Ort um höflich zu sein.
Die Zelle war 4m x 2m groß, auf der rechten Seite war die Tür und gegenüber ein kleines Fenster. Von dort aus sah man auf schroffe Felsen. Ich begann zu Zeichnen. Doch meine Gedanken schweiften immer mehr ab. Ich saß da, starrte in Leere und hing meinen Gedanken nach. Ich dachte an meine Mum, meinen Dad und meine Schwester. Wie mag es ihnen gehen? War daheim auch Krieg? Wenn ja, hatten sie die Luftangriffe überlebt? Ungewissheit. Sie hing wie ein schwarzer Geist über dem Gefängnis. Dann war da noch eine Frage, die mich schon knappe 4 Jahre beschäftigte: Und was ist mit Gott? Ist er bei mir? Passt er auf mich auf? Führt er mich? Geht mein Leben nach seinem Plan? Wie geht es meinen früheren Freunden? Oder dachte ich da etwa nur an eine bestimmte Person?! Dann war da noch eine Frage: Wie ging es Billy, meinem Golden-Red-River? Mit All meinen Fragen fühlte ich mich alleine gelassen. Ich hatte kein Geld, welches ich der Wache als Bestechung für einen Brief geben konnte. Nicht einmal eine Zigarette. Nichts. Es war hoffnungslos.
Plötzlich ging die Tür auf und die Wache führte einem jungen Mann herein. Er war breitschultrig und muskulös gebaut. Sein Gesicht war fast schwarz von Dreck, Schlamm & Tarnfarbe. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als wollte es jeden Moment zerspringen. Ich sah ihn an, er sah mich an und da war es wieder. Das Gefühl ihm zu kennen. „Hey wo kommst du her?“ fragte ich. „Ich komme aus Texas. Genauer gesagt aus Austin in der Nähe von San Antonio“ antwortete er. „Was? Du kommst auch aus Texas? Ich komm aus San Antonio!“ So redeten wir eine Zeitlang über unsere Arbeit bei der Army. „Wie lange bist du schon hier?“ fragte er und sah mich mit seinen braunen Augen nachdenklich an. „Fast 3 Wochen.“ antwortete ich. „ Ich denke oft an die Zeit zurück als ich noch 15 war. Ich habe zwei Mädchen kennen gelernt, und mich in die eine verknallt. Dann aber hab ich sie aus den Augen verloren. Ich wusste nur dass sie einen Golden-Red-River namens Billy hatte.“ ei dem Namen `Billy´ horchte ich auf. „Sie kümmerte sich um ihn während die andere mit mir, Kevin und einem anderen Jungen Football spielte. Die Besitzerin von Billy hatte rotblonde, lockige Haare und als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, hatte sie einen grauen Pullover an. Leider habe ich sie nie mehr gesehen... Mann, jetzt belaste ich dich mit meinen Problemen... Tut mir leid...“ Sein Blick war richtig traurig. So als würde er die kleine Schnecke sehr vermissen. „Schon gut, Mann. Ich höre zu. Vermisst du sie?“ fragte ich. „Ich kenn doch nicht mal ihren Namen. Aber falls ich sie finden sollte, geb ich dir Bescheid. “ „Danke. Kannst du dich vielleicht an ihren Spitznamen erinnern? Oder wenigstens an den Namen ihrer Freundin?“ fragte ich. Langsam bestätigte sich der Verdacht. „Nein, keine Ahnung. Leider. Aber die andere wurde von allen Sandy gerufen.“ antwortete er. „ Ich weiß wer du bist! Raul Parker!!!“ rief ich. „W- Woher weißt du meinen Namen?“ fragte er. „Bist du vom FBI??“ fragte er mit misstrauischem Gesichtsausdruck. „Kennst du mich nicht? Ich bin das Mädchen von damals! Mein Name ist Kate. Kate Deborah Winters.“ Seine Augen weiteten sich. Dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. „Klar. Das soll ich dir glauben?“ fragte er. „Ja, ich meine, du zweifelst doch nicht, dass ich wirklich Kate Deborah Winters bin?“ fragte ich verunsichert. „Sicher und ich bin der Kaiser von China.“ sagte er höhnisch. „Wie soll ich dir beweisen, dass ich es wirklich bin?“ fragte ich. „Sag mir den Namen meiner Mutter!“ forderte er. Für einen Moment musste ich überlegen. „Olivia Parker. Dein Dad heißt Gordon Parker.“ sagte ich. Sein Gesicht verzog sich wieder. Doch diesmal staunte er. Dann kam er auf mich zu und schwang mich einmal im Kreis. Dann drückte er mich an sich. „Du weißt gar nicht wie unglücklich ich war als mir klar wurde, dass ich dich nie wieder sehen würde. Ich war kurz vorm durchdrehen.“ Ich lächelte und schmiegte mich an ihn. Es kam wie es kommen musste. Sein Gesicht war knapp vor meinem und seine Lippen kamen meine gefährlich nah. Dann spürte ich seine Lippen auf meinen. Sie fühlten sich warm und glatt an. Seine Zunge forderte meine Zunge heraus, „mit ihm zu spielen“. Sein Arm hielt mich fest umfangen. Ich schlang meine Arme um seine Hals und für eine Weile standen wir so da.
Die Nacht kam, es wurde kalt, eiskalt. Aber irgendwie nahm ich das nicht wahr. Raul lag neben mir und hatte seine Arme um mich geschlungen. So wärmten wir uns gegenseitig. Am nächsten Morgen ging die Tür auf und die Wache brüllte uns zu: „ Los raus mit euch!!“ Wir sahen uns an, nahmen unsere Sachen, d.h. was von unseren Sachen übrig geblieben war und gingen. Ich bin mir bis heute noch immer nicht im Klaren darüber wieso wir frei gelassen wurden.
Raul und ich gingen Hand in Hand durch die dunklen Korridore. Von überall hörte man kleine Kinder schreien. Sie hatten also auch Frauen und Kinder festgenommen. Die Wache führte uns zu Tür hinaus in Freie. Ich war wieder Frei!! Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte seit meiner Verhaftung nie mehr Sonnenlicht gesehen, als das bisschen, was durch die Gitterstäbe drang. Es war herrlich an der frischen Luft zu sein und tief durchatmen zu können. Die Sonnenstrahlen auf meiner Haut taten gut. Es war angenehm den kalten grauen Mauern entflohen zu sein.
Wir waren schon lange Unterwegs als wir die erste Pause einlegten. Ich lag neben Raul im Gras und hing meinen Gedanken nach. Auf einmal beugte sich Raul über mich und presste seine Lippen auf meine. Sein Mund forderte all das zurück, was bis jetzt verloren gegangen war. Ich erwiderte den leidenschaftlichen Kuss. Schwer atmend und zerzaust tauchte ich aus seinen Armen auf. Nach einer langen Pause machten wir uns wieder auf den Weg.
Zwei Tage später stiegen wir auf den Berg, an dessen Fuß wir unser Nachtlager aufgeschlagen hatten. Knapp vor dem Ziel überraschte uns eine Steinlawine. Ich sah gerade noch wie er unter Steinen begraben wurde. Ich befreite meinen Arm aus dem Geröll und lief zu ihm. „Raul? Hey wo bist du?“ rief ich. Mit aller Kraft räumte ich die Steinbrocken weg, unter denen ich Raul vermutete. „Hey Raul! Kannst du mich hören?“ Er schlug die Augen auf aber sie fielen gleich wieder zu. Raul hatte Schrammen am ganzen Körper, die linke Kopfhälfte war total blutverschmiert und die rechte Hand war zerquetscht. Ich selbst sah nicht viel besser aus: an der Stirn hatte ich eine Platzwunde, zwei Finger der linken Hand waren blau und blutig und die Schulter tat weh. Ich riss das T-Shirt in streifen für einen Verband. Als am nächsten Tag die Sonne aufging, war ich schon wach. Raul wurde von dem vertrauten Geruch nach Kaffee geweckt. „Guten Morgen! Wie geht’s dir? Wir müssen weiter. Glaubst du, du schaffst es?“ Er blieb mir eine Antwort schuldig, stützte sich auf einen Stein und sah mich an. Mit dem typischen `Ich-will-dich-haben´ Blick. Das Blut stieg mir in den Kopf und ich fühlte, dass meine Wangen sich rot färben. Wir erreichten die Bergspitze gegen Mittag und sahen ein sonnendurchflutetes Tal zu unseren Füßen. Hinter einem Waldstück schien ein Lager zu sein. Man sah ein paar olive-braune Zelte. „Schau, Raul. Dort hinten ist ein Lager. Es ist vielleicht 5 ½ km vom Fuß des Berges entfernt. Wir könnten dort hingehen und-“, ich brach ab und sah mir die Gegend genauer an. „Wir sind kurz vor meinem Heimatlager!!“ Ich zuckte zusammen als ich meine Schulter berührte. „Komm wir gehen dorthin. Schaffst du das?“ Er nickte und nach fast zwei Stunden (mit Pause) kamen wir dort an. Meine Finger umklammerten Rauls Hand. Dann standen wir vor dem Wachposten. Zwei verletzte junge Soldaten die dringend Hilfe benötigten.
Dann kam Offizier und Lagerkommandant Patrick Janowski auf mich zu und begrüßt mich mit den Worten:„ Leutnant Winters! Schön Sie wieder zu sehen!“ „Tja, Commander ich habe es doch versprochen!“ Ich wollte die Hand zum Gruß heben, doch zuckte wieder voll Schmerz zusammen. " Kate, du musst mir endlich sagen was los ist. Hat er dir das getan?“ fragte Andy. „ Wer? Raul? Komm schon, Andrew. Das ist doch lächerlich! Mein Arm ist Okay. Er war nur unter Steinbrocken eingeklemmt, der mir dir Schulter ausrenkte und mir, glaub ich, das Schlüsselbein brach!“ antwortete ich gereizt. `Seit wann nennt sie mich ANDREW? ´ dacht sich Andy `Wir waren doch schon bei Andy. Es muss auf dem Weg hier her etwas vorgefallen sein. Ich werde sie nachher fragen müssen. ´ „Und da soll alles in Ordnung sein? Es wird Zeit dass du in die Krankenstation kommst. Los komm!“
Der leichte Druck, der meine Hand umgab, riss mich aus meinen Tagträumen. „Na, war er wenigstens hübsch?“ fragte er. „Ja, war ganz in Ordnung.“ Verwirrt sah ich auf. Jetzt erst hatte ich begriffen, dass Raul meinen Tagtraum meinte. „Hat der Tagtraum sich gelohnt?“ fragt er weiter. Er grinste. Ich sah ihn an. Mann, seine Nähe machte mich echt begriffsstutzig. Dann nickte ich. „Wie geht’s dir?“ fragte ich und lächelte. „Weißt du, dass du richtig hübsch bist, wenn du lächelst? Könntest ruhig öfter machen...“ sagte er. „Du hast meine Frage nicht beantwortet!“ sagte ich. „Ganz gut. Aber ein Kuss von dir könnte Wunder wirken...“ Er grinste frech. „Solange du so frech zu mir bist, bekommst du überhaupt nichts!“ rief ich. „Oh, komm schon! Lass dich nicht so bitten!“ bettelte er. Ich schüttelte den Kopf. Er strich mit seiner unverletzten Hand über meine Wange. Unter Tränen sagte ich zu ihm: „ Ich bin so froh dass ich dich wieder gefunden habe. Damals gab es so viel was ich dir sagen wollte. Doch ich traute mich nicht. Weil ich nicht wusste, wie du reagieren würdest. Ich habe fast ein halbes Jahr nicht einmal deinen Namen gekannt. Deinen Freund Kevin habe ich um seine Handynummer gefragt. Dich nicht. Ich war zu feige. Es tut mir so leid!“ Wieder lief eine Träne über meine Wange. Er aber wischte sie fort. „Ey, Kleine, sein nicht traurig. Es ist vorbei! Außerdem verdanke ich dir mein leben. Ohne deine Fürsorge wäre ich wahrscheinlich schon tot. Ich danke dir.“ Er setzte sich auf und zog meinen Kopf zu sich hin. Dann küsste er mich sanft. Seine Lippen waren so weich und geschmeidig. Ich wünschte mir, dass dieser Kuss nie aufhören würde. Sein Mund begann über meine Wangen zu meiner Nase und von dort wieder zu meinen Lippen zu wandern. Langsam begriff ich, dass Raul mehr, viel mehr als nur eine guter Freund bleiben würde... „ Ich möchte dass du dich daran erinnerst was ich dir jetzt sage, “ drang seine raue Stimme an mein Ohr. „Tue nichts aus eigener Kraft. Bitte Gott um Hilfe. Mit ihm an deiner Seite wirst du sicher an dein Ziel kommen. Noch etwas: Wenn deine Lage aussichtslos ist, dann denke an Psalm 23.
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führe mich zum frischen Wasser. Er erquicke meine Seele. Er führe mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.“
Beim täglichen Zählappell fiel es ihnen erst auf, dass ich weg war. Suchtrupps wurden losgeschickt um mich zu suchen. In keiner der zwanzig Truppen waren Andy oder Raul dabei. Nach dem ich abgehauen war, quälte sich Raul in die Höhe und ging auf Andy los. „Warum hast du sie geschlagen? Sie hat dir doch nichts getan!! Sie ist zu jedem freundlich und nett. Es ist einfach sie, die immer ein Lächeln für jeden hat! Nur du kannst es nicht ertragen, wenn es jemand anderen gibt! Du glaubst, sie gehört dir, nicht wahr? Sie gehört weder mir noch dir noch sonst irgendjemanden. Sie gehört Gott alleine!!“ brüllte er. Raul schlug zu. Er war blind vor Wut. Er spürte keinen der unzähligen Schläge er einsteckte. Dann brach er bewusstlos zusammen. Andy verließ fluchtartig das Zelt und ließ Raul im Staub liegen. Inzwischen war es Abend geworden. Ich fand eine kleine Höhle, legte mich hin und schlief ein.
Am nächsten Morgen zog Raul auf eigene Faust los um mich zu suchen. Trotz seiner Verletzungen. Ich ging solange ich konnte. Fast drei Tage waren seit meinem Ausbruch vergangen. Ich war am Ende meiner Kräfte. Ohne Nahrung. Ohne Wasser. Ohne irgendein Ziel vor Augen. Was die Landschaft anging, gab es keine gröberen Probleme. Außer dass unser LKW einmal hängen geblieben war. So manche schmalen Pfade führen sanft bergan, vorbei an strohbedeckten, alten Bauernhäusern und Steinwällen. Nie würde man vermuten, dass man nur wenige Meter entfernt von Irlands dramatischer Küstenlandschaft spaziert- den so genannten Cliffs of Moher. Gut 200 m fallen die Kliffwände senkrecht ins Meer.
Ich legte mich ins Gras und starrte den Himmel an. Wolken zogen vorbei. Sie sahen aus wie Watte. Gerne hätte ich mich in die Wattewolken fallen lassen und das von vorher alles vergessen. Doch würde das je möglich sein?? Zum Schutz hielt ich mein Maschinengewehr fest umklammert. Da- ein Rascheln im Unterholz. Ich fuhr hoch, aus meinen Träumen aufgeschreckt, und entriegelte mein Gewehr. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Adrenalin zirkulierte durch meine Adern. Ich kroch noch tiefer ins Gras, bemerkte einen Schatten auf meinen Arm. Ich sah auf und da stand er vor mir. Groß und stark wie ein Fels. Er war es. „Raul! Wo…Ich meine wie… was…ich!“ Staunend und beschämt sah ich zu ihm auf. Ich brach ab und sah in seine unendlich tiefen braunen Augen. Ich las in seinen Augen dass er große Schmerzen hatte. Aber auch Traurigkeit und doch Stolz. „Ich bin stolz auf dich.“ sagte er so leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Dann redete er schon weiter. „Du weißt was du für mich bedeutest.“ Ich legte ihm den Finger auf den Mund und fragte: „ Wie hast du mich gefunden?“ „Tja, meine kleine Katie (nur Raul nannte mich Katie...), ich wusste dass du das Meer, die Küste Irlands und den Wind liebst. Wäre ich nicht dumm, im Landesinneren zu suchen?“ Ich lächelte über seinen Vergleich. Dann nahm er mich in seine Arme und drückte mich fest an sich. „Ich möchte nicht wissen, wie ich aussehe...“ sagte ich und fuhr mit den Fingern durchs Haar. „Wunderschön. Wie ein Engel.“ sagte er. „Was?“ Ich musste mich verhört haben. „Hey, du kannst doch kein Mädchen anziehen und hübsch finden, wenn verkrustetes Blut auf ihren Lippen ist. abgesehen von dem Veilchen-“ „Doch, Katie, man(n) kann. Vor allem, wenn man weiß, wie die Kleine ohne Blut im Gesicht aussieht...“ Er lächelte. Wie sehr hatte ich ihn doch vermisst!! Es waren zwar nur zwei Tage gewesen, aber ich fühlte mich leer.
Wir ´wanderten´ zurück ins Lager wo mir ordentlich die Leviten gelesen wurden. Raul schmunzelte, als ich es ihm erzählte.
3 Wochen später, die ohne Zwischenfälle verliefen (Andy würdigte mich mit keinem Blick!), kam der erlösende Brief des Generals. Der Krieg sei vorbei und wir könnten unsere Zelte in Wahrsten Sinne des Wortes abbrechen. Alle verfügbaren Transportmittel waren voll gestopft mit Soldaten, die in ihre Heimat reisten. Raul und ich bekamen den ersten Flug nach Houston. In Houston angekommen, erreichte mich eine Botschaft: Mein Hund Billy war bei einer Razzia ums Leben gekommen. Ich saß regungslos im Zug nach Austin und dachte: Mein Billy ist tot? Das kann nicht sein! Es darf nicht sein! Er war es, der von meinem Kummer angefangen bis zu meinen Freuden und Ängsten alles wusste. Raul bemerkte dass etwas nicht stimmte und nahm mich liebevoll in seine Arme. „Warum musste er sterben?“ fragte ich und schmiegte mich an ihn. „Katie, ich weiß es nicht. Gott setzt jedem Leben eines jeden Lebewesen ein Ende. Aber du wirst ihn wieder sehen. Spätestens wenn Jesus wieder kommt. Ich weiß dass du traurig bist und ich kann dich vollkommen verstehen. Aber du hast mich doch auch noch!!“ sagte er und lächelte mich aufmunternd an. „Ja! Stimmt. Dich hab ich auch noch!“ sagte ich und freute mich über das Geschenk, dass Gott mir gemacht hatte, als er mir Raul über den Weg geschickt hat.
Dann kam die Stunde des Abschieds. Offen gestanden, mir fiel der Abschied von Raul noch schwerer als ich angenommen hatte. „Wirst du mich in San Antonio besuchen?“ fragte ich. Tränen liefen mir über die Wangen. „Ey, nicht weinen Katie! Du bist so ein tapferes Mädchen!“ Er strich mir über die Wange. „Kommst du nach San Antonio?“ fragte ich nochmals. Er antwortete: „ Wie kannst du so etwas fragen, wo doch mein Herz in San Antonio ist! Katie- “ Ich hatte keine Ahnung, was er sagen wollte, aber ich spürte, dass es etwas Besonderes war. „Katie, Ich liebe dich! So sehr wie ich dich liebe, kann man mit keinen Worten beschreiben.“ Seine unendlich braunen Augen ruhten auf mir. „Raul, ich liebe dich auch!!“ sagte ich leise. Ich schlang meine Arme um seine Hals und er drückte mich fest an sich. Seine Lippen suchten meinen Mund, seine Hände spürte ich unter meinem Shirt. Irgendwie wollte ich mehr. Sein Mund war so verführerisch weich. Der Kuss wurde intensiver und mein Herz klopfte so laut, dass ich dachte, Raul würde es hören. „Dein Herz klopft wie wild...“ flüsterte er in diesem Moment. Ich nickte. „Daran bist nur du schuld...“ sagte ich eben so leise und lächelte. Raul strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Bei mir ist es nicht viel anders...“ sagte er. Meine Finger kraulten ihn am Hals. Langsam ließ ich meine Hand unter sein Shirt gleiten. Er zog die Luft hörbar ein. Seine Hand machte sich selbständig. Er fuhr über meinen Bauch, Rippen und hielt mich fest. Doch dann ließe er mich plötzlich los. „Was ist?“ fragte ich. „Lass uns damit warten.“ sagte er rau. „Aber warum?“ fragte ich. „Wir haben zu wenig Zeit.“ sagte er. Aber das war nicht der Grund. Wir wussten es beide. „Komm, ich bring dich zum Zug.“ sagte er. Bereitwillig ließ ich mich von ihm zum Zug führen. "Kleine, sei nicht traurig. Es wird kommen. Und dann wird es viel schöner sein!“ versprach er. Ich sah ihm nur wortlos in die Augen. Dann nickte ich. Er küsste mich noch einmal dann drehte er sich um. Auf halber Höhe blieb er stehen und drehte sich nochmals um. „Ich liebe dich!“ sprachen seine Lippen. Aber kein Ton kam aus seinem Mund hervor.
Ich drehte den Kopf kurz zur Seite und als ich wieder zu der Stelle hinsah, wo er gestanden hatte, war er verschwunden. Tränen der Verzweiflung und der Hoffnung traten mir in die Augen. Ich sah den Bahnsteig nur noch durch einen Tränenschleier.
Am Bahnhof von San Antonio erwarteten mich mein Dad und meine Mum. Sie schlossen mich in ihre Arme. Irgendwie tat es gut, wieder Zuhause zu sein. Meine Schwester hat inzwischen einen neuen Hamster, Jimmy, bekommen. Meine Eltern hatten für mich eine Wohnung gekauft und eingerichtet. Sie war eigentlich sehr groß, großer als ich gedachte habe. Die Wohnung war hübsch eingerichtet. Alles in dunklem Holz. Angefangen vom Schlafzimmer bis zum Badezimmer. Im Schlafzimmer hing über dem Bett ein Bild, auf dem die untergehende Sonne, die sich im Meer spiegelte, zu sehen war. Wann immer ich dieses Bild ansah, in diesem Moment gab es nichts Schöneres auf der Welt. Das Bild erinnerte mich an Irland...
Meine Eltern wussten, dass ich dunkle, alte Möbelstücke liebte. Genauso wie Irland. Ich hoffte, irgendwann dorthin zurückkehren zu können. Dorthin, wo ich mein Herz verloren habe...
Ein eiskaltes Klingeln zerriss die Stille. Ein kurzer Blick auf die Uhr über der Tür verriet, dass es kurz vor 8 war. also war konnte das sein? Meine Nachbarn waren im Urlaub und deren Katze, die ich versorgte, konnte auch nicht zu mir rüber spazieren und noch mehr Futter verlange. Andererseits- Es gab ja auch Hunde, die die Tür öffnen konnten... Ein zweites Klingeln ließ mich zusammen zucken. Wer immer es war, musste es sehr eilig haben... Ich öffnete die Tür und konnte meinen Augen nicht trauen. Nein, keine Angst, es war nicht die Katze. Es war-
„Raul!!!“ rief ich und fiel ihm um den Hals. „Hey, Katie! Ich habe doch gesagt, das ich wieder-“ Er kam nicht dazu, den Satz zu ende zu sagen. Ich küsste ihn. Oh Mann, wie sehr hatte ich ihn vermisst. Damals, waren mir schon die zwei Tage ohne ihn so lange vorgekommen. Und jetzt nach 5 Wochen stand er mit einer roten Rose in der Tür. Gekleidet in einen weißen Smoking. Ich hatte ihn bisher nur in Uniform gesehen, aber ich musste zugeben er sah noch besser aus als wir uns zum letzten Mal am Bahnhof von Austin gesehen hatten. Plötzlich hob er mich auf und schwang mich einmal im Kreis. Dann kniete er sich vor mich hin und sagte: „ Kate, willst du mich heiraten?“ Ich war sprachlos. Sprachlos als hätte er mir vorgeschlagen, mit ihm auf dem Mond zu wohnen. Aber ich wäre mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen wenn er mich darum gebeten hätte. "JA!! Ja, Raul ich will dich heiraten!“ Er kam auf mich zu und küsste mich lange. „Jetzt zieh dir dein schönstes Kleid an. Ich habe eine kleine Überraschung für dich!“ sagte er und strahlte. Er freute sich wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Ich schlüpfte so schnell ich konnte in meinem Kleid und 10 Minuten später saßen wir in Rauls Wagen und fuhren zu einem der teuersten Restaurants der Stadt…
Der Film lief irgendwie an mir vorbei. Ich konnte mich im Nachhinein an keine Szene mehr erinnern. Ich war viel zu beschäftigt gewesen, Raul zu betrachten. Nach einer Weile kam die Stewardess und sagte: „ Bitte schnallen Sie sich an. Wir landen in neun Minuten.“ Die Maschine landete und wir stiegen den Gangway hinunter. Auf der Empfangshalle stand in großen Buchstaben: DUBLIN AIRPORT.
Ich war in Irland!!!! Ich war daheim!!!
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Cornelia Palzer).
Der Beitrag wurde von Cornelia Palzer auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.09.2006.
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