Michael Mews

Carnivore (Nepenthaceae)

(Vorsicht: bitte nicht vor dem Schlafengehen lesen!)

 

 

Ein wundervoller, paradiesischer Anblick, mein großes, sonniges und buntes Blumenfenster. Immer, wenn ich etwas Zeit habe, betrachte ich staunend, genießend, glücklich und bewundernd dieses Blumenfenster. Schon seit langer Zeit habe ich die Angewohnheit, aus dem Urlaub Pflanzensamen mitzubringen, um sie dann am Blumenfenster einzupflanzen und durch ihre Blütenpracht an wunderschöne, traumhafte, und besonders himmlische Urlaubserlebnisse erinnert zu werden.

 

 

Zwischen den vielen Pflanzen, gleich neben dem Malvenstrauch mit seinen glockigen, roten Blüten, den herzförmigen, leuchtgrünen Blättern und der Agave Victoriaereginale, eine sukkulente Staude mit herrlich, cremeweißen Blüten habe ich auch aus dem letztem, tropischen Urlaub Samen eingepflanzt.

 

 

Sehr gut kann ich mich noch daran erinnern, dass auf der kleinen Samenpackung stand: „Carnivoren (eine Nepenthaceae- Art, schnell wachsend) und anschließend, sehr klein gedruckt einige Hinweise, die ich nicht lesen konnte, ganz am Ende stand das Wort: „Diggi“, vermutlich ist das ein Hinweis auf die Züchterin?

 

 

Ich habe Glück, dass meine Räume sehr hoch sind, denn diese Carni ist schon fast vier Meter hoch und sieht prächtig aus.

 

 

Noch vor einer Woche lag mein kleiner Kater immer neben dieser Pflanze und sonnte sich. Er liebte diesen sonnigen Platz sehr. Nun ist er spurlos verschwunden, lange habe ich nach ihm gesucht, aber leider erfolglos. Sicherlich hat er ein neues Zuhause gefunden (das ich zum Glück nicht kenne).

 

 

Was mich aber besonders betrübt, ist, dass mein kleiner Hund diesen Sonnigen Platz des Katers eingenommen hatte und nun seit drei Tagen auch verschwunden ist.

 

 

Gleich danach erhielt ich Besuch von einem Freund (mein Lieblingsfeind). Als er die Wohnung betrat, fragte er mich, ohne mich zu begrüßen: „Warum riecht es hier so modrig?“.

 

 

Ich überhörte höflich seine Frage und brachte ihm eine Tasse Tee. Und als er nach unserer Unterhaltung aufstand, um zu gehen, sagte er mir: „Ich habe das Gefühl, als wenn irgendetwas in deiner Wohnung ständig leise schmatzt“.

 

 

Auch das überhörte ich höflich. Plötzlich wanderte sein Blick zum Blumenfenster, genauer gesagt, zu meiner Pflanze Carne. Er sagte zuerst kein Wort und starrte sie nur an.

 

 

„Ach, wäre ich glücklich, wenn ich auch so eine wunderschöne Pflanze haben könnte“.

 

 

Zuerst war ich sprachlos über seinen Wunsch, da diese Pflanze aber inzwischen viel zu groß für mein Blumenfenster war, sagte ich: „Gerne schenke ich sie Dir, für mich ist diese Carne viel zu groß“.

 

 

Gemeinsam gruben wir sie aus und transportierten sie in sein Auto.

 

 

Als ich gestern bei ihm anrief, um zu sehen, ob alles klappte mit dem Einpflanzen, hörte ich, wie der Telefonhörer abgenommen wurde und etwas, leise, sehr leise schmatzte.

 

 

Nach dem Einkaufen ging ich durch Zufall an seinem Haus vorbei, die Fenster standen offen und ein modriger Geruch strömte durch meine Nase.

 

 

„Man darf seinem Lieblingsfeind keine Pflanzen schenken, man erntet nur Undankbarkeit“, sagte ich enttäuscht zu mir. Und ich war stolz auf den Inhalt meiner Plastiktüte, in der sich eine süße, niedliche, aber sehr kleine Carnivore befand, die ich gerade erworben hatte und ich dachte dabei an himmlische Erlebnisse.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Michael Mews).
Der Beitrag wurde von Michael Mews auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Michael Mews als Lieblingsautor markieren

Buch von Michael Mews:

cover

Auch auf Leichen liegt man weich - Kurzgeschichten von Michael Mews



"Auch auf Leichen liegt man weich" ist eine Sammlung schaurig schöner und manchmal surrealer Kurzgeschichten, in denen Alltagsbegebenheiten beängstigend werden können und Schrecken auf einmal keine mehr sind - vielleicht!

Wir begegnen Lupa, der ein kleines Schlagenproblem zu haben scheint und sich auch schon einmal verläuft, stellen fest, dass Morde ungesund sind, und werden Toilettentüren in Flugzeug in Zukunft mit ganz anderen Augen betrachten.

Und immer wieder begleiten den Erzähler seine beiden guten Freunde: die Gänsehaut und das leichte Grauen ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Unheimliche Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Michael Mews

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Nächtlicher Nebel von Michael Mews (Wie das Leben so spielt)
Leben und Tod des Thomas von Wartenburg, I. Teil von Klaus-D. Heid (Unheimliche Geschichten)
Mit Feuer und Schwert von Paul Rudolf Uhl (Krieg & Frieden)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen