Gaby Bleckmann

Nur ein Albtraum?

Eine eigenartige Finsternis umgibt mich.   Riesige dunkle Bäume wachsen in die Höhe und verdecken mit ihren schwarzen Blättern den Himmel.   Hier und da sprießen leuchtende Pilze aus der feuchten Erde und verbreiten zusammen mit den wenigen Sonnenstahlen, die sich hierher verirren, ein eigenartiges, unheimliches Dämmerlicht.   Ich reite auf meinem windfarbenen Hengst und spüre deutlich den Widerwillen, mit dem er mich durch diesen Wald trägt.   Seine Bewegungen sind so steif, als sei er aus Holz geschnitzt und (ich kann es zwar nicht sehen, doch ich weiß es) seine Ohren sind so weit wie nur irgend möglich angelegt.   Der Angstschweiß fließt uns beiden literweise aus allen Poren.   Mein Pferd will hier raus und ich auch.   Es ist schrecklich hier, grauenvolle Geräusche erfüllen die Luft, Geräusche wie aus einer Folterkammer oder aus der Hölle selbst.   Die schattenhaften Gestalten seltsamer Tiere huschen durch das spärliche Unterholz, ich kann sie kaum sehen.   Sind es nur Kaninchen oder etwa Schlimmeres?   Ich weiß es nicht und das macht mir Angst.   Mein Zeitgefühl ist mir abhanden gekommen und ich habe das Gefühl, schon ewig in diesem Wald zu sein.   Werde ich je wieder das Tageslicht erblicken?   Da packt mich etwas an der Schulter.   Was ist das?   Hastig ziehe ich mein Schwert und schlage auf den Gegner ein, doch es ist nur ein knorriger Ast.   Glück gehabt.   Ich atme auf und treibe mein Pferd an.   Weiter geht es durch den Wald, der hoffentlich bald zu Ende ist.   Nach und nach gelingt es mir, mich ein wenig zu entspannen.   Bei genauerer Betrachtung sehen die unheimlichen, bizarr geformten Bäume ganz interessant aus.   Rechts von mir steht einer, der aussieht wie die Arbeit eines Kunstschmiedes, und der Felsen dort hat Ähnlichkeit mit einem Wolf.   Und der Busch dort…   Plötzlich bäumt sich mein Hengst auf und wirft mich beinahe aus dem Sattel.   Nur mit Mühe gelingt es mir mein nervös tänzelndes Pferd zu beruhigen.   Was hat das Tier nur so erschreckt?   Ich sehe mich wachsam um.   Vor den Hufen des Hengstes liegt etwas – oder jemand?   Ich springe eilig aus dem Sattel um die Sache zu untersuchen.   Es ist ein Mensch, eingewickelt in einem Lumpen, der wohl mal vor langer Zeit ein Umhang gewesen sein musste.   Einige Pfeile ragen aus dem verwahrlosten Bündel heraus und Blut bedeckt den Boden.   Aber vielleicht kann ich ja noch helfen.   Vorsichtig drehe ich die Person auf den Rücken und versuche ihren Puls zu ertasten.   Sie lebt noch, doch wie es aussieht, wohl nicht mehr lange.   Die Neugier treibt mich dazu, nachzusehen über wen ich da gestolpert bin und ich streiche ihr die blutverklebten Locken aus dem Gesicht.   Mit Entsetzen stelle ich fest, dass es ein Mädchen ist, ein wunderschönes Mädchen!   Ich bin ihr nie zuvor begegnet und doch habe ich das Gefühl sie zu kennen wie meine eigene Schwester.   (Wahrscheinlich habe ich mal von ihr geträumt…)   Ihre Verletzungen sehen sehr schlimm aus und einer der Pfeile, die in ihren Körper stecken, scheint vergiftet zu sein.   Nur eine Person im ganzen Land wäre möglicherweise in der Lage, sie zu retten.   Doch es ist ein weiter Weg bis zum großen Heiler und ich kenne die Richtung nicht.   So vorsichtig wie möglich hebe ich sie auf mein Pferd und reite los.   Mein Hengst kennt den Weg, doch er scheint auf der Stelle zu treten und ich spüre, wie das Leben mehr und mehr aus dem Körper des Mädchens weicht.   Ich sehe mich um, eine weiße Stute folgt uns.   Das ist kein gutes Omen, denn Schimmel sind Geisterpferde, die die Seelen der Menschen rauben.   Sicher ist sie hinter der Seele des Mädchens her.   Die Angst steigt in mir auf und schnürt mir die Kehle zu.   Mehr als alles andere auf der Welt wünsche ich mir, diesen verdammten Wald endlich hinter mir zu lassen.   Noch immer herrscht hier dieses gruselige Dämmerlicht, aber ich sehe, dass sich jenseits des dichten Blätterdachs die Sonne immer weiter nach Westen senkt.   Eile ist geboten und ich treibe mein Pferd an, eine schnellere Gangart einzuschlagen.   Wie lange dieser Ritt durch den Wald, zwischen Bäumen und über Wurzeln nun schon dauert, vermag ich nicht zu sagen, doch endlich werden die Bäume lichter.   Dort ist die Ebene!   Mein Hengst galoppiert so schnell er kann, fast schein er zu fliegen.   Allerdings befürchte ich, dass es schon zu spät ist.   Die Kleine in meinen Armen atmet kaum noch, ihr Leben hängt an einem seidenen Faden, der jeden Augenblick zu reißen droht.   Ich will sie aber nicht verlieren.   Endlich erreichen wir das Haus des Heilers, zum Glück ist er daheim.   Er kümmert sich um das Mädchen, jedoch stehen ihre Chancen, wie er mir mitteilt, nach wie vor sehr schlecht.   Später sitze ich an ihrem Bett und meine Hand ruht auf ihrer glühenden Stirn, sie hat hohes Fieber.   Ich kann nicht viel für sie tun, nur ein Wunder kann sie noch retten.   Dabei liebe ich sie doch…

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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