Susanne Aukschun

Der Anruf

 
Ich stand auf dem Stuhl, hatte schon den Strick um den Hals und wollte mich gerade mal ein bisschen umbringen, da klingelte das Telefon. „Shit“, dachte ich mir, „hat man denn nicht einmal fünf Minuten hier seine Ruhe...“. Am anderen Ende meldete sich Shiwa, eine langjäh­rige Freundin (oder was man so unter Freundschaft verstand). Sie hatte mal wieder Lange­weile und wollte mich mit ihren schrägen Ansichten nerven. Doch ich hatte eigentlich schrecklich viel zu tun. Trotzdem blieb es mir nicht erspart, von ihr zu hören, wie sie ihre Bude pflegte. Täglich saugte und wischte sie mehrere Stunden lang auf den 40 qm herum, bis von Staub weit und breit nichts mehr zu sehen war (Da müßte mir ein Fuß fehlen). Ansonsten bestand ihr Tagesablauf darin, auf ihren Mann zu warten. Der schlich sich unter allerlei Vor­wänden aus dem Haus, nur um nicht bei ihr zu sein. Zwar hatte er tatsächlich mehrere Ne­benjobs. Doch so arm, wie er immer vorgab, war er nicht. Er gab das Geld lediglich für ande­res aus und vertrieb sich seine Zeit in Sexshops. Doch Shiwa wußte von alledem nichts, hatte sogar noch Mitleid mit dem Kerl, weil er ja sooo viel arbeiten mußte. Nungut. Mitleid hatte ich eigentlich auch, denn Shiwa wog knappe 200 kg, machte nichts aus ihrem Typ und war sowieso recht leidenschaftslos in Bezug auf Körperpflege. Da konnte ich den armen Mann dann doch etwas verstehen.
 
Doch Shiwa störte sich nicht einmal an alledem. „Du mußt doch einsam sein“, fragte ich sie. Sie hätte doch einen Hund, mit dem sich sprechen könne... („Soso, einen Hund“, dachte ich mir). „Und? Antwortet er?“ – Natürlich antwortete er nicht. Ich hatte 16 – und keiner von ihnen hatte je geantwortet.
 
Ich weiß auch nicht, warum ich ausgerechnet Shiwa aufmuntern wollte, war sie doch an ihrer Misere selbst schuld und hatte nicht einmal ein Problem damit. Daß sie viele Jahre schon nicht mehr arbeitete, machte sie scheinbar dumm im Kopf. Jedenfalls wollte sie nichts mehr lernen und interessierte sich auch nicht dafür, was hinter dem Tellerrand geschah. Dabei hatte ich ihr mit allerlei Tricks versucht, das Internet zu erschließen. Dort konnte man eine Menge netter Leute kennenlernen – näher oder ferner – je nachdem, wie man es für sich entschied. Man konnte stöbern und suchen, weinen und lachen. Es war sicherlich für jeden etwas dabei, traute man sich nur, sich der neuen Technik zu öffnen. Doch Shiwa wollte das nicht. Sie stellte sich stets als zu dumm an, meinte sie jedenfalls und versteckte sich dabei absichtlich hinter einem Gerüst von Ausreden. Jeder Mensch konnte noch etwas lernen – und erst recht sie, denn sie war trotz des erheblichen, optischen Unterschiedes nicht sehr viel älter als ich. Selbst meine Mutter hatte sich noch mit 58 Jahren aus beruflichen Gründen mit der Compu­tertechnik befassen müssen. Und auch anderen Senioren bzw. Witwen und Waisen eröffnete das Internet den Zugang zu einer kommunikativen Welt, dem sich ja insbesondere meine Autorenkollegen bei E-Stories nicht verschlossen. Von daher war es für mich unverständlich, wie eine Frau in den besten Jahren das Leben einfach so an sich vorbeiziehen lassen konnte.
 
Doch alles Reden nützte nichts. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, das Säubern ihrer Woh­nung in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen, wobei man von ihr nicht einmal behaupten konnte, daß sie einen psychischen Knacks hatte. Im Gegenteil: Ansonsten war sie sehr aufge­weckt und machte einen lebenserfahrenen Eindruck. Nur mit dem Spaß am Leben, so, wie es die meisten verstehen, hatte sie eben nichts am Hut.
 
Auch mit meinem Leben war es deutlich bergab gegangen. Obwohl ich meinen Mann zum Lebensinhalt erklärt hatte und mit diesem auf eine erstaunlich lange Härtezeit zurückblicken konnte, hatte er gerade jetzt, wo es anfing, schön zu werden, alles hingeschmissen. Ursächlich dafür war sicherlich seine Midlifecrises, in der er aufgrund stetiger Überarbeitung eine leichte Beute für seine Groupies war. Als Reitlehrer stand er überall im Mittelpunkt des Interesses, wobei er früher jedoch die Grenzen des Möglichen genau zu kennen schien. Er hatte mir so­gar einmal Vorträge darüber gehalten, daß die Viertelstunde im Stroh nicht aufwiegen würde, alles Geschaffene zu ersetzen, was dadurch verloren ginge. Das waren sehr weise Worte, doch nun hatte er sie selbst in den Wind geschlagen.
 
Für mich ging damit eine Äera zu Ende, denn ich hatte mein ganzes Leben darauf ausgerich­tet, mit ihm in unserem Häuschen auf dem Lande glücklich zu sein. Zwar hatte mich das Warten auf ihn nie wirklich ausgefüllt. Die Hoffnung, abends mit ihm schlafen zu gehen und morgens mit ihm aufzuwachen, gab mir jedoch Kraft und Energie, um den Alltag zu überste­hen. Nun war die Batterie bis auf den Nullpunkt leer gelaufen. Es gab keine Möglichkeit für mich, wieder aufzutanken, obwohl ich allerlei versucht hatte. Doch selbst die netten Men­schen unter meinen Bekannten vermochten es nicht, mir meinen Lebenswillen zurückzuge­ben, so daß ich nun mit dem Telefonhörer in der Hand immer noch auf dem Stuhl stand. Als ich gerade versuchte, Shiwa von meiner Situation zu erzählen, ich den Ansatz machte, he­rauszulassen, was mich so quälte und zu eröffnen, daß es mir im Moment mehr als schlecht ging, unterbrach Shiwa meine Rede. „Du, ich muß jetzt auflegen, muß hier noch saugen. Tschüß dann“ – und weg war sie.
 
Ein wenig geschockt, traurig und irritiert ging ich ins Bett. „Danke für’s Gespräch“, sagte ich zu mir und schloß die Augen. Ich wollte jetzt nur noch schlafen – und am besten gar nicht mehr aufwachen. Aber zur Not war ja dafür auch morgen noch ein Tag...
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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