Heidi Ulrich

Wenn Pferde fliegen - eine Auswanderungsgeschichte

 Ich erinnere mich an eine kalte Winternacht in der Schweiz.

Ich
reite mit meiner Vollblutaraberstute Balajka durch die schneebedeckte,
vom Vollmond erhellte Landschaft. Die Luft ist klar und kalt. Ich habe
einen grossen Wunsch und die Sehnsucht brennt stärker, als je zuvor.
Das ist eigentlich seltsam, gerade jetzt, wo es so schön ist in der
Schweiz, denke ich.

Diese Nacht ist der Traum eines jeden
einsamen Reiters. Und doch ... es lässt mich nicht los. Da ich aber ein
so furchtbar nüchterner Mensch bin, schaue ich mich erst in alle
Windrichtungen um. Hinter mir liegt Schneisingen mit seinen vielen
kleinen Lichtern. Rechts vor mir türmt sich der Wald wie ein schwarzer
Berg auf und links liegen die verwaisten Stoppelfelder, jetzt mit einer
gut 20 cm hohen Schneeschicht bedeckt. Weit und breit keine
Menschenseele. Also schreie ich los, so laut ich kann:" ICH WILL NACH
KANADA!!" Der Ruf schallt über die Felder, bricht sich am Wald,
verhallt in der Ferne. Balajka zuckt mit keiner Wimper, als ob sie
meinem Gedankengang gefolgt wäre und das schon erwartet hat. Wir reiten
weiter, als wäre nichts geschehen.

Das liegt nun 3 Jahre zurück
und heute sitz ich an meinem Computer in Kanada und ordne meine
Tagebuchnotizen der vergangenen Jahre. Ich kann mich so gut an jene
Szene erinnern, als wäre sie erst gestern geschehen. Es kommt mir so
vor, als hätte eine gute Fee mit dem Finger geschnippt und meinen
Wunsch erfüllt, gerade in diesem Augenblick, als ich wie ein Wolf zum
Mond heulte. All die chaotische und nervenkostende Zeit, die dazwischen
lag, scheint wie weggeblasen und damit der Wind sie nicht vollends
davonträgt, will ich jetzt erzählen, wie sich alles zugetragen hat.

Mit
20 Jahren reise ich für drei Monate in die U.S.A. Im Hinterkopf immer
eine heimliche Sehnsucht und das erhoffte Erfolgserlebnis, irgendwo
meine Heimat zu finden. Denn eigentlich hatte ich mich schon als Kind
in der Schweiz immer eher wie eine Besucherin gefühlt. Ich bin davon
überzeugt, dass es irgendwo in Amerika einen Ort geben muss, wo ich
mich schon von der ersten Sekunde an heimisch fühlen würde.
Mit
meinem Freund und späteren Ehemann durchstreife ich kreuz und quer die
Vereinigten Staaten. Wir legen beinahe fünfzehntausend Meilen zurück,
aber fündig werde ich nicht. Obwohl Jürg, mein Freund, mehrmals
andeutet, dass er irgendwann eines Tages auf der anderen Seite des
"grossen Teiches" sich ein Stück Land kaufen wolle, beginne ich mich,
je länger, je mehr, von meiner Suche nach der fremden Heimat zu
distanzieren.

1990 kommt Nicola, unser erstes Kind, zur Welt.
Wir sind unterdessen vom Mutschellen nach Unterehrendingen gezügelt und
werden stolze Besitzer eines hübschen Bauernhauses mit Stall und einem
Flecken Land. Nach und nach gesellen sich zu meinem ersten Pferd
Balajka noch weitere dazu. Shogun, der Partbredaraber. Jabba, der erste
Sohn Balajkas. Joice, die Zwergeselstute und später schliesslich noch
Mona Lisa, der beinahe Schlachthof-Freiberger, trotz ewig fehlenden
Geldmitteln von uns in einer Verzweiflungsaktion gekauft.

Eigentlich
haben wir alles, was sich Pferdenarren nur wünschen können. Doch mit
der Zeit beginnt wieder das Fernweh, oder soll ich besser schreiben,
das Heimweh an uns zu nagen.

In den darauffolgenden Jahren
reisen wir mehrmals nach Kanada. Vom äussersten Westen bis in den Osten
lernen wir Land und Leute kennen, besichtigen auf eigene Faust oder mit
Immobilienmaklern unzählige Farmen, die zum Verkauf angeboten werden.
Uns schwebt eine kleine Guestranch mit einem Campingplatz vor.
Abenteuerurlaub für gestresste Europäer und Kanadier und mein
langgehegter Wunsch verwirklichen und Pferde züchten.

Das
eigentliche Abenteuer Kanada beginnt aber erst im Herbst 1995. Unser
Reiseziel ist Québec. Es ist das erste Mal, dass wir uns mit einem
Schweizer Immobilienhändler treffen, der sich zugleich auch als
Immigrationshelfer betätigt. Tagelang reisen wir mit ihm durch Québec,
besichtigen Farmen, Landhäuser und Reitbetriebe. Jürg und ich
diskutieren am Abend im Motelzimmer die Farmen durch, die wir gesehen
haben und vergleichen sie mit unseren eigenen Wünschen und
Vorstellungen.
"Den Traum, wie wir ihn in unserem Kopf haben, wirst
du nie finden ", meint Jürg. "Abschreibungen müssen wir machen, alles
kann man nicht haben!" Da hat er wohl recht. Denn was uns vorschwebt,
ist so perfekt, dass es kaum noch in unser Buget passt. Jürg zum
Beispiel will unbedingt direkten Fluss- oder Seeanstoss. Das Ganze
sollte nicht im öden Flachland liegen, sondern etwas hüglig. Zuviele
Hügel sind aber auch nicht erwünscht und schon gar keine Berge! Viel
gutes Weideland für die Pferde und einen schönen, grossen Wald sollen
dazugehören. Wildnis pur, ja unbedingt, aber doch nicht ganz zu wild,
man hat Kinder, die in die Schule müssen und für jedes Brot zwei
Stunden Auto fahren, na ja ... Und dann muss das Anwesen irgendwo an
einer günstigen Strecke liegen, man will schliesslich vom Tourismus
leben.
Dazu sind wir uns einig, dass es sofort und unwiderruflich "Klick" machen muss, wenn wir erstmal unseren Hof gefunden haben.
Erschöpft
lass ich mich auf das Bett im Motelzimmer fallen. Wieder haben wir
einen ganzen Tag fast ausschliesslich im Auto gesessen und hunderte von
Kilometern gemacht. Jürg holt nochmals den Verkaufskatalog hervor und
beginnt darin zu blättern. "Etwas haben wir noch nicht angeschaut,
dabei haben wir uns dieses Objekt schon zuhause rot angemalt", sagt er.
Er zeigt auf die Beschreibung einer Hobbyfarm, die sich
ausserordentlich verführerisch anhört.
Am nächsten Tag fahren wir
von Montreal aus auf dem Highway 20 Richtung Osten. Das Land rund um
Montreal ist ausgesprochen langweilig, zumindest für meinen Geschmack.
Für einen Grossbauern mag das wohl hier das Paradies sein. Alles ist
topfeben. Ein Megafeld grenzt an das nächste. Hier liegt die
Getreidekammer von Québec. Rund um den St.Lorenzstrom ist die Erde
äusserst fruchtbar. Die Felder wechseln zeitweise mit Waldabschnitten
ab.
Auf der Höhe von
Drummondville biegen wir in den Highway 55 in Richtung Süden ein. Je
länger wir fahren, um so interessanter wird die Landschaft. Wir
erreichen die ersten sanften Hügel des auslaufenden
Appalachen-Gebirges. Jürg und ich wechseln bedeutsame Blicke. So haben
wir uns die Landschaft unserer Träume vorgestellt. Als wir endlich nach
einer halben Stunden vom 55 abzweigen und nach einigen Kilometern das
kleine, verschlafene Nest Ulverton erreichen, sind wir schon Feuer und
Flamme. Eine seltsame Vertrautheit beginnt mich zubeschleichen. Ich
frag mich ernsthaft, ob das nun wohl das Gefühl aller Gefühle ist, wenn
man in der Fremde nachhause kommt.
Das
winzige Dorf mit seinen alten, gepflegten Häusern, die noch aus der
Kolonialzeit stammen und die vielen grossen Bäume mit dem bunten
Herbstlaub, erscheinen mir wie aus einem Bilderbuch. Fast etwas
Unwirkliches geht von der Szenerie aus, die an meinem Wagenfenster
vorbeisaust.
Zwei Kilometer nach dem Dorf zweigt Herr Feller, unser Makler, in eine Kieseinfahrt ein und stoppt vor einem Eisentor.
"So,
da sind wir", meint er und steigt aus dem Wagen. "Leider konnte ich den
Besitzer nicht erreichen, er ist zur Zeit verreist. Das Anwesen wird
nicht bewohnt, dient lediglich für Ferienzwecke." Wir sind baff. Ein
Anwesen mit rund 63 Hektaren Land soll bloss so zum Spass
Ferienhäuschen sein ? Nun, als Schweizer haben wir öfters Mühe, uns mit
kanadischen Dimensionen vertraut zu machen. Wir sind wie verzaubert,
als wir den ersten Blick auf die kleine Farm und das umliegende Land
werfen. "Siehst du den Bach und die alten Bäume ?" Wir überschreien uns
gegenseitig mit den gemachten Entdeckungen. "Oh, diese wunderbaren
Wiesen, der Hügel im Wald!"
"Ah, komm schnell, ich seh den Fluss!"
Jürg ist nicht mehr zu halten und rennt quer über die Wiese am
Stallgebäude vorbei Richtung Fluss. Feller muss uns für verrückt
halten. Bis jetzt hat er uns nur als stille, abwägende Kundschaft
erlebt, die meist mehr zu meckern, als zu gutheissen hatte.
"Wir
kaufen, wir kaufen!" Schreit Jürg. Das ist zuviel für Feller. Er bleibt
kopfschüttelnd stehen und meint:"Ihr habt ja noch nicht einmal das Haus
von Innen gesehen.." Das Haus ? Ach ja, das Haus. Aber wer interessiert
sich schon für das Haus. Ein Haus kann man notfalls abreissen,
renovieren, umbauen. Was zählt ist der Ort, der richtige Ort und wir
lieben ihn vom ersten Augenblick an.

Von jetzt an überschlagen sich die Ereignisse.
Zurück
in Montreal füllt Feller mit uns den Visumsantrag aus. Er schreibt uns
auf, welche Unterlagen die kanadischen Behörden von uns sehen wollen.
Wir werden diesbezüglich bis aufs Hemd ausgezogen. Vom
Primarschulzeugnis bis zum Strafregisterauszug wollen die alles haben.
Ebenso muss ein Vorkaufsvertrag für die Liegenschaft abgeschlossen
werden.

In der Schweiz geht dann der Trubel erst richtig los. Es
müssen Dokumente organisiert werden, von denen ich gar nicht gewusst
habe, dass sie existieren. Ich halte die Schweizer Behörden genau so
auf Trab, wie es die kanadischen mit mir tun. Mehrmals muss ich
Unterlagen nachschicken und natürlich soll alles amtlich beglaubigt
sein. Der Papierkrieg ist unglaublich. Zusätzlich stehen wir unter
enormem Zeitdruck. Unsere kanadische Liegenschaft sollen wir laut
Vorvertrag bis spätestens 1.7.96 übernehmen. Nun haben wir November 95.
Es kann bis zu einem Jahr dauern, bis man ein Visum in der Tasche hat.
Der Visa-Kram ist aber nur die eine Sache.Wir müssen unser Haus in der
Schweiz verkaufen, da dies die Grundlage für unsere neue Existenz ist.
Wir sind der Ansicht, dass sich das eigentlich von selbst erledigen
wird. Ein so schönes Haus mit Stall, alles renoviert, zentral gelegen
und doch zu einem erschwinglichen Preis. Zuerst scheint es auch, dass
wir eine Käuferschaft haben, Aber die Hochkonjunktur ist vorbei. Die
Banken sperren mit den Hypotheken. Die Käuferschaft kann das Haus nicht
finanzieren und muss abspringen. Wir inserieren wöchentlich, täglich.
Unzählige Leute wandern durch unsere Räume. Immer wieder sind welche
dabei, die kaufen wollen, aber nicht können. Wir sind langsam am
verzweifeln.

Unterdessen erhalten wir endlich Bescheid aus
Brüssel, wo das amtliche Büro für Einwanderungs-Angelegenheiten der
Provinz Québec seinen Sitz hat. Unsere Unterlagen sind in Ordnung. Nun
will man uns auch noch leibhaftig sehen. Das Ganze nennt sich
"Interview" und ein Einwanderungsbeamte soll uns unter die Lupe nehmen,
ob wir uns auch als zukünftige, kanadische Bürger eignen. Wir haben die
Wahl: Entweder wir fahren nach Brüssel oder wir warten, bis eine
zuständige Person die Schweiz besucht und das Interview mit uns in Bern
abhält. Der Fall ist klar, die Zeit brennt uns unter den Fingernägeln.

Am 8. Januar, morgens um 4.00 Uhr, fahren wir mit dem Auto Richtung Brüssel los.
Am
Nachmittag haben wir das Meeting. Ich bin so nervös, wie lange nicht
mehr. Feller hat uns zwar auf das Gespräch vorbereitet, uns gesagt, was
bestimmt gefragt wird, aber ich komme mir trotzdem wie ein Schüler bei
der Abschlussprüfung vor. Das Schlimmste dabei ist, dass das Gespräch
auf Englisch und Französisch gehalten wird. In Québec nämlich spricht
man französisch, oder besser gesagt, das typische, von einem schweren
Dialekt geprägte, Québecois. Auf diese Eigenart sind die Québecer
besonders stolz und gelten deshalb in Kanada etwas als Sonderlinge.
Nun, englisch geht ja noch, aber französisch! Seit meiner Schulzeit
habe ich mich nicht mehr mit dieser Materie befasst. Ich habe mir
unzählige Fragen und Antworten auf französisch aufgeschrieben, sitz nun
im Vorzimmer bei der Anmeldung und lese die Notizen nochmals durch.
Der
Beamte ist zuerst ausgesprochen unfreundlich, beginnt aber von Minute
zu Minute mehr aufzutauen. Ich habe unterdessen einen Schweissausbruch
nach dem anderen. Krampfhaft versuchen wir dem französischen
Kauderwelsch des Mannes zu folgen, erahnen mehr mit Intuition, als mit
tatsächlichen Sprachkenntnissen, was er gerade gefragt hat.
Zwischendurch schenkt er uns eine kleine Verschnaufpause und plaudert
fröhlich auf englisch weiter.
Wir müssen ihm unsere Beweggründe und
unser ganzes Projekt bis ins kleinste Detail erklären. Er fragt uns
Löcher in den Bauch über unsere jetzige Tätigkeit. Dann schweift er
unvermittelt in die Politik und Wirtschaftszene von Kanada ab. Zum
Glück haben wir gebüffelt und wissen bestens Bescheid. Der Mann ist
beeindruckt und ich bin es auch. Die gleichen Fragen über unser
Schweizerländli hätte ich auf jeden Fall nicht beantworten können. Nach
geschlagenen drei Stunden "Verhör" sind wir nudelfertig. Aber wir haben
Erfolg. Es wird uns versichert, dass wir unter diesen Umständen ein
Visum erhalten. Als Nächstes müssen wir noch zum Arzt. Ein
Generalcheck. Schirmbild, Gehör- und Sehtest, Blutuntersuchungen
inklusiv Aidstest müssen gemacht werden. Wir erhalten in den nächsten
Wochen schriftlich Bescheid zusammen mit einer Liste von Aerzten, bei
denen wir vorstellig werden können.

Total erschöpft, aber
glücklich verlassen wir das Büro. An der Türe fragt uns der (nette)
Mann, wo wir jetzt übernachten würden. Uebernachten ? Das steht nicht
auf unserem Plan und nach ausgiebiger Entlöhnung der kanadischen
Einwanderungsbehörden, auch nicht mehr in unserem Budget. Non-stop home
Switzerland, lautet unsere Antwort.
"Grazy swiss!" Oder so etwas ähnliches murmelt der Beamte und schliesst hinter uns die Tür.

Die
nächsten Tage sind gezeichnet von grosser Freude und tiefster
Unsicherheit. Wir sitzen immer noch auf unserem Haus. Weit und breit
ist keine Käuferschaft in Sicht. Aber der Zug rollt ohne Bremsen. Wir
haben schon soviel investiert an Zeit, Nerven und Geld, dass es kein
Zurück mehr gibt.
Auch unsere Freunde, Bekannte, Verwandte und
Nachbarn halten uns auf Trab. Immer wieder dieselben Fragen: Habt ihr
jetzt euer Visum? Ist das Haus schon verkauft? Wisst ihr definitiv,
wann ihr abreist?
Wir wissen im Moment noch gar nichts, denn eben
erst beginne ich den letzten und, in meinen Augen, härtesten Brocken in
die Wege zu leiten.
Wir haben vier Pferde, einen Zwergesel und drei
Katzen. Da wir uns immer als grosse Familie gefühlt haben, sollen
natürlich auch unsere Tiere mit. Bei den Katzen geht das noch. Keine
Quarantäne,keine besonderen Vorkehrungen. Lediglich ein Impfzeugnis und
ein Attest vom Amtstierarzt brauchen sie.
Aber die Pferde!

Als
ich erstmals alle Formulare und Anweisungen in den Händen halte, krieg
ich einen Schreikrampf. Und als dann noch die Offerte der Firma
eintrudelt, die meine heissgeliebten Tiere transportieren soll, bin ich
nahe einem Herzinfarkt. Die Kosten überschreiten alles, was man als
vernünftig beschreiben könnte. Die meisten Leute finden, dass wir
sowieso spinnen, wo man doch in Kanada so günstig Pferde kaufen kann.
Vermutlich haben sie recht.

Mit sämtlichen tierärztlichen
Untersuchungen müssen wir mindestens zwei Monate vor Abreise beginnen.
Nach der Abnahme des letzten Bluttests werden die Reisedokumente für
die Pferde ausgestellt und sind dann höchstens dreissig Tage gültig. Im
ersten Moment erscheint es mir unmöglich, diese Bedingungen zuerfüllen.
Denn, unser Haus ist immer noch nicht verkauft. Wir halten immer noch
nicht die definitiven Visas in den Händen, ganz im Gegenteil, die
kanadischen Behörden haben uns vergessen. Keine Antwort, keine Liste
mit Aerzten, nichts!

Anfangs März machen wir uns daran, eine
geeignete Firma zu finden, die unseren ganzen Hauskram per Container
transportiert. Unterdessen stapeln sich die Kartonkisten mit Gepacktem
in unserem Wohnzimmer. Manchmal fühl ich mich wie in einem Alptraum.
Und dann frag ich mich, was wir hier zum Teufel eigentlich tun. Wir
verhandeln mit Firmen, feilschen um Preise, füllen tonnenweise
Formulare aus und das alles ohne Geld. Unser Haus findet keinen Käufer.
Wir beginnen langsam rot zu sehen. Obwohl wir bereits zweimal den
Verkaufspreis gesenkt haben und unterdessen an der untersten Limite
angelangt sind. Wir sind am Ende unseres Lateins, können nur noch auf
unser Glück und das Schicksal vertrauen, dass wir einfach nach Kanada
MÜSSE und es schon irgendwie schaffen werden.

Unsere
Auswanderung nimmt konkrete Züge an. Brüssel denkt wieder an uns und so
erhalten wir anfangs April endlich die langersehnten medizinischen
Formulare. Es ist der letzte Test, den wir zubestehen haben. Wir melden
uns unverzüglich bei einer Aerztin in Zürich an.

Unterdessen
geht in unserem Stall der Amtstierarzt ein und aus, wie ein alter
Bekannter. Alle paar Tage werden von den Pferden Blutproben und
Abstriche entnommen. Jeder Test muss x-mal mit negativem Resultat
gemacht werden, bevor sich die Behörden zufrieden geben. Besonders
aufwendig gestalten sich die Untersuchungen für Hengste und Stuten über
zwei Jahre. Schwebte mir nicht der Traum vor, Jabba, mein Hengst,
einmal in Kanada für die Zucht zugebrauchen, würde ich ihn wohl
spätestens jetzt kastrieren lassen. Aber auch Balajka macht mir Sorgen.
Wir liessen sie auf Wunsch meiner Freundin Sandra im vergangenen Sommer
decken. Sandra wollte das Fohlen übernehmen. Kein Mensch hat damals im
Traum daran gedacht, dass wir nach jahrelangem Kanada-gequatsche
tatsächlich so schnell ernst machen. Und nun ist das Fohlen in Balis
Bauch, wächst fröhlich vor sich hin und wird wohl voraussichtlich in
Kanada zur Welt kommen.
Mein schlechtes Gewissen Sandra gegenüber
ist gewaltig. Ihr Traum vom eigenen Fohlen und erst noch von ihrer
Lieblingsstute, die sie jahrelang geritten hat, zerplatzt. Und ich
werde wieder vor einige Probleme mehr gestellt. Balajka wird im 10.
oder 11. Monat trächtig sein, wenn sie die grosse Reise antritt. Ist
das noch zu verantworten ? Was sagen die Behörden dazu, lassen sie
überhaupt eine hochträchtige Stute einreisen ? Was ist, wenn das Fohlen
unterwegs zur Welt kommt? Ich lasse mir eine schlimme Geschichte eines
Bekannten erzählen, der von einem Fall weiss, wo man ein solches,
zwischen den Grenzen, geborenes Fohlen sogleich notgeschlachtet habe.
Mir stehen die Haare zu Berge und ich versuch mir einzureden, dass das
wohl wieder eine dieser Stories ist, die siebzig Mal erzählt werden und
von jedem neuen Erzähler einige neue Nuancen erhalten.

Ende
April erhalten wir telefonisch Bescheid, dass das Visum unterwegs ist.
Unserem finanziellen Problem haben sich unterdessen einige gutbetuchte
"Engeli" angenommen.
Was für ein Glück, wenn man Eltern hat, die
voll hinter einem stehen. Meine Eltern erfreuen mich mit einem
vorbezogenen Erbanteil. Jürgs Vater erklärt sich ohne Umschweife
bereit, uns die nötige Summe für den Kauf der kanadischen Liegenschaft
vorzuschiessen. Endlich können wir richtig loslegen.

Anfangs Mai
beladen wir den Frachtcontainer mit unseren Habseeligkeiten. Möbel,
Teppiche, Kücheneinrichtung, Kleider, Lampen, jede Menge
Kinderspielzeug, Jürgs gut eingerichtete Werkstatt, das ganze
Stallinventar, alles, was nicht nit- und nagelfest ist, wird
eingepackt. Zurück bleiben Luftmatrazen, geborgtes Geschirr, ein
Fernsehapparat und einige Pflanzen.

Die Pferde haben sämtliche
Untersuchungen hinter sich. Ich telefoniere mit der
Tiertransportgesellschaft in Deutschland. Wir organisieren den ersten
Strassentransport von der Schweiz nach Frankfurt, wo die Pferde in eine
Frachtmaschine verladen werden. Ueber unsere Kontaktperson in Kanada
erfahren wir unterdessen, dass die Behörden wegen Balajka Druck machen.
Sie muss unbedingt noch vor Ende Mai über die Grenze, ansonsten können
wir uns enorme Probleme einhandeln. Das heisst, die Probleme haben Jürg
und mein Vater, die die Pferde auf ihrer Reise begleiten und betreuen.
Gemeinsam mit den Kindern werde ich fürs Erste noch in der Schweiz
bleiben. Zuviele Arbeiten fallen jetzt noch an. Versicherungen, die
gekündigt werden müssen, Behördengänge erledigen und nicht zuletzt das
Haus verkaufen.

Fünf Tage vor dem Abflug der Pferde halten wir endlich die Visa-Dokumente in den Händen.
Am
23.Mai 1996 steht morgens in der Früh ein Riesenpferdetransporter vor
der Türe. Der Fahrer versichert mir, dass er auch regelmässig die
Knie-Hengste durch die Gegend chauffiert. Das beruhigt mich enorm. Vor
dem Haus türmen sich Wasserkanister, Heunetze, die Notfallapotheke,
Decken, Reservestricke und Halfter, Wassereimer und vieles mehr. Es ist
der schlimmste Abschied meines Lebens. Seit undenklicher Zeit ist der
erste Gang am Morgen immer der Weg in den Stall und jetzt ziehen meine
grasfressenden Vierbeiner ohne meine allgegenwärtige Fürsorge einfach
vondannen. Irgendwie schaff ich es, nicht zu heulen.

Am nächsten
Morgen der ersehnte Anruf. Allerdings nicht wie erwartet von Jürg,
sondern von Herrn Feller, der den ganzen Tross am Flughafen in Empfang
genommen hat.
"Frau Grieder ? Ja, ja, es leben alle noch. Die Pferde
werden jetzt gerade in den Transporter verladen. Aber der eine will
nicht mehr. Ihr Mann übt schon bald eine Stunde mit ihm .." - Kleine
Pause - Herr Feller scheint das Geschehnis durch ein Fenster
zubeobachten.
"Ohje, er flucht ganz schön, ihr Mann, ich kann ihn
bis hier hin hören, aber machen sie sich keine Sorgen. Allen Pferden
geht es bestens." Ich kann gar nicht beschreiben, wieviele Tonnen Stein
und Schotter mir vom Herzen fallen. Der Querschläger, der nicht
einsteigen will, identifiziere ich auch ohne nähere Beschreibung, als
Shogun. Das wäre absolut typisch für ihn. Am Nachmittag hab ich dann
endlich Jürg an der Strippe. Er ist erschöpft, aber glücklich.
"Shogun hat mich noch am Schluss genervt," klagt er. "Ich hätte ihn erschossen, wenn man mir eine Pistole gegeben hätte!"
"Uebertreib nicht!" sag ich empört.
"Als
ich am Ende meiner Nerven war, hab ich ihn angeschriehen, dass sich
Heidi schämen würde, wenn sie ihn jetzt so sehen könnte. Und kannst du
dir vorstellen, was der Mistkerl macht ?? Er latscht die Rampe hoch,
als hätte er nie etwas anderes vorgehabt." Jürg schnaubt und ich brech
in schallendes Gelächter aus.
Balajka ist nach seiner Schilderung
die Brävste von allen gewesen. Dafür hat sich meine Vater eine
Verletzung zugezogen, die notfallmässig genäht werden musste. Als die
Pferde auf dem Flughafen mitsamt ihren Boxen ausgeladen und auf den
Transportwagen über das ganze Flughafengelände chauffiert werden,
rastet Mona Lisa, unser zahmer Freiberger, aus, steigt und bricht mit
den Vorderhufen über die Rampe. Mein Vater versucht sie zurückzudrängen
und kassiert einen Huftritt an der Stirn. Es sei nicht dramatisch,
lediglich eine Platzwunde, beruhigt mich Jürg. Während des ganzen
Fluges seien aber alle Pferde ruhig gewesen.
Und nun stehen sie in einer Quarantänestation ausserhalb von Montreal.

Die
nächsten Tage sind Jürg und mein Vater damit beschäftigt, im
Schnellgang unseren Stall quarantänegerecht umzubauen und Weidezäune
zuerrichten. Wenn es dann dem Landwirtschafts-Ministerium genehm ist,
können die Pferde nachhause transportiert werden, wo sie die restliche
Quarantäne-Zeit verbringen. Für diese Lösung sind wir ausgesprochen
dankbar. So kann Jürg die Pferde selber pflegen und die bevorstehende
Geburt überwachen.
Eine Woche später werden die Pferde endlich auf unsere Ranch überführt.

Neben
den unzähligen Abstrichen und Bluttests, die nun wiederum gemacht
werden, verlangen die Bestimmungen bei Hengsten eine, für meine
Begriffe, etwas ausgefallene Testreihe. Wir müssen zwei Fremdstuten
aufnehmen, die die gleiche Prozedur durchlaufen müssen, wie unsere
CH-Pferde. Am Schluss der Testreihe werden die Stuten durch Jabba
probegedeckt und anschliessend nochmals einer Testreihe unterzogen.
Erst wenn auch bei diesen Stuten sämtliche Befunde negativ ausgefallen
sind, kann Jabba aus der Quarantäne entlassen werden. Da es sowieso
geplant war, dass noch einige neue Pferde unsere kleine Herde beleben
sollen, macht sich Jürg auf die fieberhafte Suche nach zwei geeigneten
Stuten. Unsere kanadisch-schweizerische Telefonleitung wird in dieser
Zeit stark strapaziert. Zu allen möglichen Zeiten hab ich Jürg an der
Strippe, der mir Beschreibungen von Stuten durchgibt und Stammbäume
vorliest. Schliesslich entscheiden wir uns für ein Quarterhorse mit
einem ellenlangen Stammbaum und eine Tobiano-Paintstute ohne Papiere.
Fantastic Streaky kostet trotz ihrer unzähligen Champions im Stammbaum
nur schlappe 2000 Dollar. Erstaunlicherweise ist die namenlose
Paintstute etwas teurer. Aber auch in Kanada hat halt Mehrfarbigkeit
seinen Preis.

Am 7.Juni bekommt Balajka termingerecht ein Stutfohlen.
Morgens um sechs Uhr reisst mich das Telefon aus dem Schlaf. Ich bin sofort hellwach und mein erster Gedanke gilt Balajka.
"Es
ist da, es ist da! Heidi, was mach ich mit der Nabelschnur!?" schreit
Jürg ohne Begrüssung in den Hörer. Es ist seine erste Fohlengeburt. bis
jetzt hatte immer ich Nachtwache geschoben. Auf meine Frage, ob es ein
Hengstchen oder ein Stütchen sei, ist er ratlos. Da habe er noch gar
nicht nachgeschaut.
Und ich sitz in der Schweiz und frag mich einmal mehr, was ich hier eigentlich noch tue.

Die
folgenden Wochen schleichen vor sich hin. Das erste Mal in meinem Leben
schätze ich meinen Job in der Firma richtig. Das leere Haus hat keinen
Reiz mehr. Meine kleine Burg ist mir kalt und fremd geworden.
Diesbezüglich brauch ich wohl kaum mit Heimweh zurechnen. Es ist die
Substanz, der Inhalt, der einmal dieses Haus durchdrang und an dem mein
Herz hängt.

Ende Juni besucht mein Schwiegervater unser
kanadisches Domizil. Da er ein leidenschaftlicher Fischer ist, geniesst
er unsere 1,6 Kilometer Flussanstoss ausgiebig.
Als ich ihn einige
Tage später am Telefon habe, erklärt er mir, dass das nun wirklich kein
Zustand sei, unsere getrennten Familienverhältnisse. Da kann ich ihm
nur beipflichten. Aber eine Lösung scheint nicht in Sicht. Solange wir
das Haus nicht verkauft haben, muss irgendwer in der Schweiz arbeiten,
damit der Hauszins bezahlt werden kann. Denn in unseren Reserven sind
solche schweizerischen Sonderausgaben nicht miteinberechnet.
Schliesslich schlägt mein Schwiegervater die rettende Lösung vor.
"Vermiete
das Haus, über einen Verkauf reden wir später. Ich brauch das Geld im
Moment nicht", sagt er zu mir. Meine Erleichterung ist riesig. Ich
hatte auch schon einen ähnlichen Gedanken, vorallem weil ich genau
weiss, wer die neuen Mieter werden sollen.
Jaqueline und Fabian,
gute Bekannte, die ebenfalls in Ehrendingen wohnen, haben sich schon
früher sehr für unser Haus interessiert, hatten aber auch, wie viele
andere, nicht das nötige Kleingeld. Als ich Jaqueline am Telefon den
Vorschlag mache, ist sie hellbegeistert. Innerhalb einer Woche haben
wir einen Mietvertrag aufgesetzt und alle Vereinbarungen getroffen.

Genau
zwei Monate nach dem Ablug der Pferde, es ist der 24.Juli 96, steigen
wir ins Flugzeug. Unsere drei Katzen reisen gemeinsam in einer
Hundebox, so dass sie sich auf dem langen, einsamen Flug gegenseitig
trösten können. Der Abflug verspätet sich um über eine Stunde und so
erreichen wir den Airport Mirabel in Montreal erst um 16.00 Uhr. Jürg
steht sich die Beine in den Bauch und kann es kaum erwarten, uns
endlich wieder zusehen. Vorallem Gwendolin, unsere Tochter, die erst
ein halbes Jahr alt ist, hat sich während der zwei Monate stark
verändert.

Bevor es aber soweit ist, müssen Nicola, Gwendi und
ich uns beim Immigrations-Office anmelden. Auf dem Flughafen herrscht
Hochbetrieb und so frag ich mich von Schalter zu Schalter, bis ich
endlich die richtige Türe finde. Eine spanisch sprechende Familie sitzt
bereits im Wartezimmer. Auch sie scheinen das gleiche Ziel zuverfolgen,
wie ich. Wir lächeln uns verschwörerisch zu. Nach einigen Minuten kommt
eine Beamtin in den Raum und verlässt mit der Familie wieder das
Wartezimmer.
Wir sind alleine. Der Lärm des Flughafengeländes dringt
nur gedämpft zu uns herein. Nicola ist müde und quengelig und fragt
mich ständig, wann wir endlich nachhause können. Gwendolin ist nach
einer kurzen Wachphase in ihrem tragbaren Sitz wieder eingeschlafen.
Ich spüre gerade, wie auch mir drohen, die Lider zuzufallen, als die
Türe aufgerissen wird und die gleiche Beamtin mir freundlich zuwinkt.
Sie führt mich in ein Büro. Die Frau will alle Angaben auf den Visas
bestätigt wissen und hackt dabei fleissig auf ihrem Computer herum. Sie
will wissen, wo den mein Mann sei und warum ich nicht mit ihm gemeinsam
einreise. Schliesslich verpasst sie meinen Dokumenten einige Stempel
und überreicht sie mir wieder. Nun werden wir noch ein Büro
weitergeführt. Ich erhalte einen Stoss Unterlagen und
Informationsmaterial. Ein Mann kritzelt mir diverse amtliche Adressen,
deren Hilfe ich eventuell einmal gebrauchen könnte, auf ein Blatt
Papier und gibt mir einen Termin beim zuständigen Büro für
Immigrationshilfe. Dann werden wir entlassen. Der Mann hinter dem
Schalter öffnet uns die Ausgangstüre, schüttelt mir heftig die Hand und
meint mit einem strahlenden Lächeln:"Bienvenue au Canada!" "Merci
beaucoup", stottere ich zurück, packe meine Kinder und das Gepäck und
laufe los. Ein winzig kleines "Juppiii!" rutscht mir über die Lippen.
Nicola blickt mich fragend an und will wissen, ob das eigentlich
englisch oder französisch sei.

Nun gilt es noch, die Katzen
auszulösen. Meine Tiere sind die einzigen, die heute auf dem Flughafen
abgefertigt werden. Ich erkenne die Hundebox schon von weitem und
stürme darauf zu.

Die Drei machen einen ziemlich abgeschlagenen
Eindruck. Racine, Risha und Matu liegen in der Box und atmen schwer und
schnell. Als sie mich erkennen, miauen sie leise los, rühren sich aber
nicht von der Stelle.
Ein Tierarzt ist nicht notwendig. Ich zeige
die Papiere einem Flughafenangestellten, zahle eine Gebühr von knapp
zwanzig Dollar und kann mit der rollenden Hundebox im Schlepptau weiter.

Um
17.30 Uhr können wir losfahren. Der Verkehr durch Montreal und die
angrenzenden Wohngegenden ist um diese Tageszeit äusserst mühsam und so
erreichen wir erst nach geschlagenen zweieinhalb Stunden Ulverton. Ich
sitze wie auf Nadeln, als wir in unsere kleine Kiesstrasse einbiegen,
die ich vor neun Monaten das letzte Mal gesehen habe.
Katzen hin
oder her, Jürg soll ihnen ihr neues Zuhause zeigen. Ich stürz aus dem
Wagen und renn auf die Pferdeweide. Da sind sie alle! Inklusive den
drei neuen Pferden: Babushka, Balajkas Fohlen. Fantastic Streaky und
Painty, unsere beiden neuen Stuten. Die ersten Minuten gehören Balajka.
Sie hebt sofort den Kopf, als sie meine Stimme hört und lässt zur
Begrüssung ein kurzes, leises Wiehern verhören. Allerdings findet sie
es nicht notwendig, mir entgegen zukommen und widmet sich wieder dem
saftigen Gras. Babushka nimmt einige Meter Abstand und beäugt mich
scheu. Jabba ist im Stall, weil wir zur Zeit erst eine Weide haben und
er noch nicht mit anderen Pferden zusammen kommen darf. In der Nacht
ist die Herde im Stall und Jabba darf raus. Er streckt den Kopf zum
Fenster heraus. Jabba, mein stolzer Hengst, hat einiges an Gewicht
verloren durch die Strapazen des Transportes und die, für ihn jetzt,
ungewohnten Haltebdingungen. Er war noch nie in seinem Leben ohne
Pferdegesellschaft, hatte sich stets seinen Freilaufstall mit Shogun
geteilt und wenn Balajka nicht rössig war, durfte er mit ihr auf die
Weide.
So steht er jetzt unter ziemlichem Stress, kann die anderen
Pferde nur aus der Ferne beobachten und versteht nicht, warum man ihn
nicht zu ihnen lässt.
Auch Balajka ist mager. Zu den Reisestrapazen kam die Geburt und nun gibt sie Milch wie eine Hochleistungskuh!
Streaky und Painty beschnuppern mich neugierig. Sie haben sich schon
gut eingelebt und die ersten Freundschaften mit den schweizerischen
Vierbeinern geschlossen.
Ich setz mich ins Gras, beobachte die
kleine Herde und geniesse den warmen Sommerabend. Mein Blick wandert in
die Ferne. Der bewaldete Hügel, der Fluss, die weiten Wiesen, alles ist
mir so vertraut. Jürg erscheint auf der Terasse, blickt zu mir hinunter
und ruft mir mit einem schelmischen Grinsen zu:"Supper is ready!" Was
der kann, kann ich schon lange und da sich unsere Zukunft von nun an
dreisprachig gestalten wird, ruf ich zurück:"J`arrive!"

Wie
schön hatten es doch die Leute, die vor hundert Jahren ausgewandert
sind. Früher erreichte man mit Sack und Pack einen fremden Hafen,
kaufte sich Wagen, Pferde und Vorräte und machte sich auf die Suche
nach einem lebenswerten Stück Land. Vielleicht hatte man unterwegs Pech
und wurde von Banditen, Wegelagerern oder zornigen Indianern
überfallen. Oder man überlebte den Winter nicht, weil die erste Ernte
auf dem eigenen Land zuwenig Ertrag brachte. Aber auf irgendeine
einfache Weise war doch alles unkompliziert und überschaubar. Kurz
gesagt, es gab noch keine wirklich funktionierende Bürokratie, die
einem dazu zwang, unzählige Formulare auszufüllen, Registrationen
vorzunehmen und sogar Prüfungen abzulegen.

Bei uns sieht das
ganz anders aus. Mit dem Erhalt des Visums denkt man, dass man es nun
hinter sich hat. Leider ist das eine völlig falsche Annahme!
Allerlei kreditkartengrosse Ausweise gehören zur Ausstattung eines Kanadiers.
So
rennen wir wiedermal von Amt zu Amt. Unser Schweizer Führerausweis wird
in Québec auch nicht einfach anerkannt. Wir müssen nochmals die
schriftliche und praktische Fahrprüfung ablegen.
Bei der ersten,
theoretischen Prüfung fallen wir durch. Zuviele, uns ausserordentlich
seltsam erscheinende Fangfragen, hat das kanadische Strassenverkehrsamt
für uns bereit. Der Prüfungsnachbarin, die einen Computer weiter neben
mir sitzt, scheint es auch nicht anders zu ergehen. Und als sie laut
"Scheisse" sagt, schliesse ich darauf, dass es sich um eine deutsche
Emigrantin handelt.
Beim zweitenmal klappt es dann doch noch und die
praktische Prüfung bestehen wir mit Bravour, schliesslich ist man nicht
umsonst dreizehn Jahre lang in der verkehrsreichen Schweiz herumgekurvt.

Nebenbei reichen wir ein Gesuch ein, um den Landteil, den wir später
zum Campingplatz umfunktionieren wollen, von der Landwirtschaftszone in
die Bauzone umschreiben zu lassen.

Die Quarantäne unserer
Pferde fordert aber in den ersten Wochen unsere volle Aufmerksamkeit.
Nach meiner Ankunft in Kanada starten wir mit der zuständigen
Tierärztin die ersten Untersuchungen.

Ich habe nun Routine in
diesen Dingen. So wiederholen wir doch alles, was wir bereits in der
Schweiz gemacht haben. Bei Shogun und Mona Lisa ist die Sache einfach.
Zweimaliges Blutentnehmen und auf diverse Kranheitserreger und Viren
untersuchen lassen. Bei Balajka, Joice, der Eselstute und Jabba
inklusive seiner Teststuten wird es komplizierter. Wieder müssen
unzählige Abstriche auf den gefürchteten CEM-Virus entnommen werden.
Die Genitalien müssen während drei Wochen alle fünf Tage gewaschen und
mit antiseptischer Salbe eingecremt werden. Die Tierärztin, die
eigentlich bei den Waschungen auch zugegen sein müsste, verzichtet
freundlich darauf, und sagt, ich wisse ja, wie das gehe.
Und ob ich
weiss, wie es geht und ich denke nicht im Traum daran, das Ganze
nochmals meinen Pferden anzutun. Allzuviel ist ungesund und dass eines
meiner Tiere einen genitalen Infekt hat, ist nach all den
Untersuchungen schlichtweg unmöglich. Nach den drei Wochen "Waschungen"
lässt sich die Veterinärin wieder blicken und es werden neue Abstriche
im Abstand von zwei Wochen gemacht. Balajka und Joice sind nach dieser
Prozedur entlassen. Bei Jabba haben wir noch nicht einmal die Hälfte
hinter uns. Bei Painty und Streaky, unseren kanadischen Teststuten,
werden nun mit einer Hormonspritze die Rossigkeit ausgelöst. Zwei Tage
später rossen beide Stuten kräftig. Sie sollen nun unter Aufsicht der
Tierärztin durch Jabba gedeckt werden. Die Tierärztin ist baff, als wir
ihr eröffnen, dass wir eine freie Bedeckung auf der Weide wünschen. Die
Inspektorin der landwirtschaftlichen Behörde ist auch zugegen und macht
erst ein griesgrämiges Gesicht, als sie unseren Wunsch hört. Aber
schliesslich lässt sie sich überreden, auch wenn sie bemerkt, dass das
nun aber auch wirklich absolut unüblich sei.
Mein Herz klopft bis zum Hals, als wir Jabba zuerst nur alleine mit Streaky auf die Weide lassen.
Jabba
hat noch nie in seinem Leben gedeckt und ist völlig überfordert. Er
rennt neben Streaky her, versucht sie in den Hals und in die
Hinterbeine zu kneiffen. Auch für Streaky ist es das erste Mal. Sie
schmust mit Jabba, aber immer, wenn er aufspringen will, rennt sie ihm
davon. Wir lassen die beiden gute zwanzig Minuten auf der Weide, ohne
dass es zum entsprechenden Ereignis kommt. Die Inspektorin beginnt
nervös auf ihre Uhr zu blicken und die Tierärztin schaut uns fragend,
griensend an. Wenn es nach uns gehen würde, liesse man die beiden
einfach zusammen. Irgendwann funktioniert es automatisch. Aber das
Gouverment hat natürlich nicht soviel Geduld. Also holen wir Jabba und
Streaky ans Halfter. Streaky lässt sich leicht beruhigen und bleibt nun
brav stehen. Jabba hat unterdessen schon soviel Energie verpufft, dass
er ruhig und gelassen aufspringt
Bei Painty ist sowieso unsere Hilfe
erforderlich. Da sie ein gutes Stück grösser ist, als Jabba, kann er
sie nur an einem abfallenden Wiesenhang decken. Wir führen beide an die
entsprechende Stelle und plazieren sie richtig. Alles klappt bestens.
Die
nächsten drei Wochen haben die Pferde Ferien. Kein Tierarzt, keine
Abstriche. Eine weitere Rossigkeit stellt sich bei den Stuten nicht
mehr ein. Leider können wir es nicht dabei belassen. Die Tierärztin
löst wieder mit einer Hormonspritze eine Rossigkeit aus, was zu einem
Miniabort der Frucht führt. Es folgen wieder Abstriche.
"Dank" dem
langen, heissen Sommer verdirbt eine Serie von Abstrichen auf dem Weg
ins Labor und wirft uns um zwei Wochen in unseren Bemühungen zurück.
Meine beiden Stuten haben die lästige Prozedur langsam satt und werden
je länger, je ungehaltener, wenn der Tierarzt auf Besuch kommt. Nach
drei weiteren Wochen ist es geschafft. Sämtliche Ergebnisse sind
negativ.
Das Quarantäne-Schild, das seit bald drei Monaten unseren
Stalleingang ziert, wird zur Erinnerung fotographiert und dann in die
ewigen Jagdgründe befördert.
Mitte September werden Streaky und
Painty auf natürliche Weise wieder rossig und Jabba darf sich endlich
in freier Natur und ohne lästige Beobachter um seine beiden Damen
kümmern.

Wir arbeiten viel in den Monaten bevor der erste Winter kommt.
So
beginnen wir die Wiese und den Waldrand zu kultivieren, auf der wir im
Sommer 97 unseren Campingplatz eröffnen wollen. Es werden Kiesstrassen
erstellt und wir pflanzen hunderte von Bäumen und Sträuchern, um die
einzelnen Platzparzellen voneinander zu trennen.
Im ehemaligen
Milchhäuschen der Farm baut Jürg Duschen und Toiletten für die
Campinggäste ein, ebenso wird ein Teil der Plätze mit Wasser- und
Stromanschluss versehen.
Auch in unserem Wald gibt es viel zu tun. Wir säubern die verwilderten Trailwege, damit man sie auch per Pferd begehen kann.

Die
kanadische Wildnis lockt mich oft, doch fehlt mir ganz einfach die Zeit
für ausgedehnte Ausritte. Als seltenes Vergnügen lass ich mir von
unserem Nachbarn, der ebenfalls Pferde besitzt, die Umgebung zeigen. In
der Schweiz noch ritten wir ausschliesslich auf ordentlichen
Kiesstrassen. Auf Fussgänger und Hundebesitzer stiess man alle paar
Minuten. Wie sehr ist doch hier alles anders. Die schmalen Pfade führen
direkt durch die Wildnis. Auf Spaziergänger oder gar andere Reiter
treff ich nie. Manchmal muss man Bäche oder schmale Flüsse durchqueren.
Tiefe Sumpfstellen oder kleinere Abrütsche gehören zu einem normalen
Ausritt dazu.
Meine Pferde werden auf eine ganz neue Art
gefordert. Aber die altvertraute Routine stellt sich schnell wieder ein
und selbst die vielen neuen Tiergattung, die unseren Weg kreuzen,
erregen nach einiger Zeit keine besondere Aufmerksamkeit mehr.

Auf
eine kleine Hirschart trifft man besonders oft. Daneben gibt es jede
Menge Stachelschweine, Rebhühner, die mit viel Geschnatter aus dem
Dickicht flattern, wenn man sie erschreckt, Stinktiere, Waschbären und
grosse Landschildkröten. Vor Bären und Wölfen brauchen wir uns nicht zu
fürchten, die leben mehr in den nördlichen Teilen Kanadas. Dafür hört
man, besonders in kalten Winternächten, die Coyoten heulen. Auch Elche
verirren sich ab und zu während des Winters in unsere Region. Wenn der
Fluss zugefroren ist, überqueren sie ihn und hinterlassen ihre Spuren
in unserem Wald.
Die Vogelwelt ist vielfältig vertreten. Raubvögel
wie Adler, Eulen, Bussarde und Falken beobachten wir. Am Fluss leben
Enten, Fischreiher und Biber.
Am faszinierendsten sind die
winzigen Kolibris, die sich im Sommer an unseren Geranien auf der
Terrasse laben. Und am Süssesten sind die kleinen Streifenhörnchen, die
sich frech unseren Stall als ihr neues Zuhause ausgewählt haben. Am
meisten Sorgen bereiten uns immer noch die Präriehunde, die ihre Bauten
auf unseren Wiesen und Weiden errichten. Ihre tiefen Höhlen haben einen
Ein- und einen Ausgang, meist einige Meter voneinander entfernt. Die
Löcher sind manchmal bis zu dreissig Zentimeter tief, bevor sie
wagrecht weiterführen. Unsere Angst, dass sich eines der Pferde eine
schwere Verletzung zuzieht, weil es in ein solches Loch tritt, ist
berechtigt. Die meisten Farmer in unserer Region bekämpfen diese sonst
friedlichen und ulkigen Tiere mit Gewehren oder sogar mit Gift. Das
bringen wir nicht übers Herz. Also haben wir damit begonnen, die Löcher
mit grossen Steinen zu umringen. Für die Pferde ist das ein gut
sichtbares Zeichen. Pferde umgehen von Natur aus auch kleinste
Hindernisse. So scheint einer Co-Existenz der beiden ungleichen
Tiergattungen nichts mehr im Wege zu stehen.

Im November 96 fällt der erste Schnee.
Die Sommer in Kanada sind, vorallem in den mittleren und östlichen
Teilen, wo Kontinentalklima herrscht, meist lang und heiss. Bis Ende
September oder sogar Mitte Oktober haben wir heisses Sommerwetter. Dann
folgt ein kurzer, farbenprächtiger Herbst.
Der erste Schnee hält
sich nicht immer. In diesem Jahr wird es Ende November nochmals warm.
Erst kurz vor Weihnachten beginnen heftige Blizzards ums Haus zu heulen
und bringen in wenigen Tagen meterhohe Schneewälle.
So schön wie
der Sommer ist, so intensiv ist der Winter. Temperaturen um die -30
Grad Celsius sind keine Seltenheit. Bis Mitte März steigt das
Termometer nie mehr über -10 Grad. Dafür ist die Luft trocken und klar.
Wir, als nebelverwöhnte Flachlandschweizer, geniessen diesen ersten
Winter in vollen Zügen. Nach einem heftigen Schneesturm scheint oft
wieder tagelang die Sonne.

Meine Befürchtungen, dass es den
Pferden in ihren Freilaufställen eventuell doch zu kalt sein könnte,
kann ich schnell wieder begraben.
Am Morgen, wenn ich in die
klirrende Kälte hinaustrete, praktiziert die kleine Herde bereits
fleissig Aufwärmtraining. Selbst die älteren Tieren jagen
hintereinander her, machen Bocksprünge und keilen spielerisch
gegeneinander aus. Wenn ich dann die ersten Ballen Heu in den Schnee
hinauswerfe, geht das Gerangel richtig los. Erst wenn jeder seinen
Fressplatz gefunden hat, kehrt wieder Ruhe ein. Bis zum Mittag sind sie
dann mit Fressen beschäftigt. Dann folgt meist ein kleiner
Mittagsschlaf, man legt sich in den Schnee an die Sonne oder döst
stehend vor sich hin. Am Nachmittag zieht die Gruppe Richtung Waldrand,
um an den Bäumen und Sträuchern zu knabbern. Da es um vier Uhr bereits
wieder zu dämmern beginnt, muss ich mich mit den Ställen beeilen. Bis
in den Abend sind die Pferde wieder mit Heu und Stroh fressen
beschäftigt, dann erhalten sie noch ihr Kraftfutter und ihre
Mineralstoffration.
Die Pferde haben einen gut doppelt so dicken
Pelz, wie noch in der Schweiz. Sie gewöhnen sich schnell an ihr
"wildes" Leben und so beobachte ich oft, wie sie selbst bei schlimmstem
Wetter stundenlang draussen im Schneegestöber stehen, ohne den
schützenden Stall aufzusuchen. Trotzdem hab ich kein einziges, krankes
Pferd. Selbst die Vollblutaraber, denen man nachsagt, dass sie zuviel
Nässe im Pelz nicht gut vertragen, erfreuen sich bester Gesundheit.
Die
stiebenden Ausritte durch den pulvrigen Schnee werden gegen Ende des
Winters immer seltener. Der Schnee wird nun harzig und schwer, so dass
man selbst zu Fuss kaum noch durchkommt, ausser, man trägt Schneeschuhe.
Mitte März setzt endlich Tauwetter ein. Die Temperaturen sausen in die
Höhe, genauso wie der Fluss. Er bringt nun Schmelzwasser aus dem
Apallachengebirge. In Extremfällen kommt er im Frühling so hoch, dass
er sich in unserem Bach zurückstaut und den ganzen Camingplatz
überflutet. Auch unsere Zufahrtsstrasse bleibt dann vom Hochwasser
nicht verschont und wir erreichen nur noch per Kanu die Hauptstrasse.
Aber so schnell, wie er gestiegen ist, sinkt er auch wieder und
hinterlässt auf den Wiesen und Feldern eine dicke Schlammschicht, die
sich als ausserordentlich wirksamen Dünger erweist. Auf diesen Wiesen
und auf dem Campingplatz wächst dann das saftigste und schönste Gras.
Nach drei bis vier Wochen ist auch der letzte Schneerest weggeschmolzen.
Mitte
April beginnt zaghaft das erste Grün zu spriessen und die Bäume
schlagen aus. Nach einem solchen harten, langen Winter kann man es kaum
erwarten, bis endlich der Sommer beginnt. Aber das kanadische
Kontinentalklima enttäuscht einem nicht. Der Frühling ist so kurz wie
der Herbst und geht schnell in einen heissen Sommer über.So steigen im
Mai die Temperaturen bereits auf 30 Grad.

Während des ersten
Winters bauen wir im Innern unseres Wohnhauses zwei neue Räume und ein
Badezimmer ein. Das Haus in seiner Grundform diente dem ehemaligen
Besitzer als Feriensitz und ist für eine vierköpfige Familie eindeutig
zu klein. So entstehen im do-it-your-self-Verfahren ein grosszügiger
Doppelraum, der als Büro und Kinderzimmer dient. Der zweite Raum
richten wir für unsere Gäste ein.
Wir sind kaum mit unseren Arbeiten
fertig, als der Frühling Einzug hält. Es erwartet mich eine neue
Aufgabe. Es wird Zeit, dass ich mich wieder der Aus-und Weiterbildung
meiner Pferde widme. So gut und artig sie auch erzogen sind, so muss
ich doch zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wie sie sich mit meinen
zukünftigen Reitschülern und Feriengästen verhalten werden.
Ich liebe es, mit den Pferden im Round-Pen zu arbeiten.
Pat
Parelli, Linda Tellington-Jones, Ursula Bruns und Fredy Knie sind meine
Leitbilder. Das heisst aber nicht, dass ich mich streng an die eine
oder andere Ausbildungsmethode halte. Je nach Alter, Charakter und
jeweiligem Können des Pferdes verwende ich Elemente der verschiedenen
Lehren. Was für das eine Pferd gut ist, funktioniert noch lange nicht
bei einem anderen. Individualismus ist gefragt, davon bin ich überzeugt.
Im Frühling und anfangs Sommer erhalten wir mehrfachen Besuch von
unserer Schweizer-Verwandtschaft. Bevor ich meine Pferde auf zahlende
Kundschaft loslasse, müssen meine Cousine und mein Vater als
Versuchskaninchen herhalten. Cornelia hat keinerlei Erfahrungen mit
Pferden. Also beginnen wir von Anfang an. Ich rede mir den Mund fuslig,
während ich ihr die Grundelemente des Reitens vermittle und sie über
das soziale und psychologische Verhalten des Pferdes aufkläre. Im
Hinterkopf überlege ich mir ernsthaft, wie ich das alles auf englisch
oder gar auf französisch übersetzen soll! Mir wird klar, dass ich
nochmals über die Bücher muss. Soviele technische und fachliche
Ausdrücke verwende ich im Deutschen, ohne darüber nachzudenken, die ich
in einer Fremdsprache noch nie benutzt habe.
Streaky und Kao, ein
freundlicher sechzehnjähriger Wallach, den wir noch im Winter
dazugekauft haben, erweisen sich als wahre Longenprofis. Sie lassen
sich auch durch einen ungeschickten Anfänger nicht aus der Fassung
bringen und sind selten irritiert, wenn falsche Hilfen gegeben werden.
Das Round Pen-Training hat sich gelohnt. Die Pferde orientieren sich in
erster Linie an mir, die in der Mitte steht und nicht am Reiter, der an
der Longe noch nach dem richtigen Sitz sucht.
Auch die ersten
Ausritte im Gelände gestalten sich einfach. Die Pferde haben schnell
kapiert, dass sie in einer Kolonne hintereinander herlaufen müssen. Die
engen Trailwege lassen ein unkontrolliertes Ueberholen kaum zu. Aber
auch über die Wiesen und Felder bleiben sie cool. So hält sich mein
Herzklopfen in Grenzen, als ich im Juli meine erste zahlende Gruppe
durch die Landschaft führe.

Im Laufe des Sommers stellen sich
auch die ersten Reitschüler ein. Und sogar ein "verittenes" Pony
bekomme ich zur Korrektur. Obwohl man wohl im Nachhinein bemerken muss,
dass wohl eher die Ponybesitzer eine Korrektur verdient hätten, als das
Pony selbst!

Anfangs Juli eröffnen wir endlich unseren Camping.
Die abschliessenden Arbeiten am Dusch-und WC-Haus haben sich in die
Länge gezogen. Nun endlich können wir auch mit der Werbung loslegen.
Wir werden zu Mitgliedern in den diversen Camping-Clubs und
Touristikbüros. Dafür können wir unsere Prospekte hinterlegen und
werden für den Sommer 98 auf den Strassenkarten und vorallem im
Camping-Guide Québec aufgeführt
Die campende Kundschaft hält sich
noch in Grenzen und zugegebenermassen sind wir etwas enttäuscht. Dafür
läuft der Reitbetrieb unerwarteterweise ganz gut an. Er war eigentlich
nur als Nebenerwerb gedacht.

Im August 97 erwarten wir unseren
ersten Pferdenachwuchs. Streaky bringt ein hübsches, braunes
Hengstfohlen zur Welt und Painty überrascht uns mit einem gefleckten
Stutfohlen. Ueber diese Farbvererbung freuen wir uns ganz besonders.
Beide Fohlen haben die Eleganz des Vollblutarabers, aber mit dem
deutlich kräftigen Fundament des Quarters.

So vergeht unsere
erste Saison wie im Flug. Und wir können es kaum fassen, dass wir nun
schon seit über einem Jahr in Kanada leben und dabei kaum einen
Gedanken an die Schweiz verschwendet haben. Ab und zu vermissen wir
unsere Freunde und Verwandte, aber das Leben in der Schweiz hat
definitiv keinen Reiz mehr für uns.
Das freundliche und hilfsbereite
Wesen der Kanadier hat uns sehr beeindruckt. Unsere Nachbarn sind zu
allen Tages- und Nachtzeiten bereit, uns zu helfen. Eine angebotene
Bezahlung wird dabei empört abgeleht.
Es ist der alte
Auswanderungs-Geist, der hier noch in den Herzen der Menschen lebt.
Wenn man überleben will, ist man aufeinander angewiesen. Helfen und
sich helfen lassen gehört zum Alltag dazu.

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Heidi Ulrich).
Der Beitrag wurde von Heidi Ulrich auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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