Karsten A. Kusterer

Ein guter Morgen

 
»Frau Bozgun? Frau Bezgin Bozgun?«, fragt der Vollstreckungs-Staatsanwalt an der geöffneten Wohnungstür im zweiten Stock des Mietshauses.
»Ja? Ja, bitte?«
»Guten Morgen, Frau Bozgun! Ich bin Vollstreckungs-Staatsanwalt des Obersten Landgerichts zur Wahrung der Rechtssicherheit. Frau Bozgun, wir wissen, dass Ihr Sohn maßgeblich als Rädelsführer des ethnischen Aufstandes vom Januar 2057 fungiert. Des weiteren haben wir ausreichend Beweise für seine Teilnahme an der Planung und der Ausführung von fünf terroristischen Anschlägen innerhalb der Republik Deutscher Nationen sowie innerhalb des frankophilen Blocks im Laufe desselben Jahres.«
Die Frau ist blaß geworden. Sie schluckt und kann nur mühsam antworten.
»Nein, das kann nicht sein. Das kann ich nicht glauben.«
»Frau Bozgun, wir haben mehr als ausreichend Beweise für die kriminellen und menschenverachtenden Taten Ihres Sohnes, und der zuständige Richter des Obersten Landgerichts zur Wahrung der Rechtssicherheit hat diesen Vollstreckungsbescheid gegen Ihren Sohn bereits abgezeichnet.« Energisch wedelt der Staatsanwalt mit dem LCD-Papier des Vollstreckungsbescheids.
»Nein, bitte nicht. Lassen Sie bitte meinen Sohn in Ruhe. Er hat niemanden etwas getan!«
Die Frau fängt an zu weinen, doch der Vollsteckungs-Staatsanwalt läßt sich dadurch nicht von der Ausübung seiner Pflicht abbringen. Er gibt den beiden, ihn begleitenden Vollstreckungsbeamten ein Zeichen, und diese nähern sich der Wohnungstür. Die schluchzende Frau versucht, die Tür vor den Beamten zu schließen, doch diese sind schneller. Sie ergreifen die Frau und halten sie beidseitig an den Armen fest. Die Frau wehrt sich weiter, hat aber gegen die routinierten Beamten keine Chance.
»Nein, bitte! Lassen Sie mich!«, ruft sie, doch die Beamten halten sie weiter fest.
»Frau Bozgun, die Taten Ihres Sohnes sprechen für sich. Viele Menschen sind tot und die Sicherheit des Rechtsstaates ist erheblich beeinträchtigt!«, erklärt der Staatsanwalt mit einem schnarrenden Ton in der Stimme.
Er fährt fort: »Es ist weiterhin meine Pflicht, Ihnen den Vollstreckungsbescheid vorzulesen: Vollstreckungsbescheid des Obersten Landgerichts zur Wahrung der Rechtssicherheit auf Antrag der Simulationsbehörde für terroristische Aktivitäten des Staatsministeriums für Rechtssicherheit in der Republik Deutscher Nationen. Wegen schwerwiegender terroristischer Aktivitäten, Aufruf zum rechtlichen Ungehorsam gegenüber den Staatsorganen der Republik Deutscher Nationen sowie wegen mehrfachen Mordes an Bürgern der Republik im Laufe des Jahres 2057 wird hiermit die Zwangsvollstreckung des folgenden Urteils verfügt. Auf Basis der eindeutig ausreichenden Beweislage, festgestellt durch die Simulationsberechnungen der Simulationsbehörde für terroristische Aktivitäten, welche eine Schuldentstehungs-Wahrscheinlichkeit von 98,6 % ergeben haben, die damit auch unter Berücksichtigung einer Fehlertoleranz von einem Prozentpunkt noch über der gesetzlich geforderten Grenzwahrscheinlichkeit von 97 % liegt, wird der Angeklagte hiermit dazu verurteilt, zwangsabgetrieben zu werden. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken. Oberstes Landgericht zur Wahrung der Rechtssicherheit. München, den 21. September 2021. Unterschrift (unleserlich) des zuständigen Richters.«
Er gibt den beiden Vollstreckungsbeamten ein weiteres Zeichen, und diese führen die schwangere Frau ab. Der Staatsanwalt schaut auf seine Uhr.
»Hmm! Schon 10.30 Uhr und noch vier weitere Zustellungen bis zur Mittagspause. Na, dann mal los.« Und er begibt sich in den dritten Stock.

(Anmerkung: Aus meiner Geschichtensammlung "Sehnsucht der Hirngespinste")

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