Gaby Schumacher

Bärentraum (1.Teil)



Es war einmal ein kleines Mädchen mit dem schönen Namen Sofie. Vier Jahre war es jung. Aber anstatt wie die meisten Kinder in diesem Alter übermütig und fröhlich durch den Tag zu hopsen, lief Sofie meistens traurig und unglücklich herum. Sie bedrückte ein großer Kummer, über den sie mit keinem anderen Menschen reden konnte. Ganz schwer war ihr kleines Herz deswegen, zumal sie auch keinen Ausweg wusste.

Sofies Mutter war sehr böse zu ihrer Tochter, schimpfte oft ohne Grund heftig mit ihr und lachte sie sogar aus, wenn Sofie manchmal ein wenig ängstlich war, anstatt das kleine Mädchen liebevoll zu unterstützen. Nur selten dagegen fühlte sich Sofie in der Nähe der Mutter sicher und geborgen, zu selten. Ihr Vater war beruflich viel unterwegs und hatte deshalb kaum Zeit für die kleine Tochter. Zuhause wollte er seine Ruhe haben und sagte deshalb nur sehr selten etwas gegen die Launen seiner Frau.

Sofie hatte noch einen 13-jährigen Bruder. Er ging ganz anderen Interessen nach als seine kleine Schwester, die eine hingebungsvolle Puppenmutter sowie Freundin für den Bären Benjamin war. Das war mit viel Arbeit verbunden, denn sowohl Puppenkinder als auch Stofftiere möchten umsorgt und verwöhnt werden. Dafür konnte ihr Bruder sich natürlich nicht begeistern, sondern hing meist mit seinen Freunden herum.

Ausschließlich, wenn die Kameraden keine Zeit hatten, spielte er mit Sofie. Fürs Tischfußball und zum gemeinsamen Blödsinnmachen war sie ihm gerade recht. Ja, was das Letztere anging, verstanden sich die Geschwister prima, oft zum Ärger ihrer Eltern, die sie mit ihren Streichen regelmäßig auf die Palme brachten. Aber davon abgesehen kümmerte sich der ältere Bruder sich nicht allzu viel um die Kleine und sie lebten beide jeder für sich. So verschloss sich Sofie immer mehr vor allen, sogar vor ihren Freundinnen. Selbst denen wagte sie nicht über ihren Kummer zu erzählen.

Wieder einmal war ein Tag vorüber, an dem die Mutter besonders herzlos mit ihr umgesprungen war. Sofie konnte sich dagegen ja überhaupt nicht wehren, denn sie war ja nur ein kleines Kind, völlig abhängig und dem Geschehen schutzlos ausgeliefert. Niemand schien es zu bemerken, wie unglücklich Sofie war, am aller wenigsten ihre Mutter.

Abends lag Klein-Sofie deshalb weinend im Bett, das Tränen nasse Gesicht ins Kopfkissen gedrückt, im Arm ihren treuen Teddy Benjamin. Ihm vertraute sie alles an, was sie bewegte. Leider war es nur recht wenig Fröhliches. Meistens drehte es sich um Sofies großen Kummer, dass ihre Mutter sie so gar nicht verstand, denn das wütete stets und unverdrängbar in ihr. Wenigstens Benjamin verstand sie, unterbrach ihren Redeschwall nicht, sondern hörte einfach nur zu, schmiegte sich an sie und schmuste mit ihr, um seine kleine Freundin zu trösten. Benjamins Zottelpelz fing geduldig all ihre Tränen auf.
„Mich hat niemand richtig lieb!“, schluchzte sie. „Mutter wäre vielleicht sogar froh, wenn ich gar nicht da wäre!“
Bei diesem Gedanken weinte sie immer heftiger. Nicht nur die Tränen kullerten, sondern sie zitterte am ganzen Körper vor Verzweiflung.
„Doch Benjamin, du magst mich. Du bist mein einziger Freund“, verbesserte sie sich hastig. 
Teddy Benjamin schwieg zu all dem. Sein Kopf aber lag fest an Sofies Wange.

Nach ein paar Minuten jedoch flossen keine Tränen mehr. Stille Hilflosigkeit hielt Sofie gefangen. Erschöpft drehte sich das kleine Mädchen noch fester in seine Decke, schloss die Augen und fiel endlich in einen barmherzigen Schlaf.


Sofie, ich hab dich ganz doll lieb. Mir musst du immer alles sagen!", redete da jemand sie von der Seite her zärtlich brummend an.

Sofie schrak aus dem Tiefschlaf hoch, fuhr sich mit der Hand schläfrig durchs Gesicht, gähnte kurz und blinzelte angestrengt ins Dunkle. Unheimlich wurde es ihr. Hatte da gerade jemand mit ihr gesprochen?
"Keine Bange!", brummelte Benjamin ihr ins Ohr.
Ungläubig starrte das kleine Mädchen seinen Teddy an.
„Du bist doch nur ein Stofftier. Wieso kannst du denn plötzlich was sagen... ?“

"Glaubst du an den lieben Gott?"
Tapfer schluckte sofie ihr erstes Erschrecken hinunter und nickte eifrig.
"Der liebe Gott will, dass du nicht länger traurig bist, sondern wieder mehr lachst. - Übrigens, ich möchte das auch und werde alles tun, um dir zu helfen!", beendete der Teddy seine doch recht lange Rede.
"Aber, wie soll ich denn...?", stotterte das kleine Mädchen geknickt. "Außer dir ist doch niemand richtig für mich da. Mama ist so böse und Papa hat kaum Zeit für mich!“
Schon wieder wurden die Kinderaugen feucht.
"Nicht weinen. Du wirst sehen...!", lächelte Benjamin geheimnisvoll.
Das Mädchen drückte Benjamin ganz fest an sich. Seine lieben Worte hatten es ruhiger werden lassen.

Ein wenig später:
"Sofie, gib mir deine Hand und halt meine Pfote ganz fest. Du darfst sie nur nicht los lassen, verstanden?"
Ohne weiter zu fragen, tat Sofie, wozu der Bär sie aufgefordert hatte. Sofort fühlte sie sich noch ein bisschen mehr getröstet und gleich nicht so allein.
"So, und jetzt schließe die Augen!"
Obwohl sie ja doch sehr aufgeregt war, folgte Sofie auch da. Denn Benjamin war ihr Freund und sie vertraute ihm voll und ganz.

Da, was war denn das?
Aus der Ferne vernahm sie ein lustiges Kinderlied. Jene Melodie kannte sie doch, die hatte sie ja im Kindergarten gelernt. Ihre Traurigkeit verflog. Wo vor kurzem noch Tränen kullerten, zeigte sich nun ein zaghaftes Lächeln. Denn Lächeln konnte sie auch mit geschlossenen Augen.
"So gefällt mir das schon viel besser!", meinte Benjamin zufrieden.

Im nächsten Moment fühlte sich Sofie plötzlich so leicht wie eine Feder. Neugierig klappte sie die Augen wieder auf und riskierte einen noch etwas scheuen Blick.
"Wir fliegen ja!", staunte sie.

Verwundert guckte sie umher. Da war nicht mehr ihr Kinderzimmer mit all den Spielsachen, nicht mehr das Haus ihrer Eltern noch der Garten mit der Schaukel, auf der sie so gerne wippte, sondern nur noch der weite, nachtschwarze Himmel. In dieser Schwärze allerdings blinkten Abermillionen von kleinen und größeren Sternen. Wie die Straßenlaternen die Wege auf der Erde erleuchteten, so malten diese hell strahlenden Himmelslichter auf dem dunklen Firmament ein zauberhaftes Bild.

Sofie war vor Staunen ganz still geworden und nahm dieses Bild tief in ihr kleines Kinderherz auf. Sie spürte in ihrem Inneren eine nie zuvor gekannte Wärme.
"Wohin fliegen wir denn?", löcherte sie ihren Bären.
"In meine Heimat, zur Teddybärenstadt. Dort gibt es keine Traurigkeit. Da sind alle fröhlich und nett zueinander."
"Ihr habt eine eigene Stadt?". fragte Sofie verwundert.
"Die wird dir gefallen. Meine Familie freut sich schon darauf, dich kennen zu lernen", verriet ihr Benjamin.
Sofies Herz klopfte. Da gab es jemanden, der sich auf sie freute!

Es war ein ganz neues Gefühl für das kleine Mädchen, zu erfahren, wie es ist, von Anderen angenommen zu sein.
"Wie weit ist es denn noch?", fragte sie ihren Freund.
Der antwortete sehr fröhlich:
"Nur noch wenige Minuten, dann sind wir da!"
Sofie beschloss, geduldig zu warten. Er würde ihr schon rechtzeitig Bescheid geben.

Etwa fünf Minuten später entdeckte Sofie in der Weite des Himmels etwas so Schönes, dass das kleine Mädchen es völlig fasziniert anstarrte. Rasch näherten sie sich diesem Etwas, das schnell größer und größer wurde.
"Ooh!", jubelte sie.
Benjamin strahlte. Er hatte es ja gewusst, endlich würde er seine kleine Freundin heiter sehen!

Vor ihnen stand ein märchenhaftes Schloss.
"Fast wie das von Dornröschen!", entzückte sich Sofie.
Das Eingangstor zierten knallbunte Gummibärchen in allen Farben, wie Kinder sie lieben. Rechts seitlich der Türe hing an einer bunten Kodel eine goldene Glocke. Benjamin zog einmal kurz daran. Es bimmelte ganz hell. Sie brauchten nicht lange zu warten. Das Tor öffnete sich und heraus trat ein Teddybär.
"Der ähnelt ja Benjamin. Ob das ein Bruder von ihm ist?", überlegte Sofie.
Weil sie einen guten Eindruck machen wollte, knickste sie höflich. Der Bär, Zottel mit Namen, verneigte sich mit einem leichten Diener und hieß sie herzlich willkommen.
"Komm, ich zeig` dir unsere Welt, Sofie!"

Sofie wunderte sich langsam über gar nichts mehr, nicht einmal darüber, dass dieser Bär ihren Namen kannte. Zuerst hatte Benjamin begonnen, in der Menschensprache zu reden, dann der tolle Flug am Himmel entlang und nun dies... 

Zottel führte sie stolz umher. Die Säle des Schlosses waren wunderschön eingerichtet und mit tollen Bildern aus dem Bärenleben geschmückt. Längs der Wände waren Tischen aufgestellt. Daneben standen honigfarbene Lampen. Auf jedem Tisch entdeckte Sofie eine goldene Schale mit Süßigkeiten.
"Nimm` dir, soviel du willst!", bot Zottel ihr an. Die Kleine ließ sich das nicht zweimal sagen und probierte als erstes die verlockenden Plätzchen. Hm, die waren ja köstlich!

Sie hätte noch Stunden in diesem tollen Schloss zubringen mögen, doch Zottel drängte zum Aufbruch. Allzu viel Zeit blieb nicht mehr. Sie mussten sich beeilen, denn er wollte ihr schließlich noch die ganze Bärenstadt zeigen.
"Dort erwartet sie eine große Überraschung!", brummelte er leise vor sich hin.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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