Karsten A. Kusterer

Nachricht der Fremden

Der Kryptologe befand sich auf dem Weg zum befehlshabenden Offizier des Geheimdienstes. Dazu musste er mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock und dann den Flur entlang bis zu dem Büro am Ende. Also war noch einmal ein wenig Zeit, um zu rekapitulieren wie er in diese unangenehme Lage gekommen war. Angefangen hatte es mit den Fotos der Plutosonde, die beim Vorbeiflug im Jahr 2015 von dessen Mond Charon spektakuläre Fotos machte und zur Erde funkte. Auf den Fotos von Charons tiefgefrorener Oberfläche war eine Nachricht zu erkennen. In die glatt polierte Oberfläche waren komplexe Strukturen wie auch immer künstlich eingekerbt worden. Selbst die kleineren Ausläufer der Strukturen waren noch kilometerlang, groß wie Canyons auf der Erde oder auf dem Mars. Die NASA-Techniker staunten nicht schlecht, als sie damals die Bilder erhielten. Die Angelegenheit wurde natürlich sofort als streng geheim eingestuft, und so wurden der Öffentlichkeit nur die Bilder von Pluto und Charon gezeigt, die keinen Hinweis auf die Existenz der Nachricht gaben. Das Fehlen weiterer Bilder erklärte man mit einer angeblichen Kommunikationspanne.
 
Die fähigsten Kryptologen, Chiffrierexperten und Mathematiker, die dem Geheimdienst zur Verfügung standen, bildeten ein Team, dem die Aufgabe gestellt wurde, die Nachricht der Fremden zu entziffern. Jeder fragte sich, was wohl der Inhalt der Nachricht war, die so weit von der Erde entfernt den Menschen hinterlassen worden war. Schnell wurde deutlich, dass die Nachricht aus drei Teilen bestand. Zunächst gab es einen Teil bestehend aus größeren Strukturen, der eine Art Überschrift bildete. Dann gab es einen Teil, der den eigentlichen Text darstellte. Und schließlich hatten die Fremden auch einige Hinweise hinterlassen, die dazu dienen sollten, die Nachricht entschlüsseln zu können. Die Mathematiker hatten aus den Strukturen auf einige grundlegende mathematische Zusammenhänge schließen können. Die Zuversicht war daher zunächst groß, dass es bald gelingen würde, die Nachricht zu entziffern.
 
Doch dann sind noch zwei weitere Jahre vergangen. Schließlich war es ihm dann gelungen außer den rein mathematischen Grundlagen auch auf bildhafte Elemente der Strukturen zu schließen. Die Nachricht war im eigentlichen Sinne nicht aus Worten oder aus Buchstaben aufgebaut; es war vielmehr so, dass einzelne Teile der Nachricht als ganzes eine direkte Bedeutung hatten und ein sprachliches Bedeutungsäquivalent in der Sprache der Menschen gefunden werden musste. Mit Hilfe eines von ihm entwickelten Computerprogramms war es nach einer wochenlangen Rechenzeit gelungen eine äquivalente Bedeutung der kompletten Nachricht zu erhalten, einschließlich der Überschrift, die der Übersetzung zunächst besonders hartnäckig widerstanden hatte. Übersetzung ist auch nicht das richtige Wort, dachte er. Der Computer hatte nur die Bedeutungsempfehlung ausgegeben, der er die höchste Wahrscheinlichkeit zugeordnet hatte. Vor einer halben Stunde hatte er das Ergebnis erhalten, und nun befand er sich auf dem Weg zum Büro des Geheimdienstleiters. Er hatte jetzt die Tür erreicht. Nun werde ich ja sehen, was mit dem Überbringer schlechter Nachrichten passiert, dachte er. Er klopfte an die Tür.
 
»Kommen Sie herein. Ich habe Sie erwartet«, sagte der Offizier. Der Kryptologe öffnete die Tür und trat in das geräumige Büro. Der Offizier saß hinter einem mächtigen Schreibtisch, auf dem einige Papierstapel rechts und links plaziert waren. Er erhob sich von seinem Stuhl als der Kryptologe eintrat, blieb aber hinter dem Schreibtisch stehen.
»Guten Morgen, Sir!«, sagte der Kryptologe.
»Jaja, guten Morgen«, sagte der Offizier, »Sie haben mich benachrichtigt. Ist es Ihnen tatsächlich gelungen die Nachricht der Fremden zu übersetzen?«
»Übersetzen ist hier nicht der richtige Begriff. Der Computer hat uns ein Bedeutungsäquivalent mit der höchsten von ihm berechneten Wahrscheinlichkeit ausgegeben«, erklärte der Kryptologe.
»Ja gut, natürlich. Sie wissen, der Präsident wartet ungeduldig auf die Übersetzung. Wir können die Sache kaum noch länger geheim halten. Es werden schon viele Fragen gestellt. Wahrscheinlich gibt es undichte Stellen. Wenn es jetzt an die Öffentlichkeit kommt, dann wäre es natürlich sehr vorteilhaft für den Präsidenten, wenn er den Inhalt bereits kennen würde. Also, was ist das Ergebnis Ihrer Übersetzung? Was wollten die Fremden uns mit ihrer Nachricht sagen?«
Dem Kryptologen wurde jetzt warm. Er fing an zu schwitzen. Sein Mund war trocken.
»Also wie ich schon sagte: Es ist eigentlich keine direkte Übersetzung, sondern nur ein Bedeutungsäquivalent.« Er räusperte sich noch mal.
»Nun sagen Sie es schon!«, fuhr der Offizier ihn ungeduldig an.
»Bei dem Haupttext handelt es sich wohl um ein detaillierte Beschreibung der Spezies Mensch. Wo wir leben, wieviele Geschlechter wir haben, wie wir uns vermehren, was wir essen, welche Fähigkeiten wir haben und so weiter.«
»Oh, das ist alles? Das ist aber nicht sehr spektakulär.«, sagte der Offizier enttäuscht, »Ich hatte gedacht, die Fremden hätten uns eine wichtige Nachricht hinterlassen. Der Präsident wird bestimmt enttäuscht sein. Für seine Wiederwahl wäre eine spektakuläre Nachricht von Außerirdischen an die Menschheit sicherlich von Vorteil gewesen.«
»Nun, ich glaube nicht das die Nachricht an uns gerichtet ist.«, sagte der Kryptologe.
»Wieso? Wie kommen Sie darauf?«
»Es gibt da ja noch die Überschrift.«
»Was ist mit der Überschrift?«, fragte der Offizier.
Jetzt kam der Moment der Wahrheit, und der Kryptologe fühlte wie die Anspannung von ihm ab fiel. Er war beinahe erleichtert.
»Wie ich schon mehrfach sagte. Wir haben keine Übersetzung, auch nicht für die Überschrift. Aber der Computer hat ein Bedeutungsäquivalent ausgegeben. Nach Meinung des Computers ist die wahrscheinlichste Bedeutung der Überschrift auf dem Schild der Fremden: Bitte nicht füttern!«

Die Geschichte behandelt ein beliebtes Thema von SF-Kurzgeschichten.Karsten A. Kusterer, Anmerkung zur Geschichte

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