Michael Mews

Salto Mortale

 

Der Motor der Maschine schnurrte wie ein Kätzchen. Er würde mich nicht im Stich lassen.  

Und der Start war kein Problem, nur manchmal kam es vor, dass starke Seitenwinde störten. Der Radiokompass zeigte nach vorne, als ich den Steilflug einleitete. Ich entspannte mich und legte mir die IFR- Streckenkarten auf den Knien zurecht. Flughöhe 5000 ft.
  

Es war ideales Flugwetter. Der Himmel zeigte sein schönstes Blau mit einigen, mächtigen Cumulus Wolken am Horizont.  Ein Zeichen für starke, vertikale Winde  mit Gewitter, Blitz und Hagel, die es besser zu meiden galt. Dennoch war ich immer wieder fasziniert von den nie gleichen Wolkengebilden. Kein Flieger würde sich je daran satt sehen können. 
 

Langsam entschwand unter mir die Küste und das Meer öffnete sich in seiner schier endlosen Weite. Jetzt war die Freiheit wirklich grenzenlos. Wie schon so oft vorher, konnte ich auch dieses Mal nicht widerstehen. Ich stellte den Motor ab - da war es wieder, das Gefühl ein Vogel zu sein. Ich lauschte dem brausenden Geräusch des Windes und meinte die Neunte von Beethoven zu hören... Freude, Freu-eude, Freude schöner Götterfunken...   


Es fiel mir schwer den Motor wieder starten zu müssen. Doch als ich es schließlich tat, machte es nur „Klick“. Der Propeller drehte sich nicht. Ich versuchte es erneut. Klick, Klick. Das Blut wich mir aus dem Kopf, mein Gehirn war wie leer gepustet, ich war starr vor Schreck… Klick, Klick…der verdammte Motor sprang nicht an, er sprang einfaaach niiicht aaan. .  
 

„Bleib ganz ruhig, überlege, was zu tun ist“, sagte ich und versuchte, mich zu konzentrieren.  „Am besten du leitest erst mal eine Kurve in Richtung Küste ein. Sooo, sehr schön! Zur Not hast du immer noch den Fallschirm. Klick, Klick…das Mistding funktioniert einfach nicht!“ 
 

Ich konnte nichts mehr sehen, meine Augen brannten, jetzt erst merkte ich, dass es Schweiß war, der mir aus allen Poren rann. Klick, Klick… Es war sinnlos, ich musste springen. Ich legte den Fallschirm an, öffnete die Schiebetür, stemmte mich gegen den Wind und sprang hinaus. Sofort überschlug ich mich.


„Salto Mortale.“


Wo war denn nun wieder diese blöde Reißleine,  wo war diese Reißleine…???   Herrgott noch mal, endlich hatte ich sie. Ich zog heftig, doch es rührte sich nichts, ich zog mindestens zehn Mal, der Fallschirm ging nicht auf. Erst der Motor, und jetzt der Fallschirm…das kann doch nicht wahr sein! Nein, das gibt es nicht! So ein Pech kann doch kein Mensch haben… er geht und geht nicht auf…


Plötzlich sah ich die Cessna wieder auf mich zukommen. Ebenso wie ich, hatte sie an Höhe verloren und kehrte nun, da das Steuer rechts eingeschlagen blieb, wieder zurück. Wie ein großer Vogel rauschte sie direkt auf mich zu. Das war eine unerwartete,  allerletzte Chance, ich musste sie nutzen. Dann schlug ich auf dem linken Flügel auf, krallte mich in Todesangst an der Landeklappe fest, öffnete mit der anderen Hand die Schiebetür und zog mich mit letzter Kraft in die Maschine. 


Mechanisch griff ich nach dem Anlasserknopf…Schnurr, der Motor sprang an, der Propeller drehte sich. Ich schloss die Schiebetür, schaute auf den Kompass und richtete die Maschine mit zitternden Gliedern nach Süden…


Als ich aufwachte, schien mir die Sonne direkt ins Gesicht. Ich hatte verschlafen. Ausgerechnet heute, am Tag meiner Hochzeit.


Na denn: Guten Flug!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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