Hans-Peter Zürcher

Heuet

 
19. September 2006
 
Schon früh am Morgen sah und fühlte man, dass dies ein Prachtstag werden würde. Klare Sicht in das Bergpanorama, kein Nebelchen, kein Wölkchen trübten den tiefblauen  Himmel. Der abnehmende Mond stand noch hoch am Himmel und über dem Mettenberg, der wie im Gegenlicht schwarz zu sein schien, machte sich langsam ein blenden weißer Schimmer bereit, der wenige Minuten später einen Sonneaufgang hervorzauberte, der an die „Alpensymphonie“ von Richard Strauss in meinem Kopfe erklingen ließ. Ganz langsam erschienen, erst zaghaft,  die ersten leisen Strahlen, die sich immer heftiger wie ein Fächer über der scharfen Gipfelkante öffneten. Der Gipfel des gegenüberliegenden Männlichen, erhielt so sein erstes Sonnenlicht. Je mehr sich nun die Sonne aus dem Schatten des Mettenbergs empor schob, desto weiter wurde der Männlichen ins Sonnenlicht gerückt. Und dann plötzlich, einer Eruption gleich, erschien die volle Sonne über dem Gipfel, laut und heftig verteilte sie ihre strahlen über die nun immer heller werdende Landschaft. Die Luft war klar und noch kühl. Nun begannen aus dem Taufeuchten Gras der Wiese feine Nebelchen aufzusteigen, die sich aber schnell in der trockenen Luft auflösten. Aus dem Tal hörte man das Rauschen der Lütschine, aus der nun auch leichte Nebel aufzusteigen beginnen und sich sacht über das Tal legen.  Zwischen dem nahen Wäldchen und den beiden Erlen auf der Wiese vor dem Haus war ein geschäftiges hin und her durch Eichelhäher, Rotschwänzchen und anderen Vögel zu beobachten. In der Wiese tummelten sich drei Saatkrähen, die mit ihrem wackelnden Gang auf Futtersuche die Wiese durchforschten. Auch die Fiescherwand und die Eigerostwand wurden nun von der Sonne geküsst und mich erfasste sie auf dem Balkon mit wohliger Wärme. Ein frischer Duft lag in der Luft, ein Duft von feuchten Gras, und trockenem Holz, das die sich langsam erwärmende Hauswand und das Balkongeländer ausströmen ließen.
 
Eine kleine Wanderung durch Alpweiden, in denen fleißig Heuvorräte für den kommenden Winter geschlagen wurden, ließen in mir Erinnerungen an früher wach werden. Das surren der Mähmaschinen an den Steilhängen zeigten deutlich auf, wie schwer es die Bergbauern hier oben haben...
 
...Es war an einem schönen Spatsommermorgen, anfangs September, da zog es mich schon Frühmorgens aus dem Haus. Ich hatte vor, über den Schwänberg zu Kolumbanshöhle zu wandern, denn der schöne, kühle Morgen, lud einem dazu geradewegs ein. Die Ladengeschäfte waren zu diese frühen stunde noch geschlossen, so zog ich ohne Proviant los, mit der Absicht, im Wirtshaus  zum Sternen im Schwänberg etwas zu kaufen. Damals gehörte zu diesem Wirtshaus auch eine Bäckerei.
 
Es war wunderschön, in den erwachenden Morgen hinein zu wandern. Autoverkehr gab es noch wenig und doch waren die Straßen schon recht belebt. Wir wohnten damals an der Sonnhalde in Herisau, in nächster Nähe gab es im Tal verschiedene Fabriken und so begegneten mir viele Menschen, die zu Fuß oder mit ihrem Velo unterwegs waren. Die einen waren aus der Spätschicht auf dem Weg nach Hause, die anderen zu ihrem normalen Arbeitsalltag unterwegs in die Fabrik. Ich war schon weit in der „Tüüfi“, als ich die Dampfpfeifen der Fabriken hörte, die um sieben Uhr den Arbeitsbeginn signalisierten. Dasselbe Spiel wiederholte sich um zwölf Uhr, dreizehn Uhr dreißig und siebzehn Uhr dreißig, also immer zu Arbeitsbeginn und Ende.
 
Die Luft roch frisch und es war recht kühl, eigentlich schon sehr herbstlich. Die Blätter der Laubbäume begannen sich da und dort leicht zu verfärben und aus der Glatt, einem kleinen Flüsschen, eigentlich eher ein Bach, der durch das Tal floss, stiegen lichte Nebelchen auf. Hier unten war es noch recht schattig, düster und im Osten über dem Lutzenland, eine Anhöhe über dem Dorf begann sie Sonne sich zu zeigen.
 
Der Weg führte entlang von einzelnen verstreuten Bauernhöfen, bei denen in eingezäunten Wiesen Rinder weideten. Das Grossvie weidete noch auf den Alpen im Säntisgebiet und genoss die letzten Tage in ihrer Herrlichkeit der Sömmerung. Da und dort waren auf den Weiden auch Heuhunzen aufgestellt, mannshohe Gestelle aus Holz, unten breit und nach oben in einem Spitz endend, auf denen Nachtsüber Heu aufgeschichtete wurde, des dann jeweils am Morgen wieder abgenommen und auf der Wiese zum weitertrocknen verteilt wurde.
 
Kurz vor dem Schwänberg wurde auf einem großen Feld das aufgeschichtete, noch leicht feuchte Heu abgenommen und mit Heugabeln verzettelt. Es roch wunderbar fein, das fast trockene Heu, ich schaute eine weile den Bauersleute zu, ein Bein auf die untere Zaunlatte gestellt und die Arme auf die obere Latte aufgelegt. Es gelüstete mich, mitzuhelfen uns schon bald hatte ich eine Heugabel in den Händen. Die Sonne schien nun immer wärmer, so dass ich dem Bauer gleich, mein Hemd auszog und mit nacktem Oberkörper weiter Heu verzettelte. Über den Kopf zog mir eine Kappe, die ich aus meinem Nastuch formte, indem ich in die vier enden einen Knüppel drehte, auch meine Schuhe und Socken hatte ich ausgezogen.
 
Die Zeit verflog im nu, geredet wurde kaum. Ich bemerkte nicht, dass die Bäuerin sich entfernt hatte, bis ich ihre Stimme hörte, „wollt ihr keinen Znüni“ rief sie fragend. „Noch eine Hunze, dann haben wir’s und kommen dann“, meinte der Bauer und so war es. Unter einem großen Baum haben wir uns hingesetzt, im Schatten und in einem Meer von duftendem Heu. Brot, Käse, Wurst und Most gab es. Ich glaube, seit langem hatte mir ein Znüni nicht mehr so gut geschmeckt wie dieses. Auch während dem Essen wurde nur wenig geredet. Wer ich sei, wollten sie wissen und woher ich komme und was ich so mache wollten sie wissen. Und dann sagten er noch, „dass es noch so was gibt, dass ein fremder Bub einfach so mithelfen will, das ist mir nun wirklich noch nie passiert“. Dieses Lob erfüllte mich sehr und freute mich nicht ganz ohne Stolz. So haben wir dann wohl eine Stunde gegessen und geruht. „Jetzt müssen wir das Heu wenden“ meinte der Bauer, „wenn immer noch magst, kannst gerne mithelfen“, natürlich wollte ich und wie. Schon allein mitten in diesem Heuduft zu stehen, das trocknende Gras aufzuwerfen und den Duft einatmen zu können, war es Wert weiter zu machen. Die Kolumbanshöhle steht auch morgen noch. Zu dritt pfadeten wir nun durch das am Boden liegende Heu und verzettelten und drehten es so im Gleichtakt. Von oben nach unten und von unten nach oben.
 
Ich weiß nicht wie lange das so gedauert hatte, ab es musste schon über Mittag hinaus gewesen sein. Ob ich mit ihnen das Mittagessen einnehmen wolle, wurde ich gefragt. „Ich habe keinen Hunger, bin ein wenig müde, würde mich gerne ins Heu legen, wenn ich darf“. Natürlich durfte ich. Um einen Sonnenbrand zu vermeiden, zog ich mir mein Hemd über, legte mich im Schatten eines Baumes in mein Heubett und muss gleich eingeschlafen sein. Ein kratzendes Geräusch hatte mich aus dem Schlaf geholt. Die Bauersleute hatten begonnen, das nun trockene Heu zusammen zu rechen. „das muss noch rein, es könnte heute Abend ein Gewitter geben“ meinte der Bauer. Einen Rechen für mich hatten sie auch mitgenommen und so wurden lange Maden gezogen, immer schön parallel über die ganze Wiese. Dann wurden diese zu Haufen zusammengezogen und mit der Heugabel auf einen bereitstehenden Heuwagen geschichtet. Das Zugpferd war ausgeschirrt worden und bewegte sich frei auf der Wiese, knabberte du und dort am frischen Heu, galoppierte über die große Wiese und bekundete so seine sichtliche Freude.
 
Langsam aber sicher spürte ich meine Armmuskeln, obwohl ich gerne gearbeitet habe, langsam wurde ich nun Müde. Als ob die Bäuerin dies gemerkt hätte, sagte sie „ es gibt einen Zvieri, aber nur für die, die gearbeitet haben“ und zwinkerte mir zu. Früchte, Berebrot (Birnenbrot) und Milchkaffee. Wunderbar, müde aber glücklich setze ich mit ihnen unter einen schattigen Baum. Die Sonne schien immer noch erbarmungslos heiß vom Himmel. Auf die Frage, warum ich gerade hierher gekommen sei, erzählte ich ihnen, dass ich mit meinem Großvater und meinen Eltern des öfteren in diese Gegend gewandert sind, dass wir dann weiter hinten beim „Lieseli vom Loch“ einen Halt eingelegt hätten, denn diese sei eine Bekannte meiner Gotte gewesen. „ Aha, beim Lieseli, die haben wir auch gekannt, ist vor einem Jahr gestorben“. Dass mit meine Gotte nichts gesagt hatte, ging mir durch den Kopf. „Und im Sternen bei Zimmermanns sind wir immer eingekehrt, Bereflade, Nussgipfel oder Berebrot, diese feinen Sachen sind mir bestens bekannt “, erzählte ich weiter und nun begannen ein Wort das andere zu ergeben.
 
Ein fernes Grollen holte uns dann aber aus dem Geplauder an die Arbeit zurück. „ Huere Siech, jetzt kommt noch ein Gewitter“ begann der Bauer zu wettern und tatsächlich, es reichte noch den Wagen zu beladen, das Pferd einzuspannen und schon fielen die ersten Regentropfen, einzeln und nur zögerlich, als hätten sie das Fluchen des Bauern gehört. Das Donnern war wohl zu hören, aber das Gewitter schien anderen Orts sich zu entladen. Auch gut so, den  bei Gewitter im Freien war mir nicht so geheuer. Ich verabschiedete mich von den Bauersleuten, die ich irgendwie gern bekam. „Vegelts Gott ond vile Dank“, so verabschiedete mich der Bauer, die Bäuerin strich mir über mein Haar, „Danke vill mol, ond do hescht no en Berewegge för de Heem“. Ich bedankte mich und machte mich nun rasch auf den Heimweg, denn es begann nun wirklich zu Regnen und zwar in Strömen. Mein Hemd über dem Kopf, Die Schuhe an den Schuhbendeln zusammen gebunden, die Socken hinein gestopft und das Bündel über meine rechte Schulter gehängt, so lief ich nach Hause. Donnergrollen in der Ferne, schlagende Regentropfen Land und Boden, auf dessen Weg sich nun rasch große Pfützen bildeten, diese Stimmung machte mich wieder Munter und kühlte meinen überhitzten Körper. Die rein gewaschene Luft verströmte eine Frische, ein Duft, der sich mit dem der nun nassen Umgebung und dem der nassen Wege vermischte. Aber auch das Birnenbrot, das zwar in eine Zeitung und mit einem Plastiksack eingebunden war, bekam einiges ab von diesem Gewitterregen. Ich war glücklich über dieses Erlebnis und Müde obendrein. Geduscht hatte ich auch schon, also musste ich mich zu Hause nur noch gut abtrocknen und konnte mich sodann müde in einen tiefen Schlaf entführen lassen. Und das Birnenbrot, das war am nächsten Tag fein wie frisch gebacken, denn meine Mutter hatte es einfach für eine Weile in den heißen Backöfen gelegt...
 
...Hier oben in den Bergen war weder ein Gewitter noch eine Regenfront in sicht, am Himmel zeigten sich im laufe des Nachmittag Föhnfedern, auf den Wiesen wurde das nun trockene Heu mit einem speziellen Sammelwagen automatisch auf die Ladefläche geschaufelt. So konnten größte Flächen, ob flach oder steil, von einem einzigen Menschen aufgeladen werden. Von Hand wird in den Bergen nur noch an Steilhängen und unzugänglichen Orten gearbeitet und das ist eine ungeheuer strenge Arbeit, davon kann ich ein Lied singen und das handelt vom Heuet in meiner Jugend.
 
Auf dem Rückweg von meiner kleinen Wanderung durch die Bergwiesen kaufte ich mir im Dorf ein „Berebrot“, von dem ich mir einige Stücke mit Butter bestrichen zu einem frischen Milchkaffee auf dem Balkon gegönnt habe. Der Mettenberg, die Fiescherwand und die Eigernordwand waren nun voll besonnt und es schien eine schöner Abend zu werden, der  mit einem Abendrot gekrönt wurde, das die Berggipfel aufleuchten ließ, genau so wie eben in der Musik der „Alpensymphonie“ von Richard Strauss zu hören ist. Ja, ganz genau so.  
 
© 2006   Alle Rechte bei Hans-Peter  Zürcher

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hans-Peter Zürcher).
Der Beitrag wurde von Hans-Peter Zürcher auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Hans-Peter Zürcher als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Leben & Tod: Eine transzendente Spionage-Story von Bernhard Pappe



Erzählt wird im Kern die Geschichte von Menschen, die sich durch widrige Umstände zufällig begegnen. Lebenswege kreuzen sich und führen hinein in eine Spionageaffäre, deren Dynamik sich am Ende alle nicht entziehen können. Jeder spürt die Dynamik des Lebens und begegnet doch sich selbst und dem Phänomen Tod auf ureigene Weise.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hans-Peter Zürcher

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das Karussel von Hans-Peter Zürcher (Zauberhafte Geschichten)
Ein Date, ein Tag im Dezember 2001 und ein DejaVu... von Kerstin Schmidt (Wahre Geschichten)
...erst wenn die Gehwägelchenzeit anbricht Teil 2 von Karin Schmitz (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen