Salem,
im Winter des Jahres 1692
Niemand
sah ihn kommen. Und niemand würde
ihn hinterher wieder gehen sehen. Ein neuer
Tag wird anbrechen und alles wird so sein, wie es auch die letzten
Tage schon gewesen war. Grau und ruhig; die ersehnte Ruhe nach dem
Sturm. Doch damit es wirklich so kam, musste noch etwas erledigt
werden und dazu war er hier. Dunkle Winterwolken, die den Himmel am
späten Nachmittag verdecken, die Ausläufer eines nahenden
Sturmes zogen am diesigen Horizont vorbei.
Sein Körper war in einen
zerschlissenen Umhang gehüllt und er stützte sich auf einen
Stock. Er fror entsetzlich und hasste dieses Wetter mehr als alles
andere auf der Welt. Oder zumindest mehr als alles andere auf dieser
Welt. Nur sehr langsam schritt er voran, beinahe kränklich hielt
er immer wieder in der Bewegung seiner Schritte inne um zu
verschnaufen. Obwohl man sein Gesicht nicht erkennen konnte, es lag
im Schatten seiner weiten Kapuze verborgen, schien doch nichts
bedrohliches von ihm auszugehen. Ein Donnerschlag erklang, dem ein
grell gezackten Blitz vorangegangen war. Er schein den Himmel zu
zerteilen.
Es
hatte zu schneien begonnen und die Fußspuren der Gestalt
drückten sich tief in den frisch gefallenen Schnee hinein. Der
Stock hinterließ tiefe Löcher, die sogleich mit wattigen
Flocken aufgefüllt wurden, wenn dieser aus dem gefrorenen
Erdreich gezogen wurde. Das Heulen des Windes wurde vom Schmatzen der
Schritte begleitet, unter deren Klang die gebeugte Gestalt den nahen
Waldgürtel verlassen hatte. Ihr Weg führte sie direkt durch
das Haupttor der kleinen Gemeinde. Hier gab es keine Wachen und auch
sonst keinerlei Hindernisse, die sich ihm in den Weg hätten
stellen können. Nur vereinzelt war durch einen Schlitz oder
Spalt in den verschlossenen Fensterläden der Häuser, ein
gelber Kerzenschimmer zu erkennen gewesen. Nichts von Bedeutung. Und
dennoch, mit langsamen Schritten, unermüdlich weiter voran
schreitend, näherte sie sich ihrem Ziel. Kein Mensch würde
die Spuren erblicken, die von den Schuhen herrührten, die unter
dem Stoff des verschmutzen und eingerissenen dunklen Umhanges
verborgen waren. Es würde hinterher so sein, als wäre nie
etwas geschehen; als habe es ihn nie in dieser Zeit gegeben. Ein
kurzes Aufflackern einer Erinnerung, die dann durch das Netz der
Gedanken entschwindet.
Der
kleine Friedhof lag am anderen Ende des Örtchens, und so musste
er entlang der Hauptstraße einmal quer durch die Stadt
hindurch. Die Kälte biss in sein Gesicht und der frische Schnee
rann in eiskalten Tränen über seine Wangen. Es war nicht
leicht gewesen hier her zu kommen und er würde diesen Ort auf
dem selben Wege wieder verlassen müssen. Doch seine Aufgabe war
es wert, diese Strapazen auf sich zu nehmen. Nichts war zu hören.
Alle Menschen, denen das Schicksal in den voran gegangenen Jahren so
übel mitgespielt hatte, verschanzten sich hinter den hölzernen
Türen ihrer Häuser. Sie versuchten nicht nur ihr spärliches
Hab und Gut zu schützen. Ihr Leben hatte vor wenigen Monaten
noch am seidenen Faden gehangen, denn die Hexenprozesse des letzten
Jahres hatten weder vor Männern und Frauen, noch vor Kindern
halt gemacht. Ja, nicht einmal Tiere konnten bisweilen den so
genannten Inquisitoren entkommen, war doch der Glaube an den Himmel
und die Hölle so tief verwurzelt, das alles getan wurde, um den
Herrn der Finsternis aus diesem Landstrich zu vertreiben, in dem er
sich so fürstlich niedergelassen hatte. Oh ja, wie recht sie
doch hatten, alle miteinander. Auch wenn später in den
Geschichtsbüchern eine andere, blutige Wahrheit verzeichnet sein
würde. In Salem waren wirklich dämonische
Kräfte am Werk, wenn auch nicht der Teufel selbst. Doch
das würde nie jemand erfahren. Mehr als Zweidutzend
Hinrichtungen und etliche Inhaftierungen hatte es bis zum Januar des
Jahres 1692 gegeben. Die meisten der Angeklagten hatten nicht nur den
Glauben an die Gerechtigkeit verloren. Sie mussten nicht nur um ihr
Leben bangen. Eine hysterische Umwälzung war durch das koloniale
Amerika gegangen, das in den Hexenprozessen von Salem in
Neu-England seinen traurigen Gipfelpunkt fand.
Obgleich
seither viel mehr als ein Dreiviertel Jahr ins Land geschritten waren
und ein
neuerlicher, allem Anschein nach auch
kälterer Winter stand bevor, steckte die Angst noch immer so
tief in den Leibern und Seelen der übrig gebliebenen Bewohner.
Ihre angeklagten und zum Tode
durch den Strang verurteilten Freunde, Verwandte und
Familienmitglieder hatten sie auf dem nahegelegenen und
fast schon überfüllten Totenacker Salems
beigesetzt. Und eben dieser war das Ziel
seiner Reise.
Ein
schmuckloser Holzzaun umgrenzte das kleine Stück Land, das unter
der Leichendecke frisch gefallenen Schnees friedlich dalag. Zumindest
würde es diesen Eindruck für einen normalen Bürger der
Stadt erwecken. Grob zusammen gezimmerte Holzkreuze ragten in die
kalte Luft empor, in die nur hin und wieder ein Name eingeritzt war.
Eine Pforte oder ein Tor gab es nicht, man hatte einfach eine Lücke
im Zaun hinterlassen, die breit genug war, das der klapperige
Leichenkarren hindurch passte. Er schlüpfte hindurch, sich dabei
auf den Stock stützend, der nun mehr als Krücke, denn als
Handstock diente. Hätte sie jemand beobachtet, einer der
Menschen, die allen Beschuldigungen zum Trotz, die infernalischen
Tiraden der Richter und Inquisitoren überstanden hatten, er wäre
vermutlich einem Herzschlag erlegen, wenn er sich nicht gar
freiwillig die Schlinge um den Hals gelegt und den Galgen aufgesucht
hätte, da auch er sich plötzlich vom Bösen beseelt
glaubte. Für einen unbeteiligten hätte er in seinem Anblick
die Urängste des schleichenden Todes selbst erweckt; ein Bann,
der ihn schütze, damit sein Werk schnell und effizient
verrichtet werden konnte. Aber dazu würde es nicht kommen, denn
es waren Vorbereitungen getroffen worden.
Kaum
hatte er den klaffenden Eingang durchschritten, bewegten sich
unsichtbare Lippen im Schatten der Kapuze. Sie formten unhörbare
Worte, Aneinanderreihungen von Buchstaben und Silben, die noch nie
ein menschliches Ohr vernommen hatte. Sogleich geschah etwas
unfassbares. Die Worte aus dem Mund des Fremden erzielten eine
unfehlbare Wirkung, die jedoch nur die Fläche des Friedhofes
innerhalb der morschen Umzäunung erfasste. Grüne
Blitze ringelten sich um das faulige, von Schnee und Matsch
verkrustete Holz. Man hätte meinen können, die
unausweichlich mit derartigen Blitzen einher gehende Hitze würde
das am Holz verzehren, oder wenigstens das daran befindliche Eis
schmelzen. Doch weit gefehlt. Es geschah – nichts. An immer mehr
Latten des Zaunes sprossen die unheimlichen Irrlichter empor, und als
sei dies nicht schon genug des unheimlichen, wuchsen die Blitze über
die Spitzen des Holzes weiter in die kalte Spätnachmittagsluft.
In einiger Höhe über dem Erdboden bogen sich die
Aberdutzend greller Blitze einander zu und verschmolzen zischend
ineinander. Sie erstrahlten kurz und kräftig auf, als dies
geschah; ein wahres Schauspiel von unheimlichen Art.
+
+ +
Eine
grün glosende Kuppel war entstanden, die für einen
außenstehenden Menschen nicht zu sehen gewesen wäre,
selbst wenn er sich angestrengt bemüht hätte etwas zu
erkennen. Auch würde eine geheimnisvolle Macht dafür Sorge
tragen, das niemand, der sterblicher Natur war, sich dem Friedhof zu
nahe kam. Die Wirkung der grünlich schimmernden Zeitblase würde
nicht sonderlich lang anhalten, doch die Zeit sollte ausreichen, um
ihm genug Zeit zu verschaffen, den
abgesandten der urgöttlichen Verdammnis, jenes namenlosen
Grauens, das sich aus den fauligen Gedärmen der Unterwelt
entwindet, zu vernichten.
Caleb
hatte den Umhang ein wenig zur Seite geschlagen um etwas mehr
Bewegungsfreiraum zu bekommen. Der Stock war nun wirklich zu einer
Art Stütze für ihn geworden. Sein Gesicht war kalkweiß
und von unangenehm riechendem Schweiß bedeckt. Doch hatte er
jetzt keine Zeit sich über derlei Dinge den Kopf zu zerbrechen.
Man hatte ihn bereits bemerkt, so viel war sicher. Also musste er
sich beeilen. Sein Verstand arbeitet auf Hochtouren, während er
die Formel daraus herauf beschwor, die er vor etlichen Jahren hatte
auswendig lernen müssen. Nun, Sie hatte ihm dabei
geholfen. So, wie sie ihm bei sehr vielen Dingen geholfen hatte. Nun
war sie jedoch nicht hier und er war auf sich alleine gestellt. Er
ging weiter, den Kopf gesenkt, während ein langsam stärker
werdendes Gefühl von Schwindel in seinem Kopf aufflammte. Seine
Gedanken begannen sich, einem schwarzen, bodenlosen Strudel ähnelnd,
im Kreis und die Tiefe zu bewegen. Fetzen von Erinnerungen flackerten
über sein inneres Auge, doch er bemühte sich nach Kräften,
die Worte getreu und fehlerfrei über die gesprungenen Lippen zu
bringen.
„EHKI
ADAR EE`H! AGALU XUR KURRU BARA YE! AMANU ADAR
EE`H!“, begann er
anzustimmen. Ohne sich umzusehen, mit beiden Händen den
schwarzen Stab umklammert, schleppte er sich weiter voran. Der Schnee
unter seinen Schuhen knirschte. Und nicht nur das. Er begann zu
zischen und die Fußabdrücke hinter ihm begannen zu
dampfen. Der Schnee schmolz, er verdampfte augenblicklich und begann
dabei nicht einmal zu blubbern. Caleb schritt weiter voran und
betonte jede Silbe so deutlich, wie es ihm nur möglich war.
„SINIKU
UD KURRAH YA! AMANU ADAR EE`H!“
Eine
kurze Sekunde der Stille senkte sich über Caleb und er fühlte
eine bleierne Last auf seinen Schultern ruhen. Ohne sich umzusehen,
immer noch den Stock festhaltend, setzte er weiter einen Fuß
vor den anderen. Schweißperlen rannen in dicken Tränen
über sein Gesicht. Sie sammelten sich an seinem
Unterkieferknochen und tropften an der Kinnspitze ab. Die ersten
wurden vom dunklen Stoff des Umhanges aufgesogen, alle weiteren
verdampften, bevor sie den Stoff auch nur nahe kamen. Er fühlte
die salzigen Dämpfe in den Augen brennen, ließ es
geschehen und konzentrierte sich weiter auf den Singsang der
Beschwörungsformeln.
„EHKI
ADAR EE`H! AGALU XUR KURRU BARA YE! AMANU ADAR
EE`H!“
Immerzu
wiederholte er die seltsame Formel, die jedoch so mächtig war,
das ihm einen Moment die Sinne verschwammen und er befürchtete,
hier sein Ende zu finden. Fernab von allem, was er in den vergangenen
Jahren wieder zu lieben gelernt hatte. Trotz des Umstandes, das er
die ganze Zeit eine Fassade aufrecht erhalten musste, was ihm dank
ihr allerdings ohne weiteres gelungen war. Wenn sie doch jetzt
auch hier sein könnte, um ihm zur Seite zu stehen. Doch eine
höhere Macht hatte ihn dazu auserkoren, diesen Auftrag alleine
durchzustehen. Immerhin hatte er schon ganz andere, wesentlich
schwerere Aufgaben zur besten Zufriedenheit erledigt. Doch dieses
Mal, das hatte er bereits vor Antritt des Sprunges hier her bemerkt,
schien etwas ganz und gar nicht nach Plan zu laufen. Etwas hatte mit
wesentlich mehr Intensität an seinen körperlichen Kräften
gezehrt, als es normalerweise der Fall gewesen wäre.
Tanith,
dachte er. Und dann, einen plötzlich aufkeimenden Anfall von
Übelkeit ignorierend, wiederholte er die Worte der Formel ein
weiteres Mal. Eines von ungezählt vielen.
„SINIKU
UD KURRAH YA! AMANU ADAR EE`H! EHKI ADAR EE`H!
AGALU XUR KURRU BARA YE! AMANU ADAR EE`H!“
Kurz
nach betreten des Friedhofes war ihm die Veränderung
aufgefallen. Das hieß, eigentlich hatte er es die ganze Zeit
über bemerkt. Mittlerweile verfügte er über eine
äußerst ausgeprägte Gabe der Weitsicht, die es ihm
gestattete, Dinge zu sehen, die normalen Menschen stets verdeckt
geblieben wären. Über allen Gräbern schwebte eine
hauchdünne Schicht rötlichen Nebels. Ein Wabern und
Schlingern tobte darin, als würde sich eine tiefrote Schlange in
einem See aus glutflüssiger Lava bewegen. Ausnahmslos jedes
Grab, ob mit oder ohne Kreuz, war davon betroffen. Der Schnee fiel in
dickeren Flocken aus der dichter werdenden Schwärze des Himmels.
Der Mond., heute nicht viel mehr als ein mit flüssigem Silber
auf den nächtlichen Himmel gemalter Bogen fahlen Lichtes,
beschien die Szenerie.
Hinter
Caleb erklangen Geräusche, die ihm keineswegs unbekannt waren,
doch hatte er gehofft, den Fluch, der auf diesem Ort lastete,
frühzeitig bannen zu können. Es sollte anders kommen. Auf
mehreren Gräbern gleichzeitig brach die Erde auf. Dünne
Fingerknochen, einige mit ledernen Hautresten und feuchter, zusammen
gefrorener Erde behaftet, schoben sich aus der Tiefe empor. Kaum
einen menschlichen Herzschlag später schoben sich bereits die
ersten entstellten Schädel aus einem halben Dutzend Gräber
empor. In den knöchernen Händen hielten sie, zu primitiven
Behelfswaffen umfunktioniert, die modrigen Reste ihrer eigenen Särge.
Schmutz, Erde und zerschlissenen Kleidung verbarg die ausgezehrten
Körper, in deren nachtschwarzen Augenhöhlen eine blutige
Glut leuchtete. Viele verfügten nur noch ansatzweise über
zusammenhängende Kleidung. Und noch weniger konnten behaupten,
im Ganzen ihrem Grab entstiegen zu sein. Ihre Haut war Aschfahl,
rissig wie Pergament und schälte sich in großen Flächen
von den modernden, in den unterschiedlichsten Stadien der Zersetzung
befallenen Leichnamen.
Und
Caleb schritt weiter voran, die magische Formel wiederholend, während
die Worte hinter ihm ihre Wirkung vollzogen, ohne Rücksicht auf
die sterblichen Überreste der unter einem schrecklichen Bann
stehenden Toten zu nehmen.
Schreite
voran, Caleb! Es ist nicht mehr weit. Du schaffst es!
Fast
hätte er den Singsang unterbrochen, als wie ein Paukenschlag die
Stimme Tanith´s in seinem Schädel explodierte. Doch er
beherrschte sich, bewegte weiter die Lippen, die wie automatisiert
die machtvollen Worte des absteigenden
Knotens formten. Ihre Worte waren ihm wie ein
süßer Befehl, der ihn die Augen fester schließen
ließ und ein sanftes Lächeln auf seine Lippen schickte.
„EHKI
SCHAMMASCH EE`H! AGALU XUR KURRU BARA YE!“
Der
Singsang schwoll an, gewann etwas an Lautstärke und sank in sich
zusammen, nur um sofort wieder zu erklingen und all seine Macht und
Größe zu entfalten. Er konzentrierte sich, vergaß
das was um ihn geschah. Die hinter Caleb
aus ihren Gräbern gestiegenen Toten bewegten sich mit staksenden
Bewegungen auf ihn zu. Er drehte sich nicht einmal herum, um ihnen
entgegen zu blicken. Ihm genügte die Kraft, die aus den Worten
des absteigenden Knotens resultierte und die ihn beschützte.
Und nicht nur das. Blaugraue Staubwolken waberten um die Füße
der wiederbelebten Toten und diese hielten mit einem Mal in der
Bewegung inne. Ihre knochigen Leiber bebten unter den Resten von
Kleidung, die binnen weniger Augenblick zu Staub zerfielen. Und der
Prozess hielt weiter an.
Das
zerzauste Haar, das trotz der Tatsache ihres Todes immer noch ein
wenig weiter wuchs, rieselte zu Boden. Ein Zischen war zu hören,
als der merkwürdige Staub sich mit dem Schnee vermischte. Hände,
Arme, Füße und Beine begannen sich ebenfalls aufzulösen
und in feinen blaugrauen Staub zu verwandeln. Es sah aus, als
schwebten die verkrüppelten Körper in der kalten Luft, denn
der Rumpf war stets das letzte, was zu Staub zerfiel. Es hörte
sich an wie vertrocknetes Laub, das im Wind zu Boden raschelte. Übrig
blieb nichts weiter als – Staub.
Caleb
ging weiter, näherte sich der Mitte des kleinen Friedhofes und
blieb, umgeben von unterschiedlich großen Haufen blaugrauen
Staubes, den im Wind dahin wehenden sterblichen Überresten der
gewaltsam dem Tode überantworteten Menschen des Ortes, stehen.
Er unterbrach ddie Beschwörung nicht eine Sekunde, holte mit
beiden Armen aus und rammte den Stab in die gefrorene Erde. Ein
blauweißes Licht glühte auf, genau dort, wo der Stab die
Erde berührte. Stück für Stück sank dieser tiefer
und tiefer ein. Caleb intonierte weiter die Worte seiner Beschwörung,
trat ein paar Schritte zurück und breitete die Arme aus.
„AMANU
SCHAMMASCH EE`H! SISIE AD KALAMA YA! AMANU
SCHAMMASCH EE`H!“
Der
Staub zu seinen Füßen wirbelte herum, stieg in feinen
Spiralen um den Stab empor, dessen Ende ebenfalls blau zu leuchten
begonnen hatte. Ein greller Blitz schoss daraus hervor und bohrte
sich durch die dunkle Wolkendecke in unbekannte Sphären hinauf.
Die Spirale aus blaugrauem Staub wand sich weiter um den Stab, weiter
um den dünnen Strahl blendenden Lichtes und weiter in die Höhe.
Die
Serenade für den Tod hatte begonnen und die zu Tode gekommenen
Menschen, deren Seelen bis zum heutigen Tag keine Ruhe gefunden
hatten, waren auf dem Weg ihrer Erlösung. Sie würden nun
endlich den Frieden finden, der ihnen nach all den Torturen und der
Angst, dem Unwissen über ihr Schicksal, so viele Monate über
verwehrt geblieben war. Und Caleb sang weiter, bewegte weiterhin
seine Lippen, um die Worte ununterbrochen weiter an Macht gewinnen zu
lassen. Den Toten hatten sie den ewigen Frieden gegeben. Ihre Seelen
waren in den Himmel aufgestiegen; sie waren in Sicherheit, den Fängen
des Erzdämons entzogen, der sich an
ihrer Pein weidete, als seien sie Schlachtvieh.
Gleichzeitig würde er diesem Ding jedoch den Weg
zurück in die Unterwelt verwehren. Es würde ihm nicht
gelingen, sich von dannen zu schleichen, jedenfalls nicht ohne einen
entsprechenden Kampf. Und dieser folgte beinahe auf dem Fuße.
Der
Stab der Reinheit war nichts weiter als
eine direkte Verbindungsstelle. Eine Weiche, über welche die
Seelen der Verstorbenen in das Reich, welches
oft von den gewöhnlichen Menschen als Himmel oder Nirvana
bezeichnet wird, geleitet werden konnten. Ein wertvolles
Artefakt, von dessen Existenz kaum jemand wusste,
oder sich hätte erträumen können. Gleichzeitig
fungierte er auch als Verstärker, der die sogenannte
Macht der Reinheit auf alles
irdische übertrug und, wie
in diesem Falle, auch in die Erde. Aber nur
dann, wenn man imstande war, mit
äonenaltem Worte die Magie durch den Stab zu bündeln.
Aus
den aufgebrochenen und verwaisten Gräbern schossen Strahlen
blendend weißen Lichtes. Erst nur spärlich, wurden es
binnen weniger Augenblicke immer mehr, bis schließlich der
ganze Friedhof unter der Zeitblase von weißlich blauen
Lichtfingern erfüllt war. Caleb hielt weiter die Augen
geschlossen, konzentrierte sich auf die Worte
der Beschwörungsformel und sank langsam auf die Knie. Die Hände
hatte er immer noch fest um das glänzend schwarze Holz des
Stabes geschlossen.
Mit
einem Schlag war alles ruhig. Auch das Licht war erloschen und die
Gräber lagen eingesunken und leer da. Endlose Sekunden geschah
nichts und eine trügerische Ruhe legte sich über alles.
Caleb war verstummt, bewegte aber immer noch die Lippen, formte stumm
jene kryptischen Worte, die aus etlichen Toten nichts weiter machten,
als ein paar Hände voll feinen Staubes. Doch sie beschworen noch
mehr und urplötzlich erfüllte ein markerschütternder
Schrei den Friedhof, der von den übrigen Bewohnern jedoch nicht
gehört werden konnte. Ein Rumoren und Zischen erscholl unter
Calebs Füßen. Er sprang auf, warf den Umhang gänzlich
ab und zerrte einen Apparat hinter seinem Rücken hervor, der,
rein optisch betrachtet, dem Genie eines Wahnsinnigen entsprungen
schien.
Unter
einem schräg abgeschnittenen, scharf angeschliffenen Rohr waren
zwei gelb und schwarz lackierte Druckbehälter montiert. Mehrere
unterschiedlich dicke Schläuche bogen sich aus dem einen Ende
der Behälter und mündeten, von groben Schrauben gehalten,
in einer Art Kugeltank, der sich an der rechten Seite befand. Ein
weiteres, dickeres Rohr befand sich oberhalb jenes ersten Rohres,
dessen Mündung schräg abgesägt war und das ganz
offensichtlich als Lauf für diverse Geschosse fungierte. Noch
während Caleb die Waffe hinter seinem Rücken hervor zog,
deren Gewicht nicht ganz leicht war, brach die Erde weiter auf und
rötliches Feuer stieg in die Schwärze des Abend auf,
gefolgt von einem Schwall heißer, übel riechender Luft,
die Calebs Lungen zu verätzen schien. Er hustete, sank wieder
auf ein Knie und spie mit Blut vermischen Speichel auf die Erde. Der
Gurt, der zum Tragen der Waffe gedacht war, rutschte ihm von der
Schulter. Seine Hand griff danach, erfasste ihn und ließ ihn in
der Bewegung inne halten. Ganz langsam, so, als würde die Zeit
in einem quälend langsamen Tempo vor ihm ablaufen, hob er den
Blick zu einem der Gräber. Ein matt schimmernder, etwas vier
Meter langer und mindestens eine halben Meter im Durchmesser
betragender lepröser Tentakel wuchs daraus hervor.
„Gütiger
Himmel!“
Das
waren die ersten Worte, die ihm in den Sinn gekommen waren, nachdem
er seine Fassung wiedererlangt hatte. Es gelang ihm grade noch sich
zur Seite zu rollen und der mörderischen Wucht des Tentakels zu
entfliehen, der wie eine sich entspannende Stahlfeder auf ihn
zugeschossen kam. Ein mehrere Meter tiefer Graben war da entstanden,
wo eben noch sein Torso auf dem Boden gekauert hatte. Schnell blickte
er an sich hinab und überflog mit Blicken das Stück
aufgewühlter Erde, das nun zwischen ihm und dem Stab lag. Er
stand noch da, in einen Kokon aus schwachem blauem Licht gehüllt.
Dann war noch nicht alles verloren. Mit dem Ärmel seines Mantels
wischte er sich die Blut- und Speicheltropfen von den Lippen,
rappelte sich dann umständlich auf die Füße hoch,
während er in der selben Bewegung einen Hebel an der schweren
Waffe umlegte. Weißer Nebel entwich zischend aus einem Ventil,
das an eine Druckanzeige gekoppelt war. Etwas knirschte im Innern der
Waffe, denn mit dem öffnen des Ventils wurde gleichzeitig die
Abschusskammer mit einem Projektil gefüllt. Ein metallenes
Gebilde, zu beiden Seiten offen, befand sich unterhalb der Waffe,
kurz hinter den Drucktanks, und vor dem hölzernen Handgriff, den
Caleb nun fester denn je umfasste. Das Magazin.
Jedes
Projektil bestand aus einem gut dreißig Zentimeter langen
Hartholzschaft, dessen vorderes Ende mit einer Spitze aus
rostzerfressenem Metall und rasiermesserscharfen Widerhaken versehen
war. Jede Metallspitze hatte mehrere Monate in einem Fass mit den
schleimigen Absonderungen Tatschogguhas gelegen. Es war
wichtig, sie genau im richtigen Moment der stinkenden Flüssigkeit
zu entnehmen und auf das präparierte Hartholz de sSchaftes zu
pflanzen. Ein simples Werkzeug, das für Vampire,
oder Dämonen jedoch ein nicht zu verachtendes
Artdezimierendes Gegenmittel darstellte. Nun, wenigstens für die
Vampire, die er kennen gelernt hatte. Und Blut tranken die wenigsten
von ihnen. Bis auf ...
„Na
endlich zeigst du dich, Bastard!“
Caleb
zielte auf den Tentakel, zögerte noch einen Moment, da dieser
hin und her zuckte und drückte ab. Der Bolzen verfehlte sein
Ziel nicht, drang durch die ledrig grüne Haut des Ungeheuers und
ließ dieses markerschütternd aufkreischen. Da sich der
Rest des Monstrums noch unter der Erde befand, klang der Schrei
unangenehm hohl und ließ den Boden unter seinen Füßen
merklich erbeben. Dort, wo der Pfeil in den Tentakel eingedrungen
war, verfärbte sich dieser dunkelbraun, schlug dann nach wenigen
Momenten in teeriges Schwarz u. Rauch kräuselte sich in die Luft
und ein noch unangenehm riechender Gestank breitete sich aus.
Begleitet von einem Zischen und dem Schreien des unter der Erde
tobenden Monsters, verfaulte der Tentakel innerhalb weniger
Augenblicke vor Calebs Augen und fiel, einem morschen Ast gleich, zu
Boden. Doch kam das Ding durch diese unfreiwillige Amputation seiner
Gliedmaßen erst richtig auf Touren. Sein Toben und Kämpfen
wurde noch gewaltiger und an immer mehr Stellen auf dem Friedhof
brach die Erde auf. Feuer und Gestank wölkten sich daraus in die
Luft und Caleb hatte alle Hände voll zu tun, um nicht die
Besinnung zu verlieren. Er schwankte, was jedoch mehr auf den Umstand
des Erdbebens zurückzuführen war, als darauf, das ein
leichter Schwindel in seinem Kopf zu wirken begonnen hatte.
Aus
drei weiteren Gräbern waren ebenfalls Tentakel gekommen, die ihn
tänzelnd über den Friedhof laufen ließen. Einen
Treffer hatte er dadurch nicht mehr landen können. Nur knapp war
es ihm gelungen, zwei weiteren Schlägen zu entgehen, bis
schließlich ein gigantischer Erdhaufen vor seinen Füßen
aufbrach und ein Geschöpf an die Oberfläche kroch, jenseits
aller Vorstellungskräfte, ja, sogar alle Grenzen der
menschlichen Neugier und des Denkens. Ein gewaltiger Leib, über
und über mit knochigen Hornplatten gepanzert, grub, stemmte und
zerrte sich aus dem Erdboden. Das Wesen erinnerte nur wiederwillig an
einen Menschen, war es doch um so vieles größer als ein
einzelner Mann. Doch es verfügte über zwei kräftige
Arme und Beine und ein halbes Dutzend lepröser Tentakeln, die
ihm entlang der Wirbelsäule aus dem Rücken wuchsen.
Schleimüberzogene Pusteln, so groß wie Kinderköpfe,
offene Geschwüre, aus denen unablässig eine schwarze
Flüssigkeit rann, bedeckte das Wesen, dessen Arme und Beine mehr
an die eines gigantischen Insekts, denn eines Menschen erinnerten.
Ein lebender Tumor, die perverse Abstraktion eines todkranken, vom
Krebs zerfressenen Menschen stand dort vor ihm. Und das Grauen nahm
noch kein Ende, als sich das Wesen, der Dämon, langsam um die
eigene Achse drehte und Caleb einen Blick auf seine Front offenbarte.
„Gütiger
Himmel, steh mir bei! Wie soll ich diesem Ding beikommen, wenn es
mich mit seinem bloßen Anblick schon töten könnte?“
Sein
Kopf zuckte noch ein Stück tiefer zwischen die Schultern und er
sprang zwischen den Grabsteinen und Kreuzen umher, um wenigstens
durch sein stetiges in Bewegung bleiben dem Dämon das
Spiel nicht zu leicht zu gestalten. Es schmerzte ihn in seinem
Innern, als er den Blick dieser ... vielen ineinander verwachsenen
Köpfe, entstellter Gesichter und um Gnade winselnder Augen
spürte. Was hatte man ihm hier nur aufgebürdet? Oh, sicher,
er war kein Anfänger mehr. Aber auch kein Zauberer, der es nach
einem Zeitsprung plötzlich mit ausgewachsenen Kriechern des
namenlosen Grauens aufnehmen konnte. Bei
allem was ihm lieb war, hier hatte man ihm wirklich verdammt tief in
eine Misere hineinmanövriert und dann einfach sich selbst
überlassen. Sicher, man hatte ihn mit einer Waffe ausgestattet.
Und sogar ein Gefäß für den Geist dieses Monstrum
befand sich in seiner Umhängetasche. Doch bis es so weit sein
würde ...
„...
bin ich entweder Tod oder – noch schlimmeres!“
Er
gönnte sich einen kurzen Moment der Rast, atmete tief und
kräftig ein und aus, befüllte jedoch seine Lungen mit jedem
Atemzug mit pestgeschwängerter Luft.
„Wenn
mich das Vieh nicht tötet, dann seine Gase.“
Wie
ein Geschoss rannte er auf den einzigen, knorrig und kahl am Rande
des Friedhofs wachsenden Baum zu, duckte sich in den Schatten eines
kräftigen Astes und legte erneut auf den Dämon an.
„Vier
Pfeile! Ich habe noch vier ver ... dammte Pfeile. Wie soll ich da was
reißen?“
Nun
bleib doch mal ruhig, Caleb! Ich bin ja schon unterwegs.
Wieder
explodierte die Stimme in seinem Kopf. Doch für eine Antwort
hatte er jetzt keine Zeit. Genau in dem Moment, als ein peitschender
Tentakel, begleitet von entsetzlichen Schreien aus etlichen
deformierten und verwachsener Münder gleichzeitig kommend, kaum
zwei Meter neben ihm den Stamm des Baumes spaltete. Er schoss, traf
und machte sich daran, weiterhin am Leben zu bleiben. Der Anblick
kostete ihn mehr Kraft als er bereit war zu geben. Ein großer,
annähernd menschlicher Schädel, thronte auf dem baumdicken
Hals. Einen Er war kahl, von gräulich grüner Färbung
und ebenfalls mit eitrigen Geschwüren übersät. Einen
Kiefer besaß er nicht. Stattdessen verfügte er an dieser
Stelle über eine Ansammlung langer, rötlicher Barteln, die,
ebenfalls mit heißem Geifer überzogen, peitschten und
dampfenden Schleim verspritzten. Ein rot gerippter, in schwarze
Finsternis mündender Rachen grinste ihm entgegen, der von einem
Verhau aus strahlend weißen Zähnen umkränzt war, von
denen jeder nadelspitz zulief.
Der
Holzpflock aus seiner Waffe hatte das Geschöpf in den muskulösen
Oberschenkel getroffen und war abgebrochen. Trotzdem war er tief
genug eingedrungen, um seine Wirkung nicht zu verfehlen. Rund herum
um die Eintrittsstelle verfärbte sich das Gewebe erst
dunkelbraun, dann schwarz. Und auch hier stieg fettiger Rauch auf,
als der Zersetzungsprozess in rasendem Tempo weiter voran schritt.
Ein weiterer Schuß entlud sich
zischend und ein weiteres Geschoss war unterwegs. Dieses Mal hatte er
weniger Glück. Die Pfeile verfehlte das Monster, das mit einem
Male noch beweglicher schien, als es ohnehin schon war. Peitschende
Tentakel surrten durch die Luft und immer wieder schlugen gleich
mehrere dieser lebenden Totschläger bedrohlich nahe neben ihm
oder vor ihm ein. Der Friedhof erweckte den Anschein eines wahren
Schlachtfeldes. Die Erde war aufgewühlt und von tiefen Kratern
und den Resten entweihter Gräber übersät. Selbst der
Zaun war in Mitleidenschaft gezogen worden. Zersplittertes Holz lag
überall herum oder steckte wie Speerspitzen in der
durchbrochenen Erde.
„Tanith,
beeil´ dich!“
Caleb
rannte weiter, immer darauf bedacht, nicht über ein Stück
zersplittertes Holz oder in einem Loch zu landen. Wenn er jetzt ins
Straucheln geriet, war es endgültig aus mit ihm. Ein weitere
Pflock verließ zischend den Lauf der Waffe. Er traf den
Giganten in den Ansatz eines Tentakels auf dem Rücken. Das Biest
schrie gellend aus allen ihr zur Verfügung stehenden Mündern
auf, warf die Arme in die Luft und versuchte das Geschoss zu
erreichen. Es gelang ihm nicht. Stattdessen verfärbte das
graugrüne, krebsdurchsetzte Fleisch in eine schwarze stinkende
Masse, die sich kurz darauf in beißende Rauchschwaden
verwandelte und der Zeitkuppel entgegen stieg. Mit einem nassen
Geräusch riss der Tentakel ab und fiel polternd zu Boden.
Die
Köpfe, du musst die Köpfe auf seiner Brust zerstören,
Caleb!
Aber
das konnte doch nicht wahr sein. Jetzt, da all seine Munition
verbraucht war und er am Rande seiner Kräfte stand, bekam er
plötzlich die Tips, die er schon zu Beginn des Kampfes hätte
gebrauchen können. Und trotzdem, selbst wenn er gleich von
Anfang an auf die Schädel, oder das, was von ihnen noch zu
erkennen war, geschossen hätte, wie hätte er mit den paar
Schüssen im Magazin ein gutes Dutzend dieser missgestalteten
Köpfe zerstören sollen?
Caleb,
fang!
Wie
bitte? Für einen Moment betäubt von Geschrei und Getöse,
bebte sein Blick und er sah alles doppelt und dreifach. Er ließ
die Waffe auf den schlammigen Boden sinken und presste beide Hände
auf die Ohren. Humpelnd bewegte sich der Dämon ein Stück
von ihm fort. Er schrie immer noch, doch die Lautstärke war
mittlerweile auf ein erträgliches Maß abgeschwollen. Auch
der Blich auf seine Umgebung gelang ihm wieder ohne
Doppelsichtigkeit, lediglich der beißend in der Lunge und im
Hals stechende Gestank macht ihm noch zu schaffen. Kaum das er sich
einen winzigen Moment der Ruhe gönnte, durchbrach ein kleines,
matt schimmerndes Objekt die Kuppel der Zeitblase. Er bemerkte dies
aus dem Augenwinkel heraus, und, noch eh er den Kopf zur Seite drehen
konnte, war ihm auch schon etwas schweres, kantiges in den Schoß
gefallen. Seine dicke Lederhose und der Mantel den er trug, hatten
dem Objekt die größte Wucht genommen und so tat es nur ein
wenig weh. Es war ein weiteres Magazin, angefüllt mit zehn neuen
Pfeilen. Ohne großartig nachzudenken löste er das alte
Magazin aus der Waffe, ließ es achtlos in den Dreck fallen und
rammte das volle in die Halterung. Es zischte und knackte, als die
Mechanik der Waffe einen Bolzen in den Lauf schob, bereit zum
Abschuss.
Wütend
über ein möglicherweise fatales Ende dieser ganzen Aktion
rannte er auf den Dämon zu, legte aus der Hüfte auf die
Köpfe an und drückte gleich mehrfach hintereinander ab. Die
Pfeile flogen zischend durch die stinkende Luft und schlugen kurz
hintereinander in zwei der Köpfe ein. Das Brüllen der
gequälten Stimmen, welches daraufhin erklang, war
ohrenbetäubend. Sie schrieen auf, während pechschwarzer
Schleim aus den Mündern, Augen und der Einschusswunde rannen.
Das Brüllen aus der Kehle der eigentlichen Kreatur übertönte
das der Köpfe nur um wenige Dezibel. Caleb rannte zwischen den
Beinen hindurch, von dem eines ebenfalls beträchtlich von der
Verwundung angegriffen war, und verschwand in einem tieferen Erdloch,
das ein Stück hinter dem Sendboten einer der zahllosen Höllen
lag.
„Also
schön, dann wollen wir mal unser Bestes versuchen.“
Mit
einem Satz war er aus dem Grab gesprungen und rannte mit
ausgreifenden Schritten, so weit es der Untergrund zuließ, auf
das Monstrum zu. Das von einem Pfeil getroffene Bein der Kreatur war
nun noch weiter von schwarzer Verfärbung überzogen und
immer stärker kräuselte sich ein schwarzer fettiger Qualm
davon empor. Oh, es musste ihm offensichtlich sehr schmerzen, doch
das war Caleb völlig egal. Er hatte bereits bei seinem ersten,
nicht ganz freiwilligen Einsatz dieser Art, gelernt, wie er sich
diesen Wesen gegenüber zu verhalten hatte. Und er würde nun
nicht einen Zoll davon abweichen. Schnaubend wendete sich das Wesen
ihm zu. Im Schein der flirrenden Zeitblase und der Mondsichel konnte
er die Brust erkennen, auf der sich die vernichteten Köpfe in
einen Brei aus fauligem Schleim verwandelt hatten. Die eingedrungenen
Hartholzpfeile waren kurz über der Eintrittsstelle abgebrochen
worden. Trotzdem gab es noch genug der deformierten, in Qual und
Agonie auf ihn herab starrender Gesichter in denen trotz des
Umstandes, das er sie auslöschen wollte, ja, auslöschen
musste, ein winziger Funken von Hoffnung.
Das
Biest erspähte seinen Gegner, wendete sich schwerfällig um
und versuchte sogleich mit seinem angeschlagenen Bein nach ihm zu
treten. Die tödliche Bedrohung dieses Trittes außer Acht
lassend, legte er kurzerhand auf den am nächsten stehenden Kopf
an, drückte ab und traf. Augenblicklich verwandelte sich das
Gesicht in eine schwarze stinkende Masse, die zäh wie Wachs in
sich zusammen sank und zerfloss. Verfolgt von diesem schreienden
Kollos nahm er die Beine in die Hand und rannte davon. Hinter einem
halb umgestürzten Holzkreuz blieb er stehen, ging in die Hocke
und legte erneut auf einen der Köpfe an. Das Geschoss glitt aus
der Waffe, flog in einem sanften Bogen auf die Brust des Monsters zu,
auf der eine quälend schreiende Masse aus verzerrten Gesichtern
schwarzen Schleim ausspie, erreichte diese aber nicht. Stattdessen
prallte er an einem herum liegenden Gesteinsbrocken ab, überschlug
sich dabei mehrfach und splitterte schließlich in etliche Teile
zerlegt davon.
„Shit,
das geht ja gut weiter – Tanith?“
Zwei
weitere Pfeile wurden abgeschossen, nach dem er sich ein paar Meter
weiter an das Geschöpf heran gebracht hatte. Wieder erzielte er
einen Treffer mit jedem von ihnen. Peitschend, mit Tentakeln und
Armen um sich schlagend, versuchte der Gigant sich Caleb weiter vom
Leib zu halten. Seine geballten Fäuste preschten mit
unaussprechlicher Wucht auf den Erdboden nieder, ließen diesen
wie unter einem Erdbeben erzittern und rissen Caleb des öfteren
von den Füßen. Doch es gelang ihm immer wieder, sich
außerhalb der Reichweite jener Verderben bringenden Fäuste
wieder hoch zu stemmen. Ein weiteres Mal legte er auf die Brust an.
Er hatte kaum die Zeit vernünftig zu zielen, da verließ
der Pflock die Waffe und raste auf einer Dampfwolke aus komprimiertem
Gas dahin. Wie durch ein Wunder hatte er den Abschusswinkel so
gelegt, das mit einem Pfeil gleich drei weitere Köpfe auf der
Brust zerschmettert wurden. Die Anzahl der verbleibenden Ziele
schrumpfte zusammen, doch wurde das Biest gleichzeitig von neuer und
noch rasenderer Wut gepackt, das ihm der Schmerz in seinem
verkrüppelten Beinen und den verfaulten Tentakelstümpfen
auf seinem Rücken nicht weiter zu stören schien. Brüllend
warf er sich Caleb entgegen, ließ seine missgestalteten
Klauenhände nach ihm greifen, versuchte ihn durch gezielte Hiebe
seiner Tentakel von den Beinen zu fegen, doch Caleb überstand
und überlebte jede dieser Aktionen. Nach und nach gelang es dem
Menschen weitere Köpfe auf der Brust zu zerstören, bis
Schlussendlich der Kollos auf die Knie sank, seine geballten Fäuste
in die Erde rammte und prustend röchelte. Neuerliche
Wutausbrüche gingen in einem Gurgeln und Schnauben unter, das
sich mit großen Mengen des schwärzlichen Schleimes
mischte.
Die
Brust des Dämons war eine einzige, klaffende Wunde aus rot und
schwarz. Dort, wo zuvor noch die verwachsenen Köpfe gewesen
waren, gähnten große fleischige Krater, in deren Zentrum
vereinzelt noch der Schaft des Hartholzpflocks steckte. Der Gestank
war nun noch unerträglicher geworden und Caleb versuchte, die
Waffe in einer Hand haltend, mit der anderen seine Nase ein wenig
abzuschirmen. Vergebens. Der Dämon war dem Ende
geweiht. Es mochte sich komisch anhören, denn schließlich
handelte es sich hier um eine Ausgeburt aus Orten, die dem Menschen
so unerklärlich waren, das jeder augenblicklich den Verstand
verloren hätte, hätte er sich mit ihnen auch nur im Ansatz
beschäftigt. Doch auch diese Geschöpfe konnten sterben,
wenn man wußte wie! Langsam, mit torkelndem Schritt, den Blick
nicht von dem hinter dunklen Rauchschleiern verborgenen Monster
nehmend, kam Caleb näher. Es blubberte und aus etlichen Wunden
floss schwarzer Schleim, der hier und da stinkende Tümpel
bildete. Grunzende Laute entrangen sich der großen Kehle,
während die Augen, so groß wie Fußbälle und in
schwefeligen Höhlen liegend, ihn kommen sahen. Der Dämon
versuchte noch einmal sich aufzurichten, brach jedoch zusammen und
prallte wieder auf den Erdboden.
Gratuliere,
du hast es fast geschafft. Bring es zu Ende, Caleb. Du weißt
was noch zu tun ist!
Oh
ja, er wußte was er zu tun hatte. Die Waffe war, bis auf einen
einzelnen Pflock, leer geschossen. Er ließ sie zischend in ein
Grab fallen, ohne sich weiter darum zu kümmern. Für die nun
folgende Aufgabe benötigte er sie ohnehin nicht mehr. Der Stab,
den er zuvor in die gefrorene Erde gerammt hatte, stand noch immer so
da, jedoch war das Leuchten ein wenig abgeklungen. Dennoch umwob den
Stab ein hellblauer Lichtschleier. Schnell machte er sich auf den
kurzen Weg zu ihm, griff das glänzend schwarze Holz und zog ihn
so leicht aus dem Erdreich, als hätte er in der Luft geschwebt.
Zurück an der Stelle des gefällten Dämons machte er
sich sogleich daran, an diesem hinauf zu klettern. Seine Füße
fanden mehr Halt auf dem schwammigen Untergrund, als ihm lieb gewesen
war. Hier und da versanken seine Füße tief in einer
geschlagenen wunde, oder zwischen einer Schuppenfalte am Rücken.
Um im Gleichgewicht zu bleiben zog er sich an den übrig
gebliebenen Tentakeln empor, bis er im Nacken der Bestie angekommen
war. Dort droben, mit wackeligen Beinen, verlor er kaum Zeit um sein
Wer zu vollenden. Der Dämon schnaubte abermals, versuchte sich
aufzurichten, den Störenfried abzuschütteln, der ihm
unweigerlich das endgültige Ende bescheren würde, doch es
gelang ihm nicht. Stattdessen holte Caleb aus, schwang den Stab
erneut und mit noch größerer Wucht über den Kopf –
und stieß zu. Fast einen vollen Meter tief rammte er das Holz
in den weichen, ungepanzerten Nacken der Bestie. Diese schrie unter
der ihr dargebrachten Folter erbärmlich auf. Ein Schrei aus
tausend Kehlen gleichzeitig erklang, gefolgt von Blitz und Donner,
die unermüdlich auf der anderen Seite der Zeitblase losbrachen.
Ein
Ruck ging durch den Körper und für Caleb wurde es Zeit nun
auch den Rest der bereits begonnenen Zerstörung zu Ende zu
bringen. Wieder wurde der Singsang des absteigenden Knotens
angestimmt.
„EHKI
ADAR EE`H! AGALU XUR KURRU BARA YE!
AMANU ADAR EE`H!“
Das Unwetter wurde noch stärker,
bedrohlicher, lauter!
„SINIKU
UD KURRAH YA! AMANU ADAR EE`H!“
Das
Licht des Stabes flackerte auf, wurde wieder gleißend hell und
sandte einen weiteren, noch kräftigeren Strahl senkrecht in den
Nachthimmel empor, aber sicherlich nicht in den Himmel selbst.„EHKI
SCHAMMASCH EE`H! AGALU XUR KURRU BARA YE!
AMANU SCHAMMASCH EE`H!“
Die
Serenade begann von Neuem und dieses mal noch stärker. Zischend
und blubbernd sprangen Funken aus der stinkenden Wunde, die der Stock
in den Nacken gebohrt hatte. Übelkeit erregender Rauch stieg
daraus empor, ringelte sich um den Stab nach oben und ging dann in
den Strahl weißen Lichtes über. Ein Rumoren stieg aus den
unheiligen Eingeweiden der Kreatur auf, ließ den Berg
aus Fleischigen Resten wanken und Caleb im letzten Moment abspringen.
Genau richtig, bevor sich an der Stelle, an der er grade noch
gestanden hatte, ein klaffender Riss entstand war. Schwarzgrüne
Flüssigkeit wurde verspritzt, von der auch er getroffen wurde.
Dampfende Blasen ließen Fleisch, Knochen und sämtliche
Flüssigkeiten verdampfen, ineinander schmelzen und zu einer
stinkenden Masse werden, die nach einem weiteren Moment in blaugrauen
Staub über ging.
„SISIE
AD KALAMA YA! AMANU SCHAMMASCH EE`H!“
Ein
letztes Mal erklang der Singsang des absteigenden Knotens,
gefolgt vom Crescendo der sterbenden, Kreatur. Dann war es still. Der
Stab schwebte in der Luft und sank langsam zu Boden. Der Raum, in der
vor wenigen Momenten noch der zerschundene Körper des Dämon
lag, füllte sich mit Luft und eine dünne Wolke feinen
Staubes sank wie frischer Schnee dem Erdboden entgegen. Kleine Wirbel
dieser Substanz wurden über den zerwühlten Boden geblasen
und stiegen sogleich auf, als der Stab ihn berührte.
Spiralförmige Schlieren wanden sich um das schwarze Holz,
stiegen an diesem auf und traten formlos in das gleißende Licht
ein.
„Na
ich schätze, hier bin ich fertig. Grüß schön,
wenn du bei ihm angekommen bist, du Bastard. Wer immer dich auch in
Empfang nehmen wird.“
Tz
tz, schon wieder große Töne spucken?Bedenke das ich es
bin, die dich in
einem
Stück hier herausbringen soll. Als sei schön lieb!
Er
konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als die Worte in
seinem Kopf nachhallten. Auch er hatte ein paar Blessuren
davongetragen und fühlte sich alles andere als fit. Dennoch
hatte sie recht. Und als sei dies nicht schon genug, da verschwand
die grün schillernde Wölbung der Zeitblase und er stand
alleine, inmitten eines Friedhofes – der ausschaute, als sei nichts
geschehen. Alle Gräber waren wieder so angeordnet, als habe
überhaupt kein Kampf stattgefunden. Der Mond schien als schmale
Sichel über ihm und frischer Schnee rieselte aus dem Schwarz der
Nacht auf ihn hinab. In der Ferne glomm ein goldener Schimmer auf,
der sich ihm rasch näherte. Es war so weit. Erschöpft, mit
schmerzendem Kopf machte er sich auf den Weg, dem Licht entgegen.
Keine hundert Meter von ihm entfernt blieb die Lichtkugel in der Luft
stehen, wankte hin und her und bildete sogleich eine glänzende
goldene, sich selbst verschlingende Scheibe. Ihm wurde übel als
er darauf zu rannte. Es war, als würde er sich einen eckigen
Kreis vorstellen. Es gelang nicht und trieb ihn an den Rand des
Wahnsinn. Er rannte, rannte als hetze er gegen die Zeit persönlich
an. Mit einem letzten Sprung durchdrang er die wabernde Oberfläche
der Scheibe, das Tor aus dieser Welt und ...