Norman Boos

Paland von Waskir

Der Saal war gut gefüllt und reich geschmückt. Laternen in Buntglasgehäusen tauchten die Alkoven an den Seitenwänden in ein verträumtes Licht. Grün, gelb, blau und violett strömte in den Saal hinaus und die kleinen Grüppchen, welche sich dorthin zurückgezogen hatten, saßen an den steinernen Tischen um Karten zu spielen, die Würfel rollen zu lassen oder sich ganz einfach nur ungestört unterhalten zu können. Die Wände dazwischen wurden an diesem Abend nicht von den üblichen Gobelins mit Schlacht- und Jagdszenen geziert, sondern von verträumten und verspielten Motiven wie Fabelwesen, blühenden Gärten oder Fischen die unter Wasser schwammen. Jede Szene in verwirrendem Farbenspiel dargestellt und in skurrile Hintergründe verflochten. Die Mitte der Halle wurde von vier massiven Kronleuchtern beherrscht unter denen sich die Gäste lautstark unterhielten während einige der Generäle und Offiziere schon erste Trinklieder anzustimmen wagten. Am Ende der Halle, welche an anderen Tagen als Hofsaal des Königs dienen mochte, war Platz für eine Tanzfläche gelassen worden hinter der ein hölzernes Podest stand. Darauf nahm derzeit ein zwölfköpfiges Streichorchester Platz. Die Männer, welche in schwarze Westen gekleidet waren die ihre weiten weißen Hemden noch heller scheinen ließen, stimmten im Moment noch ihre Instrumente. Der Tanz würde erst später beginnen wenn die Festgesellschaft komplett war. Rechter Hand vom Eingang aus lag ein großes Portal mit zwei weit geöffneten Schwingtüren, durch welches ununterbrochen Diener in roter Livree mit silbernen Tabletts und verschieden Krügen ein- und ausströmten um die Festgäste zu versorgen. Dampfendes Fleisch, kleine und große Küchlein, Pasteten, Kohlgemüse, warmes Brot, kräftiger Rotwein, Bier und Met wie viele andere Speisen und Tränke sorgten bereits jetzt für eine heitere Stimmung obwohl die Sonne noch nicht einmal richtig untergegangen war und bestimmt noch die Hälfte der Gäste fehlte. Ein wenig dahinter lag das Tor zum Garten welcher sich auf einer erhöhten Terasse befand und bekannt war für sein wunderschönes Abendpanorama.

Die Bekanntgabe seiner Verlobung stand zwar unter einem schlechten Stern, doch Paland bemerkte das dies an jenem Abend niemanden kümmern würde. Die Menschen waren seltsam. Trotz offensichtlicher Bedrohungen und den vielen Aufgaben welche demnächst anzugehen waren, hatten sie trotzdem noch die Muße sich derlei Heiterkeiten hinzugeben. Doch diese Sorgen konnten wirklich noch ein wenig warten. In diesem Moment hoffte Paland das Prinzessin Lianna, seine Verlobte, ihm zusagte. Oder das er ihr zusagte. Diesbezüglich machte sich große Nervosität in ihm breit und diese würde ihm vorerst die Freude an den aufgetischten Gaumenfreuden, dem Tanz, den Liedern und der fröhlichen Gesellschaft verderben.

„Wollt ihr nicht hineingehen Herr?" fragte Tjar, welcher es sich nicht nehmen ließ selbst bei derartigen Festlichkeiten einen waskischen Wappenrock zu tragen. Paland musterte seinen ersten Marschall. Eigentlich war ihm an diesem Abend frei gestellt wie er sich kleiden wollte, doch in Wappenfarben als Soldat bei einer Bündnisehe zu erscheinen machte seiner Meinung nach den Eindruck das sie als Eroberer kamen. Er selbst trug eine weiße Tunika und einen halben schwarzen Samtmantel, welcher mit seinem persönlichen Prinzenwappen, den beiden Füchsen, aus silbernen Fäden verziert war. Sein Blick wandte sich Tjars Gesicht zu. Die dicke Knubbelnase über seinem breiten Mund fiel einem sofort auf. Sie hatte die Eigenschaft zu wachsen wenn man sie nur lange genug ansah. Die tiefliegenden, hellgrünen Augen strahlten für gewöhnlich eine listige Intelligenz aus, wurden im Moment aber ein wenig von hellbraunen Haarstränen verdeckt. Manch einer der anderen Marschalle zog ihn des öfteren wegen seines Topfhaarschnitts auf, doch Tjar wusste sich gut mit Worten zu wehren. Den Titel des ersten Marschalls hatte er sich nicht mit dem Schwert verdient, wie Paland wusste. Doch dies war eigentlich das einzige das er über den Mann an seiner Seite bisher erfahren hatte.

„Ja, du hast Recht." Meinte er sodann nickend und sah wieder in die Halle. „Schließlich wird heute meine Hinrichtung verkündet." Fügte er noch verschmitzt hinzu. Ein unterdrücktes Lachen erklang von einem der beiden Torwächter hinter ihm und Tjar nickte schelmisch lächelnd. Noch ein letztes Mal tief durchatmend ging Paland die fünf Stufen hinab um wenige Momente später auf seinem Weg zur Königstafel von allen Gästen die ihn bemerkten, was nicht wenige waren, angesprochen zu werden. Die Frauen beglückwünschten ihn, die Männer bekundeten ihr Beileid und ein älterer Mann in blauer Tunika erzählte ihm, in Gegenwart von dessen gut fünfzehn Jahre jüngeren Gattin, einen anstößigen Witz über seine Hochzeitsnacht. Der Mann lachte so sehr darüber das man ihm ein Glas Wasser reichen musste. Ansonsten wäre er vermutlich vor Lachen und Prusten erstickt. Paland nickte höflich und ging weiter, dicht gefolgt von Tjar.

Als er an der Königstafel ankam und alle Hände durchgeschüttelt hatte, begrüßte er seinen angehenden Schwiegervater, welcher sich extra von seinem Stück Lammbraten für ihn erhob.

„Seid Gegrüßt, König Farian von Emessar und seid gesegnet von den Vieren." Lautete die offizelle Ansprache.

„Prinz Paland von Waskir, euer Segen ist mir wohl und ich möchte ihn mit euch teilen" war die offizielle Erwiderung. Damit war das Zeremoniell abgeschlossen. Für den Moment.

Der König trug eine schwere, goldene Krone an deren vier breiten Zacken jeweils ein Kreuz aus kleinen Diamanten eingesetzt war. Sein schwarzer Bart war ordentlich getrimmt und geölt, doch konnte man die weißen Strähnen, welche sich auch langsam an seinen Schläfen hervortaten, nicht mehr verbergen. Von bulliger Statur war er, trotz seines hohen Alters, immer noch ein ungebrochener Mann mit einer Haltung die der eines Königs entsprach. Paland sah sich ihm zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber und er wurde nervös als er zu ihm ging und seinen Unterarm packte. Bisher hatte er nicht viel von seinem Nachbarn zu hören bekommen, weder zum Guten noch zum Schlechten. Farian hielt sich meist aus allen Konflikten heraus und versuchte etwaige außerpolitische Probleme totzuschweigen, wie es Palands Vater so gern sagte. Als sich der Prinz von Waskir nach seinem Platz erkundigen wollte, sprach ihn König Farian nochmals an, und diesmal flüsterte er unter vorgehaltener Hand.

„Bevor ihr euch setzt mein Junge, geht in meinen Garten und schnappt noch etwas Luft. Besonders der Teich ist einen Blick wert."

Paland wollte etwas erwidern, nickte statt dessen nur und grinste um seine Verwunderung zu verbergen. Er wandte den Kopf zu Tjar der sich schon nach Speis, Trank und einer Tanzpartnerin umzusehen schien. Es dauerte einen Moment bis der Mann den Blick seines Prinzen erwiderte. Paland nickte knapp um ihm zu bedeuten das er von jetzt an die Erlaubnis hatte das Fest zu genießen und schon war er in der Menge verschwunden.

Lianna stand im Garten und sah zum Horizont über den Hügeln im Westen. An klaren Abenden wie diesen konnte man von hier aus gut das Farbenspiel der Dämmerung beobachten. Sie genoß es jedoch nicht wirklich. Wie auch wenn die Prinzessin an diesem Abend wie ein Stück Fleisch auf dem Markt verscherbelt wurde. Ihr war bewusst das ihr Vater keine andere Wahl hatte als diese Bündnisehe einzugehen, trotzdem fühlte sie sich durch die Zwangsheirat erniedrigt. Lianna war es immer bewusst gewesen das sie nur einen Mann mit hohem Rang heiraten durfte, doch war ihr von ihren Eltern versprochen worden das sie ein Mitspracherecht haben würde. Wenn auch nur ein geringes. Dieses Versprechen hatte König Farian nun gebrochen doch respektierte sie seine Gründe. Wenigstens hatte er zugestimmt das sie Paland ein paar Augenblicke vor der Bekanntgabe ihrer Verlobung kennen lernen durfte. Liannas Blick fiel auf den Teich. Auf der Wasseroberfläche spiegelte sich die Dämmerung über der Mauer und nur die Seerosen, welche erst vor wenigen Wochen angelegt worden waren, störten das perfekte Spiegelbild. Wie würde er sein dieser Paland von Waskir? Der Beschluss das sie ihn heiraten würde war erst vor fünfzehn Tagen gefasst worden, und von da an ging alles sehr zügig. Das Wenige was sie über ihn wusste sagte nicht viel über den Prinzen aus, und das was sie gehört hatte klang für sie nicht sehr vielversprechend. Ihr Verlobter, der zweite Sohn König Bennets, war seit seinem elften Lebensjahr in der Kriegsschule zu Firnheim ausgebildet worden. Seine Rückkehr hatte man erst an dem Tag veranlasst als die Hochzeit beschlossen wurde. Dies war jedoch alles was sie wusste. Was konnte sie von einem Mann erwarten der als Krieger erzogen worden war? In ihren Augen waren die meisten Soldaten Rüpel und Flegel. Sogar diejenigen unter ihnen die höheren Ranges oder sogar adelig waren hatten keine Manieren. Bei fast jeder Gelegenheit stellten sie in anstößiger Art und Weise Frauen nach, betranken sich bis sie nur noch reglos auf dem Tisch lagen und sangen Lieder über Schlachten und Tod. Hoffentlich hatte ihr Verlobter ein wenig mehr von dem Leben eines Prinzen mitbekommen als nur den Titel.

Paland stellte im dämmernden Tageslicht fest das der Garten an diesem Abend von vielen Liebespaaren bevölkert wurde die sich zwischen den Schatten der Bäume verbargen und leise miteinander tuschelten. Das Knirschen seiner Schritte auf dem breit angelegten Kiesweg war ihnen höchstens einen unbeholfenen Blick wert, dann fuhren sie ungestört in ihren Flüstereien und kleinen Liebkosungen fort. Es hatte einen Moment gedauert bis der Prinz begriff warum Farian ihn in den Garten gebeten hatte. Seine Hände schwitzten und er biss sich unbewusst auf die Unterlippe während dessen in seinem Magen tausend Schmetterlinge tobten. Paland hatte noch nicht viel Erfahrung mit Frauen seines Alters und er machte sich Gedanken darüber was ihm wichtig wäre wenn er sich selbst eine Ehefrau erschaffen würde. Außer dem pauschalen Gedanken das sie ihm gefallen musste fiel ihm jedoch kein überragendes Kriterium ein. Seine einzigen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht beschränkten sich auf ein paar Tanzstunden mit einer netten, gut zehn Jahre älteren Magd. Ansonsten war ihm nie vergönnt gewesen sich den Damen zu widmen, dazu war seine Kriegerlehre viel zu anstrengend gewesen. Und was geschah kaum das man ihn mitsamt Kriegerbrief entlassen hatte? Man verheiratete ihn mit einer Prinzessin aus einem Nachbarreich wegen der politischen Umstände. Da hatte er schon gedacht er könne endlich in seiner Heimat ein wenig ruhen und dann wartete dort nur der Krieg und eine Ehe die für ihn selbst einer Lotterie glich auf ihn. Paland hatte noch nicht einmal um seine eigene Gattin werben können, was ihm sehr zusetzte.

Langsam kam der Teich in Sicht. Die kleine Allee endete und man konnte eine große, wohl getrimmte Wiese sehen an deren Ende ein gut dreißig Schritt breiter und geschätzt ebenso langer Teich lag. Links und rechts daneben waren kleine Pavillions aus weiß lackiertem Holz und mehrere Marmorbänke verteilt. In den Sommermonaten mochten hier wohl an den Abenden traumhafte Feste stattfinden. Der Prinz befand es für ein recht idyllisches Plätzchen, jedoch hielt das Gefühl von Frieden und Ruhe nur einen kurzen Moment. Dann sah er seine Verlobte die gerade auf einer Bank mit Blickrichtung zur Mauer hin Platz nahm. Es musste Lianna sein, denn wer sonst hätte hier auf ihn warten sollen? Nervös wischte er sich die verschwitzten Hände an seinem Mantel ab, atmete noch einmal lang und tief ein und fasste sodann endlich den Mut loszugehen. Er wusste zwar das es nur Galgenhumor war den er vorhin von den Männern in der Halle zu hören bekam, doch fühlte er sich wirklich wie auf dem Weg zu seiner eigenen Hinrichtung.

Wolken kamen von Osten heran und verschlangen die Dämmerung. Lianna saß still auf der Bank und dachte an nichts. Jemand räusperte sich hinter ihr und sie vernahm leise Schritte auf dem Rasen an sie herantreten. Behutsam strich sie sich noch einmal ihren Rock glatt und sand auf. Neben ihr kam ein Mann zum Vorschein der sie aus funkelnden, in diesem Licht wechselnd hell- oder dunkelblauen Augen musterte. Ein klein wenig größer als sie wirkte er elegant auf eine beherrschte Art und Weise. Vornehmlich dunkel gekleidet und ein fein gezeichnetes Gesicht über dem ein dunkelblonder, nach neuster Mode, kurz geschnittener Mittelscheitel zu sehn war. Paland machte den Eindruck als wäre er das was er auch wirklich war. Ein Prinz. Unbehagen machte sich in Lianna breit. Vielleicht hätte sie sich noch ein wenig hübscher machen sollen. Vielleicht ein oder zwei Bänder ins Haar, einen figurbetonenden Gürtel und ein wenig Schminke. Mit vorgetäuschter Ruhe grüßte sie ihn formell.

„Seid gegrüßt Prinz Paland."

Der Mann nickte lächelnd und meinte mit vorsichtiger Stimme.

„Seid gegrüßt Herrin. Ich bin erfreut euch kennenzulernen. Ihr.. ihr seid wunderschön" Paland biss sich auf die Lippe und machte einen verlegenen Eindruck. Lianna bemerkte das ihm dieser letzte Satz über die Lippen gegangen war ohne das er groß darüber nachgedacht hatte. Also war es ihm rausgerutscht und er meinte das nicht nur aus reiner Höflichkeit. Die Prinzessin merkte leichte Röte in ihren Wangen aufsteigen und lächelte um dies zu verschleiern. Sie hatte einen sauflisten Kerl in einer Rüstung erwartet der Arme wie Baumstämme hatte, der die Ungehobeltheit und Direktheit eines Soldaten aufwies, für welche diese nunmal bekannt sind. Oder statt dessen einen verwöhnten jungen Zausel der sich von seinen Bediensteten noch bis zum Abort begleiten ließ. Es schien jedoch als habe sie Glück. Aber vielleicht hatte sie sich so sehr eine Enttäuschung vorgestellt damit es nur besser kommen konnte.

„Ich danke euch, Herr." Stammelte sie weiterhin verlegen hervor, unschlüssig was sie nun sagen sollte. Doch sie fasste sich ein Herz. „Erzählt mir ein wenig über euch. Man wusste mir leider noch nicht sehr viel über euch zu erzählen."

„Ich... Ihr... Was...was möchtet ihr gerne hören?"

Er war noch verlegener als sie, stellte Lianna fest. Allmählich wurde das hier recht komisch. Diese Szene war reif für eine Komödie bei den Sommergartenspielen nächstes Jahr. Ihr gefiel es das er Nervös war und irgendwie schöpfte sie Ruhe aus seiner offensichtlichen Verlegenheit. Sie dachte nach über was sie über ihn wissen wollte.

„Bitte setzt euch doch erst einmal." Schlug sie diplomatisch vor.

Er nickte und beide ließen sich auf der Bank nieder. Paland blickte zum wolkenverdeckten Horizont, scheinbar dankbar eine kleine Pause zu haben. Aber wenn Lianna die Kontrolle über dieses Gespräch behalten wollte um zu erfahren wer er war, so musste sie sich sputen mit Ihrer Frage, ihr Vater würde ihr nicht sehr viel Zeit lassen. Doch Paland sprach zuerst.

„Es ist wunderschön hier." Meinte er allgemein. Ihre Antwort kam aus dem Bauch heraus da es nichts besonderes war über das er reden wollte.

„Ja, das ist es. Sagt, warum seid ihr noch nie hier gewesen? Eure Haus ist ein gerngesehener Gast bei den Festspielen im Sommer."

Scheinbar hatte er sich ein wenig erholt denn er unterhielt sich jetzt zwanglos mit ihr und stotterte nicht mehr. Doch sah er sie nicht beim Sprechen an.

„Ich war seit meinem elften Lebensjahr in Firnheim und wurde..."

„... Jaja, ich weis." unterbrach sie ihn barsch und überlegte ob dieser Tonfall nicht etwas übertrieben war, aber immerhin würden sie bald heiraten. „Das ist jedoch das einzige was ich über Euch weiß, Prinz. Gab es denn keine Gelegenheit einmal für einige Zeit lang dort fortzugehen?"

Scheinbar überrascht blickte er sie nun ungläubig an und antwortete in einem Tonfall als ob er ein Kind belehrte. Und Lianna hasste es wenn man sie als Kind behandelte.

„Fortgehen? Verzeiht aber ich wurde zehn Jahre lang dazu ausgebildet; und dies täglich. Wenn man sich ohne Befehl weiter als zweihundert Schritte von der Akademie entfernte, wurde man hinausgeworfen, und das wäre ein Schlag ins Gesicht für meine Familie gewesen."

Er nannte es Akademie. Seltsam, wie konnte man einen solchen Ort, an welchem sich heranwachsende Burschen mit hölzernen Schwertern verprügelten, eine Akademie nennen? Höflicherweise mied sie das Thema. Vorerst.

Ein kurzes Schweigen entstand und beide sahen das sich die Wolken langsam verzogen und die ersten blassen Sterne am Himmel zu sehn waren. Sie beschloss nun etwas genauer nach seiner Person zu fragen.

„Was habt Ihr denn in den letzten zehn Jahren noch so getan? Ich meine, hattet ihr nicht einmal die Muße anderen Dingen als eurer Ausbildung nachzugehen?"

Er blickte sie fragend an und zog dabei die linke Augenbraue etwas nach oben. Das sah irgendwie recht lustig aus fand Lianna und musste ein wenig lächeln.

„Ich meine lest Ihr gerne, mögt Ihr Poesie, tanzt Ihr gerne oder was ist mit Schauspielen?"

Paland fühlte sich unter Druck gesetzt. Liannas Fragen fühlten sich für ihn an als wären sie mit Fallen gespickt in welche er nur allzu leicht hinein marschierte. Poesie, Tanz und Schauspiel waren nicht sein Stärken. Zwar hatte Paland als Prinz gelernt zu tanzen und Poesie von Heleos Pirl und Schauspiele von Dramnen Jornis waren selbst ihm bekannt, doch wirklich Ahnung hatte er nicht von diesen Dingen. Ihm fiel nichts ein und er las mit längerem Schweigen allmählich Enttäuschung in ihren Augen als er ihr den Blick zuwandte.

Hinter ihnen räusperte sich jemand.

„Ähem... Meine Hoheiten der König bittet euch an seine Tafel."

Während sie dem Diener folgten, kämpfte Lianna die Enttäuschung nieder welche sie aufgrund Palands Mangel an Interessen ergriffen hatte. Sie hatte ihren Arm höflich bei ihm untergehakt und beide schwiegen. Teils wohl aus dem Grund heraus einander sowieso nichts zu sagen zu haben, teils weil es sich nicht geziemte vor der Dienerschaft privates zu besprechen. Außer vielleicht mit der nächsten Dienerschaft. Doch noch bestand Hoffnung. Die Zeit um Paland wirklich kennen zu lernen würde kommen, da war sie sich sicher. Dieses Gespräch war ihrer Meinung nach unnötig gewesen da sie die Heirat nicht mehr absagen konnten und er ihr auch hätte das Blaue vom Himmel vorlügen können. Diesbezüglich schloss sie jedoch ein erstes Fazit und stellte fest das er zumindest ehrlich in dem war was er sagte. Wenn es auch nicht wirklich viel war. Sie würde noch Zeit haben ihn kennen zu lernen, vielleicht auf der Reise nach Waskir morgen. Doch in diesem Moment war sie mehr damit beschäftigt verärgert zu sein, da ihr Vater ihr nur derart wenig Zeit gestattet hatte um Paland kennenzulernen.

Sie betraten das Portal und die geladenen Gäste verstummten und erhoben sich nacheinander um das neue Paar zum ersten Mal nebeneinander zu betrachten. Lianna war es irgendwie unangenehm und in ihrem Nacken und an ihren Unterarmen bekam sie eine Gänsehaut als ob ein kalter Windhauch vorüberziehen würde. Nach der Ewigkeit einiger Augenblicke nahmen sie an der Kopftafel nebeneinander rechts vom König und seiner Gemahlin Platz, auf deren anderer Seite Liannas Brüder Mareas und Feslan sowie ihre jüngere Schwester Annovies saßen welche Lianna immer nur Anni nannte. Lianna hätte gern noch einmal vertraulich mit ihrer Familie gesprochen aber es würde einen schlechten Eindruck machen wenn sie sich jetzt von ihrem Platz erheben und ihre Eltern von der Tafel wegzerren würde. Im Moment blieb ihr nichts weiter übrig als formell zu lächeln und sich am Wein zu erfreuen. Der Appetit war ihr ohnehin vergangen. Das alles kam ihr zu plötzlich und mittlerweile fühlte es sich unwirklich an. In einer entfernten Ecke ihres Verstandes betrachtete sie diesen Abend als einen Traum, doch ob er gut oder schlecht war würde sie nicht an diesem Tag feststellen.

Paland saß zwischen dem König und Lianna. Zum Essen war er zu nervös und sich jetzt dem Wein zuzuwenden wäre fatal gewesen, denn er wusste aus Erfahrung das er nur all zu leicht damit seine Grenzen überschritt. Er fühlte sich allein gelassen. Fernab seiner Kameraden die er, wenn überhaupt, nur noch auf dem Schlachtfeld wiedersehen würde, bemühte er sich um eine gute Fassade, doch sie bröckelte mit jedem Moment mehr. Der Prinz hatte das Bedürfnis nach einem Übungskampf um sich ein wenig auszutoben. Paland hasste derartige Situationen in welchen es nicht weit zu einer Blamage war, und wenn er eine Schwäche hatte dann war dies seine eigene Scham da er nie gelernt hatte damit umzugehen. Er erinnerte sich an eine Situation in der er an einem kleinen Akademieball betrunken versucht hatte, die Schwester eines seiner Zimmergenossen dazu zu bewegen mit ihm die Nacht zu verbringen. Vier Jahre lang zog ihn sein Kamerad damit auf, und wenn der Prinz an diese Nacht dachte erfüllte ihn immer noch ein gewisse Verachtung sich selbst gegenüber. Und dies war nicht die einzige Gelegenheit gewesen welche seine Ehre beschmutzte. Der Geist des Weines wahr wahrlich ein unangenehmer Weggefährte.

Das Streichorchester begann eine muntere Melodie zu spielen und einige der Adligen betraten bereits die Tanzfläche vor der Königstafel. Am anderen Ende des Saales bemerkte Paland seinen ersten Marschall der gerade ein intim wirkendes Gespräch mit einer drallen jungen Dienstmagd führte. Ihr Haar war feuerrot und ihr Gesicht wurde durchweg von einem formal wirkenden Grinsen verziert. Sie schien alle paar Minuten vorzutäuschen von ihm weg zu wollen, aber jedes Mal wenn sie sich kurz abwandte fiel ihr noch etwas ein das sie Tjar mitteilte, oder stellte fest das dessen Becher bereits wieder leer war, und das Gespräch zwischen den beiden ging weiter. Tjar gab sich alle Mühe das sie immer Grund hatte ihm nachzuschenken. Paland konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen und dachte darüber nach warum es manchen Männern so einfach und anderen so schwer fiel mit der Damenwelt zurecht zu kommen. Ihm selbst war klar das für Lianna keine gute Partie war, denn nach ihrer ach so zwanglosen Heirat würde Paland das Heer seines Vaters in den Krieg führen und womöglich nicht zurückkehren. Womöglich? Er hielt es sogar für sehr wahrscheinlich, oder er hatte es vielleicht sogar vor. Ein guter Tod in der Schlacht würde ihm Ruhe vor seiner eigenen Verachtung schenken. Lianna konnte von ihm nichts erwarten außer das sie kurz nach ihrer Heirat zur Witwe werden würde. Titel und Reichtümer ernteten nur die Erstgeborenen. Außer der Verbindung zwischen König Farian und seinem Vater war kein Gewinn für sie abzusehen. Palands Stellung war eben nur die des Heermeisters, und wenn er starb würde Tjar an seine Stelle treten, falls dieser dann noch lebte.

Um wenigstens den Hauch von Wärme in diese Kluft zu bringen welche sich derzeit zwischen ihm und Lianna zweifelsfrei befand, beschloss er einfach ihr Hand unter dem Tisch zu nehmen und diese zu halten.

Der weitere Abend verlief recht formell. Natürlich sangen die Soldaten bis in den Morgen und Lianna tanzte mit Paland den üblichen Verlobungstanz, doch waren beide in dieser Nacht froh diese Farce hinter sich gebracht zu haben. Nach Palands Meinung war außer dem Tanz, bei welchem Lianna ihn zu seinem Missfallen weit von sich weg hielt, nichts passiert das darauf schließen ließ das er sie am nächsten Tag als Verlobte nach Waskir mitnahm. Farian würde ihnen in zwei Tagen nachreisen, und außer ihm, Tjar und seiner zukünftigen Gemahlin wurde die Kolonne nur von fünfzig Mann von Palands Reiterei begleitet. Seine Leibgarde für längere Reisen. Sie waren nur leicht bewaffnet für selentische Verhälntisse. Ein Kettenhemd über dem ein Wappenrock mit dem Zeichen des Prinzen hing diente als einzige Rüstung. Barhäuptig mit Kavalleriesäbeln und einem leichten Klingenspeer bewaffnet war ihre Funktion zwar eher nur zeremoniell, jedoch waren die meisten von ihnen Veteranen die sich ihren Status verdient hatten. Lianna nahm nur eine Zofe mit sich und einen Kutscher der ihr Gefährt, einen blau lackierten Kasten verziert mit goldfarbenen Ranken, steuerte. Paland zog es vor an der Spitze, und somit vorerst einmal so weit weg wie nur irgend möglich von Lianna, neben Tjar zu reiten. Der Prinz verspürte das dringende Bedürfnis mit ihm zu reden, denn der Mann wusste offensichtlich was Frauen wollten. Am Morgen war sein erster Marschall nicht aufzufinden gewesen, und als er endlich auftauchte, schlenderte er gerade aus den Unterkünften der Dienerschaft. Dabei summte und pfiff er mit einem breiten Lachen auf den Lippen. Nach Palands Meinung war Tjar immer noch betrunken.

Leider war Tjar an diesem Morgen nicht sehr gesprächig. Paland musste ihn zweimal Wecken damit er nicht aus dem Sattel fiel. Der Prinz langweilte sich und ihn verwunderte es das keine Wagen entgegenkamen. Immerhin war es Herbst und die Bauern aus der näheren Umgebung brachten im Moment ihre Ernte zum Verkauf in die Stadt oder ließen sie von fahrenden Händlern verkaufen. Misstrauen machte sich in ihm breit und er schickte Späher in Dreiergruppen in alle vier Richtungen aus. Die Vermählung der beiden Königshäuser hatte sicherlich ihre Feinde und Paland war viel zu gelangweilt um sich nicht darum zu kümmern. Er malte sich aus was passieren würde wenn sie wirklich angegriffen würden. Das war vielleicht gar nicht so schlecht. Vielleicht konnte er dann bei der Verteidigung von Liannas Wagen sterben und sie somit von diesem für sie schlechten Bund lösen. Farian stand dann in der Schuld des Hauses Waskir und alles war so wie es sein musste. Ein ehrenvoller Tod war eine gute Sache, vor allem wenn einem die Zukunft so sehr ängstigte. Die Späher vor ihnen ritten gerade noch in Sichtweite und der Prinz bemerkte wie sie stehen blieben. Sie waren von ihren Pferden abgestiegen und unterhielten sich mit einem Mann dessen Karren im Morast festzusitzen schien. Die Straße war an diesem schmalen Pass zwischen den Hügeln sehr schlammig und der Ochse des Mannes schien nicht stark genug zu sein den Karren hinauszuziehen. Paland hatte ein ungutes Gefühl und er hieß Tjar je zwei Mann auf die Hügelkuppen reiten und den Spähern zu den Flanken anzuzeigen das der Zug hielt.

„Kontrollier den Karren mit fünf Mann. Wenn alles in Ordnung ist helft ihr dem Mann."

Tjar nickte und wollte seinem Pferd gerade die Fersen in die Flanken drücken als Paland ihn an der Schulter packte.

„Sei vorsichtig." Sagte er. „ Ich hab ein schlechtes Gefühl."

Mit einem Achselzucken ritt er zurück, holte sich fünf Männer und machte sich auf zu dem Karren. Paland beobachtete wie sich die Späher an den Flanken vereinigten und die drei Nachzügler aufschlossen. Er atmete einmal tief durch. Vielleicht hatte er ja doch einfach nur zu sehr gehofft vor all dem durch einen guten Tod zu entkommen, feige wie er nun einmal war. Doch dann änderte er seine Meinung.

„Pfeile!" schrien die Männer zu rechten Flanke, worauf kurz darauf die Männer zu linken Flanke dasselbe riefen. Aus dem Wagen vor ihm kamen ein paar Männer gesprungen, gerade als Tjar ankam. Die Überraschung hatten sie auf ihrer Seite und zwei seiner fielen vor ihm leblos in den Morast. Paland rief seinen Männern hinter sich zu.

„Zehn links und zehn rechts, fünf folgen mir! Der Rest schützt die Kutsche!" und dann gab er seinem Pferd die Absätze seiner Stiefel zu spüren. „Mein erster Kampf" murmelte er vor sich hin während er eines seiner beiden geraden Langschwerter aus der Scheide am Sattel zog.

Tjar verteidigte sich gut. Die Männer hatte Bauernspieße mit denen sie die Pferde angriffen, doch Palands erster Marschall rief seinen Männern zu die Speere zu werfen, und ehe sich die Angreifer versahen waren zwei von ihnen am Boden. Doch sie gaben nicht auf und schlugen weiter auf die Soldaten ein. Paland ritt einen Bogen von links um mit der rechten Schwerthand eine gute Position auf die Angreifer zu haben. Sie würden ihn nicht kommen sehn und er schlug auf einen Kopf ein als er vorüber ritt. Was passierte wusste er nicht zu sagen. Es fühlte sich an als ob man mit dem Schwert auf einen Stein schlug der zerbarst. Dem Rufen zufolge hatten sie alle erwischt und Paland führte seine fünf Mann den Hügel hinauf um zur rechten Flanke des Wagens zu kommen. Er drehte sich und rief Tjars Namen. Die Antwort war ein einfaches „Ja!" und der erste Marschall von Waskir setzte sich in Bewegung um zu linken Flanke zu kommen. In vollem Galopp holten ihn zwei seiner Männer ein und ritten leicht versetzt hinter ihm. Die anderen drei folgten. Ein Blick zu Liannas Wagen um beruhigend festzustellen das dieser noch nicht in den Kampf hineingezogen worden war, und dann ein Blick zur Hügelkuppe. Zwei seiner Leute waren hinabgeeilt um gegen vielleicht zwanzig Männer, in Lederharnischen auf deren Rücken Gras hing und mit Kurzbögen sowie Krummschwertern bewaffnet. zu kämpfen. Sie mussten sich Löcher im Boden getarnt haben. Der Soldat in ihm lobte sie für diese List, doch fragte er sich ebenfalls wie es auf der anderen Seite bei Tjar aussehen musste und ob dies vielleicht nur für einen Hinterhalt von vorn dienen mochte. Immerhin war die Straße zur Front hin nicht weiter als bis zum Karren einsehbar gewesen. Es war ein verdammt viel zu guter Hinterhalt. Zu sechst waren sie den gut zwanzig Mann, auch wenn diese nur leicht bewaffnet waren, nicht gewachsen. Paland musste sich was einfallen lassen. Dem Mann an seiner rechten Seite rief er zu. „Reite zum Wagen! Gib das Signal zum Rückzug und wenn Tjar über den Hügel kommt greifst du mit allen verbleibenden Männern gegen sie an. Beeil dich wir halten sie hier solange auf!" Der Mann ritt wortlos fort und es war wie sich Paland vorgestellt hatte. Er würde hier sterben und alles würde gut werden. Die Vorstellung gefiel ihm im Moment weniger als noch vor ein paar Minuten.

„Hindurch!!!" rief er den andern zu als sie fast bei den Feinden waren, und sie ließen ihre Schlachtrufe ertönen. Einer fiel sogleich von zwei Pfeilen gespickt vom Pferd und Paland duckte sich tief in den Sattel. Sein Wallach, Linvohr nannte er ihn, ritt einen Mann nieder und Paland bemühte sich so gut wie Möglich Hiebe nach links und rechts auszuteilen und zu parieren, doch wusste er was sogleich passieren würde. Linvohr Wieherte laut als ein Krummsäbel seine Sehnen durchtrennte und Paland bemühte sich beim Fall gut abzurollen und wieder auf die Beine zu kommen. Und der Kampf begann. Erst jetzt hörte er das Signal zum Rückzug vom Wagen her erklingen.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Norman Boos).
Der Beitrag wurde von Norman Boos auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Norman Boos als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Kleiner Spatz was nun von Karin Rokahr



Ein Gedichtsband über Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen einer Verliebten, angereichert mit Momentaufnahmen des alltäglichen Lebens, geschrieben von einer ganz normalen Frau.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Fantasy" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Norman Boos

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Anwesenheit- 2. Teil von Norman Boos (Liebesgeschichten)
Der schwarze Ritter von Bernd Mühlbacher (Fantasy)
ach, – „NUR” ein alter Klavierstuhl …!? von Egbert Schmitt (Krieg & Frieden)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen