Hans-Peter Zürcher

Der Feierabendspaziergang

8. Oktober 2006
 
Ein schöner milder Herbstnachmittag lockte mich aus meinem tristen Büro hinaus an die Wärme der Sonne. Ein Spaziergang wäre jetzt genau das Richtige, ging mir durch den Kopf. Als ich mein Büro verließ und zum Grossen Tor des Altehrwürdigen Hauses hinaus schritt, hörte ich im nahen Münster die Orgel spielen. Also war vorerst nichts mit einem Spaziergang, denn diese Töne frohlockten dermaßen, dass es mich förmlich ins Münster zog.
 
Im Münster befanden sich nur wenige Leute, so konnte ich ein unwahrscheinlich schönes Ambiente mit dem berauschenden Klang der Orgel genießen. Die Töne schwebten durch den großen, hohen Raum als währen es liebliche kleine Vögel. Das gleißende Sonnenlicht, das mit langen, schrägen Bahnen durch die vielfarbigen Scheiben  ihre Strahlen ins Münster scheinen ließ, hinterließ auf den Wänden, Säulen und auf dem Boden ein flimmerndes Durcheinander von Farbtönen, wie wenn der Frühling gleich all seine Pracht entfalten würde, ja, genau so sah es aus.  Die Schwingungen aus Licht und Musik entführten mich mit meinen Gedanken weit weg, geben mir eine wundervolle Leichtigkeit und ließen mich schweben. Und in all dieser Szenerie meiner Gedanken, die den kleinen Vögel gleich meine Liebste umschwärmten, ja liebkosten, mit ihrem sanften Flügelschlag, überschlugen sich in einer Orgie von Wohlbefinden und Freude.
 
Ich weiß nicht wie lange ich so in diesem schönen Raum der Verführung gesessen bin, die Orgel ist in den Weiten des Chors entschwunden, der Klang aber saß immer noch tief in mir, in meinem Herzen und meiner Seele. Eine große Genugtuung, Freude und Liebe stieg in mir auf. Ich verließ diesen Tempel der Gefühle und stieg die lange, verwinkelte Treppe hinunter zur Münsterfähre. Der Treppenweg ließ mich durch Türen und Tore hinabsteigen. Unten angelangt, erhebt sich rechter Hand die hohe Mauer der Pfalz, in dessen Mitte das Münster über dem Rhein zu wachen scheint. Links glitzerte das Graublau des Rheins durch das bereits löchrig gewordene Laubwerk der Bäume. Die Münsterfähre brachte mich leicht schaukelnd über die reißenden Fluten, die zum weiten, fernen Meer hin zogen, ans andere Ufer im Kleinbasel. Nur das Rauschen und Plätschern unter den Holzplanken des Fährboots begleitet die gemächliche Überfahrt. Die enorme Kraft des Wasserstroms versuchte beständig das Boot vom Seil zu reißen, dem Seil, das verantwortlich ist, dass die Fähre sicher über den reißenden Strom ans andere Ufer gelangen kann.
 
Mit der wunderbaren Sicht auf den Münsterhügel mit seiner grandiosen Kulisse, gestreift von der nun schon tief stehenden Herbstabendsonne, gelüstete es mich nach einem Gläschen Rotwein, das ich mir in einem Boulevard – Restaurant genehmigte. Am Rheinbord vergnügten sich junge Leute, sich im Spiel ihrer Jugendlichkeit neckend und zankend versuchten, ihre überschüssige Energie los zu werden. Einzelne Menschen, alt und Jung, eng umschlungene Liebespaare und Kinder flanierten den Rheinweg auf und ab. Spatzen flatterten bettelnd um die Gäste Boulevard – Restaurant, die frechsten unter ihnen hüpften sogar auf die Tische. Auf dem Rhein stemmte sich ein Frachtschiff der Strömung trotzend den Fluss hinauf, was zwei Weiße Schwäne nicht daran hinderte, durch die vom Schiff aufgeworfenen Wellen zu schaukeln. Die wärmende Sonne ließ mich schnell wieder zu meiner Liebsten entschweben.
 
Für ein gutes Stück meines Heimweges durch die Stadt benutzte ich das Tram. Aber die letzte Wegstrecke spazierte ich dann doch lieber durch die Langen Erlen, einem Auenwald der sich zwischen Basel und Riehen erstreckt. Einige wenige Spazier -gänger kreuzten meinen Weg, sonst war ich alleine mit meinen Gedanken an mein liebes schönes Mädchen, jawohl das ist sie. Das Laub der Bäume verfärbte sich bereits dem Herbst entgegen, teilweise lag es bereits am Boden und hinterließ so einen dünnen, braunen Teppich, der bei jedem Schritt ein Rascheln hervor rief. Und jeder Schritt brachte mich auch meiner Liebsten ein Stück näher. Eine gute Stunde wanderte ich so durch die schöne Landschaft, schaute einem stolzierenden Reiher zu, wie er, immer ein Bein leicht eingezogen, im Ried herumstocherte und so sein Nachtessen zu sich nahm. Die Sonne war inzwischen hinter dem Tüllingerberg verschwunden. Die milde Wärme machte einem leichten, kühlen Wind platz, der leicht säuselnd durch die Bäume strich. Die Wiese, ein kleines Flüsschen, das von Deutschland her dem Rhein zueilte, als ob es den Anschluss nicht verpassen wollte, ließ seine rauschende und gurgelnde Melodie erklingen, die sich mit dem leisen säuseln des Windes vereinigte, als wäre es ein Liebespaar.
 
Der Himmel leuchtet in einem tiefen Blau, einzelne hellgraue Wölklein mit rot verfärbten Rändern schwebten über das weite Firmament. Saatkrähenschwärme zogen mit lautem Gekreische von ihren Feldausflügen zurück in ihre Baumkronen, die sie zu hunderten in beschlag nahmen. Warum diese Vögel zum krähen verdammt sind, weiß ich nicht, aber ein lieblicher Gesang von Amseln wäre mir lieber gewesen. Aber eben, es ist nicht Frühling, sondern Herbst.
 
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