Martina Hahn

Der Kuss

Letzten Samstag war es,
dass er, der Mann, der seit Jahren an meiner Seite ist,
mich überraschte, und zwar auf eine bisher nie dagewesene Art,
und so unseren Kahn, den alten sinnbildlichen Ruderkahn, in dem wir virtuell sitzen,
der in mir verankert, in meiner Brust vertäut ist und manchmal schlingert (ja, so ist es)
- bei Sturm mehr und mit hartem Gedöns, bei sanfter Brise deutlich weniger und weicher -
dass er unseren Kahn doppelt vertäute,
unwissentlich sicher, doch willentlich, das ist klar,
denn, bedenke ich, wie alles begann, damals:
welch Befremden in seinen Augen,
wenn ich, für ihn aus heiterem Himmel, albern war wie ein Kind und frei, gelöst,
ganz WIR in der Welt des Alltags - am Bushäuschen, beim Bäcker oder am Baggersee -
unter der unsichtbaren Tarnkappe der Verliebten,
damals, als ihm diese Emotionalität noch Neuland war, der es Rationalität entgegenzusetzen galt,
um den Kahn flott zu kriegen, mit dem wir dann losschipperten,
hinaus auf die große See, hinein in den Horizont,
wo die glutrote Sonne ging und kam, immer wieder,
bis irgendwann das Boot in einen starken Sog geriet und kenterte,
woraufhin wir - jeder an sein Ruder geklammert - im bleischweren Wasser wie Treibholz trieben
und irgendwo anlandeten wie Strandgut,
erschöpft, schweigsam, allein im feinen heißen Sand, der jede Bucht zu einem Bernsteinzimmer macht;
bedenke ich all dies und unseren Kahn,
so sind es Lichtjahre, die wir aufeinander zu gerudert sind,
meist miteinander im selben Boot sitzend,
ein Paradoxon, wohl wahr ...
und ebenso unglaublich ist, was letzten Samstag geschah,
im Baumarkt, wohin wir mussten, weil mir die kleinen dicken Holzschrauben ausgegangen waren,
mit denen einer der Zauberkästen, die frau für ihren INet-Zugang braucht, zu befestigen ist,
und dass die Befestigung überhaupt noch einmal erforderlich war, rührt daher,
dass frau vor langer Zeit entschieden hatte, dem INet den Rücken zu kehren, und zwar 100%ig,
also weg mit alledem war die Devise,
nun, diese Phase der Askese ist jetzt beendet,
was unter anderem den Gang in den Baumarkt erforderlich machte,
und wenn wir wegen der Schrauben nun schon einmal im Baumarkt sind,
dann haben wir doch vielleicht auch Zeit, mal kurz in die Gartenabteilung ...? - ja, hatten wir;
und dort an der Ecke war´s,
dort, wo man von HOLZ zu GARTEN einbiegt,
dort, wo jetzt bereits schon die Weihnachtsartikel gefällig aufgebaut sind,
dort hörte ich plötzlich: Bleib mal stehn und mach die Augen zu ...
OK, mache ich ...
und dann spürte ich einen herzhaften Kuss auf meinem Mund ...
und muss lächeln und öffne die Augen wieder ...
und meine Augen werden groß und größer ...
und ich schnappe nach Luft und kann es nicht fassen, meine Ohren kriegen Besuch, es ist unglaublich,
denn DIESER MANN ... an der einen Hand hat er mich
und in der anderen ein Bündel Mistelzweige von der Auslage, das er noch immer über meinen Kopf hält,
und dabei strahlt er mich lausbübisch an, dass es nur so eine Wonne ist!


Okt. 2006

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