Birgit Enser

Abschied von dir (für H.)

In der letzten Zeit habe ich mich oft gefragt, warum alles so gekommen ist, kommen musste.

Ich glaube an Schicksal, nicht an ein unabänderliches, aber an ein Schicksal, das uns solche Menschen präsentiert, die uns weiterbringen können oder uns etwas lehren sollen bzw. können.

Bist du solch' ein Mensch gewesen? Und ich? War ich dann vielleicht auch so ein Mensch für dich?

Ich werde dich dies nie fragen können, denn wenn ich es täte, finge das ganze Leid wieder von vorn an, und ich bin mir sicher, dass ich daran zugrunde gehen würde. Wie gern würde ich dir alles erklären, was mir die Liebe zu dir bedeutet hat und was sie für mein weiteres Leben bedeuten wird.
Ich sehne mich danach, noch einmal deine Stimme zu hören und weiß doch, das es mein Untergang wäre. Du bist ein Künstler mit Worten, und deine Stimme ist wie eine Liebkosung für mich ... und ich denke, du weißt das.

Schon vor anderthalb Jahren, als wir uns kennenlernten, konnte ich dir nichts abschlagen, wenn du mich 'Kleines' oder 'Liebes' nanntest.
Mit deiner Beharrlichkeit, mit der du versichertest, mich zu lieben, hast du mich langsam aus meinem Schneckenhaus hervorgelockt, und was mich am meisten erstaunte, war dass du mich als Frau wahrgenommen hast. Ich fühlte mich begehrenswert und geliebt, und dafür danke ich dir.
Du hast mir sehr viel Zärtlichkeit geschenk,t und was das Schönste war, mit dir hast du mir einen Menschen geschenkt, den ich lieben konnte, den ich mit meinen Gefühlen zudecken konnte ... jemanden, der meine Liebe, sogar meine schüchterne Leidenschaft wollte.

Hat es vielleicht schon früh Anzeichen dafür gegeben, dass wir eine Beziehung haben werden, die von Gefühlen bis hin zur Besessenheit geprägt sein würde? Hätte ich dem schon zu Beginn Einhalt gebieten müssen?

Doch wie hätte ich das tun können bei einem Menschen, der diese leidenschaftlichen Gefühle in mir weckt? Manchmal war mir bewusst, dass ich in mein Verderben renne, aber ich habe mich so danach gesehnt, dich zu lieben und geliebt zu werden.
So sehr, dass ich nicht darauf achtete, dass du manchmal ungehalten warst, wenn dir etwas nicht gefiel. Es war ja auch nicht so häufig, die meiste Zeit zeigtest du dich als verständnisvoller, geduldiger Mann.
Die Zeichen von Ungeduld machten mich im Gegenteil stolz, zeigten sie doch, dass du es nicht erwarten konntest, bis ich dir ganz gehören würde.
Es konnte allerdings auch vorkommen, dass du mich mit Nichtachtung straftest, und das war schrecklich. Ich flehte dich dann an, dass du mich wieder lieben solltest, dass du wieder gut bist.
Dann lief ich oft weinend durchs Haus, quälte mich mit Gedanken, wie ich sein müsste, damit du nur nicht aufhörst, mich zu lieben. Ich redete mir ein, wenn ich nur mehr aus mir herausgehen würde, wenn ich Risiken eingehen würde, dann könnte ich dich davon überzeugen, dass ich völlig dir gehöre.

Mit dir zusammen entdeckte ich dann auch eine Seite an mir, die allzulange verborgen sein musste. Niemals hätte ich mir vorstellen können, diese Dinge zu tun, die ich dann mit dir zusammen tat.
Ist es verwerflich, sehnsüchtig auf einen Brief von ihm zu warten, in dem er beschreibt, wie er mich lieben wird? Wenn er mit sanftem Druck verlangt, dass man selbst seine Wünsche und Sehnsüchte in Worte fasst? Ich denke nicht. Vieles kostete mich Überwindung, doch eigentlich mochte ich mich in dieser Rolle.
Und als dann die Zeit kam, in der du nicht für mich da sein konntest, in der ich wochenlang ohne ein Lebenszeichen war, habe ich dir seitenlange Briefe geschrieben und dich weitergeliebt. Und vieles bereut, was ich nicht getan hatte.

Und als du wieder bei mir warst, mir erzähltest, wie sehr du mich vermisst hattest, da war ich glücklich. Und ich schwor mir, diesmal alles anders zu machen. Keine Angst mehr zu haben, Sehnsüchte, die ja in mir waren, auch zu formulieren und auszuleben. Ich fing an, meine eigene Sexualität zu entdecken und bemerkte, wie sehr es dir gefiel, wenn ich darüber sprach. Und das machte mich mutiger.

Doch es hatte sich auch etwas verändert. Du warst fordernder, nicht mehr so rücksichtsvoll. Wenn ich zurückschreckte, warst du wieder tödlich beleidigt, zogst dich zurück und ich bettelte und flehte um ein liebes Wort.
Du warst oft unzufrieden mit mir, erzähltest mir irgendwann dann auch von deiner Fantasie, mich zu beherrschen, auszuprobieren, wie gefügig ich sein könne. Und kam dies nicht meiner Sehnsucht entgegen, dir ganz zu gehören? Schwach zu sein?
Ich glaubte, du würdest verantwortungsvoll damit umgehen, dass ich dir diese Macht über mich einräumte, dass ich zulassen wollte, dir völlig ergeben zu sein.

Du sagtest, es reiche dir, dies zu wissen........

Doch warum hörte dieses Auf und Ab der Gefühle nicht auf? Diese Angst, dich zu verlieren? Warum empfand ich es immer mehr als Erniedrigung, wenn ich ins Telefon schluchzte, damit dumir verzeihst ... was auch immer?
Warum hörte ich Stunden und Tage nichts von dir, erntete aber Ungehaltenheit, wenn ich nicht sofort zur Verfügung stand, wenn du mal wieder an mich dachtest?

Nach unserem letzten Streit gestern abend, habe ich beschlossen, dich zu ignorieren. Es fällt verdammt schwer. Ich weine mir die Augen aus bei dem Gedanken, dich nie wieder lieben zu dürfen. Ich liebe dich so sehr, dass es weh tut, ich liebe dich vielleicht, weil es so weh tut.

Aber ich gehe an meiner Liebe zugrunde. Ich habe auch Angst davor, dass du dich meldest und mir sagts, dass du mich liebst. Zweimal hast du mir schon geschrieben heute, ein wenig ungehalten, wie so oft, das macht es leichter.

Doch gerade eben fand ich deine Nummer als unbeantworteten Anruf auf meinem Handy. Und ich stelle mir vor, dass du vielleicht in Sorge bist um mich, weil ich nicht mehr reagiere. - Vielleicht tue ich dir unrecht!?
Ich denke an die Zeit, in der ich mit dir fröhlich lachen konnte, in der ich unbeschwert war. Ich höre dein Lachen, sehe deine Augen, wie du mich zärtlich anschaust, fühle deine Hände, höre deine Stimme: 'Was ist los, Kleines?'

Und dann möchte ich dir sagen, dass ich dich liebe, aber dass ich Angst davor habe, mich ganz zu verlieren. Und ich wünschte, du würdest mit mir lachen und mir sagen, alles sei ganz anders und was nur wieder in meinem Kopf vor sich geht.....

Es gibt wohl Menschen, die sind nicht mehr sie selbst, wenn sie aufeinandertreffen. Ich glaube, bei uns ist das so.

Verzeih' mir, ich tu dies aus Liebe .... zu mir.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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