Michael Eisinger

Loch im Bauch


ALS ICH NEULICH MIT EINEM LOCH IM BAUCH AM WOHNZIMMERBODEN LAG
 
Michael Eisinger
 
 
 
„Komm zurück, elender Feigling. Mit dir bin ich noch lange nicht fertig!“, schrie ich diesem in schwarz gekleideten Typen nach, der mir kurz zuvor ein Messer in meinen Magen gerammt hatte. „Bleib stehen, Arschloch!“, rief ich zornig hinter ihm her, aber er war bestimmt schon längst die Treppe runter und auf die Strasse gerannt und konnte somit meine Rufe nicht mehr wahrnehmen. Blutend lag ich nun auf meinem Wohnzimmerteppich mit einem Loch im Bauch - und das alles an meinem Namenstag. Gut, ein Namenstag ist nicht wirklich bedeutend. Ich habe auch immer alle Namenstage vergessen, aber abgestochen möchte ich an diesem Tag auch nicht gerade werden.
Wenigstens hat sich dieser armselige Wicht nicht an meinem kostbaren Hab und Gut vergreifen können. Nicht auszurechnen, wenn er mit meiner DVD - Sammlung abgehauen wäre oder meine unzähligen Überraschungseierfiguren in seinem Sack verschwinden hätte lassen. Ich hatte ihn auf frischer Tat ertappen können – was für ein Glück. Trotzdem blutete meine Wunde immer stärker und versaute allmählich meinen schönen Perser komplett. Ich konnte mich auch nicht mehr wirklich gut bewegen, sonst hätte ich mich auf den billigeren Bettvorleger geschleppt, um dort das Zeitliche zu segnen. Zu allem Überfluss hatte ich heute auch noch mein gutes, weißes Sonntagshemd an, welches sich immer mehr ins Rötliche färbte. Ob das jemals wieder rein werden wird?
 
 
Etwas gelangweilt vom stillen Herumliegen merkte ich, dass ich schon lange nicht mehr Staub gesaugt hatte. Mein Arzt hatte mir aufgrund meiner Milbenallergie immer wieder geraten, meine Räumlichkeiten sauber zu halten. An einer Milbenallergie werde ich jetzt bestimmt nicht mehr sterben – so viel steht fest. Den Müll hatte ich auch schon länger nicht mehr entsorgt, dessen Unduft mir aus der Küche kommend langsam in die Nase stieg. Welche Dinge einem so auffallen, wenn man blutend am Wohnzimmerboden liegt – unglaublich. Neben mir konnte ich eine CD ertasten, die musste wohl durch die Erschütterung meines Aufpralls aus dem Regal gerutscht sein. Iron Maiden – „No Prayer for the Dying“ – was für eine Ironie. Dabei war das nicht einmal meine. Ein Studienkollege hatte sie mir vor Jahren einmal geborgt, Markus, Martin, keine Ahnung! Was aus dem wohl geworden ist? Hat wahrscheinlich schon seinen Doktor in Medizin und verdient sich als Oberarzt eine goldene Nase. Wenn ich damals nicht nach zwei Semestern den Hut drauf geworfen hätte, könnte ich mich jetzt vielleicht selbst verarzten, aber mehr als die Anatomie der Zehen wollet mir auf Anhieb nicht mehr einfallen, was mir in meiner Situation nicht besonders hilfreich erschien.
 
 
Das Schlimmst, dacht ich mir während ich in meinem eigenen Saft so dahinvegetierte, ist die Tatsache, dass ich so viele Dinge nicht mehr erfahren werde. Zum Beispiel, ob mein Lottoschein dieses Mal endlich meinen wohlverdienten Sechser gebracht und mir ein Leben in Saus und Braus beschert hätte. Jetzt nützte er mir gar nichts mehr. Noch schlimmer wäre es, wenn auch die Jokerzahlen stimmen würden, denn den hab ich dieses Mal anzukreuzen vergessen. Ob ich es jemals geschafft hätte mit dem Rauchen aufzuhören? Wahrscheinlich nicht, denn sogar jetzt, mit offener Bauchdecke wünschte ich mir noch ein paar letzte Zügen nehmen zu können. So sterben Helden, mit einer Zigarette im Mundwinkel – wie in den meisten Kriegsfilmen. Loch im Bauch, Zigarette im Mund. Schade nur, dass ich meine letzte vor einer halben Stunde an der Bushaltestelle geraucht hatte. So nebenbei. Jetzt wäre sie etwas Besonderes gewesen.
 
 
Obwohl ich mir immer eingeredet habe nichts zu vermissen, wenn ich eines Tages nicht mehr bin, kamen mir plötzlich Dinge in den Sinn, die mir schon etwas fehlen werden. Die man gerne noch einmal sehen oder erleben würde. Wenn man durch eine Winterlandschaft fährt und die Sonne sich im Eis spiegelt. Wenn man sich an einem verregneten Tag in eine fette Decke einmummt und alte Filme schaut. Das Gefühl, wenn einem jemand mit den Fingern durch die Haare fährt und die Kopfhaut sanft massiert. Wenn man an einem lauen Sommerabend auf einer Veranda im Grünen sitzt, mit ein paar Freunden und einigen Flaschen guten Wein. Wenn man im Sommer mit dem Auto auf einer wenig befahrenen Landstrasse dahinfährt und dazu „The Joker“ hört.
Ich bin ja mehr der Sommer-Typ, obwohl, jetzt wäre ich über einen Winter mehr auch froh.
Es ist ja bekanntlich so, dass das was man am liebsten hat, erst dann als das anerkennt, wenn man es nicht mehr hat.
 
 
Ich glaube, so war es auch bei Susi. Das waren noch Zeiten. Ich hatte sie damals im Supermarkt kennen gelernt, an der Kasse. Dabei wollte ich an diesem Tag gar nicht mehr einkaufen gehen und mich mit zähem Gebäck und harter Wurst begnügen. Als ich aber bemerkte, dass es um meinem Biervorrat ebenfalls nicht sonderlich rosig bestellt war, bin ich dann doch gegangen. Sie war es, die mir half, als ich beim Zahlen alle meine Münzen auf dem Boden verstreute. Mehr als ein schüchternes „Danke!“ brachte ich nicht heraus, aber sie fragte mich, ob ich nicht ein paar dieser Münzen für einen gemeinsamen Kaffee opfern würde. Ich erinnere mich wie wenn es gestern gewesen wäre.
Ich glaube sie war die einzige die ich je geliebt habe. Ich meine so richtig. Verlieben kann man sich ja recht schnell, aber wirklich lieben?
Das Gute ist, wenn man etwas gern gehabt hat, dann fällt einem immer nur das Positive daran ein – bei mir zumindest ist das so. Ich könnte mich nicht erinnern, wie Susi ausgesehen hat wenn sie zornig war oder schadenfroh. Vielleicht war sie das nie. Ich weiß jeder Mensch hat seine Fehler, aber sie hatte bestimmt weniger als alle anderen. Schadenfroh war sie bestimmt nie, zornig? Vielleicht. Ein bisschen!
Das einzig Negative, an das ich mich erinnere ist, dass sie mich verlassen hat. Und nicht einmal das kann ich ihr wirklich übel nehmen, das hatte ich mir selbst zu verdanken.
Ich würde nur zu gerne wissen, ob sie um mich weinen wird, wenn sie erfährt, dass ich den Löffel abgegeben habe. Das hoffe ich doch, eine Träne würde mir schon genügen.
 
 
Das ist es dann also gewesen, das Leben! Naja. Wenn ich unter der Erde liege, in einem ungemütlichen Sarg wird nicht mehr von mir bleiben als ein Furz im Wind. Oder gibt es da noch etwas, was ich geschafft habe was sonst niemand geschafft hat, was ich erschaffen habe. Etwas, an das jemand denkt, an dem sich jemand erfreut wenn ich schon längst vermodert bin? Etwas, mit dem man sich unsterblich macht, wie Mozart mit seiner Musik, wie Chaplin mit seinen Filmen, wie DaVinci oder VanGogh mit ihren Bildern. Das schaffen nicht viele, nur eine handvoll Auserwählte. Mir kommt der leise Verdacht, dass ich nicht dazugehöre. Also doch nur ein Furz im Wind.
 
 
Nicht einmal ein Kind habe ich in die Welt gesetzt. Das wäre ja wirklich nicht so schwer gewesen, vielleicht hätte es ja ausgesehen wie ich. Ich glaube, ich wäre ein guter Vater gewesen. Ich bin ja selbst noch wie ein Kind, und Kinder verstehen sich mit Kindern ja bekanntlich besser als mit Eltern.
Wenn man ein Kind ist, ist es super – man scheint ewig Zeit zu haben, für alles. Hat keine Verpflichtungen, keine Sorgen, zumindest keine schwerwiegenden. Höchstens Sorgen wie sich im Kindergarten zu überlegen wie man sein Mittagessen am schnellsten hinunterbekommt, um am schnellsten in den Hof zu kommen, denn nur der Schnellste bekommt auch das schnellste Go-Kart. Und je älter man wird umso schneller vergeht die Zeit und keiner weiß warum. Wird das Leben zunehmend beschissener?
In der Schule war es ja so: die Turnstunden sind mir immer vorgekommen wie eine halbe Stunde, während sich bei der Chemiestunde nichts unter zwei Stunden getan hat.
Fazit: Umso weniger Interesse an einer Sache, umso länger kommt sie einem vor. Punkt.
Vielleicht verlieren wir mit der Zeit das Interesse am Leben? Ach Blödsinn
Ich würde gerne noch ein paar Jahre dranhängen, ich hab mir das nicht so ausgesucht.
Kaum bist du auf der Bühne, geht der Vorhang auch schon wieder zu! Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich mit drei versucht habe, auf der Dogge der Nachbarn zu reiten und kaum versieht man sich’s liegt man schon am dreckigen Wohnzimmerboden mit einem Loch im Bauch.
 
 
Aber wenigstens habe ich keine Schmerzen, nicht mehr. Gleich nach dem Stich wars schlimm, jetzt spüre ich fast nichts mehr. Wird es wohl zu Ende gehen mit mir. Mal schauen, was noch kommt ...
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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