Seit er hier
ist, steht er dort. Er hat sich seither nicht einmal bewegt, das heisst nicht
nur, dass er auf derselben Stelle stehen geblieben ist, an der man ihn das
erste Mal bemerkt hat, sondern das heisst auch, dass man nicht einmal sein
Atmen bemerken konnte. Nur seine Augen sah man zucken. Sie huschten aengstlich
umher, versucht nichts laenger als ein paar Sekunden zu fixieren, um dann
sofort wieder auf Wanderschaft zu gehen. Durch den Raum. Blick aus dem Fenster.
Ins Gesicht eines Anderen. Aber nie laenger als eine kurze Sekunde. Nie
laenger. Man beaeugte ihn misstrauisch. Keiner wusste etwas mit ihm anzufangen,
obwohl man sie doch angewiesen hatte, sich darum zu kuemmern. Aber wie
kuemmerte man sich denn um einen der unbeweglich da stand, als ob es nichts auf
der Welt gaebe, was ihn dazu veranlassen koennte eine Gefuehlsregung, oder
vielleicht auch nur eine Muskelregung, wir wollen es am Anfang ja nicht
uebertreiben, hervorzubringen. Doch sie konnten ihn ja nicht so da stehen
lassen. Oder doch?
Es dauerte eine
ganze Weile, bis sich schliesslich doch jemand entschlossen hatte, sich seiner
anzunehmen.
„Hallo du?!“ Er
hoerte die leicht veraengstigt klingende Stimme einer jungen Frau, die sich zu
ihm herunterbeugte und ihn interessiert anblickte. Sie war viel groesser als
er. Und sehr huebsch. Lange blonde Haare fielen ueber ihre schmalen Schultern
und ihre gruenen Augen funkelten trotz ihrer Scheu. Und sie war so gross. So
gross. Sie hatte wohl bemerkt, dass er sie gemustert hatte, ganz schuechtern zwar,
doch sein Blick verweilte auf ihr. Sie laechelte und streckte ihm ihre Hand
entgegen. Durch die Menge, aus der sie gekommen war, ging ein Raunen, doch sie
liess sich nicht beirren. „Ich bin Rachel.“, sagte sie mit sanfter, ruhiger
Stimme, waehrend sie ununterbrochen laechelte, „Moechtest du etwas trinken?
Oder einen Keks? Komm mit mir. Wir haben dort hinten ganz viele leckere Dinge,
die ich dir gerne zeigen wuerde. Vielleicht gefaellt dir etwas!“ Seine Augen
wanderten an ihr vorbei zu der Tuer, auf die sie gezeigt hatte. Noch einmal sah
er in das Gesicht der Frau, die ununterbrochen weiter laechelte, und deren Hand
immer noch in seiner Reichweite wartete. Ganz kurz zuckte seine eigenen Hand in
ihre Richtung. Doch bevor sie diese ergreifen konnte, drehte er sich
blitzschnell herum und rannte davon. Ein erneutes leises Raunen der staunenden
Menge und der etwas traurige Blick begleiteten seine trampelnden Schritte nach
draussen. Die Menge loeste sich auf und ging wieder ihren ueblichen
Beschaeftigungen nach. Nach einer Stunde war er vergessen.
Doch am
naechsten Tag stand er wieder da. Die selbe Stelle, die selbe Haltung. Reglos
beobachtend. Scheu und schuechtern, doch auch mit einer leisen Erwartung in den
grauen Augen. Sein Blick war auf die Menge gerichtet, weiterhin unstet, doch
definitiv beobachteter er seine eigenen Beobachter. Nach kurzer Zeit wurde
wieder die blonde Frau nach vorne geschoben, die sich erst widerwillig und dann
doch erfreut zu ihm herunterbeugte und ihn wiederum begruesste: „Hallo kleiner
Mann! Wie geht es dir?“ Er blickte sie an, die blonden Haare, die gruenen
Augen. Sie war immer noch so groß. Und sie laechelte. Ununterbrochen.
„Moechtest du heute einen Keks? Sieh mal, ich habe sie extra fuer dich schon
bereit gestellt.“ Und wiederum schielte er an ihr vorbei um einen kleinen Tisch
zu sehen, auf dem eine gruene Schale stand. Mit Keksen. Eine Schale so wie ihre
Augen. So schoen gruen. Und wieder wartete jene schoene grosse Hand. Und wieder
dachte er daran sie zu ergreifen. Kurz, ganz kurz, so kurz, dass er es nicht
einmal bemerkte. Es war ein Reflex, keine lange Ueberlegung, als er seine Hand
in die ihre legte. Ihr laecheln wurde froehlicher. Und die wunderschoenen
gruenen Augen begannen zu strahlen. Hell und klar, als koennte man in ihnen
versinken. Doch als er ihre weiche Haut unter seinen kleinen Finger spuerte,
verliess ihn das kleine Fuenkchen Mut, dass ihn gepackt hatte. Und wiederum
rannte er davon durch den Gang. Und die Menge seufzte und die Frau blickte
traurig. Und diesmal dauerte es zwei Stunde, nachdem er vergessen war.
Auch am
naechsten Tag stand er wieder da. Reglos, doch sein Blick war etwas fordernder
geworden. Er erwartete die Frau. Und er wollte einen Keks. Er wollte unbedingt
einen Keks haben. Einen eigenen. Einen aus der gruenen Schale, die am Ende des
gruenen Raums auf dem gruenen Tisch stand. Er sah sich die Menge an, die sich
wieder versammelt hatte und wartete. Er wartete. Wartete. Und die Menge wurde
kleiner und kleiner. Und seine Augen grauer und grauer. Und irgendwann stand er
alleine da. Keine Menge gab es mehr und keine grosse Frau mit gruenen Augen und
so weicher Haut, die ihn begruesste. Und die Kekse und die gruene Schale waren
auch nicht mehr da. Und auch nicht der gruene Tisch, denn der war grau. Und der
gruene Raum war auch grau. Und dort hinten sah er sie. An einem Tisch. An einem
gruenen Tisch. Mit langen Beinen aus Metall. Und einer Tischplatte aus Glas.
Und obendrauf lagen ganz viele weisse Papiere. Nur ein paar waren beschrieben,
dass konnte er sehen. Und sie stand an dem Tisch und sah ihn nicht. Sah ihn gar
nicht an. Begruesste ihn nicht. Kannte ihn nicht. Und wortlos drehte er sich um
und ging. Und bevor er ging, war er schon vergessen, und er kam nicht wieder.