Sie fieberte durch die dämmrigen Straßen,
sie war auf dem Nachhauseweg, und wie immer hatte sie sich verirrt.
Plötzlich stand sie vor einer Art Laden-Kaffee,
und aus dem Inneren hörte sie fernöstlich klingende Musik.
Die Tagespreise für verschiedene Teesorten
waren mit Kreide auf einer ausgedienten Kindertafel in drei verschiedenen
Farben ordentlich angegeben.
Süßlicher Dampf kroch den Raga entlang,
wie eine unbekannte Tonleiter, jeden dritten Takt eine Welle aus Tönen
über den Ohren brechend, fast als wäre dort ein unsichtbares
Gewässer, in dem ihre Füße baumelten. Kleine Fische sprangen
an denselben empor, schillernde Melodie aus Farbe und Nässe, bevor
sie mit einem Salto zurücktauchten, dann begann der Gesang.
Djannas day,
drrtakedin
sway swing sway
my light, keuchte Madame Knatsch, was haben die
nur für seltsame Musik in diesen Kneipen.
eine rauchige Frauenstimme begann ihre Geschichte
zu erzählen, untermalt von den sehnsüchtigen Klängen der
Veena.
Who will candle my dark dreams,
have I not any Love to give You.
Who will handle my means
Do I not believe in logic
to be true
drrtakedin
An der Wand hing ein Poster einer Gopi, wie sie
sinnend die Kühe heimführt und ihr Herz ausschüttet vor
den Steinen ihres Wegs.
Bei jedem Schritt drängen die Blütenblätter
dichter in ihr offenes Haar, als wollten sie ihr Schutz gewähren,
vor der Glut ihrer Sehnsucht.
Verwandelte sich doch jeder ihrer Gedanken in
ein loderndes Geständnis ihres unnachahmlichen Verlangens nach der
Berührung ihres Geliebten.
Jeden Morgen beobachtete sie, wie er sein Haus
verließ und jeden Abend kehrte er müde und zermürbt heim,
als fräße etwas in seiner Brust, von dem niemand Kunde hatte,
und keine Medizin bekannt war.
Madame Knatsch grinste, diese Narren der Liebe,
My Light, und sie meinte damit ihre Katze, die wie immer in einiger Entfernung
hinter ihr herschlich, du weißt nicht, was für seltsame Geschöpfe
wir Menschen sind.
Mewau, melancholierte die Katze beschwichtigend,
als würde sie nicht wagen zu wiedersprechen, obwohl sie das sehr wohl
wußte, auf ihre eigene Art natürlich, und die nützt uns
nicht viel.
Wie die Musik mit jedem ihrer Schritte immer
leiser wurde, und sich im Abenddunkel verlief, wie ein streunender Hund,
mal im Rhytmus der Tabla verweilend, dann in den Klängen der Veena
sich verlierend, wie er die Witterung der Sehnsucht in sich aufsaugte an
jeder neuen Fundstelle, dann eckig weitertrollte und plötzlich im
Bodennebel verklang.
So suchte auch Madame Knatsch ihr Zuhause, unwillkürlich
den Klängen ihrer Erinnerung folgend, die sich nicht direkt in die
Karten schauen ließ, als wär es ein Spiel, und der Einsatz ein
wenig Gefühl.
Polternd rasselte ein Lieferwagen an ihr vorbei,
das war überhaupt nichts besonderes, auch um diese Uhrzeit nicht.
Aber auf dem Werbeaufdruck der viel zu bunten Reklame starrte sie in das
selbe Gesicht, das vorher noch im Gewand einer Gopi die Kühe gehütet
hatte, nun als Zigeunerin verkleidet, und mit strahlendem Lächeln
einen etwas seltsamen Text flüstern, "Bereiten sie sich etwas Abwechslung,
Quasselinas Kaffeetassenorakel mit Gebrauchsanweisung."
Madame Knatsch stapfte verärgert nach Hause,
hatte sie sich doch gerade heute Mittag ein solches Spielzeug geleistet
und gehofft der puren Kinderei von Sehern und ihren Gläubigern einen
Streich zu spielen, als ihr alter Freund Kaifash daherkam und behaupte,
das Ding funktioniere tatsächlich.
Sie beschloß es bis zum Morgen unangetastet
zu lassen.
Plötzlich stand sie vor ihrer Haustüre,
sie wußte zwar nicht wie sie dort hingelangt war, aber so war es
immer. Sie putzte sich die Zähne und legte sich schlafen.
Madame Knatsch hatte gerade ihr Frühstücksbrötchen
mitsamt diesem neu erworbenem Kaffeeorakel zum kleinen runden Tisch auf
die Veranda gestolpert, als die Katze mit einem gurrendem Geräusch
neben ihr auf dem Stuhl landete.
"Na du, Möchtegern-Tiger , mewau, kannst
nicht warten bis ich zu Ende frühstücke, mußt immer schneller
sein als ich," mewau, "my light", seufzte Quandera, so hatte ihre Großmutter
sie genannt, Quandera Palästine Knatsch.
Sie stand also nochmal auf, gab der Katze ihr
Restchen Billigfutter und widmete sich wieder der Bedienungsanleitung des
Kaffeeorakels.
Dieses war eigentlich ein Scherzartikel aus einem
Spielzeugladen, ein befreundeter Seher hatte ihr allerdings verraten, daß
es durchaus zu mehr nütze war.
Die eigentliche Kunst des Zeichendeutens.
Lautete die Überschrift der etwas lächerlich
umrandeten Einleitung, die auf diesem Heftchen, immerhin bronzefarbene
Mageritenblüten andeutete.
Die eigentliche Kunst des Zeichedeutens, wiederholte
die erste Zeile die überschrift, besteht nicht etwa darin alles zu
sehen, was die Figuren, Farben und Formen des Orakels beinhalten, sondern,
darin, alles, was man gerne darin sehen möchte, wegzulassen, dann
spricht das Orakel ein klare einfache Sprache.
So ein Schlaumeier, dachte Quandera, die schon
einige Erfahrung im Orakeln hatte, und setze ihre Lesebrille auf um entspannter
weiterlesen zu können.
Um ihre eigenen Wünsche nicht ständig
in jede kleine Zufälligkeit ihrer Umgebung hinein zu interpretieren,
braucht es allerdings eine gewisse Gelassenheit, die es ihnen ermöglicht,
anhand der überall klar gezeichneten Hintergründe, die Absicht
eines Orakels wahrzunehmen.
Es gibt drei Gruppen von Orakeln.
Die metamorphorischen Konsequenzen, also jene
Einblicke, die ihnen erlauben die Weiterentwicklung einer Angelegenheit
wahrzunehmen und vorauszuahnen.
Die Zukunftsvisionen, also Gedankenblitzlichter
mit speziellen Informationen, nicht in der Entwicklung vorgesehener Tatbestände.
Und die persönlichen Karmakurven, also all
jene Ereignisse, die aus ihren eigenen Taten ganz gleich welcher Entwicklungsepoche
resultieren.
Bitte beachten sie, daß der Einblick, den
ihnen das Orakel beschert, keinerlei Konsequenzen auf ihr Handeln hat,
ausser sie verändern es, wobei sie auch die Gültigkeit des Orakels
verändern, dann also die Wahrscheinlichkeit besteht, daß jedes,
einmal offenbarte Orakel, bereits nicht mehr aktuell ist.
Das ist doch..., dachte Madame Knatsch, Kamillentee
und Himbeerkompott, diese grüngesichtigen Blattläuse der Theorie,
immer glauben sie ihrem eigenen Dünkel.
Die Struktur der Zukunft
Prof.Dr.Reichlich Freudlos war so nett uns seine
wissenschaftlichen Arbeiten für dieses Heftchen zu leihen, sie können
das Gesamtwerk in jeder gut ausgestatteten Bibliothek ausleihen, aber davon
raten wir ab, denn es umfasst die gesammten Zweifel dieses altehrwürdigen
Wissenschaftlers und nur wenige Anworten die unser Thema betreffen.
Die Zukunft ist einfach unglaublich, solange
sie noch nicht eingetroffen ist, wenn dann aber alles passiert ist, haben
wißbegierige Menschen schon seit langer Zeit versucht die im Nachhinein
feststellbaren Ähnlichkeiten zusammenzufassen, und darin eine Struktur
gesucht.
Beides, also die Unglaublichkeit der Zukunft
und ihre im Nachhinein gesuchte Struktur entspringen jedoch derselben Unwissenheit
über das Leben und seine Naturgesetze.
Darum haben die Seher aus alter Zeit ihrem eigenen
Verständnis entsprechende Anzeichen gesucht und sind dabei auf eine
immer zahlreicher werdende Ansammlung von Hinweisen gestoßen, die
diesem Zweck sehr dienlich war, sie nannten es das Orakel.
Die wohl bekanntesten waren die viel zitierten
Prophezeihungen einiger auserwählter Personen, die diese anhand von
Traumbildern festhielten.
Keiner kann heute mit Gewißheit sagen,
ob diese Traumbilder eine exakte Wiedergabe des Erlebnisses der Person
waren, oder ob sie ihre Erlebnisse in diesen Bilder versteckten, damit
sie nur von Personen verstanden werden kann, die eine gewisse Form von
seelischer Reife haben, also eine Art Code den nur Eingeweihte entschlüsseln
können.
Quandera nahm einen Schluck Tee, durchsuchte
mit den Augen ihre nähere Umgebung und entdeckte einen im Gebüsch
versteckten Spektakularis.
My Light, rief sie nach ihrer Katze, hast du keine
Augen im Kopf, siehst du nicht, was für ein falscher Falter da im
Gebüsch sitzt und auf seine Bestimmung wartet.
Die angesprochene hob verschlafen ihren Kopf
und blickte in die angedeutete Richtung.
Als sie das beschriebene Objekt erblickte öffneten
sich dieselben überraschend zu einer Anspannung, die einem unkundigen
Beobachter Sekundenbruchteile vorher noch unmöglich erschienen wäre.
Quandera kannte ihre Katze, und wußte,
diese hatte noch keinen Entschluß gefasst.
Der Falter blieb regungslos sitzen, ihre Katze
auch.
Das Schillern des Falters veränderte nicht
die Spur einer Farbe, die Augen ihrer Katze taten es ihm erstaunlich gleich
und so passierte was passieren mußte, nämlich rein gar nichts,
das heißt die einzigen aufgetregten Tiere waren ihre eigenen Augen,
die in rhythmischen Wanderungen angestrengt versuchten, keinen von
beiden länger als eine Sekunde unbeobachtet zu lassen.
Als diese ihr dann langsam zu schmerzen begannen
wegen des ungewohnten Bewegungstrainings, und weder die Katze noch der
Falter Anstalten machten von einander Notiz zu nehmen, entspannte sie sich,
nahm das Heftchen wieder zur Hand und las weiter.
Vorbereitende Übungen.
Schließen Sie die Augen, was sehen sie:
ein Computerspiel, das Fernsehprogramm, das Gesicht ihrer großen
Liebe, schauen sie es sich nicht an, es ist bedeutungslos.
öffnen sie die Augen, tun sie es jetzt das
Gleiche nochmal, bemerken sie den Unterschied, nein, Mist, es hat wieder
nicht funktioniert.
Also nochmal von vorn.
Bevor sie diese ihre Augen schließen, muß
ich sie warnen, sie könnten begabter sein als sie glauben, und dann
angerannt kommen, und Erklärungen verlangen.
Es waren ihre Augen. Ich habe nichts dazu getan.
Warum ich sie warne, damit, wenn sie sagen,
sehen sie was mir passiert ist, ich wenigstens sagen kann, ich hätte
sie gewarnt, denn ich weiß genauso wenig wie sie, was passieren wird.
Deswegen wurde das Orakel ja erfunden.