Rotha

Der Versuch.

Das Haus gefiel Karlchen und Inge so gut, dass sie beschlossen, es auch für die nächsten Jahre, möglichst zur gleichen Zeit, zu buchen.
Morgen würden sie abreisen, die Buchung musste vorher erfolgen. Also fuhren sie zur Zentrale von Sonne und Strand, die ihren Sitz kurz vor Blokhus hat.
Ende Mai, jeweils eine Woche lang, hätten sie das Haus gerne gemietet, mussten aber erfahren, dass es in diesem Zeitraum bereits für die nächsten zehn Jahre vergeben war.
Das Nachbarhaus aber könnten sie haben, das zur Rechten. Es ist etwas größer, hat auch einen großen Indoorpool und einen ebenso atemberaubenden Panoramablick über die Nordsee wie das Haus, das vergeben war.

Ende Mai 2002:
Es war nun schon das zweite Jahr und der zweite Kurzurlaub in ihrem "Ersatzhaus", das ihnen eigentlich besser gefiel, als sie gedacht hätten. Wie üblich waren sie um 15:00 Uhr beim Kaufmann in Saltum, hatten die Schlüssel übernommen, waren links von der Hauptstraße Richtung Strand abgebogen und dann gleich hinter dem Kaufmann wieder links in den Weg zum Haus.
Das Haus steht ganz oben auf den Dünen und ist luxuriös ausgestattet.
Einige Lebensmittel und insbesondere Brandy der Marke „Gran Duc d ´Alba“ hatten sie in ihrem Van aus Deutschland mitgebracht, denn in Dänemark ist er nahezu unerschwinglich, außerdem wussten sie, das sie ihn brauchen würden, dass alles so wie im vergangenen Jahr ablaufen würde, und, dass man sich beim Kaufmann treffen würde.
Der Kaufmannsladen steht direkt am Weg zum Strand und bietet alles für den täglichen Bedarf. Ein paar Kleinigkeiten wollte Karlchen besorgen, Marmelade, Kaminholz, die täglichen Brötchen bestellen, die er viel lieber aß, als die aus deutschen Bäckereien und er wollte wissen ob er auch in diesem Jahr wirklich kommen würde.
Der Laden war sehr gut besucht, denn um diese Uhrzeit versorgten sich die Neuankömmlinge, überwiegend deutschen Gäste, zunächst mit Lebensmitteln für das Wochenende.

Er sah ihn sofort. Er stand bei den Spirituosen, dort wo er auch im letzen Jahr gestanden hatte. Niemand beachtete ihn, sah ihn. Aber Karlchen sah ihn. Sah, wie er nach der Cognacflasche griff, durch sie hindurch griff, so als wäre sie nur ein Trugbild, kein Gebilde aus kaltem Glas. Immer wieder griff er nach der Flasche, vergeblich.
"Hannsi, gib auf. Du weißt doch, dass es nicht geht, wir treffen uns später bei mir", sagte Karlchen, wobei er sich umschaute ob ihn jemand gehört hatte, denn es wäre ihm peinlich gewesen, wenn man gedacht hätte, er würde Selbstgespräche führen.
Hannsi nickte ihm zu und verließ den Laden, ohne dass jemand ihn beachtet hätte.


Ende Mai2001:
Karlchen hatte seine Einkäufe beim Kaufmann erledigt, war in sein Haus zurückgekehrt. Er wirkte durcheinander, beinahe schon verwirrt. Inge bemerkte es.
"Was ist mit dir los, Karlchen?"
" Ich kenne ihn, Inge, ich kenne ihn. Ich habe ihn beim Kaufmann gesehen."
"Wen?"
"Es ist Hannsi, ich bin sicher, er ist es. Die leichte Hakennase, das asketisch geschnittene Gesicht, die schlaksige Haltung, er ist es. Er stand vor den Cognacflaschen, versuchte eine zu greifen, konnte aber nicht. Er griff einfach durch sie hindurch. Niemand hat Notiz von ihm genommen. Es war so als würde nur ich ihn sehen. Das gibt es doch nicht, Inge, das ist unmöglich."
"Natürlich gibt es das nicht. Sprichst du von dem Hannsi, unserem Hannsi - Schenken Sie es ihm, bevor es eine Andere tut – Hattric, das Rasierwasser für ihn?"
"Ja."
"Unmöglich Karl, du spinnst, dir ist die Fahrt nicht bekommen."
"Inge, er war es."
"Er ist tot Karl, lange tot, mindestens fünfunddreißig Jahre. Ich war Cutter-Assistentin, du blutjunger Producer. Ich musste immer für den Nachschub sorgen, sonst konnte er nicht. Weißt du noch, Studio Hamburg, Sprachaufnahme?"
"Ja, ich weiß. Er wollte dich, ich wollte dich."
"Karli, Dummerchen, wer hat`s denn geschafft?"

Zum Abend hatten sie den Kaminofen angeheizt, das gehört in Dänemark einfach dazu, genossen den Panoramablick über das blaugrüne, fast spiegelglatte Meer mit der untergehenden Sonne, einem blutroten Ball, und den Brandy " Gran Duc d`Alba", den sie mit bedächtigen, kleinen Schlückchen aus den großen Cognacschwenkern tranken.

"Ihr habt`s jut".
Diese Stimme. Diese markante, unverwechselbare Stimme. Wie vom Blitz getroffen fuhren sie herum.
"Hannsi, mein Gott, Hannsi", flüsterte Inge fast tonlos und ihr Gesicht nahm dabei eine aschfahle Farbe an.
Karlchen schien gefasster. "Wie bist du hineingekommen?"
"Durch die Tür", sagte Hansi, blickte beinahe sehnsüchtig auf die Cognacgläser und rückte dichter an den Tisch heran.
"Guckt nicht so blöd Kinners, Jaja, ich bin`s. Hannsi, euer Hannsi. Freut ihr euch nicht?" Er sagte dies in seinem typischen, leicht vernuschelten, schnodderigarroganten Tonfall.
"Was willst du hier, Hannsi, ich meine, du bist doch tot, eigentlich nicht wirklich hier, nicht wirklich, aber ich sehe dich."
"Klar siehst du mich, Karlchen. Jeder könnte mich sehen, wenn er mich kennen würde. Aber wer kennt mich schon noch."
Seit er sich bemerkbar gemacht hatte hing sein Blick an der Cognacflasche, sie schien ihn magisch anzuziehen.
"Soll das heißen, dass du als Toter neben uns Menschen lebst, ohne dass wir es wahrnehmen, dass......."
"Nee Karli, die haben mir drüben Freigang gegeben, weil sie wissen, dass es notwendig ist."
"Willst du damit sagen, dass du nur hier bist, weil du etwas zu erledigen hast, was für dein anderes, ehem, Dasein wichtig ist und wir dich nur sehen können, weil wir dich kennen."
"Fast richtig, Ingemaus. Mich kann nur sehen, wer mich kennt und eine besondere Beziehung zu mir hat. Und das hattet ihr ja wohl."
"Ich brauche jetzt einen kräftigen Schluck, Hannsi."
"Ich auch, Karlchen, gib mir auch ein Glas von dem edlen Gesöff."
Inge stand auf, holte einen dritten Schwenker aus der zum Wohnbereich hin offenen Küche, füllte den Boden behutsam mit dem edlen Tropfen und stellte ihn vor Hansi hin.
Karlchen hob sein Glas. "Na denn Hannsi. Lass uns einen lüpfen. Wie früher, wie in alten Zeiten."
Hannsi starrte auf das Glas, machte aber keine Anstalten es in die Hand zu nehmen, murmelte fast unverständlich: "Es muss klappen." Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
"Was heißt, sie haben dir Freigang gegeben, Hannsi, warum?"
"Ich muss es wieder tun, Inge, so wie früher, sonst bin ich nicht gut genug. Und ich habe immer nur einen Tag pro Jahr Zeit, es neu zu lernen. Das Haus nebenan haben sie zehn Jahre für mich gemietet. Jeweils für `ne Woche. Tageweise kriegste es ja nicht. Sie wollen, dass ich es wieder lerne, wieder tue. "
"Was lernen, was wieder tun?"
"Wir haben ein großartiges Schauspielhaus da drüben. In zehn Jahren startet die Premiere der "Caine". Lange Zeit für euch, für uns nicht. Weißte, die Meuterei auf der Caine. Großartiges Stück. Ich gebe den Verteidiger Greenwald. Ich will`s noch mal wissen. Tolle Besetzung“.
Er starrte auf sein Glas, immer mehr Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
„Wolfgang Kieling macht den Captain Queeg, Horschtl Frank schlüpft in die Rolle des Opportunistenschweines Tom Keefer, Pfitze gibt dem Steve Maryk Leben und Hotte Buchholz mimt den Fähnrich Willie Keith. Dolles Ding das.“
Er rückte näher an den Tisch heran und führte voll konzentriert die Hand zum Glas.
„Wenn`s nicht klappt, muss ich gehen. Nächstes Jahr, gleiche Zeit hier. Versprochen?“
„Versprochen, Hannsi.“
Er griff nach dem Glas, so wie man es tut, wenn man die Form des Schwenkers in der Handfläche fühlen und genießen will. Die Bewegung war bedächtig, fast zärtlich, so als bestünde eine Liebe zu dem, was der Schwenker enthielt.
Ein paar wenige Zentimeter noch. Er zögerte ein wenig, versuchte den Schwenker in die Handfläche gleiten zu lassen, griff durch das Glas hindurch.

 

 

Anmerkung des Autors:

In Memoriam an einen großen Darsteller.
Hannsi Lothar starb am 11. März 1967 während der Proben zu „Die Meuterei auf der Caine.“
Als offizielle Todesursache wurde eine Nierenkolik angegeben.

Mit seinem Tod verließ einer der profiliertesten Darsteller die Bühne und einen großen Freundeskreis.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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