Killybegs
Killybegs ist ein ein Fischerstädchen auf der Nordwesthalbinsel, es ist ein Städtchen im Aufbruch zum 21. Jahrhundert. Hier, wie in ganz Irland findet sich nahezu in jedem Take-Away, in den Hostels und in vielen Pubs ein Internetanschluß. Der Internet-Apparat ragt als Fremdkörper in die ansonsten mit alten Möbeln vollgestopften Pubs. Es wird Jahre dauern, bis sich das Auge des-jenigen, der nicht mit der IT-Technologie aufwuchs, daran gewöhnen wird. Man fühlt sich an einen Stiftzahn oder eine Brücke im Munde erinnert, die ebenfalls lange Zeit als Fremdkörper empfunden wird, bis das Gefühl schließlich ein "gehört-zu-mir" signalisiert.
"Das ist der Fortschritt, muß man heute haben", erzählte mir der Warden des Hostels, in dem ich abstieg. Ich frage mich auf dem Weg in den Schlafraum, ob wir tatsächlich immer weiter fort-schreiten müssen, Irland war mir gerade wegen seiner Rückständigkeit ans Herz gewachsen. Würde Irland werden wie alle anderen Staaten?
Genau diese Entwicklung schien sich abzuzeichnen, genau wie in Deutschland gehört auch hier inzwischen zu jedem Teenager ein Mobiltelefon. Dem "Handy" wird von den irischen Teenagern die gleiche Bewunderung entgegengebracht wie in Deutschland. Im Pub wird es auf den Tisch gelegt, im Minutentakt muß es berührt werden, nicht etwa um zu telefonieren, vielmehr wirkt es so, als müsse man sich seiner Anwesenheit versichern.
"It's an obsession", bemerkte die Wirtin eines Pubs in einem Gespräch über die Entwicklung in Irland, eine treffende Beschreibung, tatsächlich scheint dieser kleine Apparat das Besitzverhältnis zwischen Mensch und toter Materie umgekehrt zu haben. Ich sehe mir die jungen Leute über die Schaumkrone meines Guiness hinweg genauer an, Nike-Shirts und - Schuhe sind Pflichtprogramm. Auf der Musikbox an der Wand wird Techno-Music gedrückt. Diese Teenager könnten Amerikaner, Deutsche oder Franzosen sein, die zeitgemäße Uniformierung läßt keine nationalen Eigenarten mehr erkennen.
"Ist es nicht gut, daß wir uns alle angleichen, daß Unterschiede keine Rolle mehr spielen?" gab mir ein australischer Tourist im Gespräch zu bedenken.
"Ich denke, daß wir lernen müssen mit unseren Unterschieden zu leben", entgegne ich.
"Sind es nicht gerade die Unterschiede, die Unterschiede auch zwischen den Menschen, die uns veranlassen hierher zu kommen? Lieben wir nicht die Eigenart der Iren? Hören wir nicht mit Vorliebe am Abend irische Musik anstatt des üblichen Schlager -Pop -Techno und Hiphop- Breies, der uns wie ein Fertiggericht über die Mensen von Viva und MTV gereicht wird? "
"Ja, schon, räumt der Australier ein, "aber eine möglichst große Angleichung ermöglicht, Vorurteile, die durch die Unterschiede hervorgerufen werden, zu überwinden".
"Wie weit soll diese Angleichung gehen, die die Bekleidungs- Musik- Freizeit und IT-Unternehmen ob der Umsätze glücklich macht? Ich empfinde das Streben nach Einebnung nationaler Unter-schiede im Sinne eines europäischen Multi-Kulti-Einheitsmenschen fast wie eine subtile Form von Rassismus, ebensowenig wie man den schwarzen Menschen gebieten kann weiß zu werden, kann man erwarten, daß uralte kulturelle Eigenarten aufgegeben werden".
Der Australier bricht das Gespräch ab, schade!
Am Abend besuche ich die Harbour Bar, zunächst ertönen die üblichen Songs, die der Tourist zu hören wünscht. Mit der "politically correctness" ist' s aber um 0.30 Uhr vorbei, nun, da kein Tourist mehr anwesend ist, ertönen Songs, die stets die Nordirland-Problematik zu Thema haben. Politisch korrekt ist nun nichts mehr, Aufrufe wie "schlachtet die Engländer" gehören zu den eher moderaten Zwischenrufen. Die drei jungen Männer und die junge Frau an meinem Tischchen sind aufgrund der konsumierten Alkoholmenge nicht mehr so zurückhaltend. Zu Beginn der Veranstaltung hatten sie nur hin und wieder einmal schüchtern herübergeschaut. Nun beugt sich der dunkelblonde Junge (nein, ein Mann ist er noch nicht) herüber.
"Where do you come from?"
"Germany", entgegne ich pflichtgemäß.
Germany findet er "great" und die Deutschen "liebt" er. Und - fügt er hinzu - "Hitler was a good man!" Eine erstaunliche Parallele, denke ich, hatte doch ein anderer Deutscher in seinem irischen Tagebuch vor mehr als 40 Jahren* eine nahezu identische Situation geschildert. Mir allerdings mißlingt die Rolle des „ambulanten politischen Zahnarztes“ * gründlich, so sehr ich mich bemühe, in Detail gehe, daß Hitler ein "bad man" gewesen sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.
Er verließ den Tisch, als sein Guiness geleert, er aber keineswegs belehrt war. Er kam nicht wieder. Offenbar hatte ich seinem Bild eines Deutschen nur äußerlich entsprochen. Saß ich doch da mit streichholzkurzen Haaren, und zog ich die Ärmel hoch, um sie am Biertischen nicht zu verschmut-zen, ragten Tätowierungen unter dem Pullover hervor. Ein anderer junger Mann nahm Platz, nach kurzer Zeit durfte ich nochmals beteuern, Deutscher zu sein. Er lauschte der Band, ein Lied über Bobby Sands war zu hören, er schaute herüber und fragte:
"Do you understand the songs?"
"I understand the words and I know who Bobby Sands was"
Dann fragte er mich, ob ich die Engländer möge. Ich antwortete ihm, daß ich keinen Grund hätte sie zu hassen. Er erzählte mir, daß er einen Cousin verloren habe, erschossen von den Engländern.
"We all here are IRA", sagte er. Es wurde klar, daß er eine diplomatische Antwort nicht gelten lassen würde, zwischen den Stühlen Platz zu nehmen, wollte er mir nicht zugestehen. Und - so viel war klar - er hatte einen IRA-Stuhl für mich reserviert.
Ich erklärte ihm, daß ich - mich als Ire gedacht - für seine Position durchaus Argumente finden könnte. Ich hatte hierbei nicht gelogen, das Argument aller Nicht-Iren, daß eben beide Seiten den Frieden nur wollen müssen, erschien mir zu platt. Es schien mir wie die Erklärung, daß die Erde rund sei, dies ist nicht ganz falsch, bekanntlich jedoch ist die Erde abgeflacht, wirklich rund ist sie nicht. Eine banale Bemerkung? Ja sicher, nur kann ein Frieden in Nord-Irland rund sein? War die Vergangenheit rund? Oder war das Rund, daß die eine Seite verkündete, nicht in Wahrheit abge-flacht? Abgeflacht durch die erlittenen Schicksale der anderen Seite. Die Lösungen, die uns Politiker bieten, sind durchweg rund, daß die Betroffenen die Abflachung schmerzhaft empfinden, interessiert sie nicht. Und die erste Reaktion, wenn man dies liest - dachte ich mir - wird sein, daß man dir vorwirft, keine Lösung zu bieten. In der Tat, ich hatte keine Lösung zu bieten, also stand ich auf, ging zur Bar und bestellte noch ein Guiness...
Die Bar war inzwischen überfüllt, erstaunlicherweise ist dies in Irland (im Gegensatz zu meiner Heimat) kein Problem. Das Problem, ein weiteres Guiness zu benötigen, ist hier jedem geläufig. Und so macht jeder in stiller Übereinkunft etwas Platz, eine Gasse entsteht zwischen den Leibern, in wenigen Minuten trage ich mein Guiness zu Tisch. Die Stimmung hat inzwischen ihren Höhepunkt erreicht, die Leute stehen auf den Tischen, auf den Eckenausbuchtungen, sie tanzen, verschütten Bier. Und immer wieder schreien sie "IRA". Ganz besonders die jungen Leute, auch ihr Bild ist rund, das Bild der Engländer wird mit jedem Song runder. Ich hoffe, daß wenigstens das Bild von good-man Hitler im Kopfe meines jungen Tischgenossen von vorhin jetzt etwas schief hängt...
Auch mein Bild (das der optischen Wahrnehmung) ist inzwischen eindeutig unrund, ich beschließe, zu gehen. Ebenso unrund wie verboten fahre ich die paar Kilometer nach Dunkineely, dort befindet sich mein Hostel...
* der andere Deutsche, der vor über 40 Jahren hier war = Heinrich Böll
* „politischer ambulanter Zahnarzt „ = Anspielung auf ein Stück von Böll (im Irischen Tagebuch)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.11.2006.
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