Es kam mit der Morgenpost: ein ganz normal aussehendes Paket in braunem Packpapier und verschnürt mit derber Doppelschnur. Es unterschied sich in nichts von den Tausenden anderen Paketen, wie sie die Postboten tagtäglich austragen. Mit dem aber hatte es eine besondere Bewandtnis. Eine besondere …? Es war einer dieser Tage, wo der Himmel griesgrämig auf die Erde hinunterschaute, der Wind lustlos um die Häuser strich, sich die Sonne schmollend in ihr Zimmer zurückgezogen hatte und mein Kühlschrank leer war. Der Postbote klingelte an der Tür und ich stieß mit ihm zusammen, als ich sie eilig aufriss, weil ich zum Supermarkt wollte, um das schwarze Loch in meinem Kühlschrank zu stopfen. Ich nahm das Paket, warf es achtlos auf den Tisch. Was konnte es schon sein: Kosmetik oder Klamotten. Ich stürzte zum Discounter. Unterwegs fing mein Hirn an zu arbeiten. Sollten in diesem Paket wirklich nur Kosmetika oder Klamotten sein? Welche Firma packt mit einer Schnur? Das war ungewöhnlich. Was hatte ich sonst bestellt? Mein interner Computer rasselte wie eine alte Rechenmaschine, kramte in meinen Erinnerungen und kam zu keinem Ergebnis. Ich versuchte mich zusammenzureißen, der Einkaufszettel musste erst abgearbeitet werden. Ich hatte keine Zeit mich mit dem Paket zu beschäftigen. Meine grauen Zellen ließen sich aber nicht befehlen und ich dachte immer wieder an dieses Paket. Was könnte dort drinnen sein…? Ich rief mich zur Ordnung. In mir war Unordnung. In Gedanken versunken zahlte ich an der Kasse, spurtete nach Hause, nahm zwei Treppenstufen auf einmal, kam atemlos an meiner Wohnungstür oben an. Was war das nur für ein Paket, verflixt noch mal! Ich suchte den Absender. Wo war er? Ach hier: NSA. Langsam spulte mein Hirn den richtigen Faden ab: Die Norwegische Schiffsagentur. Ich hatte doch … Mit fliegenden Fingern öffnete ich die Schnur. Das Packpapier löste sich und vor mir breitete sich ein Nordlicht aus, Orange über Rötlich bis Purpurn zerfledernd am dunklen Himmel. Aurora Borealis. Ich spürte mein Herz bis in den Hals klopfen. Vor Monaten hatte ich dieses Buch bestellt: Die Hurtigruten im Winter. Wow, jetzt lag es vor mir. Langsam perlten die Erinnerungen an diese einzigartige Reise im letzten Winter an die Oberfläche. Ich sah mich in Gedanken, wie ich auf das Schiff der Hurtigruten in Kirkenes stieg, die wirbelnden Schneeflocken dort, fühlte wieder die Kälte in meine Nase beißen. Ich litt noch einmal unter dem auf den Wellen tanzenden Schiff, welches mit dem Sturm spielte, Gicht umspritzt. Ich erinnerte mich an die strahlende Helle in Hammerfest, der nördlichsten Stadt der Welt, welche den Schnee zum Glitzern brachte, der unter meinen Füßen knirschte und die märchenhaften Fahrten durch die Fjorde im dämmrigen Licht, wenn die Sonne sich noch nicht entschließen konnte, sich zurückzuziehen und die Wolken, Berge und das Wasser in ein geisterhaftes Schimmern tauchte. Unvergessen auch die Augenblicke auf der Kommandobrücke, im Sessel des Kapitäns, wo ich eine kleine Ahnung davon bekam, was es hieß, so ein Schiff zu lenken. Jetzt lag es vor mir. Das Buch. Feine glatte Seiten, die sich warm anfühlten. Brilliante Fotos von Landschaften, Städten und Schiffen, wie ich sie auch erlebte. Ich vertiefte mich in die Seiten. Ich las, dass seit 113 Jahren die Hurtigruten die Orte entlang der von Fjorden zerklüfteten Küste Norwegens versorgten, dass noch heute Waren und Menschen von Punkt zu Punkt transportiert werden und immer mehr Touristen diese wundervolle Art zu reisen, entdeckten. Die Fotos zogen an mir vorbei, riefen die Stationen der Fahrt in mir zurück. Ich sah mein Schiff, auf dem ich damals fuhr, die „Kong Harald“. Beim Aufschlagen der nächsten Seiten kannte meine Begeisterung keine Grenzen. Das Nordlicht. Sechs große Fotos ließen mich die Sonnenwinde erleben, wenn sie mit dem Magnetfeld der Erde flirten. Am dunklen Himmel wandten sich bläulich-grüne Finger empor, verdrehten sich wie Schrauben, zerflossen flackernd und flimmernd einem Feuerwerk gleich am Himmel. Ich meinte, eine Melodie zu hören, ein Sirren und Klingen, ähnlich einer Harfe, verschmolzen mit einem Glockenspiel. Ich träumte davon, diesen Kuss des Alls, geschenkt unserem Planeten in einer verschwenderischen Stunde, einmal sehen zu können, dort im hohen Norden. Damals blieb es mir verwehrt. Es war wirklich ein ganz besonderes Paket, welches mir die Morgenpost brachte, in diesem braunen Pack-papier und verschnürt mit derber Doppelschnur.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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