Hans-Peter Zürcher

Herbstmorgen im Tessin

 
22. Oktober 2006
 
An einem sonnigen Sonntagmorgen im Oktober spazierten wir der Rivapiana von Locarno Minusio entlang. Sanft plätscherten die Wellen ihre Melodie vor sich hin, nicht von einem Schiff, sondern vom leichten Wind aufgewühlt, schlugen sie sachte an den Strand, krochen über Sand und Kiesel dem nahen Strässchen entgegen um sich dann gleich wieder in den See zurückzuziehen. Die wenigen vertäuten Boote schaukelten dabei leicht vor sich hin, den Takt der Musik aufnehmend, verträumt, ihre nackten Segelmasten dem tief blauen Himmel entgegenstreckend. Weit draussen auf dem See sah man vereinzelte Fischerboote. Dieser Morgen war die Ruhe selbst, nur zeitweilig kurz durchbrochen von den Geräuschen eines nicht weit von dieser Promenade entfernt vorbei fahrenden Eisenbahnzuges, der zwischen Bellinzona und Locarno verkehrt.
 
Wir wagten es, unsere Schuhe auszuziehen und mit nackten Füssen im seichten Wasser dem kleinen Strand entlang zu waten. Der See duftete erfrischend nach Ferne und Urlaub, nach Heimat und Glück. Es duftete auch nach Herbst, nach Marroni und Trauben, die Blätter der Reben und Kastanien haben sich verfärbt, da und dort waren in den Gärten noch blühende Rosen zu sehen. Auf der Trockenmauer der wenigen Rebgärten wärmten sich da und dort Eidechsen. Lang und flach ausgestreckt dösten sie vor sich hin und trotzdem sind sie hell wach, verschwinden flink in eine Ritze, wenn man sich ihnen nähert. Wir setzen uns auf eines der sonnigen Bänkchen, träumten unseren Traum, umschlungen gleich einem Liebespaar. Nicht weit von uns sassen zwei kleine Mädchen auf dem Mäuerchen, das bis ins Wasser des Sees reicht. Eigentlich ist es ein steinerner Steg, auf dem man zu den vertäuten Schiffen gelangen kann. Sie lachten und waren unbekümmert fröhlich, liessen Steine hoch aufspritzend in den See fallen, schauten ab und zu uns hinüber und lachten dann wieder. Ich glaube nicht, dass sie uns auslachten, sie waren eher verlegen, dass da zwei Turteltäubchen turtelten, als währen sie alleine an diesem schönen Plätzchen.
 
Die Gedanken und den Blick über den See in die Ferne schweifend zu den Monti des Gambarogno. Ab und zu springt ein Fisch aus dem Wasser um nach einem Mückchen zu schnappen, sieh aus wie ein Freudensprung in diesen schönen Sonntag.
    
Von ferne tönten die wirren Melodien der Tessiner – Kirchenglocken zu uns an den See. Von Brione, Muralto, Minusio und von Tenero. Überall gibt es hier Kirchen und Kapellen mit schönen Namen wie San Vittore, San Francesco oder San Antonio. Viele fromme Menschen scheint das Tessin zu beherbergen, vor allem katholische. Bin zwar auch sehr gläubig, aber nicht einer Religion verfallen, aber wenn sie all diese Menschen glücklich macht, sollen sie glauben was sie wollen. Die Kirchen und Kapellen sind zum Teil sehr schön anzuschauen und scheinen mir ungläubigem trotzdem Kraft und Energie zu geben. Ich halte mich gerne in ihnen auf, geniesse die Stille, die voller geheimnisvoller Geräusche ist, auch wenn ich mich allein in einer solchen Kirche oder Kapelle aufhalte. Schlicht müssen sie ausgeschmückt sein, wenig Bilder und Statuetten, sanfter Weihrauchduft darf einem durchaus die Sinne leicht vernebeln. Wenn sie aber so mit religiösem Kitsch und Pomp überladen sind wie die Madonna del Sasso, die hoch über Locarno thront, und stinkende Weihrauch-schwaden einem fast das Bewusstsein berauben, dann muss ich schnell wieder einen solchen Ort verlassen, ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit und eine grosse Unruhe erfasst mich.
 
Hinter uns lädt der Turm von der Chiesa di San Quirico zu einem Besuch ein. Ehemals war er ein Wachtturm, später erst wurde er dann zum Glockenturm einer alten romanischen Kirche aus dem 14.-16. Jahrhundert. Mitten in einem Obst und Rebgarten steht dieses alte Kirchlein. Eine wunderschön erhaltenes Gebäude, abgesetzt von seinem Glockenturm, mit spätromanischen und gotischen Freskenreste aus der Zeit. Ein schlichter Raum, in dem nur die alten Freskenfragmente und auf dem Altar ein frischer Blumenstrauss aus violett leuchtenden Herbstastern den Raum zierten.
 
Gemächlich spazierten wir nach diesem lieblichen Abstecher den See entlang zurück nach Locarno. Zwischenzeitlich hatte sich auch dieses Strässchen langsam bevölkert, nicht von Einheimischen, denn die befanden sich um diese Zeit noch betend in den Weihrauchschwaden in ihren Kirchen. Touristen waren es, die sich langsam spazierend und plaudernd in diesen sonnigen Sonntag verlieren wollten.
 
In einem Gartenrestaurant haben wir uns zum Ausklang dieses sehr schönen Morgen niedergelassen, um uns von einem guten Glas Merlot mit frisch gerösteten Marroni verführen zu lassen.
 
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