Klaus-D. Heid

Gehässig

Kosmann zeigte wieder jenes breite Grinsen, für das ich ihn am liebsten umbringen würde. Natürlich wusste dieser Widerling, wie sehr mich die Nachricht traf, die er aus dem Faxgerät genommen hatte, um sie mir nun triumphierend auf den Schreibtisch flattern zu lassen.

„Sieht wohl nicht so gut mit dem Auftrag aus, oder?“

Sieht wohl nicht so gut mit dem Auftrag aus, oder... – als wenn Du Penner nicht ganz genau wüsstest, dass der Auftrag an die Konkurrenz gegangen war.

„Die haben sich für Moll & Sohn entschieden, Herr Kosmann. So, wie’s aussieht, gibt’s da wohl irgendwelche persönlichen Verflechtungen. Jedenfalls ist der Auftrag futsch! Trotzdem vielen Dank, dass Sie mir das Fax gebracht haben. Wirklich sehr nett...“

Arsch. Jeder kleinste Misserfolg von mir ist dem doch ein innerer Reichsparteitag. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er sich einen Ast abfreut, wenn ich einen Auftrag verliere. Wahrscheinlich geht dem gleich einer ab, wenn er mitbekommt, wie ich mich ärgere. Und warum diese Schadenfreude? Habe ich ihm jemals etwas getan? War ich nicht immer freundlich und hilfsbereit, wenn er mich brauchte? Ist es denn meine Schuld, dass Kosmann vor einem Jahr von seiner Frau verlassen wurde? Hasst er mich vielleicht, weil ich seit fast dreißig Jahren glücklich verheiratet bin? Ist’s das? Ist Kosmann neidisch auf mich und kompensiert er diesen Neid in Bosheit gegen mich?

„Hab ich doch gern getan! Schade, das mit dem Auftrag, oder? Wäre eine ganz stattliche Provision bei rausgesprungen, nicht wahr? Übrigens habe ich heute den Auftrag von der Blume AG bekommen. Ist `ne satte sechsstellige Summe! Von der Provision kann ich mir locker zwei Monate Seychellen leisten. Und Sie? Sie machen wohl dies Jahr gar keinen Urlaub, wie? Sie sehen gar nicht gut aus, müssen Sie wissen! Der Mensch braucht auch mal `ne Pause, sage ich ihnen!“

Und um Pause machen zu können, braucht der Mensch Kohle, lieber Kosmann-Arsch! Kohle ist aber keine da, weil mein gesamtes Erspartes in einem Internet-Projekt meiner Frau steckt. Wir können froh sein, wenn wir in vier oder fünf Jahren zumindest unseren Einsatz wieder herausbekommen. Wenn wir allerdings Pech haben – und danach sieht’s leider aus – ist das ganze Geld zum Teufel! Urlaub? Daran ist nicht mal im Traum zu denken. Schon schlimm genug, dass wir unseren schönen BMW verkaufen mussten und uns stattdessen einen klapprigen alten VW-Golf angeschafft haben, der uns mit seinen beschissenen Reparaturen die Haare vom Kopf frisst. Urlaub? Wenn ich spätabends nachhause komme, sitzen meine Frau und ich bis spät in die Nacht hinein über unseren Eingangsrechnungen. Das letzte Filetsteak haben wir uns bestellt, als wir den heißesten Sommer der Temperaturmessung hatten. Das war vor drei Jahren...

„Ich habe dies Jahr `ne Menge Arbeit zu Hause, Herr Kosmann. Vielleicht schaffen meine Frau und ich es noch, mal kurz einen Last-Minute-Flug einzuschieben. Es soll ja ganz gute Angebote für die Türkei geben, habe ich gehört. Besonders Side...“

„Side? Dreckskaff! Da war ich mindestens zwanzigmal, bis ich endlich begriffen habe, dass Side nur was für Billigtouristen ist. Versuchen Sie’s mal mit der Dominikanischen Republik, mein Lieber. Dominikanische Republik! Nicht allzu teuer, wenn man ein bisschen klamm ist und den Euro zweimal umdrehen muss.“

Ich spürte, wie der Zorn die Adern meines Halses gefährlich anschwellen ließ. Hatte Kosmann wirklich zwanzig mal nach Side fliegen müssen, um zu merken, dass er dort fehl am Platz war? Und was sollte der bescheuerte Hinweis mit dem ‚klamm’ und ‚Euro zweimal umdrehen’? Was brachte es Kosmann, mich immer und immer wieder zu triezen? War dieser Mistkerl erst zufrieden, wenn ich an einem Hanfseil baumelte?

„Guter Tipp, Herr Kosmann. Mal sehen, wie sich’s entwickelt. Nochmals Danke für den Hinweis. Wenn ich mal Fragen zur Dominikanischen Republik habe, komme ich zu Ihnen, ja?“

Mein Fehler! Wieso musste ich den letzten Satz auch mit diesen ‚zur Antwort auffordernden ‚Ja?’ beenden? War doch klar, dass nun Kosmann wieder seinen Senf dazugeben würde.

„Ich will Ihnen mal was sagen, Kollege! Nur mal so unter uns, wenn Sie verstehen, was ich meine. Also dass mit Ihrem verlorenen Auftrag tut mir wirklich leid. Ehrlich. Ist mir schon klar, dass deshalb die Dominikanische Republik nicht ganz das richtige für Sie und Ihre Frau ist. Sie sind doch noch verheiratet, oder? Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht, als ich vorgestern dachte, Ihre Frau gesehen zu haben. Sie wissen ja, dass ich Ihre Frau vor drei Jahren bei der Betriebsfeier kennen lernen durfte, nicht wahr? Hübsche Frau. Sehr hübsche Frau. Nicht unbedingt mein Typ – aber trotzdem sehr hübsch. Was wollte ich noch sagen? Ach so, ja. Also die Frau, die ich da gesehen habe, sah wirklich verdammt wie Ihre Frau aus. Aber dann habe ich mir gedacht, dass es unmöglich Ihre Frau sein konnte, weil sie nämlich so verliebt mit diesem Südländer geflirtet hat. Lassen Sie mich nachdenken..., ich glaube, es war im Einkaufscenter am Waterlooplatz. Wohnen Sie nicht in der Nähe vom Waterlooplatz...?“

Wäre es Mord oder Totschlag gewesen?

„Direkt am Waterlooplatz, Herr Kosmann. Aber im Gegensatz zu Ihnen sind meine Frau und ich sehr glücklich verheiratet. Hat Ihre Frau Sie eigentlich verlassen, weil Sie impotent sind? Oder hat sie die Kurve gekratzt, weil ihr das ewige Gequatsche ihres Mannes auf die Nerven ging? Oder war’s einfach nur so, dass Ihre Frau Ihren Mundgeruch nicht mehr ertragen konnte? Was war’s, Kosmann? Hm?“

Was es bei mir war, konnte ich mir nun an zwei Fingern abzählen. Kosmann war nämlich der Neffe des alten Busch. Busch wiederum war mein Chef. Nach dem verlorenen Auftrag und all den anderen verlorenen Aufträgen der letzten Zeit war’s das dann wohl mit mir in dieser Firma. Kosmann würde Busch die Geschichte meines Elends präsentieren und würde jedes Wort, dass ich ihm an den Kopf geworfen habe, brühwarm weitergeben. Dass ich mir jetzt wohl einen anderen Job suchen konnte, den ich natürlich nicht finden würde, war sonnenklar. Leute über vierzig haben im Arbeitsmarkt der jungen erfolgreichen Supermänner ebenso viele Chancen wie ein Nichtschwimmer im Haifischbecken.

„Donnerwetter, mein Lieber! Sie können ja richtig zornig werden, was? Wissen Sie eigentlich schon, was Sie machen, wenn Sie sich morgen früh Ihre Papiere abholen dürfen? Sie sind nämlich raus! Sie sind die längste Zeit in dieser Firma angestellt gewesen! Ich sorge schon dafür, dass Ihnen Ihre Frechheit ausgetrieben wird!“

Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. Zuerst wollte ich gar nicht abnehmen, weil’s eh keinen Sinn mehr machte, Engagement zu zeigen. Aber dann – warum auch immer – griff ich nach dem Telefonhörer.

„Hier ist Deine Frau, Schatz. Störe ich gerade? Ich muss Dir unbedingt was erzählen...!“

So schön es auch war, die Stimme meiner Frau zu hören, so unpassend schien mir doch der Zeitpunkt für einen belanglosen Plausch zu sein. Gerade wollte ich mein Frau freundlich bitten, mir alles zu erzählen, wenn ich zuhause ankommen würde, als sie mich unterbrach:

„Wir sind reich, Liebling! Stinkreich. Steinreich. Irre reich, Schatz! Ich habe mein Projekt an eine Firma in den USA verkauft, die mir 14 Millionen...“

Meine Frau hat sich garantiert nicht wenig gewundert, als ich einfach den Hörer auf die Gabel knallte und so das Gespräch unterbrach. In meinem Kopf drehten sich nur noch die Worte ‚Wir sind reich!’ und sofort kam das Wort ‚Kosmann’ dazu.

„Wohl wieder schlechte Nachrichten, wie? Ihre Frau, was? Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn Sie ihr beichten müssen, dass sich Ihr Job in Wohlgefallen aufgelöst hat, Sie Spinner!“

Kosmann sah mir nun noch verduzt nach, als ich einfach wortlos den Raum verließ. Er konnte nicht ahnen, dass ich schon längst auf dem Weg zum alten Busch war, um ihm ein Kaufangebot für die Firma zu unterbreiten. Wenn alles so klappte, wie ich es mir vorstellte, würde Kosmann in spätestens einem Monat Stammgast beim Arbeitsamt werden.

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Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

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