Dieter Kamensek

Kim

Ein Zimmer wie viele andere Zimmer. Es ist abgedunkelt und ruhig. Eine Gestalt liegt in einem großen Bett. Das Zimmer ist abgedunkelt und ruhig. Das Fenster ist einen Spaltbreit geöffnet und lässt den Vorhang im Wind spielen. Und doch ist ein Geruch des Alters allgegenwärtig. Die Gestalt im Bett hat die Augen geschlossen und schwerer, mühsamer Atem  ist das einzig wahrnehmbare Geräusch. Keine Regung der Gliedmaßen und des Körpers. Graue Haare krönen ein altes, vom Leben gezeichnetes Gesicht. Bleiche, alte, scheinbar viel zu große Haut, überzieht den Schädel. Finger, dünn und spitz halten den Rand der Decke wie einen Rettungsanker. Ein Rettungsanker der die Gestalt am Leben hält und wie ein Schild Schutz gibt vor der Dunkelheit des Geistes.
 
Die Gedanken der alten, vom Tode gezeichneten Frau sind in Ihrer Kindheit angelangt. Bilder aus ihrer Kinderzeit laufen wie ein Film in ihren Kopf ab. Sie durchlebt die schönen und die nicht so schönen Dinge ihrer Kindheit nochmals, sie denkt und freut sich über das Spielzeug das sie einst bekam, nun aber schon längst nicht mehr existiert, sie weinte innerlich als sie an den Sturz mit dem Fahrrad dachte und sich dabei die Knie abschürfte, sie war traurig bei dem Gedanken an die Vergangenheit als die Katze nicht mehr wiederkam.
So ging das durch die Kindheit, durch die Jugend, mit allem Erfreulichem und Traurigem, mit allem Lachen und Weinen. Menschen, schon längst aus dem Leben, dem Angesicht der Erde entschwunden, tauchten aus der Vergessenheit auf, um Kim nochmals einen Teil ihres Weges zu begleiten!
 
Sie erkannte und fühlte - auf einmal - die Grenzen der Kindheit und der Jugend, sie sah Ihre großen und kleinen Erfolge, was sie richtig und gut gemacht hatte. Aber sie erkannte auch all ihre Fehler, die großen und die kleinen. Die Größe der Fehler nahm anscheinend zu mit dem Älterwerden, ebenso wie das Vermögen GUT und SCHLECHT voneinander zu unterscheiden. Manchmal umspielte ein, für Außenstehende nicht sichtbares, Lächeln den Mund von Kim, hin und wieder verzog sich der Mund zu einer unsichtbaren Grimasse der Traurigkeit und des Leides.
 
Ihre Gedanken wanderten nun zu ihren Leben als junge Frau. Sie sah, spürte und fühlte genau so wie die junge Frau ,die sie einmal war. Diese war zwar schon längst entschwunden, doch nun, zumindest in ihrer Erinnerung, auferstanden, zurückgekommen um noch einmal die Rolle zu spielen, die längst vorbei war. Orte und Personen um sie herum wechselten, Interessen kamen und gingen, vernünftiges und unvernünftiges wurde getan. Meist machte das Unvernünftige mehr Spaß. Es kam nun das erste Verliebtsein. Das bittersüße Glück, das jeden Menschen nur einmal ereilt und ihn durch das Leben begleitet. Danach die Lebens- und Liebeslust, der Beruf, die Hobbys und der Sport. Dann kommt der Augenblick der ersten richtigen und großen Liebe. Liebe, bei der sich die Seelen berühren, binden. Diese Liebe ist keine Verliebtheit, keine Vernunftangelegenheit, keine Frage der Intelligenz, des Geistes. Sie ist eine Angelegenheit des Herzens, der Gefühle und ein Teil eines Wissens, das die höchste Weisheit der Existenz darstellt. Sie erkannte den Wert, die Einmaligkeit und die Schönheit dieser Liebe. Sie fühlte etwas, das sie niemals zuvor gespürt hatte. Nun dachte sie daran was dieser Mann zu ihr einmal sagte:“ Es zählt für mich nur die Zeit mit dir, sind es auch nur Minuten oder Sekunden, so sind diese wertvoller als die Stunden, Tage, Wochen, Monate oder Jahre mit oder bei anderen. Schließe die Augen, vertraue mir, lass einfach geschehen!“ Sie kannte schon viele Männer zuvor im Bett und als Weggefährten, doch diese eine Beziehung war etwas besonderes, Einmaliges!
Sie verstand damals vieles nicht. Sie wollte damals alles selber kontrollieren und lenken. Sie verstand wirklich wenig oder auch gar nichts.
Sie glaubte sich im Recht, sie meinte mehr und alles besser zu wissen als andere ohne es sich jedoch eingestehen. Sie verlangte, dass die Anderen über ihren Schatten springen, die Anderen Dinge und Situationen überdenken sollten, immer die Anderen sollten, mussten, könnten,….!
So kam es wie es kommen musste. Trennung, eine Trennung für immer. Die Vergangenheit wurde von ihr zum Müll geworfen. Trauer, Enttäuschung und Leid des Anderen interessierten sie nicht wirklich!
 
Wichtig waren für sie damals nur IHR Denken, IHR Empfinden, IHRE Sichtweise und IHRE Einschätzung. Durch diese Einstellung zerstörte sie den Teil des Lebens, der eigentlich der Wichtigste war und sein sollte. Sie sah vor ihrem geistigen Auge andere Partnerschaften, Erinnerungen an den Beruf, an die Freude an das Leid. Doch sie sah sich, ab den Zeitpunkt der Trennung, mit einem dunklen Fleck in der Herzgegend. Und diesen dunklen Fleck fühlte sie auch. Alles tat so weh, war so schmerzhaft, sie fühlte Leere, Ärger, Wut, vorgespieltes Glück und vorgespielte Zufriedenheit und ein Brennen der unauslöschlichen Glut des verwundeten Herzens. Sie wollte schreien, weinen, sie wollte der Erinnerung entfliehen, doch sie lag wie zuvor. Sie wollte nicht mehr weiterdenken, nicht weiter ihr Leben an ihr vorüberziehen lassen.
Ihre Gedanken endeten jäh, denn jemand sprach zu ihr. Sie bewegte sich nicht, öffnete nicht ihre Augen und trotzdem wusste, sie wer da bei ihr war. Der Engel des Todes machte seine Aufwartung, sie hatte ihn um Hilfe gerufen, und obwohl er schon länger in ihrer Nähe weilte nahm sie seine Anwesenheit erst jetzt wahr.
„Du erkennst deine Fehler und bist nun traurig? Du siehst dein eigenes Tun, dein Handeln und bist unzufrieden? Du spürst nun den Schmerz und das Leid des vertanen Lebens? Denn wisse, das einzige, das im kurzen Dasein des Menschen wirklich zählt, ist die reine und ehrliche Liebe. Nimmt er sie an, so endet das Leben in seinem Himmel, die Seelen verbinden sich für immer, und bleiben ein Teil der ewigen und schönen Liebe, spüren und fühlen mit und durch den anderen. Der einzige wahre Wert.
Nimmt der Mensch diese Liebe nicht an und opfert er diese für sich, seinen eigenen Egoismus, seinen kleinlichen irdischen, begrenzten Vorteilen, so endet sein Leben in seiner Hölle. Für immer mit seinen eigenen Dämonen und mit dem Wissen um die Liebe, mit dem Wissen um deren Wert, mit dem Wissen dass es anders sein hätte können. Es endet damit, dem anderen die Liebe entzogen zu haben und ihm die Chance auf die Seelenverbindung genommen zu haben. Für den Anderen gibt es noch einen Ausweg, auch wenn dieser Weg nicht einfach ist.
Du beschreitest nun deine eigene Hölle, wo deine Seele durch das Feuer gemartert und gequält wird. Für immer.
Da rief die sterbende Gestalt in einem letzten Aufbäumen aller Kräfte mit lauter Stimme den Namen des Mannes den sie liebte, immer geliebt hat und immer lieben würde.
Im Nebenraum aber hörte sie niemand. 
Kim’s Augen schlossen sich für immer. Sie atmete nun nicht mehr, der letzte Funke des Lebens erlosch in ihr, die Zeit forderte ihren Tribut und der Engel des Todes hatte seine Arbeit getan und verschwand! 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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