Dieter Gropp
Der Lauf der Dinge
Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere. Sogar Wochenmitte schrieb man – den Mittwoch also. Nachmittag war es und die Hitze stand wie eine lästige Mauer herum. Das Afrika-Hoch machte schon seit Wochen die Luft zum Tief- Durchatmen sehr rar. Doch kam Mobilität in meine Lebensgeister. wenn ich daran dachte, dass es in der Katholischen Kirche eigentlich angenehm kühl sein müsste. Der kath.Kindergarten, in dem sich auch der Schulhort etabliert hat, rief zum Abschlussgottesdienst des Schuljahres. Für meine Enkeltochter Vanessa war es natürlich selbstverständlich, dass der Opa an diesem wichtigen Ereignis teilhaben würde. Für Vanessa ging das erste Schuljahr zu Ende und das Lernen ist für sie noch ein echtes Highlight. Also zappelte sie schon dem Nachmittag entgegen.
Als ich die Kirche betrat, flutete mir tatsächlich eine angenehme Kühle entgegen. Die Kirchenbänke waren nur spärlich besetzt. Ich hatte also die Qual der Wahl. Fotografieren fürs virtuelle Familien-Album wollte ich, also suchte ich mir den entsprechenden Platz nahe dem Mittelgang dafür aus. Die Heiligen blickten sehr wichtig zu mir herunter. Ich wollt fast demütig werden, als mir einfiel, dass heute ja eine lustige Kinderschar im Mittelpunkt des katholischen Prunks stand. Da lärmte es auch schon im Eingangsbereich, verstummte jedoch sofort, als der Dekan zur Tür ging. Natürlich keineswegs, um mit den lärmenden Kindern zu zedern. Er setzte sich an die Spitze der Kinderschar und schritt würdevoll, hin und wieder freundlich nach
rechts und links nickend, durch den Mittelgang auf den Altar zu. Die Kinder trappelten hinter ihm her und es war, als wären sie eine riesige Schleppe an seinem Gewand. Der Blick der anwesenden Muttis und Vatis, Omas und Opas fiel, noch bevor man den Altar bewunderte, auf das Astwerk eines schlichten Holzbaumes. Nachdem ein den Kleinen angemessenes lustiges Liedlein über sie und ihren Gott verklungen war, rückte der Baum in den Mittelpunkt des Geschehens. Besser: ein Kindergarten-Mädchen mit einem modernen Sender-Mikrofon kauerte sich vor dem Astwerk nieder und spielte die Rolle des Bäumchens. Sie machte die Bewegungen, die der Baum machen würde entsprechend den Worten der Erzählerin: Der Baum musste widerwillig die Jahreszeiten über sich ergehen lassen, versinnbildlicht von den Kleinen mit grünen Tüchern als Blätter, an Holzstielen geführten Bienen, von abgezogenen Tücher-Blättern im Herbst und von weißen Tüchern als Schnee im Winter. Die Mädchen und Buben erfüllten ihre wichtige Aufgabe mit wahrer Hingebung. Der Baum jedoch war mit seinem Jahreszeiten-Los überhaupt nicht einverstanden. Er wollte keine Blätter und schon gar keine Bienen. Wenn schon die Blätter sein mussten, dann sollten sie im Herbst nicht abfallen. Und schon gar nicht wollte er im Winter kahlästig herumstehen und dann auch noch den kalten Schnee tragen müssen… So schlief der Baum schließlich ein und träumte von herrlich grünen Frühlings-Blättern, von wunderschönen bunten Blüten und von Bienen, die lustig summten und seine Blüten befruchteten, von einem Sommer-Blätterdach, das den Kindern beim Spielen Schatten spendet, von einem wunderbar bunten Herbstgewand und einem Schnee-Kleid, das seine Rinde vor dem Erfrieren schützte.
Der Baum konnte. als er wieder erwachte, überhaupt nicht begreifen, dass er so dumm gewesen war und alles, was ihm so gut zu Gesichte stand, abgelehnt hatte. Er änderte sein Verhalten gründlich und freute sich nun auf das zarte Grün seines Frühlingskleides, auf die Blütenpracht, die die Bienen anlockte und dazu führte, dass er plötzlich wunderschöne Früchte bekam, die die Kinder gern mochten. Er spendete dem Kinderspiel kühlen Schatten mit seinem dichten Laub und erfreute sich daran, wenn seine bunten Herbstblätter bestaunt wurden. Den Schnee wünschte er herbei, damit seine Rinde geschützt ward und erfreute sich an der lustigen Schneeballschlacht der munteren Kinderschar. So geschah das Wunder, dass der Baum sich plötzlich sehr nützlich vorkam und seinen Wert erkannte.
Der Dekan nutzte die Geschichte, um den Kindern zu sagen, dass sie ihr junges Leben sehr ernst nehmen sollten und dass alles, was sie tun, wohl durchdacht sein müsse und zum Nutzen Aller geschehen solle…
Ich ging sehr nachdenklich aus der Kirche und nahm mir eine Scheibe Holz von einem Baum mit, das die Kinder aus dem Hort ihren Spielgefährten aus dem Kindergarten als Erinnerung an die Geschichte des Baumes reichten und das mich ständig an den Baum erinnern wird und an die Nützlichkeit, über mein tägliches Tun nachzudenken zu meinem eigenen Wohl und zum Wohle anderer.
Auch wenn sich der Lauf der Dinge oftmals schwer ändern lässt, ist es sehr wichtig, immer mit Freude und Zufriedenheit jeder nützlichen Tätigkeit nachzugehen.
©lyrikdgr
(geschrieben am 28.Juli 2006)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).