Germaine Adelt

Kräutertee

            Zugegeben, er hatte sich entschuldigt, aber letztlich dann doch etwas zu halbherzig. Ihn jetzt zusammengesunken auf dem Stuhl zu sehen, nach Luft ringend, gefiel ihr dann doch ausnehmend gut.

            Die Kräutermischung von Großmutter war besser als erwartet und sie hoffte darauf, dass der Tee  wirklich nicht tödlich war. Denn ihn als Leiche am Hals zu haben, entsprach dann doch nicht ihren Wünschen.

            „Was geschieht mit mir?“, lallte er schwerfällig.

            „Wovon redest du?“, fragte sie unschuldig. „Noch etwas Tee?“

            Seine Arme hingen leblos herab und fasziniert sah sie, dass tatsächlich eine Lähmung einsetzte. So wie Großmutter es in ihrem Büchlein notiert hatte.

            Sie war froh, dass sie sich nicht in ihrer eigenen Wohnung befanden. Für den Fall, dass er am Ende noch unter sich machte oder andere unappetitliche Dinge, die so vorkommen konnten, wenn man seine Muskeln nicht mehr kontrollieren konnte.

            Sein Keuchen wurde immer lauter und es hörte sich fast an, als würde er völlig umsonst nach Luft ringen.

 

            Er war einer derer, die man schon zu riechen glaubte, bevor sie in der Nähe waren. Einer derer, von denen man schon vorher zu wissen glaubte, was ihn umgibt. Diese Mischung aus Kernseife, Pfefferminz und Aftershave.

            Damals, als er als Projektleiter dem Team zugeteilt worden war, galt sein erster Blick ihr allein. Etwas, das sie nicht mehr allzu sehr verwunderte. War sie sonst die unscheinbare graue Maus, vor der sich selbst die automatischen Türen der Supermärkte eher schlossen als öffneten, war sie  schon immer der Anlaufpunkt für all diejenigen, die etwas suchten.

            Vermutlich sollte sie sich abgewöhnen, den Blicken dieser Suchenden hilfsbereit standzuhalten und sich genauso desinteressiert zu geben wie all die anderen.

 

            Er fand sich von Anfang an gut in seinem Job und vermutlich war er es auch. Er definierte sich zudem als brillant, inspirierend und vor allem als unwiderstehlich. Aber das wollte sie nicht näher herausfinden und damit fingen ihre Probleme an. Während ihn alle anderen zum König der Inspiration erkoren hatten, wagte sie es gelegentlich, seinen Heldenstatus in Frage zu stellen, zumal er es meisterhaft verstand die Ideen anderer als seine exzellenten Arbeiten zu präsentieren. Er war längst an dem Punkt angelangt, an dem andere Meinungen oder Kritiken von ihm mit einem Lächeln weggewischt wurden, selbst wenn er demonstrativ immer wieder darauf bestand, alle anderen sollten sich äußern.

            Es war sein Irrglauben, sie zum Nachdenken oder Umdenken zu bewegen, wenn er sie permanent kritisierte. Sie hatte ihren Standpunkt, den sie seinetwegen nicht ändern wollte. Seine verbalen Attacken weckten Aggressionen in ihr, die sie bisher nicht gekannt hatte. Oft genug erwischte sie sich bei Tötungsfantasien aller Art und war froh, dass hierzulande der Aufwand schlicht zu groß war, sich eine Schusswaffe zu besorgen. Ein handelsübliches Küchenmesser tat es auch. Und all das, was er ihr verbal antat, tat sie ihm dann mit einem Messer an in ihren  Tagträumen. Es war dann ein erhabenes Gefühl, ihn leiden zu sehen. Ihm alles zurückzuzahlen, ihm zu zeigen, was es bedeutete, gedemütigt zu werden.

 

            Und dann kam völlig unerwartet die Gelegenheit, als er sie am Vortag regelrecht nötigte, mit ihr erneut die Finanzplanung des Projektes durchzugehen. Nur mit ihr allein, am besten bei ihm oder bei ihr zu Hause. Und da Wochenende war, hatten sie mehr als genug Zeit. Während sie darüber nachdachte, ob sie jetzt an der Reihe war, ihm als Frau zu Gunsten zu sein, oder die Entlassung zu bekommen, wurde ihr plötzlich klar, dass er keine Zeugen wollte. Er hatte die Planung nicht fertig, er schaffte es nicht, da er schlichtweg nicht die Fähigkeiten besaß. Er wollte sie soweit einschüchtern, bis sie ihm die Planung ausarbeitete, um sie dann als seine Leistung zu präsentieren.

        So lud sich mit lasziver Stimme bei ihm selbst ein. Er war arrogant genug zu glauben, sie sei nun auch seinen männlichen Reizen verfallen und hegte keinerlei Verdacht. Nicht einmal, als sie ihm ihren mitgebrachten Tee darbot, ohne selbst davon zu trinken.

 

            „Du entschuldigst mich einen Augenblick?“, fragte sie, als seien sie ein altes Ehepaar. „Ich bin nur mal schnell in der Küche. Du weißt schon, ein Messer holen. Um dir die lügnerische Zunge herauszuschälen. Nun, und dann werde ich dir wohl die Kehle durchschneiden. Aber das muss ich noch überdenken.“

            Genüsslich sah sie in seine entsetzten Augen und es tat ihr richtig gut, ihn so völlig hilflos zu sehen. Aber letztlich hatte sie ihren Spaß gehabt und ein Messer zu benutzen, wäre eine Verschwendung von Ressourcen. Mehr Aufmerksamkeit hatte er einfach nicht verdient. So ging sie ins Bad, um ihn noch ein paar Minuten in dem Glauben zu lassen, dass sie als Racheengel wiederkehren würde. Im Spiegel sah sie ihr breites Grinsen und sie musste sich eingestehen, dass ihr dies alles nach wie vor höllischen Spaß machte.

            Als sie das Esszimmer wieder betrat, schlug ihr ein unangenehmer Geruch entgegen. Entweder hatten die Schließmuskeln tatsächlich versagt oder aber seine Angst hatte das Restliche getan.

Mit aufgesetzt besorgtem Gesicht bautet sie sich vor ihm auf. „Keine Bange, so in vier bis fünf Stunden wird es dir vielleicht besser gehen. Ach übrigens. Ich bin nie hier gewesen. Und sollte dir einfallen, etwas anderes zu behaupten, würde mich das natürlich verärgern. Aber das willst du doch nicht.“

            Schwerfällig schüttelte er seinen Kopf.

            „Gut“, sie klopfte ihm auf die Schulter, „dann sind wir uns ja einig.“

            Sie verstaute den Tee in ihrer Handtasche und deutete auf die Projektunterlagen. „Du bist intelligent genug, das allein zu schaffen. Immerhin bist du ja der Projektleiter. Von daher werde ich jetzt einfach gehen. Es macht dir doch sicherlich nichts aus, wenn ich der Direktion meine eigene Planung vorlege. Schließlich sind wir ja ein Team.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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