Carola Kickers

Der Kuss

 

Der Kuss  

 

Seine Lippen, die mich so endlos lange und grenzenlos liebkost hatten, öffneten sich und sein Biss öffnete den Lebensquell an meinem Hals. Ein heißer, süßer Schmerz überflutete meinen Körper. Als er mich so küsste, tötete und damit zu neuem Leben erweckte bebte ich in Ergebung und Erwartung. Mein Blut rauschte ein letztes Mal in meinen Ohren wie ein zärtliches Wiegenlied als meine Seele mit der Ewigkeit verschmolz. Von dieser Nacht an folgte mein Körper der Gier und Leidenschaft, mit der wir dunklen Engel jedes unserer Opfer lieben.  

 

Ich traf Marcel de Montsignet in Paris bei einem Kurzurlaub. Ich weiß nicht mehr genau, an welchem Tag, es war ein warmer Sommerabend in einem der vielen Straßencafés. Doch dieses Café lag in einer versteckten Seitenstraße und war nicht so überlaufen wie die an den Hauptstraßen. Es waren noch genug Stühle frei und ich wunderte mich, warum dieser große, gut aussehende Mann sich ausgerechnet zu mir setzen wollte. Mit einem charmanten Französisch fragte er mich um Erlaubnis, doch ein Blick in diese schwarzen Augen duldete keinen Einspruch. Damals fiel mir nicht einmal auf, dass er gar nichts bestellte, sondern mich nur von der Seite her musterte. Schaute ich kurz auf, lächelte er still. Die kleinen Grübchen in dem leicht gebräunten Gesicht waren einfach unwiderstehlich. Sein Alter war schwer zu bestimmen.

 Er stellte sich kurz mit Namen vor und frage mich, woher ich käme und ob ich alleine in Paris wäre. Seine Stimme klang genauso weich und verführerisch wie sein Lächeln es versprochen hatte. Eigentlich wollte ich auf seine Fragen gar nicht antworten, trotzdem tat ich es.

Ein Zauber umgab diesen schlanken Mann mit den eleganten Händen eines Musikers, dem man sich einfach nicht entziehen konnte. Eine Zärtlichkeit ging von diesem Blick aus, die mich magisch in einen verderbenden Bann riss. Eine seltsame Vertrautheit wie nach dem Ende einer langen Suche umfing uns beide.

 Ich versank in seinen Augen und fühlte mich wie hilflos an einem Abgrund stehend gleichzeitig mit dem Gefühl, fliegen zu können.

 Er ergriff meine Hand wie selbstverständlich und ohne ein Wort stand er auf und führte mich wortlos durch die vom Abendlicht erfüllten und belebten Straßen von Paris. Das Herz dieser Stadt schlug so lebendig und pulsierte so heftig, wie mein eigenes Herz zitterte.

 Am Ufer der Seine legte er seinen Arm um mich und ich lehnte mich an seine Schulter, die soviel Schutz und Geborgenheit zu bieten schien. Von Ferne klang das leise Spiel eines Akkordeons von einem der Vergnügungsschiffe herüber. Ich schloss die Augen und ließ mich von fortführen.  

Nach einiger Zeit gelangten wir an ein großes Haus aus der Jahrhundertwende, das bestimmt schon bessere Zeiten gesehen hatte. Zitternd öffnete sich das schwere, holzgeschnitzte Portal. Der Eingangsraum erinnerte mich an die prunkvollen Hallen aus alten Hollywoodfilmen.  

 

Die Sehnsucht in mir wuchs zu einem ungestillten Verlangen. Hier bleiben in diesen Armen, vergessen – den tristen Alltag zuhause, den eintönigen Job – endlich wieder mich selber spüren.  

 

Marcel schien um all diese Gedanken und Gefühle zu wissen. Er führte mich in einen mit antiken Möbeln eingerichteten Wohnraum, in dem ein offener Kamin Wärme spendete. Eine Weinkaraffe mit zwei Kristallgläsern stand auf dem dunklen Holztisch. Vor dem Kamin lagen Tierfelle und die Sitzgarnitur schien ebenfalls aus der Jahrhundertwende zu stammen. Die großen Flügelfenster standen weit offen und weiße Gardinen wehten leicht im Abendwind wie die Segel eines Schiffes auf großer Fahrt.  

 

Marcels zärtliche Berührungen hüllten mich ein, als er mich vor dem Kamin behutsam zu entkleiden begann. Es war so leicht sich diesen Händen einfach hinzugeben, ohne auch nur noch einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. Ich war eine so leichte Beute zu dieser Zeit.  

 

Das einzige, was ich noch denken konnte, war, dass dieser Augenblick niemals enden möge. „Wir sind alle unsterblich“, sagte er lächelnd. „Unsere Seelen leben ewig, wenn auch normalerweise nicht immer im gleichen Körper.“ Ich verstand seine Worte nicht wirklich. Erst viel später wusste ich um ihre Bedeutung.  

 

Marcel zeigte sein Begehren unverhohlen, seine Liebkosungen waren jetzt fragend und fordernd zugleich. Doch er ließ mir die Zeit. Er schien zu warten, bis unsere Herzen in ein und demselben Rhythmus schlugen.  

 

Erst dann nahm er mich. Niemals zuvor hatte ich ein solches Verlangen gespürt. Die Hitze unserer Körper schien sich den Flammen im Kamin anzupassen.  

 

Marcel erstickte meinen Schrei mit jenem tödlichen Kuss, der mir gleichzeitig ein neues Leben schenkte und eine ewige Verbundenheit mit einem der unglücklichsten und gleichzeitig mächtigsten Kreaturen dieser Erde.  

 

Ich schlief danach und brauchte doch nie wieder zu schlafen, aber ich weiß bis heute nicht, ob dies nun Segen oder Fluch war. Mit Macht brachen alle meine Sinne hervor. Ich hörte Stimmengewirr in meinem Kopf, selbst die Anwesenheit der Katze auf dem Dach konnte ich spüren. Marcel schloss die Fenster und zog die schweren Brokatvorhänge zu. All dies nahm ich mit geschlossenen Augen war. Liebevoll deckte er mich zu, setzte sich zu mir und strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Als ich die Augen schließlich aufschlug, hob er mich leicht an, so dass ich mich gegen ihn lehnen konnte. Er reichte mir eines der Gläser und ich trank einen Schluck. Es war mit Blut vermischter Wein, um mir die Umstellung auf mein neues „Leben“ zu erleichtern. Der Trank schlich wie brennendes Gift durch meine Adern, belebend und berauschend, zugleich abhängig machend wie eine Droge. „Nicht alle erwachen“, sagte Marcel leise in mein Ohr. „Nur jene, die wirklich bereit sind, alles hinter sich zu lassen.“

 In dieser Nacht mit Marcel verlor ich meine gottgegebene Seele im Tausch gegen die Unsterblichkeit auf der dunklen Seite. Doch was hatte ich wirklich verloren? Eine kalte, herzlose Welt, in der die Menschen sich aus unsinnigen Gründen bekämpften, während wir nur unserem Instinkt folgen mussten. In der Welt da draußen war nichts als Kälte und Einsamkeit. Nichts, dem man nachtrauern musste, zumindest nicht in meinem Falle. 

Nein, heute denke ich, es war ein guter Tausch. Eine ewige Liebe zählt mehr als der Fluch des Blutes, dem wir folgen müssen. Und ein Kuss kann eine ganze Welt verändern!

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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