- 24.11.2006
- Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)
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Robert Fischaleck
Straßenbahn nach Schamanistan
In einer Straßenbahn
saßen eines Vormittags, neben den täglich anwesenden Studenten,
Schülern und Müttern mit ihren Kindern, ein Gesandter Plausibiens,
ein zahnloser Greis aus Chakkra und ein Botschafter aus Schamanistan.
Sie hatten ihre Bekleidung der sie umgebenden
Kultur angepasst und waren somit von den anderen Passagieren kaum zu unterscheiden.
Die Gebirgzüge ihrer Heimat waren tausende
Kilometer entfernt, dennoch spürte jeder von ihnen den typischen rauhen
Wind, den sie um diese Jahreszeit besonders mochten.
Mein Sohn läßt um diese Zeit immer
Drachen steigen, flüsterte der Schamanische Botschafter ohne Übergang
aus den Schluchten seiner Erinnerungen heraus und schaute an seinen Begleitern
vorbei aus dem Fenster.
Herrlich wenn die Frische mit ihnen zum Himmel
eilt, sie lachen dabei aus ganzem Herzen ohne eine Mine zu verziehen, antwortete
der Greis, und folgte seinem Blick in den anklingenden Sonnenuntergang,
der ebenfalls keine Mine verzog zum geschäftigen Treiben Plausibiens.
Nächste Haltestelle Frohsinnstr. sagte die
einer weiblichen Stimme nachempfundene Ansage durch die billigen Lautsprecher.
Ein kleiner Junge hatte ihnen unbemerkt zugehört
und da seine Mama mit seiner kleineren Schwester beschäftigt war,
sagte er mit all seinem Interesse am Drachensteigen, Sie stürzen,
wenn man den Rhythmus verläßt und und trudeln, wenn der Wind
nachläßt, was ist Frische?
Der Schamane holte einen bunten Zettel aus seiner
Tasche, nahm einen Stift und schrieb einige Zeilen.
Er wandte sich dem Jungen zu, wie alt bis du,
Sechs geworden, warum, was ist Frische?
Ich habs dir aufgeschrieben, ließ es, wenn
du zwölf bist.
Hast Du einen Papier oder einen Federdrachen?
Der ist aus Folie, sagte der Junge gönnerhaft,
Papier reißt doch viel zu schnell.
Er nahm den Zettel und steckte ihn in seinen
Beutel.
Seine Mutter rief ihn zu sich und er mußte
aussteigen. Eine ältere türkische Frau ohne Begleitung hatte
die Unterhaltung beobachtet und da sie sah, daß es sich ebenfalls
um Fremde handelte, sprach sie den Schamanen einfach an, was habt ihr ihm
denn geschrieben.
all I can say is, enjoy
I loved it.
Die Frau sah ihm in die Augen und er sah wie
sich in ihr die Jahreszeiten drehten und ihre Jugend vorbei drängte
und die Kinder und die Arbeit und Die Männer und das Älterwerden
und alles den Weg zu ihrem Herzen suchte und dann als Frage zu ihm schaute,
bei jedem Wetter?
Er griff in seine Tasche und hölte seine
Hand und aus einen Beutel schüttelte er nun etwas hervor, dann
sah Sie weiße Blütenblätter, welkes Laub und feuchte Keimlinge.
Er sah, daß sie verstand und warf es in
die Luft, für Sekunden glaubte sie einen Regenbogen zu erkennen, dann
war nichts mehr zu sehen.
Wie hast du das gemacht?, fragte die Türkin
und sah plötzlich eine ältere Frau neben sich sitzen, die
sie erstaunt ansah, Wer? Was gemacht?