Sie rannten, als wäre der Teufel selber hinter ihnen her.
Arne konnte Rawulfs Gestalt noch so gerade vor sich erkennen, während sie über
das Moor davon eilten. Er war sich sicher, dass ihnen jetzt niemand mehr folgen
würde und so verlangsamte er seine Schritte, zumal er an der Beute auch nicht
gerade leicht zu tragen hatte.
„Mach mal langsam Rawulf, ich denke wir sind weit genug
weg.“
Die Gestalt vor ihm blieb nun auch stehen und wartete, bis
Arne herangekommen war.
„Siehst du, hat doch alles reibungslos geklappt!“
Obwohl er in der Finsternis nicht viel erkennen konnte,
wußte er, dass Rawulf nun sicher wieder breit grinsend da stand, die Hände in
die Hüften gestemmt und mit stolz geschwellter Brust, weil sein Plan so perfekt
funktioniert hatte.
„Ja, ja…“ entgegnete ihm Arne und sah sich dabei ein wenig
besorgt um.
„Jetzt müssen wir nur noch lebend aus dem Moor wieder heraus
kommen.“
„Mach die keine Sorgen, ich kenne mich hier aus und werde
uns schon heil herausführen. Bleib einfach dicht hinter mir, dann wird dir
schon nichts passieren.“
Mit diesen Worten stapfte Rawulf los und Arne folgte ihm,
den Beutel mit den Münzen fest umklammert.
Die Zeit kam ihm ewig vor, wie sie so in mondloser Nacht
mitten durch das Moor marschierten. Immer wieder sah sich Arne erschrocken um,
wenn irgendwo in der Ferne ein Käuzchen schrie oder es in seiner unmittelbaren
Umgebung zu blubbern begann und der Boden unter ihnen schmatzend von seinen
nassen Geheimnis erzählte.
Arne hatte nicht wirklich den Eindruck, dass es nun sicherer
werden würde, auch wenn Rawulf ihm immer
wieder versicherte, dass sie nun bald aus dem Moor heraus kämen.
Mit einem lautem Geräusch trat er in eine Pfütze aus
eiskaltem und brackigem Wasser, erschrocken blieb er stehen und versuchte,
durch Schütteln seinen Fuß wieder einigermaßen trocken zu bekommen.
„Alles in Ordnung? Wenn er dir zu schwer wird kann ich den
Beutel auch mal nehmen.“
„Nein, nein geht schon.“ erwiderte Arne vielleicht ein
wenig zu hastig.
>>Solange ich das Geld bei mir trage, mußt du mich
schließlich auch hier rausführen<< fügte er in Gedanken hinzu.
„Bist du dir auch wirklich noch sicher, dass wir auf dem
richtigen Weg sind?“
„Ja klar. Ich habe dir doch gesagt dass ich mich hier
auskenne und so kürzen wir ein gutes Stück ab. Wir sind dann schon lange in
Sicherheit auf der anderen Seite des Moores, ehe sich irgendwelche Verfolger überhaupt
schon gesammelt haben. Also komm jetzt, dann haben wir es noch vor
Sonnenaufgang geschafft.“
Arne hob den Fuß zu einem weiteren Schritt, doch dann setzte
er ihn wieder ab und blieb stehen.
>>Was aber, wenn Rawulf mich in eine Falle locken will?
Er kennt sich hier aus… für ihn wäre es ein leichtes mich hier für immer
verschwinden zu lassen und sich mit der Beute dann alleine abzusetzen…<<
„Was ist jetzt, kommst du endlich?“
„Ich…ich bin mir nicht sicher…“ stammelte Arne.
„Was soll das heißen…worüber bist du dir nicht sicher?“
„Ob wir auch wirklich den richtigen Weg gewählt haben.
Vielleicht sollten wir zurückgehen, von dort aus finden wir bestimmt besser aus
dem Moor.“
„Was…zurück? Bist du verrückt geworden?“ Rawulfs Stimme
klang nun ärgerlich.
>>So, so…er will also nicht, dass ich zurückgehe. Er
meint ich sei verrückt geworden.<< dachte Arne >Aber den Rückweg werde
ich schon finden, so schwer wird das schon nicht sein.<<
Ohne weiter auf Rawulf zu hören, drehte er sich um und trat
entschlossen den Rückweg an. Er hatte jedoch erst ein paar Schritte getan, als
er hinter sich die beschleunigten Schritte von Rawulf hörte, und bevor er noch irgendetwas
tun konnte, war dieser auch schon bei ihm und riß ihn von den Beinen.
Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepreßt, als er zusammen
mit Rawulf zu Boden ging und unsanft auf dem schweren Beutel landete.
„Bist du verrückt geworden?“ schrie er und versuchte mit
seinem rechten Arm nach Rawulf zu schlagen, der ihn von hinten umklammert
hatte.
„Wer ist hier verrückt? Du wolltest dich doch gerade alleine
mit unserem Geld davon machen!“
„Aber nur, weil du mich draußen sterben lassen wolltest –
gib es ruhig zu, du wolltest die Beute für dich alleine haben!“
Endlich gelang es Arne, den Griff von Rawulf zu lockern, und
zusammen rollten sie über den nassen Boden, dabei entglitt Arne der Geldbeutel
und blieb mit einem dumpfen Plumpsen im Moor liegen.
Schon bald merkte Arne, dass Rawulf doch kräftiger war, als
er es gedacht hatte. Zwar konnte er sich mit einem kräftigen Tritt gegen
Rawulfs Brust aus dessen Umklammerung befreien, aber auch er war nun langsam am
Ende seiner Kräfte angekommen. Ihm blieb nur noch eine Möglichkeit: Sich das
Geld zu schnappen und wegzurennen.
Blind tastete Arne im Dunkeln umher, als er etwas großes und
schweres fand, doch zu seiner Enttäuschung war es nur ein Stein, der dort naß
und kalt im Moor lag.
Er wollte schon weitersuchen, als er hinter sich den wieder
zu Puste gekommenen Rawulf bemerkte. Eisern
schloß sich dessen Hand um seinen Fußknöchel.
Und dann ging alles wie von selbst.
Arne nahm den Stein in beide Hände und ließ ihn mit aller
Wucht auf Rawulfs Schädel aufschlagen. Bei dem dritten Schlag vernahm er ein
unschönes Knacken und merkte wie sich Rawulfs Griff um seinen Knöchel lockerte
bis die Hand kraftlos abglitt und Rawulf vornüber im nassen Graß liegen blieb.
Denn blutbesudelten Stein noch in Händen, stand Arne nun vollkommen
alleine in tiefster, sternloser Nacht mitten im Moor.
Um ihn herum stiegen die Irrlichter aus ihren feuchten
Verstecken auf und bewegten sich in sanften rhythmischen Bahnen um ihn herum.
Mal hierhin, mal dorthin schienen sie in locken zu wollen –
immer mit der Aussicht auf den rechten Weg flüsterten ihre sanften, kaum
hörbaren Stimmen ihm Versprechen um Versprechen ins Ohr.
Entsetzt ließ Arne den Stein fallen und sah sich panisch um,
aber außer dem nun toten Rawulf und den unheimlich tanzenden Irrlichtern war
niemand zu sehen. Auch von dem Geldbeutel fehlte jede Spur.
>>Wahrscheinlich ist er während des Kampfes bereits im
Moor versunken.<< schoß es ihm durch den Kopf >>Doch was nun?<<
„Dann glaube er plötzlich eine vertraute Stimme zu hören,
sie klang ein wenig nach Rawulf, doch dieser lag vor ihm am Boden und rührte
sich nicht mehr.
Ganz leise und merkwürdig vertraut, aber dennoch fremd drang
sie an sein Ohr.
„Mach dir keine Sorgen, ich kann dich immer noch aus dem
Moor herausführen – vertraue mir nur. Bleib einfach dicht hinter mir, dann wird
dir schon nichts passieren.“
Arne war plötzlich kalt, also schlang er sich die Arme um
den Leib und stapfte dem Licht hinterher, das im tanzenden Zick-Zackkurs vor
ihm herflog…