Markus Heinen

Irrlichter

Denn blutbesudelten Stein noch in Händen stand Arne nun alleine in tiefster, sternloser Nacht mitten im Moor. Um ihn herum stiegen die Irrlichter aus ihren feuchten Verstecken auf und bewegten sich in sanften rhythmischen Bahnen um ihn herum. Mal hierhin, mal dorthin schienen sie ihn locken zu wollen – immer mit der Aussicht auf den rechten Weg flüsterten ihre sanften, kaum hörbaren Stimmen ihm Versprechen um Versprechen…    
 
 
„Es ist alles ganz einfach, glaub mir!“ erwiderte Rawulf grinsend. Arne sah ihn mit zusammengepreßten Lippen skeptisch an. Er war sich nicht sicher bei der ganzen Sache, obwohl ihm Rawulf versichert hatte dass es absolut nichts zu befürchten gab.
 „Alles, was du tun mußt, ist, dir soviel vom Karren zu schnappen wie du tragen kannst, während ich den Fuhrmann in Schach halte. Dann verschwinden wir auch schon wieder, ganz einfach und niemand wird verletzt.“
 „Na gut ich bin dabei.“
 „Wunderbar, das wird ein Spaß morgen Abend sag ich dir. Danach werden wir leben wie die Fürsten und es uns gut gehen lassen.“ Und da war es wieder, dieses Grinsen auf Rawulfs Gesicht. Ein Grinsen bei dem man alle Zähne sehen konnte und welches von einem Ohr zum anderen reichte. Ein Grinsen, das man ansonsten nur bei einem Fuchs sah, der bemerkte, dass die Tür zum Hühnerstall offen stand.
 
Arne kauerte zusammen mit Rawulf hinter einem Busch, es war stockfinster und kein einziger Stern zeigte sich am Nachthimmel. Selbst das Licht des Vollmondes schimmerte nur spärlich durch die dichte Wolkendecke.
„Bist du sicher, dass er kommt?“ flüsterte Arne.
„Aber ja – an jedem Vollmond bringt er die Klostersteuern in die Abtei und weil er sich hier auskennt, nimmt er denn Weg über das Moor. Er glaubt, außer ihm kenne sich hier sonst niemand gut genug aus, deshalb meiden die meisten auch diesen Weg, besonders nachts, wenn die Irrlichter heraufsteigen. Aber keine Sorge, ich kenne die Gegend mindestens genau so gut.“ Arne wollte noch etwas erwidern, doch Rawulf bedeutete ihm mit einem Fingerzeig, still zu sein und deutete dann hinaus in die Dunkelheit. Ganz schwach zeichnete sich ein tanzender Lichtpunkt in der Dunkelheit ab. Zuerst dachte Arne, dass es sich dabei um ein Irrlicht handelte. Angeblich soll es sich dabei um die Seelen der im Moor Verstorbenen handeln, die nun für alle Ewigkeit umherirrten, um weitere ahnungslose Wanderer  in ihr feuchtes Grab zu locken. Doch als das Licht näher kam, erkannte er, dass es sich um eine Laterne handelte, die an einem Fuhrwerk befestigt war, das langsam über den kaum zu erkennenden Weg heranrumpelte. Neben ihm zog sich Rawulf das Halstuch ins Gesicht und griff nach seinem Knüppel.
 „Jetzt geht es los“, zischte er Arne zu.  
 
Sie rannten, als wäre der Teufel selber hinter ihnen her. Arne konnte Rawulfs Gestalt noch so gerade vor sich erkennen, während sie über das Moor davon eilten. Er war sich sicher, dass ihnen jetzt niemand mehr folgen würde und so verlangsamte er seine Schritte, zumal er an der Beute auch nicht gerade leicht zu tragen hatte. „Mach mal langsam Rawulf, ich denke wir sind weit genug weg.“ Die Gestalt vor ihm blieb nun auch stehen und wartete, bis Arne herangekommen war.
 „Siehst du, hat doch alles reibungslos geklappt!“  Obwohl er in der Finsternis nicht viel erkennen konnte, wußte er, dass Rawulf nun sicher wieder breit grinsend da stand, die Hände in die Hüften gestemmt und mit stolz geschwellter Brust, weil sein Plan so perfekt funktioniert hatte.
 „Ja, ja…“ entgegnete ihm Arne und sah sich dabei ein wenig besorgt um.
„Jetzt müssen wir nur noch lebend aus dem Moor wieder heraus kommen.“
„Mach die keine Sorgen, ich kenne mich hier aus und werde uns schon heil herausführen. Bleib einfach dicht hinter mir, dann wird dir schon nichts passieren.“ Mit diesen Worten stapfte Rawulf los und Arne folgte ihm, den Beutel mit den Münzen fest umklammert.   Die Zeit kam ihm ewig vor, wie sie so in mondloser Nacht mitten durch das Moor marschierten. Immer wieder sah sich Arne erschrocken um, wenn irgendwo in der Ferne ein Käuzchen schrie oder es in seiner unmittelbaren Umgebung zu blubbern begann und der Boden unter ihnen schmatzend von seinen nassen Geheimnis erzählte. Arne hatte nicht wirklich den Eindruck, dass es nun sicherer werden würde, auch wenn Rawulf  ihm immer wieder versicherte, dass sie nun bald aus dem Moor heraus kämen. Mit einem lautem Geräusch trat er in eine Pfütze aus eiskaltem und brackigem Wasser, erschrocken blieb er stehen und versuchte, durch Schütteln seinen Fuß wieder einigermaßen trocken zu bekommen.
„Alles in Ordnung? Wenn er dir zu schwer wird kann ich den Beutel auch mal nehmen.“
„Nein, nein geht schon.“ erwiderte Arne vielleicht ein wenig zu hastig. >>Solange ich das Geld bei mir trage, mußt du mich schließlich auch hier rausführen<< fügte er in Gedanken hinzu.
 „Bist du dir auch wirklich noch sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“
 „Ja klar. Ich habe dir doch gesagt dass ich mich hier auskenne und so kürzen wir ein gutes Stück ab. Wir sind dann schon lange in Sicherheit auf der anderen Seite des Moores, ehe sich irgendwelche Verfolger überhaupt schon gesammelt haben. Also komm jetzt, dann haben wir es noch vor Sonnenaufgang geschafft.“ Arne hob den Fuß zu einem weiteren Schritt, doch dann setzte er ihn wieder ab und blieb stehen. >>Was aber, wenn Rawulf mich in eine Falle locken will? Er kennt sich hier aus… für ihn wäre es ein leichtes mich hier für immer verschwinden zu lassen und sich mit der Beute dann alleine abzusetzen…<<
„Was ist jetzt, kommst du endlich?“
„Ich…ich bin mir nicht sicher…“ stammelte Arne.
„Was soll das heißen…worüber bist du dir nicht sicher?“
„Ob wir auch wirklich den richtigen Weg gewählt haben. Vielleicht sollten wir zurückgehen, von dort aus finden wir bestimmt besser aus dem Moor.“
 „Was…zurück? Bist du verrückt geworden?“ Rawulfs Stimme klang nun ärgerlich. >>So, so…er will also nicht, dass ich zurückgehe. Er meint ich sei verrückt geworden.<< dachte Arne >Aber den Rückweg werde ich schon finden, so schwer wird das schon nicht sein.<< Ohne weiter auf Rawulf zu hören, drehte er sich um und trat entschlossen den Rückweg an. Er hatte jedoch erst ein paar Schritte getan, als er hinter sich die beschleunigten Schritte von Rawulf hörte, und bevor er noch irgendetwas tun konnte, war dieser auch schon bei ihm und riß ihn von den Beinen. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepreßt, als er zusammen mit Rawulf zu Boden ging und unsanft auf dem schweren Beutel landete.
 „Bist du verrückt geworden?“ schrie er und versuchte mit seinem rechten Arm nach Rawulf zu schlagen, der ihn von hinten umklammert hatte.
„Wer ist hier verrückt? Du wolltest dich doch gerade alleine mit unserem Geld davon machen!“
„Aber nur, weil du mich draußen sterben lassen wolltest – gib es ruhig zu, du wolltest die Beute für dich alleine haben!“ Endlich gelang es Arne, den Griff von Rawulf zu lockern, und zusammen rollten sie über den nassen Boden, dabei entglitt Arne der Geldbeutel und blieb mit einem dumpfen Plumpsen im Moor liegen. Schon bald merkte Arne, dass Rawulf doch kräftiger war, als er es gedacht hatte. Zwar konnte er sich mit einem kräftigen Tritt gegen Rawulfs Brust aus dessen Umklammerung befreien, aber auch er war nun langsam am Ende seiner Kräfte angekommen. Ihm blieb nur noch eine Möglichkeit: Sich das Geld zu schnappen und wegzurennen. Blind tastete Arne im Dunkeln umher, als er etwas großes und schweres fand, doch zu seiner Enttäuschung war es nur ein Stein, der dort naß und kalt im Moor lag. Er wollte schon weitersuchen, als er hinter sich den wieder zu Puste gekommenen  Rawulf bemerkte. Eisern schloß sich dessen Hand um seinen Fußknöchel. Und dann ging alles wie von selbst. Arne nahm den Stein in beide Hände und ließ ihn mit aller Wucht auf Rawulfs Schädel aufschlagen. Bei dem dritten Schlag vernahm er ein unschönes Knacken und merkte wie sich Rawulfs Griff um seinen Knöchel lockerte bis die Hand kraftlos abglitt und Rawulf vornüber im nassen Graß liegen blieb. Denn blutbesudelten Stein noch in Händen, stand Arne nun vollkommen alleine in tiefster, sternloser Nacht mitten im Moor. Um ihn herum stiegen die Irrlichter aus ihren feuchten Verstecken auf und bewegten sich in sanften rhythmischen Bahnen um ihn herum. Mal hierhin, mal dorthin schienen sie in locken zu wollen – immer mit der Aussicht auf den rechten Weg flüsterten ihre sanften, kaum hörbaren Stimmen ihm Versprechen um Versprechen ins Ohr. Entsetzt ließ Arne den Stein fallen und sah sich panisch um, aber außer dem nun toten Rawulf und den unheimlich tanzenden Irrlichtern war niemand zu sehen. Auch von dem Geldbeutel fehlte jede Spur. >>Wahrscheinlich ist er während des Kampfes bereits im Moor versunken.<< schoß es ihm durch den Kopf  >>Doch was nun?<< „Dann glaube er plötzlich eine vertraute Stimme zu hören, sie klang ein wenig nach Rawulf, doch dieser lag vor ihm am Boden und rührte sich nicht mehr. Ganz leise und merkwürdig vertraut, aber dennoch fremd drang sie an sein Ohr. „Mach dir keine Sorgen, ich kann dich immer noch aus dem Moor herausführen – vertraue mir nur. Bleib einfach dicht hinter mir, dann wird dir schon nichts passieren.“ Arne war plötzlich kalt, also schlang er sich die Arme um den Leib und stapfte dem Licht hinterher, das im tanzenden Zick-Zackkurs vor ihm herflog…
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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