Stefan Rieger

Der arme Häuslerbub

 

Früher, als im Böhmerwald die Menschen noch arm und die Winter lang waren, lebte unweit von Zwiesel eine arme Häuslerfamilie. Sie hatten einen einzigen Sohn, der auf den Namen Michel hörte. Der Vater war Holzfäller. Als nun in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Not immer unerträglicher wurde, beschloß der Vater nach Amerika auszuwandern. Amerika! In diesem einen Wort ließ sich damals die ganze Hoffnung und Verzweiflung sehr vieler deutscher Auswandererfamilien zusammenfassen. Der Vater nahm das bißchen Geld, dass sie sich mühsam vom Mund abgespart hatten und schiffte sich in Hamburg ein, nicht ohne vorher seine Frau und den Buben der Obhut seines Bruders anzuvertrauen, der unweit von ihnen eine Sägemühle betrieb. Er wollte es in Amerika zu etwas bringen und dann wieder zu den seinen zurückkehren.
 
Beim Bruder ging es den beiden nicht gut. Der Vater ließ nichts von sich hören, und so glaubten alle, dass er wohl in Amerika drüben umgekommen wäre. Vielleicht hatte ihn bei seiner schweren Arbeit ein Baum erschlagen. Es war aber so, dass der Onkel die Briefe vom Vater aus Amerika unterschlug, und das Geld, das meißtens darin war, für sich behielt. Später ist dann der Vater wirklich von einem Baum erschlagen worden. Die Mutter mußte für das bißchen Essen, das sie in der Sägemühle erhielten, von früh bis abends rackern und auch der Michel mußte mit seinen zwölf Jahren schon fleißig mithelfen und Botengänge und dergleichen Arbeiten erledigen.
 
Gerade am Heiligen Abend, als man keinen Hund mehr vor die Türe gejagt hätte, mußte der Michel noch auf solch´ einen Botengang. Der Oheim war habgierig und hartherzig. Mitten im Böhmerwald, mutterseelenallein, geschah es, dass der Junge vom Wege abkam, so tief verschneit war der Wald. Er hatte sich hoffnungslos verirrt, jetzt war es schon dunkel geworden, und schneebeladene fichtenäste schlugen ihm hie und da ins Gesicht. Die mitgenommene Wegzehrung, ein Stückchen trockenes Brot, hatte er lang schon aufgegessen und er fror ganz gotterbärmlich in seinem dünnen Mäntelchen.
 
Da sah er in der Ferne mitten im Wald ein Licht brennen. Mit letzter Kraft lief er in seine Richtung. Es war die Waldkapelle. Die Christmette war bereits vorbei, und so war niemand mehr in der Kapelle, aber es brannten noch einige Kerzen. Der Bub betrat das Kirchlein und ging auf die Weihnachtskrippe zu. Es war eine einfache Krippe nach Art der Bauernkrippen. Um den Stall von Bethlehem weideten Hirten ihre Schafe um angezündete Lagerfeuer. Aus der Ferne konnte man sogar schon die Karawane der heiligen Drei Könige mit ihrem Gefolge und ihren Kamelen erkennen. Und dann der Stall. In der Krippe lag das Jesuskind auf Stroh gebettet mit Maria und Josef. Dahinter schauten Ochs und Esel hervor. Wie staunte da der Michel. Auf einmal war es ihm, als ob das Christkind ihn anlächelte und ein ganz besonderer Glanz von ihm erstrahlte. Auch Maria blickte zu ihm und winkte ihn zu sich heran. „Komm nur näher Michel und sei ganz ohne Furcht!“
 
Am nächsten Tag fand man den Michel in der Kapelle. Er war vor der Krippe eingeschlafen und erfroren. Damals nichts besonderes. Die Menschen waren vom Hunger ausgezehrt und hatten keine großen Widerstandskräfte.
 
Nur eines war doch merkwürdig. Als der Messner die Krippe nach den Weihnachtsfeiertagen wieder einräumen wollte, fiel ihm die Figur eines Hirtenknaben auf, die er vorher noch nie bemerkt zu haben glaubte. Er hielt seinen leeren Brotbeutel in der Hand und kniete vor der Krippe mit dem Jesuskind.
 

Zur Erinnerung an diese Begebenheit liess der Pfarrer ein
Votivbild mit dem knieenden Knaben anfertigen und in der Nische,
wo sonst die Krippe aufgebaut ist, anbringen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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