Sabine Schmidt

Die Prinzessin und der Ritter

Es war einmal eine Prinzessin, die wohnte in einer schönen Burg in einem kleinen Land. Die Prinzessin war zwar nicht wunderschön, aber sie besaß ein goldenes Herz und hatte die Gabe, die Menschen in ihrer Umgebung zum Lachen zu bringen. Die meisten Menschen fühlten sich in ihrer Gegenwart sehr wohl und waren gerne mit der Prinzessin zusammen.
Leider gab es aber unter den Menschen auch böse Ritter die nur danach trachteten, die Prinzessin unglücklich zu machen und ihr das goldene Herz zu stehlen. Ihr müßt wissen, je mehr Herzen ein Ritter besaß, um so angesehener war er in seinem Stand. Aus die-sem Grund war das goldene Herz der Prinzessin sehr begehrt. Schon viele böse Ritter hatten den Versuch unternommen, der Prinzessin das goldene Herz zu stehlen. Es kam auch vor, dass besonders grausame Ritter das Herz der Prinzessin zerbrachen und sie große Qualen erdulden mußte, bis die Risse im Herzen wieder verheilt waren.
Um ihr goldenes Herz zu schützen hatte die Prinzessin rund um ihre Burg eine hohe Mauer gezogen. Nur Menschen, die ihr freundlich gesinnt waren und sie zum Lachen brachten durften die Mauer durch eine kleine eiserne Tür passieren. Schon lange hatte kein böser Ritter mehr ihre Burg betreten und die Prinzessin führte ein zufriedenes und glückliches Leben.
Es begab sich aber eines Tages - zur Zeit der Jahreswende - dass die Prinzessin ihre Burg verließ und sich zum Feiern unter das einfache Volk im Dorf mischte. Auf dem Fest traf sie einen stattlichen blonden Ritter, der sich sehr um sie bemühte. Der blonde Ritter brachte sie zum Lachen und machte ihr Komplimente. Die Prinzessin ließ sich von den schönen Worten und dem ansteckenden Lachen des blonden Ritters blenden und ver-gaß alle Vorsicht. Arglos nahm sie den blonden Ritter mit auf ihre Burg.
Die Prinzessin und der blonde Ritter verbrachten eine schöne Nacht zusammen. Doch als der blonde Ritter sich am Morgen von der Prinzessin verabschiedete, mahnte sie eine innere Stimme, dass auch er nur ihr goldenes Herz stehlen wollte. Die Prinzessin, die nie mehr unglücklich sein wollte, bekam es mit der Angst zu tun und befahl ihren Knechten, die Mauer um die Burg noch höher zu ziehen und die Stahltüre zu verstärken. So hoffte sie dass der Ritter nicht mehr zu ihr vordringen konnte.
Der blonde Ritter jedoch ließ sich nicht vertreiben. Immer wieder stand er vor der Mauer und rief nach der Prinzessin. Sein Rufen bewirkte, dass die Mauer allmählich Risse be-kam und eines Tages ganz zusammenbrach. Die Prinzessin war beeindruckt von der Hartnäckigkeit des blonden Ritters und gab seinem Werben nach. Die Prinzessin vergaß nach langer Zeit des Alleinseins ihren Argwohn. Sie glaubte, dass dies endlich der Ritter war, der nicht nur darauf aus war ihr goldenes Herz zu stehlen, sondern seine Zeit gerne mit ihr verbrachte.
In den nächsten Wochen verlebte die Prinzessin viele schöne Stunden mit dem blonden Ritter und er brachte ihr viele neue Liebesrituale bei.
Zwischenzeitlich allerdings verschwand der blonde Ritter immer mal wieder, ohne der Prinzessin zu sagen, wohin seine Wege führten. Sie erfuhr nichts über sein Leben au-ßerhalb ihrer Burg. Von ihren Knechte bekam sie manchmal die Kunde, dass der Ritter zusammen mit anderen Frauen auf den gelegentlich stattfindenden Dorffesten gesehen worden sei. Genaueres wußte aber niemand zu berichten. Die Prinzessin freute sich immer so auf die wenigen schönen Stunden mit dem blonden Ritter, dass sie ihm keine Fragen stellte. Wenn der Ritter bei der Prinzessin weilte, war er immer sehr nett und bemühte sich um sie. Ansonsten war er sehr verschlossen und sprach nicht viel über sein Leben außerhalb der Burgmauern. Die Prinzessin die anderen Menschen gegen-über immer sehr offen war, konnte sich dieses Verhalten nicht erklären. Sie vertraute aber darauf, dass es die Zeit mit sich brachte und der Ritter allmählich mehr Vertrauen zu ihr fasste.
Eines Tages, als die Prinzessin wieder einmal alleine in ihrer Burg weilte, bemerkte sie zu ihrem Schrecken, dass der blonde Ritter ein Stück ihres goldenen Herzens mitge-nommen hatte. Es war das eingetreten, wovor sich die Prinzessin immer gefürchtet hatte! Dabei hatte sie ihr Herz bis zu diesem Tag immer sehr gut behütet.
Die Prinzessin hatte den blonden Ritter mittlerweile sehr lieb gewonnen hatte, daher konnte sie ihm wegen des Diebstahls nicht böse sein. Großherzig beschloß sie, ihm noch ein größeres Stück ihres Herzens zu schenken. Als Gegenleistung dafür, erhoffte sie sich einen winzigen Teil seines Herzens.
Als der blonde Ritter das nächste Mal auf ihre Burg kam, trug sie ihm ihren Wunsch vor. Der blonde Ritter aber reagierte sehr ungehalten auf ihr Ansinnen und wurde furchtbar zornig. Er weigerte sich, der Prinzessin auch nur das kleinste Stück seines Herzens zu schenken. Dies machte die Prinzessin sehr traurig und sie weinte bittere Tränen.
An dem Abend gab sie dem blonden Ritter sehr viel Wein zu trinken, so dass er in einen tiefen Schlaf fiel. Wie der blonde Ritter so betäubt in ihrem Bett lag, machte sie sich an seiner Rüstung zu schaffen mit dem Gedanken, sein Herz zu stehlen. Nachdem die Prinzessin dem blonden Ritter die Rüstung ausgezogen hatte, bemerkte sie, dass sein Herz von einem festen eisernen Panzer umschlossen war. Verzweifelt versuchte die Prinzessin den ehernen Schutz zu durchdringen, aber sie konnte das Herz des blonden Ritters nicht erreichen. Die Prinzessin war darüber sehr betrübt, sah aber ein dass sie es nicht erzwingen konnte auch nur den kleinsten Teil seines Herzens zu besitzen. Um sich weiteren Kummer zu ersparen, schickte sie den blonden Ritter – als dieser aus sei-nem Schlaf erwachte - schweren Herzens fort.
Nachdem der blonde Ritter die Burg verlassen hatte, fand sie auf dem Kissen ihres Bettes den Teil ihres goldenen Herzens wieder, den ihr der blonde Ritter gestohlen hat-te. Er hatte das Interesse daran verloren!
Vorsichtig nahm die Prinzessin das Herzstück vom Kissen und versuchte es an den Rest ihres Herzens anzusetzen. Die Bruchstelle jedoch war sehr groß und das Herz schmerzte stark. Die Prinzessin wußte, dass viel Zeit ins Land gehen mußte bis die Wunden ihres Herzens verheilt waren und ihre Schmerzen nachlassen würden.
Unterdessen hielt sie ihre Knechte an, die Mauer um ihre Burg herum wieder aufzubauen und die Stärke der Mauern zu verdoppeln. Fortan schwor sie sich, würde kein Ritter mehr die Burg betreten und ihrem Herzen zu nahe kommen. Sie lud sich nur noch Men-schen mit goldenen Herzen ein, die ihr wohlgesonnen waren und für Zerstreuung sorg-ten.
Die Zeit brachte es mit sich, dass das goldene Herz allmählich wieder heilte und die Prinzessin keine Schmerzen mehr verspürte. Ab und an versuchten immer wieder Ritter in Ihre Burg einzudringen, aber die Mauern waren stark und hielten die unerwünschten Besucher fern. Die Prinzessin ließ sich auch nicht mehr von schönen Worten blenden, sie war klug geworden und wußte wie die Sache enden würde.
Des Nachts – wenn sie sich unbeobachtet fühlte - sah man sie hin und wieder auf den Zinnen ihrer Burg stehen. Ihr Blick war auf die Felder vor ihr gerichtet. Dort ritt ein blonder Ritter mit einem Panzer aus Eisen um sein Herz einsam durch die Nacht...

Die Geschichte entstand nach einer wahren Begebenheit aus meinem Leben und wurde nur in Form eines Märchens wiedergegeben. Sabine Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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