Ines Kartaschewski

Schrott-Hans

*1*

Hans Hamann zuckelte mit dem Handwagen in Richtung seines Grundstückes. Leise schnaufte er vor sich hin, der hoch mit Schrott beladene Wagen hatte sein Gewicht. Aber das hinderte den 65-jährigen nicht daran, täglich von überall her alles ran zu schleppen. Altstoffmetall gab es doch jede Menge! Und er bildete sich ein, alles eines Tages noch gebrauchen zu können. Heute hatte er einen defekten Gasherd aufgelesen, den Leute auf dem Sperrmüll abgestellt hatten. Dazu hatte er noch Teile eines alten, ausgeschlachteten Fahrrades gefunden. Das alles transportierte er jetzt zu seinem Haus, um es dort gleich auf dem Grundstück abzuladen.
Seine Frau Hanne, rüstig im Alter von 50 Jahren, hatte jahrelang über seine Sammelleidenschaft geschimpft. Aber in den letzten Jahren hatte sie es aufgegeben und ihn gewähren lassen. Na ja, seit einigen Wochen bemerkte sie hin und wieder, dass sie Angst hatte, das Haus zu verlassen bzw. zu betreten, weil der Schrottberg doch ganz beträchtlich angewachsen war und schon weit über die Absicherung des hohen Holzzaunes hinauswuchs.
Mühsam wuchtete Hans den Handwagen über die Bordsteinkante, um die Strassenseite zu wechseln und auf seinem Grundstück zu verschwinden. Die neugierigen Nachbarn hinter den Gardinen hatte er längst gesichtet. Die alten Klatschmäuler hatten nichts anderes zu tun als zu gaffen und sich die Mäuler zu zerreißen. Es war doch immer das gleiche! Aber was soll's, dachte er, darüber stehe ich alle male!
Zu Hause angekommen, entlud er seine Schätze. Einfach war es nicht, noch Platz dafür zu finden. Aber die leichteren Teile konnte man vorsichtig auf andere raufbugsieren. Schon war ein Teil verstaut! Vorsichtig ließ er den Handwagen nach hinten kippen, so dass er den alten Herd bequem entladen konnte.
Als er fertig war, begutachtete er noch einmal stolz seine neuesten Errungenschaften. Der Vormittag hatte sich wieder gelohnt!
Fröhlich vor sich hin pfeifend machte er sich auf dem Weg ins Haus. Auf der Treppe fiel ihm ein, dass er noch nicht nach Post geschaut hatte. Behende kehrte er um, marschierte zum Briefkasten, der sich ausserhalb des hohen Bretterzaunes befand, und entleerte ihn.
Er musterte den Posteingang: eine Urlaubskarte seiner 35- jährigen Tochter, die sich mit der Familie die Sonne von Ibiza auf den Pelz brennen ließ - Werbung - und einen Brief für ihn vom Ordnungsamt. Ordnungsamt? Neugierig drehte er den Brief zwischen den Händen hin und her. Was die wohl von ihm wollten? Flink riß er den Brief auf, holte einen Bogen Papier heraus und begann, noch auf dem Weg ins Haus, zu lesen. Das ist doch wohl ein Witz, dachte er, und las den Brief aufgeregt noch einmal. Doch der Text änderte sich nicht.
Wütend polterte er in die Küche, wo seine Frau gerade dabei war, die Kartoffeln für das Mittagessen zu schälen.
Alarmiert schaute sie ihrem Mann entgegen und musterte diesen.
"Also, da hört doch wohl alles auf", schnaufte ihr Mann, hochrot im Gesicht, und fuchtelte mit einem Schreiben vor Hanne's Gesicht herum. "Stell dir vor, das Ordnungsamt will in 2 Wochen meine ganzen Schätze abholen lassen! Das ist MEINS! Ich habe alles mühsam Jahr für Jahr zusammen getragen - nicht die!"
"Ja, dürfen die denn das so einfach?" Ratlos schaute Hanne ihren Hans an.
"Hier steht, dass es eine Gefahr für die Umwelt wäre. Die spinnen doch!" Frustriert ließ sich Hans auf einen der Küchenstühle plumpsen und vergrub sein Gesicht in beide Hände. Sein Leben! Sein Hobby! Seine Sammlung! Alles weg? Was sollte er tun, wenn er Schrott nicht mal auf seinem eigenen Grund und Boden sammeln durfte?
Seine Frau setzte sich zu ihm und strich ihm mit der Hand über den Arm.
"Weißt du, wenn es ein wenig leerer auf dem Hof wird, brauche ich keine Angst mehr haben, dass wir eines Tages davon erschlagen werden. So verkehrt ist das wohl doch nicht."
Traurig blickte er ihr ins Gesicht.
Nein, auf Verständnis würde er wohl bei niemanden stoßen.

*2*

Die folgenden 2 Wochen verbrachte Hans wie jeden anderen Tag auch: er zog mit seinem Handwagen los, auf der Suche nach noch mehr Ramsch. Und selten kam er mit leeren Händen nach Hause.
Als die Zeit ran war und das Ordnungsamt ein ganzes Heer LKW's schickte und einen Kran, der diese belud, stand er schweigend hinter der Gardine und beobachtete von dort aus das Geschehen. Er sah, wie Stück für Stück seiner Errungenschaften aus seinem Garten verschwand. Er sah die neugierigen Leute aus dem ganzen Ort auf der anderen Strassenseite stehen, die sich nichts von diesem Schauspiel
entgehen ließen und leise miteinander tuschelten.
Und er registrierte seine Frau, die neben ihn trat und ihm tröstend die Hand auf seinen Arm legte.



*3*

Am folgenden Tag sah ein jeder ihn wie immer mit dem Handwagen losziehen, auf der Suche nach weiteren Schätzen. Sein Garten war leer, er hatte genug Platz.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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