Dieter Kamensek

Bello

Was gibt es schöneres und besseres als ein Kind mit einem Hund, einer Katze, einem Hamster oder einen Meerschweinchen, vielleicht auch mit einem Hasen aufwachsen zu lassen.

Dabei haben manche Tiere das Glück bei einer netten Familie unterzukommen welche sie pflegen und hegen, sie als Familienmitglied anerkennen. Manch andere Tiere haben zwar nicht so großes Glück wie die zuvor beschriebenen, doch es lässt sich, so recht und schlecht, leben. Andere Tiere haben in ihren kurzen Leben vieles zu erdulden und zu ertragen. Deren Leben ist hart und jeder Tag ein Tag des Kampfes um das Überleben. Niemand hat sie gefragt ob sie leben wollen, niemals, zu keiner Zeit war es ihr eigener Beschluss auf diese Welt zu kommen.

 

Bello, er ist noch jung, nicht gesund und lebt in der Nähe einer Stadt, bei einem großen Müllberg. In der Frühe, wenn die Menschen noch schlafen und die Hektik der Stadt noch kurz Pause macht, ist Bello schon unterwegs.

Er trottet, wie jeden Tag, zu dem frisch herbeigekarrten Müll aus der Stadt. Er zittert leicht. Doch ist es nicht nur die Kälte der Nacht, welche die gespenstischen Schwaden aus den verrottenden Bergen des Abfalls entweichen lässt, die für sein Zittern verantwortlich ist. Er ist schon länger krank. Jeden Tag wird es schlimmer. Er hat niemanden der ihn impfen lässt, ihm Medikamente kauft, auch niemand der mit ihm zum Arzt geht! Jeder Atemzug tut weh, oft fühlt er sich schwindelig, er ist schwach. Seine ehemals laute Stimme ist oft nur mehr ein Krächzen. Dennoch geht er weiter zielstrebig auf sein Revier zu.

Ein Umhang aus verfaulenden Gasen bekleidet die Hügel des Mülls. Bello, einsam und verlassen, im Halbdunkel verborgen, versucht für den anbrechenden Tag einen kleinen Teil von Fressbaren zu sichern, um so wieder einen weiteren Tag zu überleben. Immer ist er auf der Hut, immer ist er vorsichtig, doch heute sind seine Gedanken noch in der Vergangenheit. Er hatte gar keine andere Möglichkeit woanders zu leben. Überall verjagten ihn die Leute, nirgendwo ist er gerne gesehen. Nur hier, wo der Gestank, der Tod und die Fäulnis zu Hause sind, wird er nicht vertrieben. Die Leute halten sich hier nicht gerne auf.

Gestern war er seit langer Zeit wieder einmal in der nahen Stadt. Und obwohl er eigentlich Angst hat in die Stadt zu gehen, zwang ihm gestern etwas dorthin zu gehen. In der Stadt wurde er fast überall, Einerorts schneller, Andererorts nicht ganz so schnell, verjagt. Die Menschen sahen ihn geringschätzig an, drehten den Kopf in die andere Richtung, rümpften die Nase, machten abwertende Bemerkungen, schlugen in seine Richtung. Die Kinder wurden aus seiner Nähe weggezehrt, er wurde überall gemieden und verachtet. Manchmal, wenn auch sehr selten, warf ihm jemand irgendetwas hin. Er sollte sich dafür wohl dankbar zeigen, doch ein letzter Rest von irgendetwas, das an Würde erinnern könnte, hielt ihn vor der Annahme ab. Manchmal sah er voller Traurigkeit und Wehmut wie es anderen erging. Nicht das er jemand etwas neidisch gewesen wäre, denn er war froh, das es anderen besser als ihm selber ging, doch hin und wieder fragte er sich nach dem warum es ihm so erging wie es eben war.

 

Er hatte eine Hütte wo er sich bei Regen und Sturm unterstellen konnte. Sie war gerade groß genug um sich darin hinzulegen. Schimmel war auf jeder der drei Wände. Überall roch es nach Verwesung und Tod. Wenn jemand diesen Unterschlupf entdecken sollte,  erging es dieser Hütte gleich wie seinen vorherigen Zufluchtsorten. Sie wurden niedergetrampelt und vernichtet.

 

Er stand einfach da, zitterte und blickte in sich hinein. Er stand da. Noch immer dachte er an gestern. Er wusste es gab soviel Schönes und Gutes, doch das war alles nicht für ihn bestimmt. Er konnte nichts dafür das gerade er es war der diese Last tragen musste.

 

Gestern sah er sich noch einmal in der Stadt um und träumte manchmal dabei kindlich naive Träume. Er träumte von einem Zuhause, von einem Fressen, er träumte sogar von einem kleinen roten Ball. Er kannte sogar eine Legende von einem Wesen das die Leute beschenkte. Das sollte immer zur Winterzeit geschehen. Dieses Wesen vergaß ihn vielleicht immer wieder, oder es beschenkte die anderen, die noch ärmer waren als er selbst!

 

Er sah nun wieder durch seine Augen in die Gegenwart. Er sah wie sich seine Mitstreiter um die Schätze rauften, Schätze die aus vergammelten Abfällen bestanden. Schätze, denen sich jemand anderer, mit der Ausnahme von ihm und seinesgleichen, nicht einmal auf zehn Schritte genähert hätten.

 

Er stand noch immer da. Er rief innerlich nach seiner Mutter, nach seinen Vater. Obwohl sie es waren die ihm dieses Leben, wenn auch ungewollt, beschert hatten, liebte er sie mit all seiner Kraft; denn eigentlich hatte er auch nur sie. Sie waren schon verstorben, denn sie waren auch krank. Er sah und spürte die einzigen Zärtlichkeiten welche er jemals empfangen hatte nochmals, wenn auch nur als Erinnerung. Er hörte die einzigen lieben Worte die er jemals gehört hatte nochmals in seinen Gedanken. Er spürte jetzt nicht die Kälte, die Schmerzen, die Einsamkeit und die Verzweiflung.

 

Er öffnete die Augen, fühlte den Schwindel und seine Beine gaben nach. Er fiel um. Er lag im Müll, so als ob er nun für immer ein Teil dessen werden würde von dem er lebte. Er fühlte nicht das Krampfen seiner Muskeln, die seinen Körper entstellten, er spürte auch nicht die Nässe die seinen Körper umgab und er roch nicht mehr den widerlichen Gestank des Ortes. Speichel mit hellrotem Blut rann aus seinem Maul mit den verrenkten Kiefern. Seine Augen blickten in das Leere.

 

Der letzte Funke Leben in ihm erlosch. Keiner hatte ihm den kleinen roten Ball geschenkt, niemals hatte jemand ihm seine kleinen, einfachen Wünsche erfüllt.

 

- Bello war kein Hundejunges, es war ein menschliches Kind. Ein Kind von Müllsammlern!

 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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