Gaby Schumacher

Bärentraum (22. Kapitel)

Inzwischen war Benjamin im Schloss angekommen und betrat den bereits festlich geschmückten Saal. Überall an der Decke hingen Lampions. Ein paar von denen ähnelten Gummibärchen, viele Smarties in allen Farben und auch sogar Samson und das Krümelmonster schaukelten da in der Luft. An den Wänden kringelten sich Luftschlangen entlang und auf dem Boden lagen Unmengen bunter Papierschnipsel verstreut. In der Mitte des Saales war ein purpurroter Teppich ausgerollt und an dessen einen Ende standen drei wunderschöne Sessel mit roten Polstern. Neben jedem dieser Sessel stand ein hoher Kerzenleuchter mit einer roten Kerze.

 
Zottel kam Benjamin entgegen:

„Brumm! Gut, dass du kommst. Wir müssen noch die Sofas an die Wände stellen und die Tische mit den Stühlen zurecht rücken, Tischtücher auflegen und die große Tafel mit all den Leckereien zurecht machen.“

„Na, dann mal fix!“, meinte Benjamin dazu. „Wir haben nicht mehr viel Zeit! – Ist Petz eigentlich auch schon da? Ich seh` ihn gar nicht?“

„Der ist in der Küche!“, antwortete Zottel und grinste.

„Au weia!“, sagte Benjamin. „Hoffentlich schluckert der uns nicht alles weg!“

„Dazu fehlt ihm die Gelegenheit, denn Lumi ist auch dort.“

„Zum Glück ist die dort!“, betonte sein Freund. „Sonst hätten wir nämlich nachher nichts mehr zu futtern!“

Beide lachten.

 
Wenn so tüchtige Bären am Werke sind, dann klappt alles ganz schnell. Bald standen die Tische dort, wo sie hin sollten und auch die Tafel war wunderschön mit Blätterranken und Blumen geschmückt. Aber die waren natürlich längst nicht so wichtig wie die Köstlichkeiten, die auf den hübschen Tellern angeboten wurden. Plätzchen, Honigkuchen, Baumkuchen und Marmeladenbrezel in Massen. Aber es wurden ja auch sehr viele Gäste erwartet.
 
Dann war es endlich soweit. Die Kerzen in den Lampinions wurden angezündet und tauchten den Saal in eine märchenhaftes, warmes Licht. Mehr und mehr junge Bienen strömten in den Saal und setzten sich an die Tische. Nur die jüngsten Bienenkinder waren zuhause geblieben. Sie mussten schlafen. Kurz darauf erschienen auch sämtliche Bewohner der Bärenstadt. Sie alle trugen feierliche Kleidung. Die Bärenmänner einen dunklen Anzug und einen hohen Hut auf dem Kopf und die Bärenfrauen elegante Kleider. Auch die Bärenkinder hatten sich chic heraus geputzt. Die kleinen Mädchen trugen romantische Schürzen und die Buben kurze Lederhosen mit Trägern dran. Die ganze Bärenschar nahm auf den gemütlichen Sofas Platz.
 
Alles brummte und summte aufgeregt durcheinander. Das war kein Wunder, denn sie alle warteten voller Ungeduld auf die Hauptperson des heutigen Abends.

„Sie müsste jetzt eigentlich recht bald da sein!“, flüsterten sich die Bärenfrauen zu.

Damit hatten sie ausgesprochen recht, aber, wie es bei Frauen oft so ist, fiel Sofie immer  noch wieder eine Kleinigkeit ein, die noch in die Handtasche sollte. Einmal war es das Taschentuch, dass sie vergessen hatte und ein anderes Mal ein bestimmtes Bonbon, dass sie auch zuhause stets bei sich trug. Es war eines, das nach Zitrone schmeckte. Ohne ihr Zitronenbonbon ging Sofie nämlich nirgendwohin.

 
Allzu lange musste die Festgesellschaft nicht mehr warten. Zottel und Lumi hatten sich neben die Sessel gestellt. Lumi klatschte in die Hände und Zottel in seine Tatzen. Sofort war alles mucksmäuschenstill und sah die Beiden erwartungsvoll an.

„Liebe Bewohner der Bärenstadt, liebe Bienen! Heute feiern wir ein großes Fest zu Ehren von Sofie, der Freundin meines Freundes Benjamin. Wie ihr wisst, werden wir Sofie eine große Überraschung bereiten. Sofie wird in wenigen Augenblicken hier sein.“

 
Da war es mit der Ruhe vorbei. Es wurde getuschelt und durcheinander gerufen. Die Bären- und die Bienenkinder rissen sich gewaltig am Riemen, um gehorsam auf ihren Stühlen sitzen zu bleiben und nicht etwa ungezogen durch den Saal zu rennen. Schließlich war dies ein wichtiger Abend für die Bärenstadt und da wollten sie ausnahmsweise einen guten Eindruck machen.
 
„Da sind sie ja endlich!“, rief Petz und schritt der Oberarbeiterbiene und Sofie entgegen, die gerade den Saal betreten hatten. Sofie erkannte ihren Freund Petz in dem schönen, dunklen Anzug fast nicht wieder.
„Petz, du bist aber chihic!!“, bewunderte sie ihn.
„Ihr seht einfach toll aus!“ schwärmte Petz daraufhin.

Die Oberarbeiterbiene kratzte sich verlegen vor Freude am Kopf und vergass dabei völlig, dass da doch der hübsche, schwarze Hut thronte. Gerade rechtzeitig fing sie ihn noch auf, damit er nicht auf dem Boden landete. Dann hätte sie sich ja doch sehr geschämt.

 
Sofie dagegen gab Petz lieb die rechte Hand zur Begrüßung. Die hielt der Bär für einen Augenblick fest und hauchte dann einen richtigen Kuss darauf. Da wurde denn Sofie ganz verlegen und versteckte die Hände auf dem Rücken. Allerdings, als Petz bereits weiter gegangen war, schielte sie ab und zu auf ihre rechte Hand. Das mit dem Kuss war doch zu toll gewesen! Deshalb schwor sie sich:

„Die wasch ich jetzt nie mehr!“

Wer bekam auch schon einen Handkuss von einem echten Bären?!

 
Dann allerdings guckte sie aufmerksamst in die Runde. Ihr Herz klopfte ganz laut, denn all ihre Freunde waren gekommen. Da vorne neben Zottel stand Lumi und lächelte ihr entgegen. Die ganze Bärenstadt schien versammelt und auch die meisten Bienen waren gekommen.

„Wie fein sie alle angezogen sind!“, dachte Sofie.

Fast hätte sie vergessen, welch ein tolles Kleid sie selber trug.

Nur Benjamin, wo blieb bloß ihr Benjamin?

„Streifchen, wo ist denn Benjamin?“, fragte sie die Oberarbeiterbiene.

„Keine Bange, der wird gleich kommen! Und dann...“, lächelte sie geheimnisvoll.

„Was haben die bloß heute alle?“, grübelte Sofie. „Heute Morgen waren die auch schon so koomisch...“

 
Da entdeckte sie endlich Benjamin zwischen all den Anderen. Aber...wie sah der denn aus? Ihr Teddy trug den schönsten schwarzen Anzug, denn Sofie je gesehen hatte und dazu einen echten Zylinder auf dem Kopf.

„Benjamin sieht aus wie ein richtiger Zauberer!“, stellte Sofie stolz fest.

Benjamin schritt auf Sofie zu und nahm sie bei der Hand. Allerdings bei der linken. Die rechte hielt Sofie immer noch gut versteckt. Alle übrigen Gäste hatten sich von ihren Sitzen erhoben. Die Frauen machten einen Hofknicks und die Männer zogen die Hüte vom Kopf. Sofie war völlig verwirrt und dennoch genoss sie das sehr.

„Warum machen die denn alle einen Kicks vor mir, Benjamin?“, flüsterte sie ihrem Teddy zu.

Der sah sie so ganz besonders liebevoll an:

„Das wirst du gleich erfahren, Sofie!“

 
Inzwischen waren sie am anderen Ende des roten Teppichs angekommen, da, wo die Fee Lumi schon auf sie wartete. Lumi tat ein paar Schritte auf Sofie zu und nahm sie in den Arm:

„Sofie, wir alle haben dich sehr, sehr lieb und freuen uns, dass du bei uns bist!“

Sofie musste denn doch eifrigst schlucken, um nicht vor Freude zu weinen. So schön war das.

Alle Bären und auch die Bienen klatschten laut Beifall.

 
„Benjamin, wo bleibt denn eure Prinzessin?“, fragte Sofie.

Ein Schloss wie dieses und... keine Prinzessin? So etwas gab`s einfach nicht. Nicht im Märchen und auch nicht hier in der Teddybärenstadt.

Statt einer Antwort fragte er zurück:

„Darf ich dich bitten, mit mir zu tanzen?“

„Ja, abaa, ich meine, eigentlich...tanzt doch immer die Prinzessin als Erste?“, gab Sofie zu bedenken.

Benjamin schien das gar nicht gehört zu haben und wiederholte seine Frage:

„Magst du tanzen?“

 
„Au ja!“, rutschte es Sofie heraus und sie war plötzlich wieder das kleine Mädchen, dass so gerne herum hüpfte.

„Jetzt ist es gleich soweit. Gleich wird sie hören, dass...!“, dachte ihr Bärenfreund.

Er führte sie zur Mitte des Raumes und dann ging es los. Genauso hatten es Streifchen und Sofie geübt:

„Eins, zwei, drei... eins, zwei, drei... !“

Sie drehten sich schneller und schneller. Sofies Wangen hatten sich vor Begeisterung gerötet. Benjamin, der Bär und Sofie waren ein wunderschönes Paar.

 
Die Musik war verklungen. Alle setzten sich wieder, nur Sofie stand mit ihrem Benjamin da mitten im Raum.

„Und jetzt?“

 
Da trat die Fee ein zweites Mal auf Sofie zu. Lumi guckte ganz feierlich. In ihrer Hand hielt sie eine zierliche Krone. Ehe Sofie überhaupt etwas sagen konnte, drückte die Fee ihr das Krönchen aufs Haar und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ja, Sofie, wir haben eine Prinzessin. Du bist unsere Prinzessin, die Herrin über die ganze Teddybärenstadt und auch über das Bienenvolk!“

Lumi hatte kaum zuende gesprochen, da jubelte alles los. Die Bärenfrauen umarmten sich, die Männer wirbelten ihre Zylinder durch die Luft und die Bärenkinder kreischten übermütig durcheinander. Die Bienenkinder summten fröhlich dazu.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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