Norbert Wittke

Der Schneider von Manavgat in der Türkei

 
Bei unserem Urlaub in der Türkei entschädigte uns das Wetter für die
mickrige Unterkunft in einem angeblichen vier Sterne Hotel in Side-Kumköy.
 
Die Türken sind sehr gute Improvisationsmeister. Der Nahverkehr mit dem
Dolmus funktioniert ausgezeichnet und könnte für uns hier in Deutschland
Vorbild sein. Der Dolmus ist ein Kleinbus, der einen überall unterwegs
anhupt und auf Wunsch mitnimmt. Für 1,25 € je Person fuhren wir nach
Manavgat zum Bauernmarkt im Zentrum neben einem größeren Basar.
Dieser findet montags statt. Am Donnerstag gibt es einen Textil- und Leder-
warenmarkt etwas entfernter vom Zentrum.
 
Nachdem wir den Bauernmarkt studiert hatten mit allen seinen reichlichen
Angeboten, kamen wir hinter der Halle in eine Nebenstraße. Wir blieben
vor einem kleinen Schneiderladen stehen. Draußen gab es Angebote für
Damenpullover und Damenhosen. Meine Frau fand angenehme Baum-
wollhosen für den Strand in guter Qualität und einen Pullover. Als sie
die Ware prüfte kam ein junger nicht sehr großer Mann heraus. Es
stellte sich heraus, dass er der Schneider und Besitzer des Ladens war.
Meine Frau probierte eine blaue und rote Hose und den Pullover an.
Er hatte keine Deutschkenntnisse, wir keine türkischen Sprachkennt-
nisse. Mit Händen und Füßen führten wir ein gestenreiches stummes
Gespräch.Er verstand, dass meine Frau Änderungswünsche hatte  und
nickte zustimmend.
 
Drinnen im Laden standen zwei Industrienähmaschinen. Er schnitt die
Hosen kürzer auf Dreiviertellänge, ebenso nach Wunsch die Ärmel des
Pullovers. Er lief raus nach nebenan und kam mit einer großen Rolle
mit rotem Nähgarn wieder, fädelte es ein und fing an zu nähen. Ich
schaute mir die ausliegenden Jeanshosen an. Er stand auf und deutete
mit Handbewegungen an, ob ich an so etwas interessiert sei. Ich nickte,
sagte aber :"Nur mit Elastan.". Er gab mir die eine, die er bei seinem
kleinen Sortiment hatte. Er nähte weiter, ich probierte an. Sie war zu
groß. Ich legte sie zurück. Er überlegte und nähte. Plötzlich stand er
auf, sagte: "Moment" lief aus dem Laden quer über die Straße durch
die Markthalle, ließ uns etwa 6 Minuten im Laden allein, kam dann
mit einer Jeanshose mit Aufschrift Boss wieder. Er deutete an, dass
ich sie anprobieren sollte und zeigte auf dem Taschenrechner 20 € an.
Er nähte weiter an der roten Hose am Saum, ich probierte an. Sie
passte, war etwas zu lang. Er deutete an, dass er sie kürzen könne.
Er steckte mit Nadeln die Länge ab. Nähte die rote Hose zu Ende.
Nahm die Rolle herunter, lief hinaus mit der Nähgarnrolle, brachte sie
zurück. Kam aus einem anderen Laden mit einer blauen Nähgarnrolle
wieder. Fädelte sie ein, nähte die blause Hose. Brachte die blaue Rolle
zurück zum Eigentümer. Holte von woanders eine Rolle neutrales Näh-
garn zum Säumen der Pulloverärmel. Machte das Stück fertig, brachte
die Nähgarnrolle zurück. und kam mit einer für die Jeans wieder. Er
schnitt von der Jeanshose ein Stück in der Länge des Stoßbandes ab.
Trennte es fein säuberlich vom Stoff. Schnitt den Rest ab, der für die
Kürzung erforderlich war. Nähte die Hosenbeine mit dem und Stoßband
 kettelte sie anschließend. Meine Frau drückte mit Gestik aus, dass sie die nähen
könne noch nie eine so perfekte Arbeit gesehen habe. Er verstand
und freute sich. Dann beim Bezahlen nahm er nur den Warenwert und
berechnete nicht seine Näh- und Laufleistungen.
 
Wir waren fasziniert. Hier helfen sich die Geschäftsleute untereinander
aus. Kein Konkurrenzdenken. Eine für Alle, Alle für Einen. Wo ist das
bei uns denkbar. Wenn ich jetzt mein Bossschild am Hintern trage er-
innert es mich immer an einen jungen, nicht großen, sehr fähigen Schneider.
Aus der Urkunde im Laden konnte ich entnehmen, dass er 2004 seine
Meisterprüfung abgelegt hatte.Wenn wir dort wieder hinkommen, werden
wir ihn in jedem Falle besuchen, um festzustellen, ob er trotz der Laufarbeit
Fett angesetzt hat  oder noch so flink, agil und schlank ist wie im Dezem-
ber 2006 ist.
 
12.12.2006                                   Norbert Wittke.

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