Stephanie Leitz

Hoffnungsbaum

Plötzlich waren sie da. Niemand war überrascht, man hatte sie erwartet. Sie tauchten auf, als sich gerade die ersten Eiskristalle auf den Fensterscheiben bildeten. Sie kamen den schmalen Weg, der sich durch das Land züngelte, von den Städten her. Sie trugen die Nachrichten unter ihren Bunten Flicken versteckt, boten sie an, die weisen Zähne, blitzend im braunen Gesicht, zeigend. Goldenen Ohrringe klimperten bei jeder Bewegung, umhüllt von schwarzem Haar. Die Kleidung war zerrupft. Ihr Wesen anders. Sie zogen durch das Land, waren Zigeuner. Doch sie waren unsere Freunde, auch wenn niemand das offen gezeigte. Die Mütter zogen ihre Kinder weit vor dem Dunkelwerden zurück in ihre Küchen, auch wenn es nur noch enger wurde. Die Väter grüßten sie nicht, wenn sie ihnen begegneten. Einzig und alleine mein Onkel Johann war anders. Er wartete Tag für Tag sehnsüchtig darauf wartend, dass Vater Frost die vergänglichen Bilder des Eises auf die Glasscheiben malte. Denn dann kamen sie. Sie brachten Neuigkeiten, Geschichten und seltsame Schätze. Sie zeigten uns ihre Tänze und Zauberkunststücke. Sie brachten Leben in unsere kalten Wintertage. Bis zu jenem Winter, in dem der Tod kam.

Es war ein heißer Sommer gewesen, die Ernten waren sehr schlecht verlaufen. Alle hatten Furcht, ob sie sich und ihr Familien durch den Winter bekommen könnten. Selbst Onkel Johann wartete mit gemischten Gefühlen auf das Eis. Es kam, und mit ihm die Zigeuner. Unser Dorf nahm sie dieses Jahr nicht so gerne auf, denn es hatte Selbst Schwierigkeiten sich zu ernähren, doch es war einfach undenkbar, in diesen dunklen Tagen auf das Licht und die Farben, die sie mit sich brachten, zu verzichten. Heute sage ich: Es war mit die schönste Zeit meines Lebens. Es war die Zeit, in der ich lernte, zu lieben...

Bis zu jenem ersten Wintertag habe ich mir nie viel aus Jungen gemacht. Zwar spielte ich schon immer mit ihnen, ich war fast eine von ihnen. Ich lief wie ein Junge, kämpfte wie einer und konnte wie einer spucken. Doch ich habe mich nie in einen verliebt, bis ich Frederico kennen lernte.
Er war das erste Mal bei uns im Dorf, ich hatte ihn noch nie gesehen. Seine Eltern waren gestorben, hatte er mir später verraten. Erst war er alleine herumgezogen, und hatte die haarstreuebensten Geschichten erlebt, von denen ich ihm keine einzige glaubte, es jedoch liebte, seinen spannenden Erzählungen zu lauschen. Als es kälter wurde, konnte er bei seiner Großmutter Nona unterkommen. Nona war die älteste Frau die ich je gesehen hatte. Ihre Wettergegerbte Haut war faltig, ihr strähniges Haar weiß. Sie konnte sich nur noch am Stock fortbewegen und im Wagen, in dem die Alten fuhren, wenn die Zigeuner ihr Lager wieder abbauten, war seit Jahrzehnten ein Platz für sie reserviert, so alt war sie. Jeder behandelte sie mit Erfurcht und Respekt. Und sie war eine Großmutter für alle Kinder.

Als ich Frederico das erste Mal sah, hätte ich mich am liebsten hinter dem Rockzipfel meiner Mutter versteckt. Doch dafür war ich entschieden zu alt. Er schüchterte mich ein. Seine Augen, die alles auf einem Blick zu erfassen schienen, jagten mir Angst ein. Doch das durfte ich mir nicht anmerken lassen So war meine erste Reaktion, ihn zu einem Wettkampf herauszufordern. Als ich ihm mit zusammengebissenen Zähnen meine Forderung zuzischte, blickte er mich lange Zeit schweigend mit seinen Schwarzen Augen an. Ich vermochte nicht zu erraten, was er dachte. Dann nickte er, noch immer ohne ein Wort zu sagen.
Mit geballten Fäusten ging ich auf ihn zu. Ich wollte ihn windelweich schlagen, dafür, dass er mich so verlegen machte. Ich durfte nicht verlegen sein! Doch ich hatte nicht mit seiner Kraft gerechnet. So war ich es, die schließlich am Boden lag. Verzweifelt und beschämt wandte ich mich ab. Doch als ich gehen wollte, hielt er mich auf. Er blickte nach rechts und links, ob ihn auch ja keiner sah, dann gab er mir schnell einen Kuss und rannte davon. Ich blieb vollkommen verblüfft zurück. Das hätte ich am wenigsten erwartet. Es verwirrte mich noch mehr.
Wir waren nach diesem Tage beste Freunde, manchmal sogar mehr noch, doch das wichtigste für uns waren und blieben die Gespräche. Wir konnten uns alles erzählen, zwischen uns gab es keine Geheimnisse. So berichtete er mir eines Tages, wie ihn die Stadtkinder gequält und verhöhnt hatten. Sie hatten ihn mit all den Voruhrteilen beworfen, die ein Mensch nur haben konnte. Nachts hatte er heimlich in seinem Bette geweint. Während er mir das erzählte, blitzten seine Augen wütend auf. Ich kannte seine Situation. Auch mir gegenüber verhielten sie die Stadtkinder ähnlich, doch sicherlich nicht so. Für sie waren Zigeuner keine Menschen mehr. Ich seufzte und blickte über den See, in dem sich funkelnd alle Sterne spiegelten. Wie schön es doch hier draußen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie die Stadtkinder ohne die weiten der Wiesen oder die Stille der Wälder leben konnten, und es sollte mir mein Leben lang ein Geheimnis sein.
Die Zeit mit Rico war die schönste meines Lebens. Doch dann wurde die Stille der Gespräche plötzlich durchbrochen. Soldaten kamen in unsere Stadt. Plötzlich waren sie da. Wir waren überrascht. Niemand hatte sie erwartet. Sie tauchten auf, als sich gerade die Eisschicht auf dem See so dick war, dass man darauf laufen konnte.. Sie kamen den schmalen Weg, der sich durch das Land züngelte, von den Städten her. Sie trugen Schwerter bei sich, und den Befehl, die Zigeuner auszuliefern. Wir zögerten. In uns kämpfte die Angst vor den Bewaffneten und die Freundschaft zu den Zigeunern. Auf die Frage hin, was mit ihnen geschehen würde und wo der Grund der Anklage lag, antwortete man uns, das Land sollte von dem dreckigen Pack der Zigeuner und deren Freunde, hierbei warfen sie uns einen warnenden Blick zu, befreit werden. Man würde sie töten. Nun war die Sache für uns klar: Kampf.
Es war das schrecklichste, dass ich je erlebt habe. Alle kämpften, von den Kleinen an bis hin zu den Greisen. Es gab Blut, viel Blut. Ich sah meine Freunde sterben, während ich mich durch das Schlachtfeld schlug. Ich tötete Menschen, das war das schlimmste. Zwar mochte ich ein wildes Mädchen sein, aber ich tat keiner Fliege wirklich was zu leide. Und nun tötete ich. Bei jedem schlag dachte ich: Hat er eine Familie? Was werden seine Frau und seine Kinder tun? Oder wird er nicht zu Hause erwahrtet? Was hat ihn dazu bewogen, das Schwert in die Hand zu nehmen? Was für Träume hatte er? Wie hätte er weiter gelebt, wenn ich ihn nicht getötet hätte?
Doch dann geschah etwas, das meinen Gedanken ein halt gebot. Rico fiehl, erstochen vom Schwert der Soldaten. Ich schrie auf, Kämpfte mich vor bis zu ihm, schlug mich Willenlos durch. Ich tötete mehr als zuvor, mein Gesicht tränenüberströmt. Bis ich ihn erreichte. Ich nahm ihn in die Arme, zog ihn an mich. Er blickte mich an, mit seinen schwarzen Augen, die ich so liebte. Seine bebenden Lippen formten Worte, die ich mein ganzes Leben lang nie vergessen würde: Krieg ist das schlimmste, das es gibt. Tu alles, das dieses nicht noch einmal geschieht. Ich weis, du kannst es. Er drückte mir mit letzter Kraft etwas in die Hand. Versprich mir eines: Pflanze dieses hier auf meinem Grabe ein und lebe weiter. Mit diesem wird meine Liebe auf ewig bei dir sein. Ich liebe dich!
Dann starb er, ich blieb zurück. Ich öffnete die Hand. Auf meiner Blutigen Handfläche lag....Eine Eichel.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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