Sarah Schipper

Vom Schicksal entzweit

Kleine, schneeweiße Flocken wirbelten tanzend durch die nächtliche und kalte Wintersluft. Trotz der Dunkelheit der Nacht schimmerten die vielen kleinen herabfallenden Flöckchen wie Silber im Licht des Mondes. Wie ein König thronte dieser am Himmel, um zusammen mit den hell und klar leuchtenden Sternen sein Licht auf die schlafende Welt zu werfen.
 
Lautlos umhüllte der Schnee alles unter seiner weißen Pracht. Die kahlen Äste der Bäume trugen nun statt Blätter den glänzenden Schnee. Auch die Tannen wurden in schimmerndes Weiß getaucht. Die ganze Welt schien den Atem anzuhalten und ruhte still unter der Decke aus kaltem Schnee. Die Stille jedoch wurde sanft durchbrochen.
 
Eine Melodie, erfüllt von unendlicher Traurigkeit, bahnte sich ihren Weg durch die fallenden Schneeflocken hindurch. Die leisen Töne entstammten einer Panflöte, einem Instrument, welches in diesen Landen nur die Elfen zu spielen vermochten. Folgte man den zarten Klängen, so konnte man bald eine schlanke, hochgewachsene Gestalt am Rande eines zugefrorenen Sees stehen sehen.
 
 Langes, pechschwarzes Haar stach einem jeden Betrachter als erstes ins Gesicht. Seidig schimmernd und gespickt von kleinen weißen Flocken, wie Edelsteine wirkend, hob sich die dunkle Farbe auch vom zartem Hellblau des Kleides ab. Trotz der niedrigen Temperaturen besaß dieses keine Ärmel. Es war bis zur Taille eng gehalten, um dann nach unten weit auszufallen.
 
 Das schöne, blasse Gesicht gesenkt, die Augen geschlossen und das Instrument aus dunklem Holz an den Lippen, stand die Frau dort.
 
 Regungslos.
 
Nur die schlanken Finger huschten geschickt über die hölzerne Flöte, um ihr die Melodie zu entlocken.
 
 Seichter Wind wehte auf. Wirbelte den Schnee durch die Luft und schuf die Illusion, als wolle dieser zur Musik der Frau tanzen.
 
 Mit einem Male jedoch, öffnete die Spielende ihre Augen. Grün blitzen sie auf.
 
Ein merkwürdiger Laut, wie der Klang versucht leiser Schritte im Schnee, ganz in der Nähe hatte sie aus ihrer Trance gerissen, denn die feinen Ohren waren geschult darauf jedes noch so kleine Geräusch in unmittelbarer Nähe zu vernehmen. Langsam ließ sie ihr Lied verstummen und die Hand zusammen mit der Flöte hinunter sinken.
 
 Mit ihrem feinem Gehör war es ihr gelungen, das Geräusch jemanden zuzuordnen, von dem ganz gewiss keine Gefahr ausgehen würde. Im Gegenteil.
 
 „Warum verstummt dein Lied, kaum, dass du mich herankommen ahnst?“, ertönte eine angenehm dunkle, männliche Stimme.
 
 Die junge Frau senkte langsam den Blick und blinzelte. Sie traute ihren Ohren nicht. Schon, als sie erkannt hatte, wem diese leisen Schritte gehörten, waren Zweifel in ihr empor gestiegen, ob ihr Verlangen ihr nicht einen Streich spielte. Ihr dies nur als Illusion zuflüsterte. War er wirklich gekommen? Es war so unmöglich...
 
 Langsam drehte sie sich herum. Ein zartes Lächeln huschte ihr auf die schönen Lippen. Unbewusst ohne, dass sie es zu steuern vermochte, hob sie den Blick, um sich zu vergewissern, dass die Sehnsucht ihr keinen Streich spielte. Wie es schon oft geschehen war.
 
 „Alexiey...“, verließ ein Wispern ihre Kehle.
 
 Ein Lächeln bildete sich auf den Lippen des jungen Mannes, dessen schwarzes, längeres Deckhaar nass im Gesicht klebte. Die ozeanblauen Augen auf sie gerichtet, stand er dort. Der Schnee wirbelte um ihn herum und heftete sich in großen Mengen an den schwarzen, bodenlangen Mantel.
 
 Zögerlich machte die junge Frau einige Schritte auf ihn zu. Ihr Kleid war etwas zu lang für sie und hatte sich so am Saum und ein Stückchen weiter hinauf mit Wasser vollgesogen. Trotzdem hinderte dies die Frau nicht daran, anmutig einen Fuß vor den anderen zu setzen. Deutlich zeigten ihre zaghaften Bewegungen, dass sie noch immer nicht glaubte den zu sehen, der da vor ihr stand.
 
 Als sie stehen blieb, standen sie sich so nahe gegenüber, dass er ihren warmen Atem an seinem Hals spürte. Trotz ihrer hochgewachsenen Gestalt war sie beinahe einen Kopf kleiner als er, sodass sie zu ihm aufsehen musste. Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe und blickte in seine tiefgründigen Augen. Eine ganze Weile trafen sich ihre Blicke. Keiner sagte ein Wort. Keiner wagte es die angenehme und prickelnde Stille zu durchbrechen.
 
 „Du bist es wirklich.“, hauchte die junge Frau ungläubig und hob ihre rechte Hand an, um mit ihren Fingern vorsichtig die Konturen seines scharfgeschnittenen Gesichtes nachzuziehen,
 
„Du solltest nicht hier sein... du weißt, was geschehen wird, wenn sie uns zusammen entdecken.“, entschied sie dann eilig und zog ihre Hand wieder fort von seiner Wange, als wäre sie sich mit der Berührung seiner kalten Wange mit ihren warmen Fingern der Situation vollständig bewusst geworden.
 
 Das zärtliche Lächeln auf den Lippen des Mannes erstarb nicht. Seine Augen strahlten und jede ihrer Bewegungen nahm er gierig auf. Verfolgte jeden noch so kleinen Schlag ihrer langen, dichten Wimpern.
 
 „Ich beneide dein Volk. Deine Finger... sie sind so warm.“, flüsterte er stattdessen und hob seine eigene Hand, um die ihre sanft zu umschließen.
 
 Unbewusst war die junge Frau einen kleinen Schritt näher an ihn herangetreten. Sie standen nun noch dichter beieinander. Ihre Brust hob und senkte sich heftig auf und ab. Vor Aufregung klopfte ihr Herz schnell in ihrer Brust, doch sie spürte, dass auch seines nicht weniger schnell schlug.
 
 „Alexiey...lenke nicht vom Thema ab. Es ist ernst. Warum bist du her gekommen?“, es fiel ihr nicht leicht, das herbeigesehnte und traute Beisammensein durch solch Worte zu zerstören, doch es war ihr wichtig, dass ihm nichts geschehen würde.
 
 Alexiey sog tief die kalte Luft in seine Lungen und schloss für kurze Zeit die Augen. Als er sie wieder öffnete las sich unendlicher Schmerz und unendliche Trauer in dem schönem Blau.
 
 „Du scheinst mir so, als freuest du dich nicht über mein Kommen. In der Erwartung, du würdest mir in die Arme fallen und mich nie wieder loslassen kam ich an diesen Ort, der so eine große Bedrohung für mein Leben darstellt. Stattdessen stehen wir hier... und du kannst nicht einmal für wenige Schläge der Zeit unser Leid vergessen!“, ein wenig anklagend klang die leise Stimme des jungen Mannes, als er ihr tief in die Augen blickte.
 
 Erst erwiderte die junge Frau den Blick hart und als hätte sie keinerlei Gefühle, blieb auch ihr Gesichtsausdruck versteinert und emotionslos. Doch bald lockerte sich dieser Ausdruck. Selbst sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie vom Stamm der Meanolen, einem Elfengeschlecht, welches noch viel stolzer und geschickter als viele andere Stämme war. Nun sog auch sie die Luft in ihre Lungen und stieß sie mit einem leises Seufzer wieder hinaus. Dann senkte sie beschämt den Blick und biss sich erneut auf die Unterlippe.
 
 „Verzeih, doch...“, begann sie ihren Satz, doch Alexiey legte ihr sanft die Finger unter das Kinn, um ihr Gesicht sachte wieder hinaufzuziehen.
 
 Er lächelte seicht, legte ihr dabei den Finger auf den Mund: „Verziehen habe ich dir, Niniel. Mehr zählt nicht... keine Erklärungen... keine Herhausrederei. Ich weiß, dass ihr Elfen Künstler im Überzeugen der sterblichen Wesen seid.“
 
 Nun zauberte er auch ihr ein Lächeln auf die schönen Lippen und ihre grünen Augen schimmerten glanzvoll auf. Er war wirklich gekommen, dies war der Mann, den sie liebte... für den sie schon solch große Menge riskiert hatte.
 
 „Ich liebe dich...“, erklärte er, bevor er sich vorbeugte und ihre Lippen mit den seinen zu einem zärtlichen Kuss verschloss.
 
 Niniel ließ all ihr Zaudern und ihre Angst von sich fallen. Als sich ihre Lippen berührten ließ sie sich nach vorne sinken und hob die Arme, um sie um seinen Hals zu legen. Fest drückte sie den schlanken Körper an die starke Brust des Mannes und genoss den Kuss in vollen Zügen. Er hatte Recht. Wenigstens für wenige Schläge der Zeit wollte sie die Situation genießen. So lange hatte sie sie sich doch herbeigesehnt.
 
  Stolz, dass seine Worte bei ihr Wirkung gezeigt hatten, nahm Alexiey nun die eigenen Hände und ließ sie über ihre Seiten streichen. Sie war so warm, als wäre die Welt nicht unter eine Schneedecke, sondern unter den Strahlen der Sonne bedeckt. Genießerisch genoss er das Gefühl ihrer weichen Haut unter dem seidenen Stoff. Auch er war nicht weniger von Verlangen geplagt worden. All die Mondläufe, die verstrichen waren, in denen er sie nicht sehen konnte. Es ihm nicht erlaubt gewesen war.
 
 „Dieser Augenblick sollte Ewigkeit werden.“, flüsterte Niniel, als sich ihre Lippen voneinander trennten.
 
 Alexiey war noch zu benommen von all den Gefühlen, die über ihn zusammenbrachen. Vergessen war die Angst und vor allem die Vorsicht, die er eigentlich an diesem Ort hätte wallten lassen müssen. Ein fataler Fehler...
 
 Auch Niniel ließ sich vom Gefühl der Liebe davon schwemmen. Sie hatte es geschafft die Sorgen abzulegen und nun wollte sie dieses wundervolle Gefühl noch lange genießen. Es würde schon niemand kommen...
 
 „Es ist schmerzlich das Liebste auf Erden, in jenem Volke zu wissen, gegen welches das eigene schon seid Jahren einen erbitterten und blutigen Krieg führt. Und ebenso schmerzlich ist die Tatsache, dass der Hass weder abflacht noch ganz vergeht, sondern im Gegenteil immer größere Ausmaße annimmt...“, Alexiey hatte keine andere Möglichkeit gehabt, denn diese Worte hatten sich schon lange in sein Hirn gebrannt und nun musste er sie in dieser Situation bringen.
 
 Niniel nickte. Die Hülle aus Sorglosigkeit war somit zerbrochen, doch Niniel blieb nicht lange Zeit etwas zu entgegnen.
 
 Mit plötzlicher Wucht wurde Alexiey nach vorne geschleudert. Erschrocken zuckte die junge Elfe zusammen. Knapp, aus seiner Brust heraus ragte die Spitze eines Pfeils. Alexiey keuchte, als er mit weitaufgerissenen Augen strauchelnd in die Knie ging und in den Schnee sank. Auch Niniel hatte die Augen vor Schreck geweitet. Blut war beim Aufprall des Pfeils auf ihr Kleid gespritzt, als wäre sie selbst verletzt worden.
 
  „Alexiey... nein...“, tonlos kämpfte sich sein Name aus ihrer plötzlich trockenen Kehle.
 
 Sie sank vor ihm in den Schnee und fing ihn auf, als er strauchelnd nach vorne zu fallen drohte. Sein Atem raste und der Schmerz, der sich in seiner Brust ausgebreitet hatte versuchte sich nun als schwarze Decke über sein Bewusstsein zu legen. Langsam schloss er die Augen und lehnte sich zitternd vor Schmerz gegen ihren warmen Körper. Er wollte ihn verdrängen mit aller Kraft, die er noch besaß. Diese Situation hatte er nicht erwartet. War er doch so naiv gewesen zu glauben, dass er sie unentdeckt treffen konnte. Und nun war es geschehen.
 
 „Niniel...ich. Verzeih mir, dass ich so naiv war zu glauben, uns könnte keiner finden.“, brachte er schließlich hervor, als er all seine Beherrschung zusammen gekratzt hatte.
 
 Der Pfeil ragte weit aus seinem Rücken heraus und mit jedem Atemzug schmerzte es ein wenig mehr, bis es irgendwann beinahe unerträglich wurde.
 
 „Ich habe dir schon lange verziehen...“, antwortete die Elfe und strich mit den Fingern durch sein schmerzverzerrtes Gesicht.
 
 Dann legte sie ihre Finger um das Ende des Pfeils: „Ich werde ihn nun herausziehen... Der Schütze wird direkt verschwunden sein und sicher kein weiteres mal schießen. Bitte halte durch...“
 
Alexiey nickte tapfer, dann hielt er die Luft an und biss die Zähne zusammen. Kraftvoll zog Niniel den Pfeil heraus und warf ihn angewidert weit von sich weg in den Schnee. Der Schmerz, den Alexiey jedoch spürte, als sich die Spitze erneut durch seinen Körper bohrte, ließ ihn qualvoll aufschreien. Selten hatte er solch Schmerz erlitten, denn die Pfeile der Elfen waren berüchtigt für den Zauber des Schmerzens, der auf ihnen lag. Er krümmte sich entsetzt nach vorne, doch wieder war Niniels Körper vor ihm und verschaffte ihm den gebrauchten Halt.
 
 „Dieser Schmerz...er raubt mir meine Kraft.“, keuchte der junge Mann und atmete schwach aus.
 
„Bitte.. du musst durchhalten.“, Panik breitete sich in Niniels sonst so ruhiger Stimme aus und sie legte eilige ihre Hände auf seinen Rücken.
 
 Dort, wo der Pfeil durch seinen Mantel und sein Hemd gedrungen war, hatte sich der Stoff dunkelrot gefärbt und auch der Schnee unter ihnen nahm langsam die Farbe von Blut an. Eilig entledigte Niniel den jungen Mann von seinem Mantel. Ihr war bewusst, dass die Kälte nicht gerade zur Linderung seiner Schmerzen führen würde, doch sie musste näher an die Verletzung herankommen.
 
  „Ich werde versuchen den Zauber zu brechen.. halte nur durch.“, wisperte sie nahe an seinem Ohr und hauchte ihm einen kurzen Kuss auf die bläulich vor Kälte angelaufenen Lippen.
 
 Diesmal brachte Alexiey nur ein schwaches Nicken zu Stande. Zu stark musste er sich darauf konzentrieren die Schwärze von sich zu weisen. Der Atem des Todes streckte immer weiter seine Hände nach ihm aus, um ihn zu packen.
 
 Mittlerweile hatte sich auch das Blut des jungen Menschenmannes an Niniels Hände geheftet, doch sie schreckte nicht davor zurück. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Hände zitterten, als sie sie auf seiner Wunde ablegte. Dann schloss sie langsam die Augen, um sich zu konzentrieren.
 
 „~ Nimuh najalah alshnae ~“, murmelte sie mit tranceartiger Stimme.
 
 Gleißendes Licht löste sich von ihren Fingerspitzen, ging auf die ganze Hand über und breitete sich schließlich auch über Alexieys Körper aus. Der Atem des Mannes war schwächer geworden, doch er spürte deutlich, wie der Schmerz in seiner Brust langsam, aber stetig nachließ, bis er fast nicht mehr zu spüren war.
 
 „Du hast es geschafft...“, flüsterte er leise und zwang sich ein Lächeln auf das gequälte Gesicht, „Nun werde ich mit erträglichem Schmerz ins Reich der Toten einziehen...“
 
 „Nein!“, barsch unterbrach die Elfe seinen Satz, „Du wirst gar nirgendwo einziehen, als sicher in deiner Heimatstadt!“
 
  „Niniel.. gerade du solltest um die Wirkung eines Elfenpfeils wissen. Du hast den Schmerz gebannt, der mich hätte qualvoll sterben lassen. Doch weißt du ebenso wie ich, dass ein Treffer eines Elfen euren Stammes zum Tode führt... ich spüre die Klaue des Todes, die nach mir greift.“, Alexieys Stimme war zu einer Mischung aus Zärtlichkeit, aber auch Strenge geworden.
 
 Leise schluchzte die Elfe auf. Klar wusste sie um die Wirkung der Waffen ihres eigenen Volkes. Doch wollte sie dies hier nicht wahrhaben.
 
 „Wir hätten es niemals so weit kommen lassen dürfen.“, wisperte sie mit erstickter Stimme.
 
Ihre Fassung wollte sie nicht wahren. Nicht in dieser Situation. Sie hatte die Liebe zu diesem Menschen zugelassen, so musste sie nun auch die Gefühle zulassen, die sie zu zerstören drohten.
 
 „Es ist zu spät, um darüber nachzudenken... ich liebe dich Niniel.. vergiss das nicht. Ich sterbe lieber jetzt, hier in deinen Armen, als einsam auf dem Schlachtfeld. Mein Tod war nur noch eine Frage der Zeit. Eurer Volk ist in den letzten Mondläufen häufiger Sieger auf dem Schlachtfeld geworden. Und außerdem habe ich dich nun noch einmal gesehen.“, der junge Mann hustete, dabei lief ihm ein dünner Faden Blut aus dem Mundwinkel.
 
  „Du darfst nicht sterben.. das... das erlaube ich dir nicht.“, sie kam sich kindisch vor, mit dem, was sie jetzt sagte, doch sie konnte nicht anders.
 
 Für andere Worte war sie nicht fähig. Wieder stahl sich ein Schluchzen aus ihrer Kehle: „Ich liebe dich auch... und das mehr als mein Leben.“
 
 „Sag so etwas nicht... Du darfst so etwas nicht sagen.“, flüsterte Alexiey, „Wir werden uns wiedersehen... da bin ich mir sicher.“
 
Mit letzte Kraft hatte er diese Worte gesagt, dann verstumme sein Atem und das Leben wich aus seinem Körper.
 
 Er war tot.
 
Qualvoll schluchzte Niniel auf und ließ sich über den toten Körper ihres Liebsten fallen. Silbrige Tränen lösten sich aus ihren Augen und ohne Scham begann sie zu weinen. Doch nicht lange konnte sie den Tod Alexieys betrauern. Sie zuckte zusammen, als sie Schritte ganz in der Nähe vernahm. Sofort hob sie den Kopf, um sich wachsam umzusehen und da erblickte sie ihn.
 
 Ein hochgewachsener schlanker Elf stand mit hämischem Grinsen in der Nähe an einem Baum gelehnt. In der rechten Hand hielt er noch immer seinen Bogen in der linken einen weiteren Pfeil. Als Niniel ihn dort so stehen sah, mit seinem kalten Grinsen, den vor Schadenfreude blitzenden goldenen Augen und dem langen goldblondem Haar, wallte in ihr Hass und Wut auf. Sie gab ein undefinierbares Knurren von sich. Wie eine Raubkatze, bereit zum Angriff.
 
 „Du hast ihn ungebracht!“, schrie sie voller Wut und sprang elegant mit neuer Kraft auf.
 
 Die unendliche Trauer hatte sich in ebenso unendlichen Hass verwandelt. Sie würde ihren Liebsten rächen. Und ihr war es egal, ob sie sich dann ihr eigenes Volk zum Feind machte.
 
 „Er hat doch förmlich danach geschrieen getötet zu werden. Was regt du dich so auf, Kleines? Hast du das Verbot etwa vergessen?“, schnarrend und voller Genugtuung klang die Stimme des anderen Elfen.
 
Er stieß sich von seinem Baum ab und machte einige Schritte auf die junge Frau zu. Mit geballten Fäusten und schäumend von unbändiger Wut stand sie ihm gegenüber. Ihre Augen funkelten wie giftgrüne Smaragde.
 
  „Ich habe es nicht vergessen, Thâlan! Aber ich habe vergessen, dass du einmal mein bester Freund warst!“, entgegnete sie eiskalt.
 
 Die Maske der Emotionslosigkeit legte sich auf ihre Miene. Sie würde ihm zeigen, wie groß ihr Durst nach Rache nun war.
 
 „Na na... Hochverrat mein Kleines. Ich könnte dich deinem Vater vor die Füße legen und ihm erklären, dass du unerlaubten Kontakt zu einem Menschen hattest! Unsere Todfeinde. Weißt du eigentlich wie viele die Menschen von unserem Volk auf dem Gewissen haben? Wie viele wegen ihrer grausamen Waffen wegen den Tod gefunden haben?“, der Elf ließ sich nicht einschüchtern.
 
 Niniel lachte gehässig auf: „Ebenso viele vielleicht, wie die Menschen selbst? Ihr seht den Krieg doch immer nur von der eigenen Seite. Die eigenen Toten, doch die der „Feinde“ sind nichts! Vielleicht sind all die Toten unschuldige Männer, die in den Krieg geschickt werden, weil sie gelobt haben ihr Land zu verteidigen?“
 
 „Was verstehst du schon von Krieg? Du bist eine Frau! Bei uns mögen Kriegerinnen in den Reihen stehen, doch niemals hat es eine geschafft eine Armee zu führen. Was versteht ihr schon davon? Haltet euch aus diesen Sachen heraus.“, nun war auch Thâlan wütend geworden.
 
 „Wir verstehen eine Menge, die ihr Männer durch eure überzeugte Stärke nicht versteht, oder sogar nicht verstehen wollt.“
 
  „Man merkt, dass aus dir eine spricht, die einen Menschen geliebt hat. Vernebelt der Hass dir so das schöne Köpfchen?“, höhnisch lachte der Elf auf.
 
 Er lacht über seine eigenen Worte. Wie abscheulich. Wieso habe ich sein wahres Wesen nie wirklich erkannt?, schoss es Niniel durch den Kopf.
 
 Blitzschnell beugte sie sich hinab, um Alexieys Langdolch aus dessen Gürtel zu ziehen, bevor sie sich mit einem Schrei auf Thâlan stürzte. Dieser hatte nun wirklich nicht mit einem Angriff ihrerseits gerechnet und zuckte erschrocken zurück, als die junge Elfe die Waffe geschickt gegen ihn richtete und ihm einen tiefen Schnitt am Oberarm verpasste.
 
 „Du bist besessen!“, zischte der Elf wütend und zog den eigenen Dolch, „Ich warne dich ein letztes Mal. Wirf die Waffe beiseite. Ich habe im Gegensatz zu dir nicht vergessen, dass wir einmal beste Freunde waren. Der König wird kein Wort von mir über den Menschen erfahren. Das ich ihn getötet habe, das ist sichtlich die größte Strafe für dich! Schade, dass es so kommen musste.. du bist so hübsch.“
 
 „Du kannst dir deine schmierigen Worte sparen, Thâlan!“, zischte Niniel zurück und erneut sprang sie ihn mit der Waffe in der Hand an.
 
 Elegant wich Thâlan ihrem Angriff aus. Er wehrte die Schläge geschickt von sich ab, doch er schlug nicht zurück. Das ekelhaft überzeugte Grinsen auf seinem Gesicht machte die Elfe nur noch viel wütender. Immer schneller führte sie die Dolchstiche aus. Dabei lösten sich wieder die Tränen aus ihren Augen. Sie vernebelten ihr die Sicht, sodass sie bald nur noch ins Leere stach und kaum noch erkannte, dass sie Thâlan nicht mehr traf.
 
 „Ich hasse dich...“, flüsterte sie, als sie endlich aufhörte, ihn mit den Angriffen zu attackieren, „Du hast mir den Sinn genommen, der mich am Leben hielt! Der mir Kraft schenkte in diesen Zeiten des Krieges und des Hasses.“
 
 Trotzig stand sie vor ihm. Die schwarzen Haare fielen ihr wirr in das schöne Gesicht. Noch blasser schien es, als es sonst war. Auch die Augen waren von Trauer geprägt. Es wirkte, als hätten die Tränen die Wut gelöscht und die Asche der Verzweiflung zurückgelassen. Atemlos keuchte sie nach Luft und senkte den Blick zu Boden.
 
 „Ich hasse dich...“, wiederholte sie noch einmal, während ihr eine letzte Träne aus dem Auge ihre Wange hinunter ran und dann auf ihr blutverschmiertes hellblaues Kleid fiel.
 
  „Man kann einem Menschen nicht trauen..“, flüsterte Thâlan und machte einen Schritt auf die zitternde Niniel zu.
 
Erst zaghaft, dann aber bestimmt, legte er die Arme um ihre Schultern und zog sie vorsichtig an sich: „Beruhige dich erst einmal.“
 
 Wie es schien war er bereit zu vergeben...
 
„Lass mich los.“, fauchte Niniel.
 
 Schlagartig hatte sie sich versteift, als er sie an sich zog. Als er nicht reagierte und sie weiterhin festhielt, stieß sie ihn von sich.
 
 „Fass mich nicht an... Du.. du bist ein Mörder! Verschwinde aus meinen Augen.“, böse funkelte Niniel ihn an, dann drehte sie sich um und stapfte entschlossen einige Schritte von ihm weg auf Alexiey zu.
 
 Thâlan blieb stehen wo er war. Er wollte sie nicht noch mehr erzürnen. Langsam begann er sich Gedanken darüber zu machen, ob er wirklich das richtige getan hatte... Doch als er die beiden dort hatte stehen sehen, war es mit ihm durchgegangen. War es Eifersucht, die ihn getrieben hatte? Und war es Liebe, die ihn nun zurück hielt die junge Frau nicht auch einfach zu töten? Er konnte es auf die Schuld des Menschen schieben. Er kam ganz einfach zu spät, um sie zu retten... Nein. Schnell verwarf er diesen Gedanken wieder und beobachtete wie Niniel sich neben den toten Menschenmann kniete.
 
 Kurz betrachtete sie Alexiey und strich mit der Hand über sein Gesicht. Es war eiskalt geworden. So kalt wie der Schnee auf dem er lag. Wenigstens war sein Gesichtsausdruck friedlich und nicht verkrampft, wie er es gewesen wäre, wenn sie den Fluch nicht gebannt hätte. Als Niniel den Blick wieder von Alexiey abwandte, hob sie den Kopf und blickte zu Thâlan.
 
 Dieser hob überrascht die rechte Augenbraue. Auf ihrem Gesicht hatte sich ein Lächeln gebildet. Es wirkte glücklich, doch ihre Augen sprachen dagegen. Sie funkelten vor Entschlossenheit und auch Trauer.
 
 „Du hast mir das Liebste auf Erden genommen.. so will ich dir das Liebste auf Erden nehmen und mir das Leid.“, klar und deutlich sprach Niniel diese Worte.
 
 Eindeutig war auch das Zittern zu erkennen, welches ihren Körper packte, als sie nach dem Dolch griff. Thâlan verstand ihre Worte sofort und weitete geschockt die Augen. Nun war er der jenige, dem der Schock ins Gesicht geschrieben stand. Er hob die Hand und eilte auf Niniel zu.
 
   „NEIN!“, rief er, doch es war zu spät.
 
„Lebe wohl! Und das wir uns nie wieder sehen, will ich für dich hoffen!“, flüsterte Niniel und drehte die Klinge des Dolches in die eigene Richtung.
 
Sie packte ihn mit beiden Händen und stieß dann, mit all ihrer Kraft, zu...
 

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Sarah Schipper).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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