- 13.12.2006
- Kategorie "Parabeln" (Kurzgeschichten)
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Robert Fischaleck
Nichts
Eines Morgens, gleich nach dem Bad, wollte
ich wie gewohnt meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen, dem Erfinden
von Geschichten.
Ich setzte mich also an meinen Schreibtisch und
wollte gerade meine Gedanken losschicken, ihre Beute einzuholen, als mich
etwas am ärmel kitzelte, und ich mich verdutzt umdrehte.
Aber da war nichts.
Ich dachte, nun ja, ich weiß nicht mehr
genau, was ich dachte, auf jeden Fall hörte ich plötzlich die
draußen vorbeifahrenden Autos, spürte die Zimmertemperatur,
meine Augen empfanden die aktuellen Lichtverhältnisse, mein Magen
grummelte munter vor sich hin und der billige Computer surrte vor Unwichtigkeit
betont langsam in den eben angebrochenen Tag.
Das wird eine seltsame Geschichte dachte ich,
denn darüber lohnt es sich kaum zu schreiben.
Ich horchte also in mich hinein, ob da nicht
noch etwas anderes wäre, etwas spannenderes, vielleicht ein Thema,
dessen ich mich immer schon annehmen wollte, und es nie wagte, vor lauter
üben und vorsichtig sein und rationellem denken und vorgehen und überhaupt.
Und ich stellte fest, da wäre schon eines.
Aber wie immer hatte es sich versteckt.
Ich wußte nur ganz sicher, es war da, wie
ein Aroma dessen Ursprung man noch nicht entdeckt hat, aber das ganze Haus
hat diesen vagen Duft, diese Blüte, dieses unbestimmte bißchen
anders.
Da saß ich dann und blickte um mich, aber
ich konnte es nicht entdecken.
Die Unordnung war so belanglos wie immer, die
Berge von Medien aus der Bücherei, so sekundär wie sonst auch,
die Anordnung der Möbel so irrelevant wie an jedem anderen Tag, die
Wäsche wartete so geduldig wie gestern, die Katze schlief, nirgends
auch nur eine Spur dieses seltsamen Gastes, der mir seine besondere Geschichte
erzählen wollte.
Ich bin jetzt genau seit, laßt mich das
schnell ausrechnen, das Jahr hat 365, manchmal 366 Tage, davon wollte ich
die letzten 30 Jahre darüber schreiben, also schlappe 10000 Tage auf
der Suche nach dieser Geschichte, von der ich weiß, daß sie
sich irgendwo versteckt hat.
Und manchmal hat sie, also ihr kennt das doch,
wenn Kinder Verstecken spielen und sich nicht finden, dann ruft der, der
suchen muß, sag mal hu, und genau das ist es, was ich bis jetzt alles
geschrieben habe.
Und dann ruft es wieder ein paar Strophen und
dann such ich dieser Richtung weiter und dann, ja dann geht es wieder verloren,
wie schon so oft.
Und dann such ich wieder ein paar Sequenzen im
Kreis durch all die Räume und dann frag ich nochmal, sag mal Hu, und
dann kommt es wieder von woanders her und ich such dort weiter.
Und wenn ich mich dann frage, ja Himmel nochmal,
träum ich oder was, dann sagt es, also das ist es, was mich so kitzelt,
wenn ich mich dann umdrehe, dann ist dort nichts, aber es kitzelt.
Dieses kleine kitzelnde Nichts, das dort nicht
ist, also dort wo man hinschaut, wenn man schon mal hinschaut, also das
hat ja nichts damit zu tun, was in der Zeitung steht, es steht auch nie
etwas darüber in der Zeitung.
Es gibt auch im TV keine Sendung, die da heißt,
neue Geschichten vom kleinen kitzelnden Nichts.
Es gibt auch keine Talkshow, in der ein Moderator
hocherfreut einen lang schon erhofften, oft eingeladenen Gast begrüßt,
mit den sorgfältig ausgewählten Worten,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach endlosen
Bemühungen, ist mir endlich gelungen, es zu erreichen, es/ihn/sie
endlich bei uns heute begrüßen zu dürfen, heißen
sie heute Abend mit mir zusammen herzlich willkommen, das kleine kitzelnde
Nichts.
Und was dann, stellt euch vor, nichts passiert,
die Zuschauer warten, die Kameraperspektive wird umgestellt, die Beleuchtung
am versteckten Bühneneingang verändert sich, und niemand und
Nichts erscheint.
Und genauso ergeht es mir immer, aber da ist
ganz bestimmt jemand da.
Und er ist nicht mal wirklich unsichtbar.
Es ist noch weniger als unsichtbar, und trotzdem
weiß jeder, daß es doch da irgendwo sein muß.
Natürlich haben wir in der Schule nichts
darüber gelernt.
Denn wie denn, es gibt natürlich auch kein
Buch darüber, und wenn jetzt der Lehrer, dem es ja nicht anders geht
als uns, es als Stundenplan festlegen wollte und es kommt nicht, das geht
natürlich auch nicht.
Und wie es in der Arbeit ist wißt ihr selber,
ich schätze mal, da ruft es nicht mal mehr hu.
Und es ist nicht im Auto, auch nicht in der Wäscherei,
es ist nicht in der neuen Stereoanlage, obwohl man ganz kurz dieses Schimmern
sah, aber das muß das Glas vom Schaufenster gewesen sein, denn Zuhause
war nach drei Tagen nichts mehr davon zu sehen.
Und obwohl es Leute gibt die behaupten, man findet
es im Urlaub, hab ich da so meine Zweifel, und da bin ich Experte, denn
ich habe viel Urlaub gemacht auf meiner Suche.
Wenn da aber gar nichts wäre, und wir das
alles nur machen weil da gar nichts ist, also das wäre noch undenkbarer,
oder gleich andersrum, wir denken da ist es und da ist es gar nicht und
kitzelt uns einfach woanders.
Aber wenn dann all die Sachen, die wir alle so
machen, uns dann immer mal wieder plötzlich weh tun, dann fällt
es uns wieder ein, da war doch was, und doch war da nichts.
Ich könnte jetzt nicht mal mit Gewißheit
sagen, daß es gar nicht da wäre, ganz im Gegenteil, es muß
doch irgendwo sein.
Denn wenn ich ganz kurz auch nur davon ausgehe,
daß es dieses Nichts gar nicht gibt, wird plötzlich und auf
einen Schlag die ganze Welt zu Nichts, und das ist ja wohl mehr als deutlich.
Wie sie inzwischen längst gemerkt haben
geht es um das selbe lustige Nichts wie in der Unendlichen Geschichte meines
werten Kollegen, nur das mein Nichts, eben genau das Gegenteil des Nichts
aus Fantasien ist und um das selbe unglaubliche Zuhören, wie in seiner
Momo und um das selbe lustige Ding, das er Fantasie nannte und um das selbe
lustige Phänomen, das er die kindliche Kaiserin nannte, und eben um
genau das Gegenteil von einem Nichts das gar kein Nichts ist, aber nucht
dort wo wir glauben das es ist.
Ich nenne es/sie die Unbekannte, ich will ihr
Briefe schreiben, und ich werde ihr keine Fantasiebriefe schreiben, ich
schreibe ihr Briefe aus dieser unserer Welt.
Und ich schreibe sie ihr, weil sie vielleicht
noch die einzige ist, die Zuhören kann.
Und ich habe jetzt auch gar keine Lust mehr,
mich auf ein Thema zu beschränken, ich werde das tun was man in Briefen
immer tut, nämlich schreiben was Einem gerade durch den Kopf geht.
Wohl bekomms.
Und ich werde aus all meinen Ichs schreiben,
die mir zugelaufen kommen. Also Erinnerungen meines pubertären Ichs,
Wunschdenken meines trotzigen Ichs, Dünkel meines Nachdenklichen Ichs
und vielleicht ein paar beflügelte Eingebungen meines wahren Ichs,
wer weiß, aber sonst wird das Nichts.