Malte Wilhelm

Wie hatte es eigentlich angefangen?

Wie hatte es eigentlich angefangen. Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Was war passiert? Sicher, er war jetzt allein, saß auf einem Stuhl und starrte aus dem Fenster. Er beobachtete die Regentropfen, die langsam an der glatten, kalten Oberfläche entlang liefen.

Was war passiert? Wieder diese Frage.

Er war weg gewesen und hatte in der Disko getanzt, wie immer. Er hatte diese hübsche Frau kennen gelernt und mit ihr getanzt. Hatte sie auf ein paar Drinks eingeladen und sie waren sich näher gekommen. Erst waren es nur kleine, flüchtige, unmerkliche Signale, doch es wurde immer deutlicher, worauf dieser Abend hinaus laufen sollte.

Gegen drei Uhr waren sie dann zu ihr gefahren. Sie wollten den Abend dort fortsetzen und endlich den Spaß haben, der an öffentlichen Orten nicht möglich war.

Während er für beide eine Flasche Wein öffnete, legte sie stimmungsvolle Musik auf und zündete einige Kerzen an.

Sie setzten sich gemütlich auf das Sofa und schmiegten sich eng aneinander. Er spürte deutlich ihren Körper an seinem, spürte ihr verlangen und fuhr mit der Hand über ihre Haut.

Sie erzitterte leicht aufgrund der Berührung. Sie neigte den Kopf und küsste ihn, wurde fordernder, verlangender.

Und plötzlich schrie alles in ihm nach Flucht. Er wollte nur noch weg. Beim Aufspringen warf er die Weinflasche und die Gläser um. Der Rotwein floss wie Blut über den Tisch. Ohne ein weiteres Wort schnappte er sich seine Jacke und rannte aus der Wohnung. Er rannte ziellos durch die Nacht, nahm nichts mehr wahr. Was sollte das, wieso hatte er so reagiert? Was war mit ihm passiert? Es war doch nicht das erste Mal, das ein Abend so enden sollte. Er hatte schon zahllose Frauen gehabt und immer hatte er seinen Spaß gehabt. Gut, er fragte sich am nächsten Tag immer wieder, ob er das Richtige getan hatte. Aber so etwas, nein, das war neu.

Er hatte die Liebe seines Lebens noch nicht gefunden und Freundinnen hatte er auch, aber wenn, dann nur kurz. Aber was war da grade passiert?

Immer und immer wieder diese eine Frage. Sie brannte sich in sein Hirn, ließ ihn nicht los.

Wie lange er schon gerannt war wusste er nicht mehr, doch seine Lunge brannte und die Beine wollten auch nicht mehr weiter. Er setzte sich einfach auf einen Mauervorsprung und atmete tief durch, ließ sich etwas zur Ruhe kommen, doch diese quälende Frage blieb. Nach einiger Zeit stand er auf und ging langsam durch die dunkeln Straßen, steuerte langsam seine Wohnung an. Die Sonne ging langsam auf, als er sich schließlich seiner Wohnung näherte. Er ging ins Haus und schloss seine Wohnung auf, ließ die Tür zufallen und lehnte sich dagegen, sank auf den Boden und weinte. Er ließ alle Hemmungen fallen und weinte sich den Schmerz von der Seele.

Auch die Antwort auf seine Frage war ihm klar, doch das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein. Doch nicht er.

Als langsam alle Muskeln und Knochen schmerzten, stand er auf und ging in die Küche um sich Kaffee zu kochen.

Dann ging er mit der Tasse ins Wohnzimmer und setzte sich an den Tisch. Er starrte aus dem Fenster und stellte sich wieder und wieder die Frage. Wieso ich, wieso ich?

Wie hatte das alles angefangen? Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Er war doch wie die Anderen. Oder etwa nicht? Er war doch ein Mann und lebte ein normales Leben, dachte er bisher jedenfalls.

Die Frage wurde immer bohrender und die Antwort immer klarer, doch er wollte die Wahrheit gar nicht hören.

Er wusste, dass die Antwort sein Leben zerstören würde.

Er stand auf und ging zum Fenster.

Er öffnete es und sprang hinaus.

Wie hatte es bloß angefangen? Diese Frage schoss ihm durch den Kopf, dann wurde es ruhig.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Do we know what home is, what does this term mean for modern nomads and cosmopolitans? Where and what exactly is home?
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