Claudia Elisabeta Stolz

Die Hoffnung

1990. Rumänien

Wieder beginnt ein Jahr, nachdem das Alte mit all seinen Schicksalen schon Vergangenheit ist und wir, die Menschen hoffen, daß das Neue uns mehr Glück bringen wird. Denn, was wäre der Mensch ohne Hoffnungen und Träume?
Das Jahr, das gerade beendet war, legte auf seinen letzen Seiten eine neue, mit Blut, geschriebene Geschichte. Die Utopie, die mehr als 40 Jahre dauerte, fand ihr Ende. Der Kommunismus, der als perfekter, idealer Plan für eine bessere und gerechte Gesellschaft galt, war tot. Die Leute, die unter diesem despotischen Plan gelitten hatten, waren froh, nach so langer Zeit, endlich die Masken abnehmen zu können. Denn ohne diese Masken wären diejenigen, die das Pech hatten in dieser Gesellschaft das Licht der Welt zu erblicken, verloren. Hinter der Fassade war Zorn, Zorn der aus Not und Lügen geboren wurde.
Ceausescus Regime war vorbei. Er und seine Frau, Elena Ceausescu, lagen unter der Erde begraben und ans Licht kam die Wahrheit.
Das Elend und der Schmerz, die in bestimmte Waisenhäuser, Altersheime und Krankenhäuser eingeschlossen waren, kamen jetzt ans Licht, erstaunte die ahnungslosen Menschen mit ihren Bildern des Grauens. Ceausescu hatte diese Miesere gut versteckt, nicht nur von der kapitalistischen Gesellschaft, sondern auch vor seinem Volk.
Januar.
Obwohl er ein trauriger und unfreundlicher Monat ist, weil alles tot zu sein scheint, wurde er diesmal mit doppelt so großer Freude und Wärme empfangen. Erstens, weil er der Anfang für ein neues Jahr ist und zweitens, weil er vielleicht der Anfang für eine bessere Existenz ohne Ängste sein wird.
Die Menschen mochten jetzt keine Gedanken an die Vergangenheit verschwenden, sondern erwarteten eine bessere Zukunft und befanden sich dabei, neue Pläne zu schmieden. Es kann aber nicht Allen gut gehen, denn das Leben, bereits von Geburt an, vergißt uns nicht zu bestrafen, für die Fehler die wir gemacht haben oder machen werden. Alles wird zurück gezahlt.
Eduard gehört zu den Menschen die es nicht leicht im Leben haben, und sich immer wieder fragen: "Warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Warum diese Strafe lieber Gott?." Aber all diese Fragen sind oft überflüssig, weil wir selbst dieses Leben gewählt haben, und somit die daraus folgenden Ergebnisse akzeptieren müssen. Eduard war ein Pessimist, denn seine Existenz wurde nur von negativen Ereignissen beherrscht. Als er noch ein kleines Kind war, stirbt sein Vater, und die Mutter, die jung war, heiratete wieder, als er sieben Jahre alt wurde. Von da an begann sein Alptraum, der sich über einen längeren Zeitraum hinweg zog. Er wurde vom Stiefvater geschlagen und bestraft, und das passierte immer, wenn das Kind die sexuellen Wünsche seines Stiefvaters nicht befriedigen wollte. Seiner Mutter hatte er niemals davon erzählt, denn die Drohungen des Vaters klangen erschreckend real, und die Angst paralysierte seinen Verstand. Mit sieben Jahren begann dieser Alptraum und hat sein Ende immer noch nicht gefunden. Eines Tages kam seine Mutter unerwartet früher nach Hause, und als sie sah, was für Leiden ihrem Sohn zugefügt wurde, erfaßten der Zorn und die Verzweiflung ihren Verstand und ihr Herz. Sie nahm ein Messer und tötete den Menschen, den sie aus Liebe heiratete. Seine Mutter kam danach in eine Nervenklinik, in der sie auch starb. Ihre Seele vergaß so die Schmerzen und fand die Ruhe.
Die Schwester der Mutter, die keine Kinder hatte und Eduard über alles liebte adoptierte ihn, aber sie konnte ihm nicht die gestohlene Freude und die unbeschwerte Kindheit zurück geben. In Eduards Seele blieben tiefen Wunden, und die Vergangenheit blutete bis in die Zukunft. Sein Leben gewann erst an Bedeutung durch Laura und durch die Liebe, die er für sie empfinden konnte.
In jenem kalten Januarnachmittag, einen Monat nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, saß Eduard vor dem Fernseher und verfolgte die Nachrichten, aber seine Gedanken verirrten sich in die Vergangenheit Ängste hervorrufend.
Nur in Bukarest und Timisoara standen noch Panzer sowjetischer Bauart auf den Straßen. Viele Männer, manche in der regulären Armeeuniform, andere in der Kleidung der revolutionären Miliz, hielten neben den Panzern an den wichtigen Punkten der Stadt Wache. Nach der Revolution gab es viele, die sich nicht schämten überall zu klauen. Langsam begann sich das Land zu erholen: die Leichen, die bis vor Kurzem die Leichenhallen füllten, wurden endlich begraben, das Feuer, dessen Flammen ohne Reue alles, was im Weg stand niederbrannte, war jetzt ausgelöscht. Die grauen Spuren des Brandes, und die Gräber in denen Frauen, Kinder, junge und alte Menschen lagen, ebenso die Schußlöcher in den Wänden, welche die Abdrücke der Kugeln verrieten, würden noch lange Zeit an die tragischen Ereignisse erinnern.
Eduard wurde vor kurzem 30 Jahre alt. Sein schönes, männliches Gesicht trug die Spuren der Zeit und der unerfüllten Hoffnungen, aber es zeigte nicht die Schmerzen die seinen Körper quälten. Er versuchte sein Leiden vor Laura zu verheimlichen, aber sie erfuhr die Wahrheit, und schaute ihn immer vorwurfsvoll an, wenn er sich eine Zigarette anzündete. Sie redete ihm immer wieder gut zu, daß dieses Laster ihm noch mehr schadet. Sein Magen und sein Herz würden durch Nikotin noch mehr belastet werden. Sie war fest davon überzeugt, das er eine Chance zur Heilung hätte, wenn er nur das Rauchen aufgeben würde. Aber irgendwie wollte er auf das Leiden nicht verzichten, denn die Schmerzen gehörten einfach zu seinem Leben. Seine perfekten Gesichtszüge mit den großen, grünen Augen verrieten den Edelmut und die unsagbare Güte seiner Seele. Eine empfindliche Seele, die sehr leicht zu verletzen und mit einer starken Wahrnehmung der Veränderungen veranlagt war, einer Wahrnehmung die bis zum Bedauern ging. Es fiel ihm schwer die Vergangenheit ruhen zu lassen und die Zukunft so zu nehmen, wie sie kommt.
<< Was wird aus mir, wenn Laura.........>>
<< Eduard!>>Die schwache Stimme seiner Frau hörte sich an, als kämme sie von weit her, kurz darauf vernahm er ein dumpfes Geräusch. Er beeilte sich in die Küche. Diese war ziemlich groß, und gleich, wenn man den Raum betrat, sah man an der linken Seite den Tisch, auf dem in einer Schale Kartoffel und Tomaten lagen. Daneben befand sich das Spülbecken, in das unaufhörlich Wasser tropfte, und der Herd, auf dem ein Topf mit Suppe leise vor sich hin sprüdelte. Auf der rechten Wand stand ein Kühlschrank und das Büfett, in dem das Geschirr sein Platz hatte. Laura, die gerade bei der Vorbereitung des Abendessens war, lag am Boden, mit weit geöffneten Augen.
Ihre sinnlichen Lippen wollten in einer letzten Anstrengung noch etwas sagen, aber es fehlte die Kraft dazu. Lauras Mund blieb offen, und aus ihm kam eine weiße, schaumartige Flüssigkeit. Ihre großen, schwarzen Augen waren starr und die langen Wimpern schlugen, so hastig, genauso wie die Flügel eines verwundeten Vogels.
<< Nein !.....Laura ! >> ein furchtbarer Schrei zerriß die Stille. Laura war für ihn sein Ein und Alles, und als er sie so liegen sah, fühlte er sich, als würde sein ganzes Wesen im Nichts verschwinden. Ohne Laura war er verloren! Nur Laura konnte ihm die verlorenen freudlosen Jahre vergessen lassen.
Er hatte sich immer vor Menschen gescheut und immer versuchte er es zu verstecken. Die Schmerzen, das Leid lauerten immer noch dicht unter der Oberfläche. Die erste Person die ihm half über seine Schmerzen offen zu sprechen, war, ironische Weise, ein Mann gewesen. Ein Kollege, Roman Kermenschi, der auch sein Freund wurde. Roman schien ein alter Weiser zu sein, der niemals Eduard für sein Leid bedauerte, sondern ihn zwang mit mehr Courage gegen das Leben zu kämpfen, und er erinnerte Eduard immer daran, daß das Leben eine Bühne ist, auf der die Menschen, die Schauspieler sind. Man mußte, sagte er, ständig kämpfen, wenn man sich einen Beifall wünschte, und man mußte auch die Vergangenheit ruhen lassen und nur einfach die Gegenwart erleben. Eduard schätzte seine Gesellschaft, seine Ansichten und auch seine Unterstützung. Er war stolz, mit Roman befreundet zu sein, denn dank ihm und seinen Ansichten hatte er den Mut sich zu verlieben,.. sich in Laura zu verlieben.
Es dauerte einige Minuten, bis Eduard die Energie fand und zu sich kam, dann rannte er zum Telefon. Wenige Sekunden später, befand er sich wieder neben dem leblosen Körper seiner Frau.
<< Lauraaa!...Laura antworte mir! Hörst du? Komm wieder zurück! Laß mich bitte nicht allein meine Geliebte. Was soll ich bloß ohne dich machen? >> Er durchlebte seine Vergangenheit und konnte seine heißen Tränen, die auf Lauras Stirn fielen, nicht mehr aufhalten. Eduard bemühte sich aus den Wellen der Erbitterung, in der seine Seele immer tiefer versank, empor zu steigen.
Er vergaß die Zeit, seine Gedanken wurden blitzschnell eingefroren. Sein Verstand war... leer, und auf einmal spürte er die warme, liebevolle Gegenwart seiner Frau.
<< Laura! Bist du es? Wo bist du ? >>
Die Furcht fraß mit einer erstaunlichen Schnelligkeit Eduards Inneres und am Ende wurde seinen Körper entkräftet. Er blieb wie gelähmt und sein Herz setzte für einen Wimpern Schlag aus.
<< Ich bin hier! Hinter dir mein Liebster und ich bin auch nicht tot, aber es muß so sein, du wirst es später verstehen, klang die melodiöse Stimme seiner Frau. Adio Eduard! Ich komme zurück, warte auf mich und gib die Hoffnung nicht auf!>>

" Die Hoffnung " ist Teil eines Buches : Fortsetzung folgt. Claudia Elisabeta Stolz, Anmerkung zur Geschichte

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